Protokoll der Sitzung vom 28.08.2020

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin immer wieder beeindruckt, wie unerschrocken gradlinig und vor allen Dingen fachkundig sich Frau El Samadoni für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger einsetzt, ihnen immer an der Seite steht. Die SPD ist mit ihrer Arbeit und mit der ihres Teams mehr als zufrieden. - Herzlichen Dank dafür.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie wichtig diese unabhängige Institution ist, zeigt uns weiterhin die ungebrochene hohe und im letzten Jahr wieder steigende Zahl der hilfesuchenden Menschen, die ohne die Hilfe der Bürgerbeauftragten in Behördenangelegenheiten nicht weiterkamen. Die Zahl der Petitionen hat sich um 371 im Vorjahr auf 3.643 im Berichtsjahr 2019 erhöht. Das ist eine erneute Erhöhung.

Das Wort Petition hört sich immer ziemlich technokratisch an. Wir dürfen aber nie vergessen, dass sich hinter jeder Petition ein Mensch, eine Familie und ein Schicksal verbirgt. Oft sind die Menschen im Vorfeld durch besondere Lebenslagen und Krankheiten belastet. Diese Menschen benötigen ihre Kraft eigentlich dazu, um täglich ihre schwierige Lebenssituation zu meistern. Es sollte im Jahr 2020 eine Selbstverständlichkeit sein, dass diese Menschen von Behörden bestmöglich unterstützt werden und sie nicht noch zusätzlich Kraft aufbringen müssen, um ihren Rechten hinterherzulaufen. Auch wenn ich davon ausgehe, dass sich die Mitarbeitenden in den Behörden alle Mühe geben, stellen wir auch in diesem Jahr wieder fest, dass sie nicht alle die ihnen zur Verfügung stehenden Entscheidungsspielräume zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger nutzen.

Klar wird das, wenn sich die Bürgerbeauftragte einer Sache annimmt. Dann wird plötzlich doch vieles möglich, was im Vorfeld konsequent abgelehnt wurde. Dafür gibt es auch in diesem Bericht wieder

etliche Beispiele: eine siebenköpfige Familie, die dann doch noch in eine angemessene Wohnung ziehen durfte; ein Schreibfehler, der sich auf zustehende Leistungen auswirkte; eine zu komplizierte Krankenversicherung für Kinder; zu hohe Kosten bei der Verpflegung in einer Kita für eine Familie; die Infragestellung einer Schulbegleitung bei einem Schulausflug; eine Schwerstbehinderung, die erst einmal nicht anerkannt wird; eine Pflegekasse, die es ablehnt, einem schwerstdementen, inkontinenten Herrn den Teppich gegen einen wischbaren Fußbodenbelag auszutauschen, und Lehrkräfte, die sich weigern, eine Notfallversorgung anzubieten.

Das sind nur einige Fallbeispiele, die mich immer wieder fassungslos machen. Lange vor Corona hat die Bürgerbeauftragte auf das Problem hingewiesen, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien von der digitalen Teilhabe ausgeschlossen sind. Aber erst durch die Pandemie kommt endlich eine Verbesserung. Wir müssen also die Anregungen der Bürgerbeauftragten noch ernster nehmen.

(Beifall SPD und Christian Dirschauer [SSW])

Erneut muss die Bürgerbeauftragte auf das Thema Kommunikation aufmerksam machen. Viele Bescheide sind weiterhin so komplex, dass sie für die Betroffenen nicht verständlich sind. Die SPD hat das Thema bürgerfreundliche und verständliche Behördensprache in den Landtag geholt, auch auf Anregung der Bürgerbeauftragten. Der Sozialausschuss hat sich intensiv - auch in einer Anhörung damit beschäftigt, und wir haben uns mit einem einstimmigen Beschluss - dafür bin ich sehr dankbar darauf geeinigt, dass sich etwas ändern soll. Die Umsetzung liegt bei der Regierung; bislang sind die Bemühungen noch nicht überzeugend erkennbar. Wir werden das Problem wohl im nächsten Bericht wieder finden.

Ich sage es nur ungern: Oft genug ist Deutschland eine Servicewüste. Wenn Menschen die Hilfe der Behörden suchen, haben sie dafür meistens einen triftigen Grund. Es ist nicht hinnehmbar, dass diese Menschen für ihre Rechte kämpfen müssen. Die hohe Anzahl der Eingaben macht mich immer wieder betroffen, und es ist eigentlich bedauerlich, dass wir in Schleswig-Holstein ein Amt wie das einer Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten überhaupt brauchen. Es ist aber gut, dass wir sie haben. - Vielen Dank dafür.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Birte Pauls)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Dr. Marret Bohn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten hat wieder ihren Tätigkeitsbericht vorgelegt. Wir halten eine Rede, und dann gehen wir zur Tagesordnung über. - Nein, so darf es gerade nicht aussehen. Wir müssen uns Freitagnachmittag noch einmal alle zusammenreißen und fragen: Was steckt denn hinter diesem Bericht? - Es stecken Schicksale dahinter, es stecken Menschen dahinter, die nicht verstehen, warum sie solche Bescheide bekommen.

Es ist wichtig, dass wir das, was wir heute besprechen, im Sozialausschuss ausführlich miteinander bereden und genau hingucken, Herr Kollege Kalinka, wo es gesetzliche Lücken gibt, was besser werden muss. Das ist unsere Aufgabe. Ich freue mich schon jetzt darauf, wenn wir zusammen darüber debattieren, was noch alles besser werden muss.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten spricht Klartext. Das gefällt nicht jedem. Das kann ich verstehen. Ich finde das super. Klartext in Norddeutschland ist immer das Beste.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Sie übt Kritik. Es ist nicht schön, wenn Gesetze gemacht und sie kritisiert werden. Aber die Gesetze können immer noch besser werden, sie können klarer werden. Die Kollegin Pauls hat es gerade gesagt: Es geht nicht nur um die Gesetze, sondern es geht um die Bescheide. Wenn Sie zu Hause sitzen, ein Schreiben von einer Behörde bekommen, versuchen, es zu verstehen, und es einfach nicht verstehen können, was macht das mit den Menschen, was löst das aus? Begeisterung für die Demokratie? Ich glaube nicht, sondern Frustration, schlimmstenfalls Resignation, und genau das können wir in der heutigen Zeit nicht gebrauchen. Es ist wichtig, dass Menschen Ansprechpartner haben, an die sie sich wenden können, wo erklärt und auch mal nachgebessert wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 3.643 Petitionen, das klingt erst einmal gar nicht so viel, aber ich finde das immer noch sehr viel. Es geht dabei viel um Bundesthemen. Bei der Krankenversicherung gibt es immer wieder Probleme für Menschen, die keine Krankenversorgung in Schleswig-Holstein, in Deutschland bekommen. Das ist mir ein Rätsel, das ist nicht zu akzeptieren, das müssen wir ändern. Der Kollege hat von der Renten- und Pflegeversicherung gesprochen.

Die Schulbegleitung, die Schulassistenz, die Kinderbetreuung, das sind Themen, bei denen wir in den letzten Jahren viel erreicht haben, ob zu Zeiten der Küstenkoalition oder jetzt in Jamaika. Wir arbeiten ständig an Verbesserungen, auch der Bund tut es. Trotzdem ist soziale Gerechtigkeit ein Ideal, dem wir uns immer weiter nähern können, aber es ist weiter Arbeit gefordert, um immer besser zu werden. Es ist unsere Aufgabe, daran zu arbeiten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Beispiel hat mich besonders nachdenklich gemacht. Es ist das Beispiel einer Mutter, die 2017 mit ihren Kindern aus dem Iran nach Schleswig-Holstein gekommen ist. Sie hat nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem. Da frage ich mich als Ärztin: Was bedeutet eingeschränkter Zugang? Das finde ich nicht besonders gut. Ein vollständiger Zugang zum Gesundheitssystem macht aus medizinischer Sicht Sinn. - Weil sie kein Mitglied einer Krankenversicherung ist, können ihre jüngsten Kinder, fünf und sieben Jahre alt, nicht familienversichert werden. Eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung funktioniert auch nicht.

Jetzt kommt es: Die Bürgerbeauftragte recherchiert und kommt zu folgendem Ergebnis: Beide Kinder hätten bereits ab Anerkennung ihres Aufenthaltsrechts über die sogenannte Auffangversicherung versichert werden können. Es gibt also schon ein Gesetz, es muss nur umgesetzt werden. Das war den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Behörde nicht bekannt, und das ist nicht umgesetzt worden. Ich bin froh, dass es über Samiah El Samadoni und ihr Team möglich war, diese Information an die Familie weiterzugeben. Die gute Nachricht ist: Die Kinder sind jetzt krankenversichert, und das ist gut so.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist auch der richtige Zeitpunkt, sich bei den Mitarbeiterinnen

und Mitarbeitern in den Behörden zu bedanken. Es ist bestimmt nicht immer leicht, auf der Grundlage der vorliegenden Gesetzestexte Bescheide zu formulieren. Da können alle Beteiligten noch besser werden. Leichte Sprache ist angesprochen worden.

Am Ende des Tages kommt es gar nicht darauf an, ob wir alle Gesetzestexte sofort so ändern können, wie es empfohlen worden ist, aber es ist wichtig, dass wir darüber debattieren, was wir im Land tun können, wo wir Bundesratsinitiativen auf den Weg bringen können und wo sich der Bund bewegen muss.

Am Schluss kommt das Allerwichtigste: Liebe Samiah El Samadoni, im Namen meiner Fraktion an dich und das ganze Team ganz herzlichen Dank! Weiter so! Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit. - Danke schön.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu allererst möchte ich für die FDPFraktion der Bürgerbeauftragten, liebe Frau Samiah El Samadoni, und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die geleistete Arbeit im Jahr 2019 aufrichtig danken.

(Beifall)

Wir haben es gerade gehört, 3.643 Petitionen, fast 400 mehr als im Vorjahr, sind an Sie gerichtet worden. Diese Zahl zeigt uns, wie wichtig Ihre Institution ist. In die Debatte, ob es schade ist, dass es so viele sind, oder nicht, will ich nicht einsteigen. Es sind im Zweifelsfall hoffentlich auch fast 3.643 Schicksale, denen positiv abgeholfen werden konnte beziehungsweise die zumindest eine Anlaufstelle bekommen haben. Das ist eine gute Sache; Sie bieten eine niedrigschwellige Stelle zum Ansprechen.

(Beifall FDP)

Die Tatsache, dass sich so viele Menschen bemühen, zeigt auf der anderen Seite - und das ist schade -, wie komplex unser Sozialsystem ist. Es ist ein dichtes Netz, aber auch das dichteste Netz hat im Zweifelsfall Lücken oder übersieht einiges. Viele Menschen scheitern an unterschiedlichen Stellen in

verschiedenen Bereichen, vor allem an der Bürokratie.

Eine Vielzahl an Anfragen haben wir im Bereich der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Man sieht auch an den Debatten im Landtag, dass wir in diesem Bereich der Sozialversicherung deutlichen Nachbesserungsbedarf haben.

Die meisten Hürden, auf die die Menschen stoßen, sind eher bürokratischer Natur. Es geht gar nicht um die Frage, ob sie überhaupt einen Anspruch haben, sondern darum, wie sie dazu kommen, den ihnen zustehenden Anspruch zu erhalten.

In Ihrem Bericht wird angestoßen - das greife ich nach der heutigen Debatte auf -, dass eine digitale Verwaltung an vielen Stellen helfen würde. Wir haben gerade über das Onlinezugangsgesetz gesprochen. Wir sollten weiter daran arbeiten, Bürokratismus abzubauen und den Zugang zu behördlichen Angelegenheiten nicht nur vor Ort, zu Fuß, per Bus oder wie auch immer, sondern auch digital zu verbessern und ihn barrierefrei zu ermöglichen.

(Beifall FDP)

So viele Probleme wir durch die Coronakrise auch hatten, so viele Vorteile hat sie im Zweifelsfall für die Digitalisierung gehabt. Diesen Spin, diesen Drive sollten wir mitnehmen und aufgreifen, um die Verwaltung besser zu machen. Gerade als Regierungsrat a. D. werde ich auch heute nicht müde, es zu wiederholen: Verwaltung ist für den Menschen da und kein staatlich reglementierter Selbstzweck. Das sollten wir bei allen Bemühungen, bei allen Gesetzen, bei allen Verordnungen, die wir erlassen, an erste Stelle setzen. Es ist kein Selbstzweck, sondern immer dafür gemacht, dass es für die Menschen vor Ort besser wird.

(Beifall FDP, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ein weiteres Beispiel, das ich aufgreifen will: Der Bericht kommt an mehreren Stellen auf das Kindergeld zu sprechen. Familienbezogene Leistungen sind wegen zahlreicher Bedingungen und Abhängigkeiten und vor allem Anrechenbarkeiten untereinander sehr kompliziert. Familienbezogene Leistungen werden miteinander verrechnet, vor allen Dingen auf das Arbeitslosengeld II. Immer wieder ergeben sich daraus Unklarheiten sowohl für diejenigen, die das Geld beantragen, aber auch für diejenigen, die das Geld in der Verwaltung gewähren. Es ist oftmals nicht transparent. An diesen Strauß kindespolitischer Leistungen müssen wir politisch definitiv rangehen.

(Dr. Marret Bohn)

Mit einem Augenzwinkern erinnere ich an die Debatte von vorhin, inwieweit der Bericht politisch sein darf. Ich nehme mir politisch jetzt auch etwas heraus. Ich und viele Freie Demokraten setzten uns für eine einkommensfreie Kindergrundsicherung ein. Auch das in den letzten Tagen hier ab und an gesagt worden. Diese Alternative stellt sicher, dass das Geld bei den Kindern ankommt. Sie mindert zeitgleich den bürokratischen Aufwand, das zu berechnen und zu gewähren. Aber diese Debatte gehört mehr in den Bundestag.

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt aufgreifen. Frau El Samadoni, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Ausbildungsförderung nicht geleistet wird, wenn Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnittes für die Ausbildungsförderung das 30. Lebensjahr schon vollendet haben. Das war für mich persönlich ein neuer Umstand. Es gibt einige Ausnahmen von diesem Grundsatz, aber die sind nicht sehr weitreichend. So kann es tatsächlich sein, dass ein - gut, jetzt bin ich 34 - ein junger Mensch mit 30 Jahren -

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

- Herr Vogt, na ja, zeitlos alt. Nicht von sich auf andere schließen, mein lieber Kollege. - Menschen, die gerade einmal 30 sind, sind möglicherweise nicht in der Lage, eine Ausbildung zu machen, weil sie keine finanzielle Leistung erhalten. Da sollte man fragen, ob eine Altersgrenze wirklich das Richtige ist. Da sollte man eher sagen, dass lebenslanges Lernen der richtige Ansatz ist und das auch für die Ausbildung gelten sollte. Vielen Dank, dass Sie diesen Punkt aufgegriffen haben. Das werden wir auf jeden Fall weiter besprechen.