Protokoll der Sitzung vom 20.02.2020

(Unruhe)

Frau Raudies, Sie haben das Wort für Ihre weitere Bemerkung.

Danke schön. - Herr Kollege Kilian, sicher ist in diesem Vortrag gestern deutlich geworden, dass der Anteil der Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe etwas mit dem Lohnniveau zu tun hat. Es ist aber auch sehr deutlich geworden, dass die Dienstleistungen, von denen wir im Land ja nicht wenige haben, etwas mit dem Lohnniveau zu tun haben.

Meine Frage haben Sie aber nicht beantwortet: Haben die Themen Tarifbindung und Lohnniveau vielleicht etwas miteinander zu tun? Wie passt das zu Ihrer Aussage, die Sie vorhin getätigt haben, dass Tarifbindung völlig unwichtig ist?

Ich war gestern nicht bei dem Abend der Freien Berufe, ich war bei dem des Handwerks. Ehrlich gesagt, kann ich mir kaum vorstellen, dass beim Parlamentarischen Abend der Freien Berufe behauptet wurde, dass man nur mit Tarifbindung das Lohnniveau in diesem Land erhöhen kann. Das würde mich tatsächlich sehr überraschen.

Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu: Hier wird von der SPD ein Kampf geführt, den die Gewerkschaften auch intern führen. Sie verlieren teilweise reihenweise Mitglieder, weil man in einigen Bereichen außertariflich deutlich mehr verdienen kann als unter einem Tarifvertrag. Ehrlich gesagt, dies als Allheilmittel zu sehen, damit die Löhne steigen, ist der Holzweg.

(Beifall CDU)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Abgeordneten Christopher Vogt?

Liebend gern.

Vielen Dank. Ich hatte schon fast die Frage vergessen. - Herr Kollege Kilian, ich teile absolut Ihre Kritik an der Wirtschaftspolitik unserer Bundesregierung. Mit Blick auf das Thema Bonpflicht, das Sie zu Recht angesprochen haben, möchte ich sagen: Würde es aus Sicht der Union nicht mehr Sinn machen, solche Dinge nicht ständig einzuführen? Dann muss man auch nicht wenige Monate später die Abschaffung fordern. Das wäre doch schon ein Gewinn für die Bundesregierung und die Wirtschaftspolitik.

(Beifall FDP)

- Herr Kollege, da haben Sie vollkommen recht. Damals, als die Dinge eingeführt wurden, gab es eine Vielzahl an Ausnahmeregelungen, die auch eingeführt wurden. Heute ist der Anwendungsbereich der Ausnahmeregelungen allerdings auf ein derartiges Mininum eingeschränkt, dass eigentlich kein Mensch unter diese Ausnahmetatbestände fällt. Es ergibt durchaus Sinn, in einigen Bereichen eine Bonpflicht und einen Vorgang zu haben, um deutlich zu machen, dass die Einnahmen nicht in irgendeiner Kasse verschwinden, sodass man als Kunde wahrnimmt, hier geht ein Registrierprozess vonstatten. Ich glaube aber schon, dass wir bei Geschäften des alltäglichen Lebens mit einem unfassbar niedrigen Barzahlungsbetrag Ausnahmen ermöglichen müssen. Da erleben wir gerade, dass das Bundesfinanzministerium - Ihre Partei - diese Ausnahme nicht zulassen möchte.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Gesetze macht aber schon der Bundestag!)

- Das ist korrekt, Herr Kollege. Sie wissen aber, es gibt unter anderem Richtlinien. Meine Redezeit ist vorbei. Wenn Sie noch eine Frage haben, kommen Sie gern vorbei. Ich freue mich und wünsche Ihnen eine schöne Debatte. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort der Abgeordnete Joschka Knuth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Mensch, das ist ja ein

schönes Hin und Her. Ich mache dann mal weiter, denn Tarifverträge garantieren in der Tat gute Arbeit, und das ist auch gut so.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Christopher Vogt [FDP])

Bei Tarifverträgen geht es nicht nur um faire Löhne, sondern - das müssen wir immer wieder hervorheben - beispielsweise auch um Urlaubs- und Weihnachtsgeldregelungen, Arbeitszeitregelungen, Urlaubstage und um Regelungen zur betrieblichen Altersvorsorge. Beschäftigte mit einem Tarifvertrag stehen besser da als die Beschäftigten in Betrieben ohne Tarifbindungen. Daran gibt es keinen Zweifel.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Und: Tarifverträge - das müssen wir noch einmal betonen - sind auch ein wirksames Mittel gegen die Lohndiskriminierung von Frauen. Das dürfen wir nie vergessen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Dennys Bornhöft [FDP])

Von den Tarifverträgen, von diesen sehr kollektiven Regelungen, profitieren damit am Ende im Regelfall alle. Sie stärken damit den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir stellen aber auch fest: Immer weniger junge Menschen sind Mitglied in einer Gewerkschaft, und diese sind grundlegend dafür, dass wir überhaupt Tarifverträge bekommen. Wahrscheinlich ist ihnen nicht bewusst, dass all die arbeitsrechtlichen Errungenschaften unserer Zeit keine Selbstverständlichkeit sind. Hierfür müssen wir wieder mehr Bewusstsein schaffen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Dennys Bornhöft [FDP])

Wir brauchen starke Tarifpartner, und Sozialstandards dürfen nicht abgebaut werden.

Wir stellen aber auch fest: Die weißen Flecken in der Tariflandschaft werden immer größer. Deshalb ist es dringend notwendig, die Tarifbindung zu stärken. So zahlen heute beispielsweise nur noch 27 % der Unternehmen nach Tarif, und nur noch 55 % der Beschäftigten sind durch tarifliche Vereinbarungen geschützt.

Das alles hat natürlich Auswirkungen auf die Entwicklung der Löhne. So ist der Trend hin zu Niedriglöhnen ungebrochen. Diese Entwicklung ist nicht akzeptabel; sie muss gestoppt werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Und da arbeiten wir selbstverständlich Seite an Seite, werte Kolleginnen und Kollegen.

Um diesen Trend zu stoppen, braucht es dann immer auch die richtigen Maßnahmen und politischen Mehrheitsverhältnisse, die das hergeben. Dass Letzeres hier im Landtag nur bedingt gegeben ist, ist allgemein bekannt. Und allen ist doch ebenso klar, dass wir als Grüne nicht gerade happy sind mit der Abschwächung und Abwandlung des Tariftreueund Vergabegesetzes.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Kai Dolgner [SPD]: Warum haben Sie das dann gemacht?)

- Weil es zur Demokratie dazugehört, wenn man regieren möchte, auch Kompromisse einzugehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zu- rufe SPD: Ah!)

Dafür haben wir auf der anderen Seite gute Maßnahmen, über die wir heute Nachmittag noch diskutieren werden, die dazu beitragen, gute Arbeitsplätze im Land zu schaffen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zugleich heißt das aber auch: Die Wiedereinrichtung dieses Gesetzes immer wieder zu fordern, repetitiv hier im Plenum, bei gleichbleibenden Bündnissen, macht es nicht wahrscheinlicher, dass das passiert. Das kann man machen, das bringt aber nichts - das wissen Sie auch.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zu- ruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Aber machen wir weiter mit den übrigen vorgeschlagenen Maßnahmen, damit wir bei der Sache bleiben. Denn auch die übrigen Maßnahmen machen wirklich deutlich, dass dieser Antrag ein prima Schaufensterantrag ist. Es ist ja schön und gut, dass wir uns auf Bundesebene für etwas einsetzen sollen. Die „Entwicklung wirksamer Tariftreueregelungen“ wäre dann der einzige Punkt aus dem vorliegenden Antrag, den wir hier unterstützen können. Aber dass dieser dann auch noch so abstrakt ist, ist schon etwas enttäuschend.

Ebenfalls enttäuschend ist die Forderung, öffentliche Fördergelder nur noch an Unternehmen auszuzahlen, die Tarife anwenden. - Seriously? Gehen Sie einmal raus und erzählen Sie den ganzen Startups, den jungen Gründerinnen und Gründern, dass es jetzt für viele keine Gründungsförderung mehr gibt. Das ist einfach nicht zu Ende gedacht, meine Damen und Herren.

(Joschka Knuth)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Natürlich sollen junge Unternehmen perspektivisch nach Tarif bezahlen. Aber das erreichen wir doch nicht, wenn wir schon am Anfang hohe Hürden aufbauen.

Wenn wir etwas für die Tarifbindung tun wollen, dann brauchen wir auch auf Bundesebene wirklich sinnvolle Maßnahmen. Dann müssen wir beispielsweise ein Bundestariftreuegesetz und nicht eine abstrakte Regelung erreichen.

Kleiner Hint: Wenn ich Ihnen jetzt vorhalte, dass Ihre Partei ja in der Bundesregierung sei und das durchsetzen könnte, ist das ungefähr so, wie wenn Sie uns vorhalten, dass wir das Tariftreue- und Vergabegesetz nicht wiedereinführen. Das bringt nicht viel.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zu- ruf Beate Raudies [SPD])

Wenn wir also wollen, dass sinnhafte Maßnahmen umgesetzt werden, müssen wir für demokratische Mehrheiten streiten und sachliche Überzeugungsarbeit leisten. Wir bräuchten beispielsweise Erleichterungen bei der Allgemeinverbindlicherklärung, damit mehr Tariflöhne für alle Betriebe einer Branche gelten. Und diese branchenspezifischen Mindestlöhne müssen effektiv kontrolliert werden. Auch ein höherer allgemeiner Mindestlohn stärkt das Tarifsystem von unten. Darüber können wir diskutieren.

Diesen Antrag abzulehnen heißt also nicht, Tarifbindung abzulehnen. Aber wenn Sie Tarifbindung draufschreiben, dann sorgen Sie bitte auch dafür, dass am Ende sinnvolle Tarifbindung herauskommt. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Kay Richert das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Baasch, als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich mich natürlich gefragt: Warum stellt der Kollege diesen Antrag? Das fragt man sich ja öfter; aber man könnte diesen Antrag umformulieren in „Wiedereinführung des gescheiterten Tariftreue- und Vergabegesetzes (TTG)“. Da habe ich mich gefragt: