Protokoll der Sitzung vom 23.09.2020

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade auch im Land zwischen den Meeren muss uns die steigende Plastikflut sorgen. 10 Millionen t jährlich gelangen in die Weltmeere. Und wer überlegt, wie wenig Styropor oder eine Bonbontüte wiegt, ahnt die räumlichen Ausmaße dieses Mülls. 80 % des Mülls an deutschen Stränden bestehen aus Kunststoffen. An 100 m Nordseestrand finden sich durchschnittlich 400 Müllteile. Laut Landesamt für Küsten- und Naturschutz fielen zwischen 2010 und 2019 auf den Landesdeichen rund 2,3 m3 pro Kilometer und Jahr an anorganischem Müll an. Die Kosten allein für das Aufsammeln betragen 17.000 € jährlich.

Meine Damen und Herren, Chipstüten, Bauschaum, Fischernetze, all das findet sich im Meer und zunehmend auch in den Nestern und Mägen von Meerestieren. Wer einmal gesehen hat, wie sich Basstölpelküken am Vogelfelsen von Helgoland strangulieren, wird dieses Bild nicht mehr vergessen.

Während der Brutsaison 2014 und 2015 ergaben Untersuchungen, dass zwei- bis fünfmal so viele Jungvögel starben, als es normalerweise der Fall wäre. Bei 94 % tot aufgefundener Eissturmvögel fand man Kunststoffpartikel im Magen. Über die

(Heiner Rickers)

Nahrungskette gelangen diese am Ende auch in unsere Mägen.

Das Thema ist also erkannt. Und es ist gut und richtig, mit dem Plastiksparen bei sich selbst anzufangen. - So weit, so gut.

Aber, meine Damen und Herren, freiwillige Selbstverpflichtungen ersetzen keine Politik. Und da fehlt es vor allem bei der Bundesregierung. Diese hätte es in der Hand, den rechtlichen Rahmen für die Reduzierung von Verpackungsmüll zu setzen. Wo aber bleibt eine ambitionierte und verbindliche Reduktionsquote im Rahmen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes? Wo bleibt eine bundesweite Einwegabgabe? - In beiden Fällen Fehlanzeige.

Das wäre im Übrigen auch eine konstruktive Antwort auf den Hinweis des Kollegen Weber von vorhin, dass kunststoffbasierte und ölbasierte Produkte mittlerweile günstiger wären, wenn man eine verbindliche Quote hätte, weil dann auch ein Markt dafür bestünde. Stattdessen aber ist der Anteil - der Minister hat es gesagt - an Kunststoffverpackungen in den Jahren 2000 bis 2017 um rund 80 % gestiegen.

Wo bleibt darüber hinaus eine Recyclingquote, um Kreisläufe zu schließen und Ressourcen zu schonen? - Auch hier Fehlanzeige.

Ein echtes Kreislaufwirtschaftsgesetz, das seinen Namen verdient, könnte dies alles regeln, und das muss auf Bundesebene geregelt werden. Was aber macht die Bundesregierung? - Sie schreibt ein Verpackungsgesetz mit wenig ambitionierten und noch dazu völlig unverbindlichen Zielen.

Um nur ein Beispiel zu nennen: 60 % unseres Plastikmülls werden immer noch thermisch verwertet, zu gut Deutsch: Sie werden verbrannt.

Das neue Verpackungsgesetz verlangt, die Recyclingquote von jetzt 36 % auf dann 63 % bis zum übernächsten Jahr zu erhöhen. Doch es bleibt eine reine Schummelquote, denn es wird nur gemessen, wie viele Recyclingstoffe aus dem Müll gesammelt, und nicht, wieviel tatsächlich verwertet werden.

Ein letztes Wort, meine Damen und Herren, von meiner Seite zu der Kompensation von Kunststoffen durch nachwachsende Rohstoffe. Der Minister hat es in seinem Bericht angesprochen. Ich möchte deutlich sagen, dass ich persönlich davon keine Freundin bin. Stattdessen sollten aus meiner Sicht verstärkt Recyclate entwickelt und nachgefragt werden. Ich fände es gut, wenn die Landesregierung bei ihrer Reduktionsstrategie diesen den Vorzug gäbe; denn nachwachsende Rohstoffe gehören für mich

auf den Teller oder in den Trog und nicht in die Tüte oder in den Tank. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Plastik- und Einwegmüll ist und bleibt weiterhin ein großes Problem. Wir haben schon mehrfach in dieser Legislaturperiode darüber gesprochen, unter anderem auch im Jahr 2019. Es gibt viele Statistiken, wie es sich mit dem Plastikmüll in Deutschland verhält. Allein im Jahr 2017 wurden jeden Tag in Deutschland 320.000 Einwegbecher verbraucht, die Hälfte davon war der klassische Coffee-to-go-Becher. Also alle drei Tage waren es 1 Million. Die Kunststoffabfälle haben sich im Zeitraum 2015 bis 2017 um 4 % auf insgesamt 6,15 Millionen t erhöht: alles reiner Plastikmüll in Deutschland.

Nun ist es so, und ich unterstütze das ausdrücklich, dass die Europäische Union zum Juli 2021 die Herstellung und Verbreitung von Einwegplastik verbietet. Das sind das klassische Plastikbesteck, der Plastikbecher, das Wattestäbchen und viele weitere Produkte, die aus Plastik bestehen. Sie wird es zukünftig nicht mehr geben. Das ist eine gute Sache. Aber der Ruf nach einer europäischen Lösung darf nicht dazu führen, dass Bund und Länder weniger tun, auch nicht dazu, dass man als Privatperson weniger tut.

Daher haben wir uns im März 2019 parteiübergreifend mit Drucksache 19/1341 (neu) dazu entschlossen, dass wir als Land Schleswig-Holstein hier stärker vorangehen und es eine wiederkehrende Berichtspflicht geben muss.

Heute haben wir erstmalig einen solchen Bericht im Landtag gehört. Wir haben festgestellt, dass der Verbrauch von Kleinstportionen von Kaffeesahne, einzeln verpackten Keksen und weiteren Kleinutensilien zurückgeht. Das ist der richtige Schritt. Konsequent kann man auch darin sein, dass so etwas erst gar nicht mehr bestellt werden kann und aus dem Katalog der GMSH verschwindet.

Ein weiterer wichtiger Ansatz ist, auf mehr Recyclingkunststoffe zurückzugreifen, am besten zu

(Marlies Fritzen)

100 %. Die Kollegin Marlies Fritzen hat gerade das Recycling angesprochen.

Wir haben ein sehr, sehr großes Problem, was das Recycling angeht. Solange die Plastikprodukte aus unterschiedlichen Plastiksorten bestehen, ist es einerseits faktisch, andererseits wirtschaftlich gar nicht möglich, diese Rohstoffe zu recyceln, weswegen ein großer Teil der Produkte, die im gelben Sack landen - wo sie auch hingehören -, nach der Sortierung doch leider thermisch verwertet wird, sprich zu knapp 70 % verbrannt wird, und somit nicht auf einer offenen Deponie landet, sondern natürlich zur Strom- oder Wärmeerzeugung genutzt wird. Da die Produkte auf Erdöl basieren, ist dies auch ein wesentlicher Teil des Kreislaufes.

Besser wäre es aber, wenn Politik als auch Industrie mehr den Fokus darauf legten, dass Plastik besser recycelt werden kann. Das ist aber auch eine große Frage des Produktdesigns. Das können wir politisch vorgeben, aber auch die Industrie könnte da mehr vorangehen. Das wäre ein wichtiger Punkt.

(Beifall FDP)

Noch besser als auf Recyclingkunststoffe zu setzen, wäre es, auf nachwachsende statt chemische Rohstoffe zu setzen. Aber hierfür muss es ein passendes Angebot und die entsprechende Nachfrage geben, sodass man auf Alternativen zurückgreifen kann. Wichtig ist, dass auch die Privaten mitziehen, da die Landesverwaltung allein das Problem nicht beheben kann. Jeder Mensch in Schleswig-Holstein sollte da mitmachen, und dafür braucht es eine Aufmerksamkeit.

Ich selber habe für die Landtagsfraktion der FDP Veranstaltungen zur Plastikvermeidung gemacht und habe jedem Gast quasi als Gastgeschenk Einwegartikel aus nachwachsenden Rohstoffen mitgegeben, um für dieses Thema zu sensibilisieren, dass man Plastikbesteck nicht zwingend braucht. Hier gibt es gute Alternativen, und es gibt auch weniger gute Alternativen. Ich habe hier etwas mitgebracht, das sehr nach Plastik aussieht.

(Dennys Bornhöft [FDP] hält eine nach Kunststoff aussehende Gabel hoch)

Es ist auch extrem stabil, aber es steht „kompostierbar“ darauf. Das ist schon mal gut, kompostierbar klingt gut und ist dann auch biologisch abbaubar. Das heißt aber noch lange nicht, wenn kompostierbar auf den Produkten steht, dass diese auf dem eigenen Kompost auf dem eigenen Grundstück verwertet werden können. Das liegt daran, dass die Rottetemperatur, die dieses Produkt aus Maisstärke

braucht, mindestens 60°C betragen muss. Niemand von uns, vielleicht noch die Landwirte, wird voraussichtlich einen solch großen Haufen Mist bei sich auf dem Grundstück haben, dass sich in der Mitte eine dauerhafte Rottekerntemperatur von über 60 Grad entwickelt, um dieses Produkt wieder zu Erde zu verwandeln. - Schade, dann muss es doch wieder in die schwarze Tonne. Das darf nicht in den gelben Sack. Wenn das in die Lieferkette des gelben Sackes gelangt, wird es dort für Schäden sorgen.

Wer sich darüber weiter informieren und sich ein Bild über gute oder schlechte Alternativen machen möchte, den lade ich in mein Büro, Zimmer 211, ein. Ich mache seit eineinhalb Jahren ein Langzeitexperiment zum Thema abbaubares Einwegbesteck. Man kann gern vorbeischauen.

Nun ist es so, dass Corona vieles beeinflusst und uns bei vielen tollen Neuerungen, die auf dem Weg der Plastikvermeidung waren, wieder zurückgesetzt hat. Es geht hier um Gesundheitsschutz. Wichtig ist, wenn wir irgendwann endlich die Coronapandemie besiegt haben, dass wir dann zu unseren Werten, was die Plastikreduktion angeht, zurückkehren; denn Plastik ist nicht biologisch abbaubar. Mikroplastik geht in die Zellen, Plastikvermeidung ist nicht nur eine reine Müllvermeidung, sondern auch ein direkter Gesundheits- und Umweltschutz. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, SSW und Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Albrecht, vielen Dank für Ihren Bericht und Ihre bisherigen Anstrengungen, den Plastikmüll in der Landesverwaltung zu vermeiden.

Wir wissen, wir haben es gehört, Plastik ist überall, Plastik ist nützlich, Plastik ist ein wertvoller Rohstoff, den es gilt, sinnvoll einzusetzen und so oft es geht wiederzuverwenden. Wer Plastik wegwirft, verschwendet diesen Rohstoff und handelt unverantwortlich.

Laut einer aktuellen Studie des Verbandes kommunaler Unternehmen geben deutsche Städte und Gemeinden jedes Jahr 700 Millionen € aus, um Parks

(Dennys Bornhöft)

und Straßen von Zigarettenresten, Einwegbechern und anderen Plastikeinwegprodukten zu reinigen und diesen Abfall zu entsorgen. 120 Millionen € gehen allein auf das Konto der allgegenwärtigen Getränkebecher aus Plastik.

Plastik und sonstiger Verpackungsmüll gehören nicht in die Umwelt, sie gehören nicht einfach nur verbrannt und schon gar nicht in unsere Meere. Darüber herrscht hier Konsens, genauso wie bei der großen Mehrheit der Bürger draußen. Es sollte wohl klar sein, dass, sofern vorhanden, die bessere Alternative gewählt wird. Das ist in der Politik so, sonst stünde ich heute nicht hier, aber natürlich auch bei Verpackungen aller Art.

Das, was im Antrag steht, ist nicht verkehrt. Natürlich ist es immer besser, Verpackungsmüll von vornherein zu vermeiden, statt Verpackungsabfälle aufwendig zu recyceln. Denn auch hier gilt das Vorsorgeprinzip. Konsequente Abfallvermeidung muss der erste Schritt sein. Der zweite Schritt wäre der Einsatz von einfach abbaubaren oder leicht recycelbaren Verpackungsmaterialien. Aber, fragen Sie einmal Gärtnereibetriebe, ob sie einfach Plastikträger durch Pappe ersetzen können oder Plastikfolien durch … Wodurch? Durch Stoff? - Da werden Sie schnell merken, dass es nicht in allen Bereichen funktionieren kann, Plastik so einfach zu ersetzen.

Insgesamt brauchen wir Alternativen, darüber ist gesprochen worden, und das sehen wir auch so. Wir brauchen Verpackungsmaterialien oder Kunststoffe, die leichter abbaubar sind und sich etwa unter UVLicht zersetzen oder auch kompostierbare Kunststoffe aus pflanzlichen Stoffen wie Hanf oder Flachs oder auch aus Erdölpolymeren. Solche Materialien gibt es bereits. Sie sind jedoch noch sehr teuer. Herr Weber wies gerade richtigerweise darauf hin, dass die herkömmliche Herstellung von Polyethylen und Polyestern auch durch die gesunkenen Ölpreise auf Dauer günstig bleiben wird. Heute machen die sogenannten Biokunststoffe gerade einmal 0,1 % der gesamten Kunststoffe aus, die in Europa verwendet werden.

Die alternativen Materialien sind aber nicht nur viel teurer, sondern sie bieten bisher laut einer Studie der University of Plymouth keine ökologischen Vorteile gegenüber herkömmlichen Produkten aus Polyethylen. Die Forschung dazu sollte daher weiter intensiviert werden. Sowohl die BASF in Ludwigshafen mit einem biologisch abbaubaren Polyester als auch die Firma Pyramid Bioplastics in Guben, Brandenburg, mit dem Ersatzstoff Polymilchsäure wollen ihre Produktion erhöhen - immerhin. Doch solange der ökologische Nutzen, und zwar

über den gesamten Lebenszyklus des Produktes, noch unbewiesen ist, bleibt die Hoffnung auf schnellen Ersatz für erdölbasierte Produkte sehr vage. Da nutzt auch eine Quote nichts, Frau Fritzen. Das hilft dann nicht, was die Ökologie betrifft. Im Übrigen gebe ich Ihnen jedoch völlig recht, dass wir nicht zu Maisstärke als Ersatzstoff greifen sollten; denn Mais haben wir in den letzten Jahren wahrlich lange genug übermäßig gefördert. Das hat, wie wir gesehen haben, nicht so viel gebracht.

Allerdings gibt es ein weiteres Problem, das Herr Bornhöft gerade schon angesprochen hat: Diese alternativen Stoffe werden nämlich im Recyclingprozess oftmals als Störfaktor, als Störstoff identifiziert, infolgedessen aussortiert und nicht recycelt, sondern wieder nur verbrannt. Da muss also noch mehr getan werden. Bis es so weit ist, dass wir wirklich mehr umstellen können, sollte jeder bei sich anfangen. Jeder kann sein eigenes Verhalten hinterfragen und konsequent Kaufentscheidungen aufgrund besonders umweltgerechter Verpackungen treffen. Damit wäre schon ein wichtiger erster Schritt gemacht. Wir sollten alle damit anfangen, soweit es noch nicht geschehen ist. Die Landesverwaltung ist offenbar schon auf einem guten Weg. Wir werden diesen Weg weiter aufmerksam verfolgen. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Christian Dirschauer das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Das Thema Plastikmüll ist uns politisch so richtig auf die Pelle gerückt, als Plastikschnipsel in der Schlei gefunden wurden. Natürlich war das Problem mit dem Plastikmüll schon seit Jahrzehnten bekannt. Aber mit den Vorfällen in der Schlei hat es auf einmal eine Nähe bekommen, dass auch dieses Haus sich verstärkt politisch mit dem Thema befasst hat. So wurde zunächst festgestellt, dass die Aspekte und Fragestellungen zum Plastikmüll sehr umfangreich sind. Diese reichen vom Mikroplastik bis hin zu riesigen schwimmenden Plastikinseln in den Ozeanen. Die katastrophalen Auswirkungen auf Natur und ihre Lebensräume sind hierbei der eine Aspekt. Die Frage, inwieweit das Mikroplastik auch Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat, ein weiterer Aspekt. Auch dies ver

(Volker Schnurrbusch)