Protokoll der Sitzung vom 19.11.2020

(Lukas Kilian)

plex für solch einfache Antworten, wie die AfD sie immer wieder zu geben versucht. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, FDP und vereinzelt SPD)

Herr Abgeordneter Kilian, der von Ihnen verwendete Ausdruck „Schwachsinn“ ist unparlamentarisch.

(Volker Schnurrbusch [AfD]: Danke!)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag zu a), Drucksache 19/2549, durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Es ist beantragt worden, über den Antrag, Drucksache 19/2554 (neu), abzustimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig so beschlossen. Meine Damen und Herren, damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Einen armutsfesten Mindestlohn schaffen

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/2387

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Christian Dirschauer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon im April 2018 hat das Bundesarbeitsministerium in einer Antwort auf die Frage der Abgeordneten Ferschl bestätigt, dass der gesetzliche Mindestlohn nicht existenzsichernd ist. Um im Alter eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu bekommen, wäre eine massive Erhöhung notwendig: laut Berechnung der Bundesregierung von den damals geltenden 8,84 € auf 12,63 €.

Es mag vielleicht etwas drastisch formuliert gewesen sein, als die Fragestellerin daraufhin von einem Armutslohn sprach, der Menschen zu Sozialfällen mache. Aber vom Grundsatz her hat sie damit auch aus Sicht des SSW recht.

Über die exakte Höhe einer allgemein verbindlichen Regelung kann man streiten. Aber klar ist, dass der geltende gesetzliche Mindestlohn in seiner jetzigen Form nicht alle hiermit verbundenen Ziele erreicht. Er ist zum Beispiel nicht dazu geeignet, zu

einem angemessenen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen. In letzter Konsequenz schützt er nämlich nicht vor Erwerbs- oder Altersarmut.

Wir fordern, dass dieser Schutz vor Armut explizit in die Gesamtabwägung zur Erhöhung des Mindestlohns aufgenommen wird. Unser Ziel ist eine wirklich armutsfeste Lösung, die ein Arbeits- und Rentenleben in Würde ermöglicht. Außerdem muss sichergestellt sein, dass diese Regelung auch dauerhaft Armut verhindert, was nichts anderes bedeutet, als dass sie an die allgemeine Tarifentwicklung gekoppelt werden muss.

Ich bin erleichtert, dass wir nicht noch einmal ganz von vorne anfangen und über die Sinnhaftigkeit des Instruments Mindestlohn streiten müssen. Im Vorfeld der Einführung hatten Arbeitgeberverbände und Forschungsinstitute ja die schlimmsten Befürchtungen für die wirtschaftliche Entwicklung. Wir wissen längst, dass es nicht so gekommen ist. Im Gegenteil, der Mindestlohn wirkt, und er wirkt sich positiv aus. Seit der Einführung im Jahr 2015 haben über vier Millionen Beschäftigte unmittelbar von ihm profitiert. Laut Mindestlohnkommission ist in diesem Zeitraum nicht nur die Gesamtzahl der Beschäftigten gestiegen, sondern eben auch das Stundenlohn-Niveau.

Hinzu kommt der Effekt, dass der Mindestlohn sogar Löhne oberhalb dieser Grenze beeinflusst. Soll heißen: Viele Unternehmen heben generell ihre Löhne an, um keinen Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten zu haben.

Aber auch die Wirtschaft profitiert vom Mindestlohn; denn dadurch erhöht sich die Kaufkraft. Der DGB hat mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Cent mehr Mindestlohn einen Kaufkraftgewinn von 20 Millionen € im Jahr auslöst.

(Beifall SSW)

Angesichts dieser Fakten steht für uns vom SSW fest: Die Maßnahme, einen Mindestlohn einzuführen, war gut und richtig. Aber diese Maßnahme war eben noch nicht weitreichend genug.

Mir ist bewusst, dass der Mindestlohn über die kommenden zwei Jahre schrittweise auf 10,45 € angehoben werden soll. Gleichzeitig ist aber schon jetzt klar, dass auch dieser Stundenlohn Beschäftigte nicht effektiv vor Armut schützt. Das hat das Bundesarbeitsministerium, wie bereits erwähnt, schon vor über zwei Jahren eindeutig bestätigt.

Für eine armutsfeste Entlohnung und ein Rentenniveau oberhalb der Grundsicherung muss der Min

(Lukas Kilian)

destlohn deutlicher angehoben werden. Wir fordern daher die Erhöhung auf 13 €, und zwar nicht erst in ein bis zwei Jahren, sondern schnellstmöglich und an der Tarifentwicklung orientiert.

(Beifall SSW)

Neben dem Schutz vor Armut muss ein Mindestlohn aber auch dem Grundsatz folgen, dass für die gleiche Arbeit der gleiche Lohn gezahlt wird. Genau dies ist mit den geltenden Ausnahmeregelungen für Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren und eben auch für Langzeitarbeitslose nicht gegeben. Deshalb brauchen wir auch hier eine Änderung. Diese Ausnahmen müssen konsequenterweise gestrichen werden.

Ich halte also fest: Mit einer entsprechenden Bundesratsinitiative zur Änderung des Mindestlohngesetzes könnten wir dieses Regelwerk deutlich verbessern und eben auch fairer machen. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall SSW)

Das Wort für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Werner Kalinka.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der SSW-Antrag ist sicher gut gemeint, aber leider wenig zielführend. Er hat vor allen Dingen eine Begründungsschieflage.

Seit 2015 gibt es in Deutschland den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 €. Jetzt wird er wieder mal erhöht, nämlich auf 10,45 €. Diese Erhöhung geschieht im Einvernehmen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch die Empfehlung der Mindestlohnkommission, und so muss es bleiben.

(Beifall CDU und FDP)

Die Tarifpartner legen ihn fest, und sie binden sich damit und tragen ihn. Der Mindestlohn soll helfen, Ausbeutung zu beenden, fair zu entlohnen und den Familien hoffentlich das Nötige zu geben. Mindestlohn ist ein Schutz. Mindestlohn ist eine große Errungenschaft. Er gehört inzwischen zur sozialen Marktwirtschaft, Gott sei Dank.

Aber auch das muss klar sein: Der Staat ist nicht der bessere Tarifpartner.

(Beifall CDU und FDP)

Ein Eingriff des Staates nach dem SSW-Modell wäre falsch. Genau das steckt ja hinter diesem Vorschlag.

Ich glaube, dass dieser Antrag gerade in der jetzigen Situation - Stichwort Corona - ein nicht sehr hilfreiches Signal für die Psychologie der Unternehmen aussenden würde. Was würde es denn - ich sage es einmal theoretisch - nützen, den Mindestlohn hochzusetzen und immer mehr Soloselbstständige zu haben, die unterhalb des Mindestlohns mit ihren abgefahrenen Reifen durch die Gegend fahren, um ihre Dienstleistungen zu erbringen? Es würde gar nichts helfen; es würde die Probleme eigentlich nur noch vergrößern.

(Beifall CDU und FDP)

Sie haben, Herr Kollege Dirschauer, unter Berufung auf den Bundesarbeitsminister Heil gemeint, mit dem Heil-Modell könnten Sie Grundsicherung im Alter verhindern und über diese Größenordnung kommen. Der Bundesarbeitsminister hat 12,63 € bei 38,5 Stunden Arbeit und 45 versicherungspflichtigen Beschäftigungsjahren vorgeschlagen.

Ich werde es ja nicht mehr erleben; aber so viel sage ich Ihnen schon jetzt: Das wird garantiert nicht reichen, um hier eine Sicherheit herzustellen.

(Beifall FDP)

Es scheint mir sehr überoptimistisch zu sein, wenn Sie jetzt anfangen, 45 Jahre im Voraus zu rechnen. Wir werden schon bald merken - ich sage das, auch wenn es vielleicht nicht jedem gefällt -: Wir werden schon mit der Steuerpflicht für die Renten in vollem Ausmaß ab 2040 unsere Probleme - Stichwort Altersarmut - bekommen. Das ist schon jetzt ein zunehmendes Problem.

Die Hoffnung, Mindestlohn als armutsfest einzuschätzen oder ihn armutsfest machen zu können, halte ich für einen Widerspruch in sich selbst.

(Beifall Kay Richert [FDP])

Die Frage ist ja, ob wir mehr Zuwendungen geben sollten - ich will das zumindest in dieser Debatte einmal angesprochen haben -, oder ob es sich nicht doch mehr lohnen würde, einmal darüber nachzudenken, wie wir die Mietsteigerungen mehr begrenzen können, wie wir es schaffen, dass mehr Eigentum gebildet werden kann und wie wir die ständige Abgabensteigerung begrenzen können, damit - das setze ich hinzu - wir nicht zu Steuererhöhungen kommen.

Die Frage ist doch immer die: Soll der Staat indirekt durch seine Maßnahmen etwas geben, oder soll

(Christian Dirschauer)

jeder etwas mehr nach seinen eigenen Möglichkeiten seine Chancen nutzen können? Ich glaube, über diese Grundfrage sollten wir einmal genauer diskutieren.

Herr Abgeordneter Kalinka, gestatten Sie eine Bemerkung des Abgeordneten Dr. Stegner?

Selbstverständlich.