Protokoll der Sitzung vom 13.11.2019

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst vielen Dank für den Gesetzentwurf des SSW. Die Ausschussberatung ist ja verpflichtend. Das ist schon gesagt worden. Die Jamaika-Koalition hat das Thema Wohnraumförderungsgesetz im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir wollen uns damit befassen. Deshalb ist es gut, dass wir das Thema jetzt auf der Tagesordnung haben.

Ich möchte aber auch sagen, dass ich die Erweiterung, die im Gesetzentwurf des SSW vorgeschlagen wird, dass nämlich auch Azubis, Studenten und so weiter einbezogen werden, für einen klugen und guten Vorschlag halte. Wir sollten das auf jeden Fall positiv aufnehmen.

Im Kern geht es um die Frage: Soll die Fehlbelegungsquote eingeführt werden? Jetzt ist der Kollege Harms leider nicht da. Er hat das mit dem Thema Gerechtigkeit begründet. Das Thema Gerechtigkeit ist so eine Sache. Wenn man als Student in eine Sozialwohnung einzieht, später ein höheres Einkommen hat, darf man nicht unterschätzen, dass es doch eine erhebliche Bindungswirkung in den Kiez oder in die Nachbarschaft hat, wenn man dort lebt. Die Kinder wachsen dort auf. Eigentlich ist man nicht geneigt, wegzuziehen, gerade wenn die Herkunftsfamilien weit weg sind. Man findet Freundschaften. Man möchte dort wohnen bleiben.

Es ist auch nur eine Pseudogerechtigkeit. Wenn ich - auch aus Gerechtigkeitserwägungen heraus - mit einem Studienratsgehalt oder noch höher eine Fehlbelegungsabgabe zahle, bleibt es immer noch ungerecht, weil meine Einkommenserwartung - gemessen am Rest der Bevölkerung - höher ist als die Miete. Eine absolute Gerechtigkeit werde ich auch durch die Fehlbelegungsabgabe nicht erreichen.

Die Kollegen von Schwarz-Grün in Hessen haben Folgendes gemacht. Sie haben die Freiwilligkeit betont. Sie haben gesagt, dass es, wenn jemand mit einem gewissen Grundeinkommen in eine Wohnung einzieht und später ein höheres Gehalt hat, richtig ist, dies dadurch zu kompensieren, dass später eine höhere Miete gezahlt wird - im Sinne der normalen Vergleichsmiete im Kiez oder in dem Viertel, in dem diese Person wohnt. Über mehr reden wir nicht. Wir reden nicht darüber, dass sich bei jemand, der ein hohes Gehalt hat, die Miete plötzlich verdoppelt, sondern wir reden über eine angemessene Erhöhung im Sinne der Vergleichsmiete.

In Hessen ist es so geregelt, dass das Geld in einen Fonds fließt, sodass es einen Benefit bei der Frage gibt und man an das Gerechtigkeitsempfinden appelliert und Leute sagen: Ich bin bereit, in einen solchen Fonds einzuzahlen, für Mehrgenerationenwohnen und so weiter; das sind Dinge, von denen ich später im Alter vielleicht profitiere.

Das Thema Fehlbelegungsabgabe ist vielseitig, aber keine Lösung - das ist hier mehrfach gesagt worden -, um Wohnungen zu schaffen. Das ist das Problem. Frau Ünsal, Sie haben es gesagt. Der damalige Begründungszusammenhang für die Ab

(Peter Lehnert)

schaffung war, dass keine Ghettoisierung stattfindet, sondern gemischte Quartiere vorhanden sind. Ich finde es richtig. Gemischte Quartiere haben eine höhere soziale Qualität. Wir brauchen nur einmal nach Mettenhof zu schauen. Dort sehen wir die Sünden der Vergangenheit. Dort hat man tatsächlich nur eine bestimmte Einkommensgruppe an einem Ort zusammengefasst. Das ist für mich keine moderne Wohnungsbaupolitik mehr.

Herr Harms hat das auch gesagt: Niemandem soll seine Wohnung gekündigt werden. Über die Frage, ob das wirklich viel hilft und ob das der richtige Vorschlag ist, können wir diskutieren.

Kommen wir zum Thema Mietspiegel. Ich habe mich auch immer gefragt, warum die Kollegen in Bremen - Bremen ist viele Jahre Rot-Grün regiert worden, jetzt gibt es dort Rot-Rot-Grün - keinen Mietspiegel haben. Dafür gibt es einen guten Grund. Ich selber komme aus dem Kreis Nordfriesland mit der Insel Sylt. Gerade Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und Grüne haben immer gesagt: Vorsicht an der Bahnsteigkante. Wenn wir jetzt einen Mietspiegel einführen, hat er nicht nur die Wirkung, die man sich erhofft, dass er Mieten senkt und alle ein bisschen weniger zahlen, sondern er kann auch den gegenteiligen Effekt erzeugen, nämlich dass die Mieten in einer Region plötzlich steigen.

(Martin Habersaat [SPD]: Deshalb habt ihr die Mietpreisbremse abgeschafft!)

- Nein, das hat nichts mit der Mietpreisbremse zu tun. Es geht erst einmal um Folgendes: Herr Habersaat, das Problem ist ja, dass die Mietpreisbremse deshalb nicht wirkt, weil es in zahlreichen Kommunen keinen Mietspiegel gibt.

(Beifall SPD)

Liebe Frau Midyatli, wenn Sie der Auffassung sind, dass der qualifizierte Mietspiegel wirkt, dann bringen Sie eine gesetzliche Verpflichtung im Deutschen Bundestag ein, dass er grundsätzlich von allen Kommunen -

(Zuruf SPD)

- Nein, es ist eine Bestimmung im BGB. Es ist in die Hand der kommunalen Selbstverwaltung gelegt, ihn einzuführen. Bringen Sie in den Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf ein, dass in Deutschland grundsätzlich ein Mietspiegel gelten soll. Wenn das Ihre Politik ist, müssen Sie sich auch in Regionen, in denen er negativ wirkt, vor die Leute stellen und Ihnen erklären, warum die Mieten

steigen und nicht sinken. - Das ist der Grund, aus dem Sie das nicht machen.

Deshalb sagen Sie jetzt: Ja, wir wollen dieses Instrument, möglichst viele sollen es nutzen. Herr Lehnert hat gesagt, es hat ja einen Sinn, dass nur vier Kommunen in Schleswig-Holstein einen Mietspiegel haben. Es ist nicht nur das Geld. Es gibt übrigens einen einfachen Mietspiegel. Den nennt man auch Rotwein-Mietspiegel. Da werden die Zahlen in kleinen Gemeinden einfach zusammengefasst, und man einigt sich darüber, wie die Vergleichsmiete im Ort ist. Das funktioniert als Low-BudgetMietspiegel in einigen Kommunen sehr gut.

Wenn Sie das verpflichtend wollen, müssen Sie einen entsprechenden Antrag einbringen. So ist es ein bisschen wie: Wir helfen,

Herr Abgeordneter,

- aber ob es dann wirklich in allen Kommunen eingeführt wird -

- Sie müssen zum Schluss kommen.

Ja, ich komme zum Schluss. - Darüber müssen wir im Ausschuss diskutieren. Ich bin mir nicht sicher, ob die Wirkung, die Sie erwarten, wirklich kommt. - Vielen Dank.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Schleswig-Holstein ist ohne Frage eines der drängendsten Probleme, denen wir uns stellen müssen. Es fragt sich nur, mit welchen Instrumenten wir dieses Problem bewältigen wollen. Die Jamaika-Koalition hat sich entschieden, die Rahmenbedingungen für die Schaffung neuen Wohnraums

(Dr. Andreas Tietze)

zu verbessern, indem wir die Landesbauordnung novelliert haben, um bürokratische Hürden zu beseitigen, die die Nachverdichtung insbesondere in Ballungszentren bisher verhindert haben.

Wir haben aber auch ein klares Bekenntnis abgegeben, um rechtswidrigen Mietpreisüberhöhungen wirksamer begegnen zu können, als das in der Vergangenheit möglich war, indem wir die Beweislastverteilung im Zivilprozess ändern wollen. Sofern diese Bundesratsinitiative Erfolg haben wird, und wenn wir dies durchsetzen können - was wir hoffen und was dieses Haus auch über Ihren Einfluss in Berlin unterstützen kann -, dann wird künftig der Vermieter beweisen müssen, dass er keine Mangellage ausgenutzt hat, und er wird, wenn er ausnahmsweise die Vergleichsmiete überschreiten möchte, vor Abschluss des Mietvertrags nachweisen müssen, dass Ausnahmevorschriften hier greifen.

Mit der Vergleichsmiete bin ich dann beim Antrag der SPD. Das Land soll die Erstellung von qualifizierten Mietspiegeln fördern. Die Idee hat auf den ersten Blick durchaus Charme. Ich finde aber, dass der Antrag trotzdem nicht überzeugt. Die Erstellung von Mietspiegeln gehört - und das haben wir hier heute schon häufiger gehört - zu den originären kommunalen Aufgaben der Daseinsvorsorge, und dort ist sie auch richtig angesiedelt.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und Beifall Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Erstellung von Mietpreisspiegeln ist ja auch kein Selbstzweck, sondern - so steht es jedenfalls im BGB - erfordert stets ein konkretes Bedürfnis, und der Aufwand muss in jedem Fall vertretbar sein. Genau das lässt meines Erachtens der Antrag der SPD außer Acht.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und Beifall Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich finde Ihren Antrag aber noch in einer anderen Hinsicht schwach. Sie blenden nämlich aus, dass es sehr unterschiedliche Ermittlungsmethoden gibt, um eine Vergleichsmiete feststellen zu können. Mit Ihrer Forderung, die Erstellung qualifizierter Mietspiegel zu fördern, schießen Sie daher ohne sachlichen Grund meines Erachtens über das Ziel, das Sie erreichen möchten, hinaus. Schon heute stehen für die Ermittlung der Vergleichsmiete der einfache Mietspiegel, die Mietendatenbank oder auch Gutachten von öffentlich bestellten und vereidigten

Sachverständigen zur Verfügung, die deutlich preiswerter sind und den gleichen Wert haben.

Es gibt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2019, die ausdrücklich bestätigt hat, dass auch der einfache Mietspiegel eine starke Indizwirkung für die Höhe der Vergleichsmiete hat, und das sollte man nicht aus den Augen verlieren, wenn wir hier über Maßnahmen reden möchten, wie die Vergleichsmiete in unseren Gemeinden festgestellt werden kann.

(Beifall FDP und Peter Lehnert [CDU])

Bedenken Sie weiter, dass die Erstellung gerade qualifizierter Mietspiegel mit erheblichen Kosten verbunden ist. Mit Mitteln, die unter einem sechsstelligen Betrag liegen, werden Sie einen qualifizierten Mietspiegel, der wissenschaftlichen Anforderungen entspricht, kaum erstellen können. Diese Förderung so einseitig festzulegen, bringt Gemeinden möglicherweise eher in Probleme, als dass dies der Lösung zuträglich ist. Aber darüber können wir gern im Ausschuss weiter beraten. Dafür wäre ich, dort im Ausschuss die Gedanken auszutauschen.

Kommen wir zum Antrag des SSW, und hier mache ich es kurz und knapp. Die Argumente haben wir gehört, auch von den Regierungsvertretern, den Abgeordneten Tietze und Lehnert. Es gibt durchaus Aspekte, die für eine Fehlbelegungsabgabe sprechen. Auf der anderen Seite muss man aber wirklich die bürokratischen Hürden sehen, auf die hingewiesen wurde. Aber was noch viel wichtiger ist, ist, dass Fachleute sich mit durchaus guten Argumenten gegen eine solche Fehlbelegungsabgabe ausgesprochen haben, weil sie festgestellt haben, dass diese zu einer Ghettoisierung in den Quartieren führen kann.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Wissenschaftler haben festgestellt, dass die Fehlbelegung auch kein wirkliches stadtentwicklungspolitisches Problem darstellt, sondern sogar sinnvoll sein kann, um gut funktionierende Nachbarschaften zu erhalten und sie nicht zu unterminieren oder zu beseitigen. Die Fehlbelegungsabgabe führt eben dazu, dass Menschen, deren Einkommen sich so verbessert, dass sie keinen Anspruch mehr auf die Zurverfügungstellung sozialen Wohnraums haben, dieses Quartier verlassen, wenn sie mit einer solchen Fehlbelegungsabgabe belastet werden.

Das ist nicht nur die Meinung von Wissenschaftlern, sondern das hat man mir auch in vielen Gesprächen bestätigt, die ich mit Verbänden der Wohnungswirtschaft geführt habe. Was wir auch nicht

(Jan Marcus Rossa)

vergessen dürfen: Einer der erbittertsten Gegner der letzten Fehlbelegungsabgabe in Schleswig-Holstein war der Mieterbund, und das auch nicht ohne Grund.

Lassen Sie uns das Thema gern diskutieren. Vielleicht finden wir sogar noch bessere Lösungen, um hier zu mehr Gerechtigkeit zu finden. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion der AfD hat deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Jörg Nobis.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Lieber Herr Harms, 1992 wurde die Fehlbelegungsabgabe eingeführt und 2004 wieder abgeschafft, und zwar einstimmig in diesem Haus. Damals waren Sie schon mit dabei. Nun gibt es die erneute politische Kehrtwende: alter Wein in neuen Schläuchen, sonst nichts, Herr Harms.

Sie übersehen in Ihrem Antrag das damalige Hauptproblem. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1988 bereits festgestellt: Maximal 10 bis 15 % Verwaltungskosten sind angemessen. Die Verwaltungskosten im Land waren damals aber immer weiter gestiegen, zuletzt auf fast 50 %, und das ignorieren Sie einfach. In Ihrem Entwurf gestehen Sie den Gemeinden zur Abgeltung ihres Verwaltungsaufwands 25 % zu. Sehr geehrter Herr Harms, Ihr Entwurf dürfte sich vor diesem Hintergrund mit einem Wort umschreiben lassen: Er ist verfassungswidrig.

Dabei legen Sie den Finger durchaus zu Recht in die Wunde. Fehlbelegungen von 30 bis über 40 %, je nach Erhebung, zeigen ganz deutliche Fehlallokationen von Fördergeldern. Geförderte Wohnungen stehen also in Größenordnungen nicht denjenigen zur Verfügung, die sie am dringendsten benötigen.