Protokoll der Sitzung vom 15.07.2015

Ich bin überzeugt, dass es im digitalen Zeitalter einen strengen und rechtsstaatlich einwandfreien Rahmen für den notwendigen Einsatz von Instrumenten zur digitalen Strafverfolgung von Schwerstkriminellen geben sollte. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung von Speicherpflicht und Höchstspeicherfristen für Verkehrsdaten - ehemals als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet - sind die strengen Maßstäbe unseres Parteitages umgesetzt und zum Teil übertroffen worden. Die verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes wurden beachtet und eingehalten.

Der Gesetzentwurf sieht Folgendes vor, ich nenne kurz ein paar Punkte: Provider müssen bestimmte Verkehrsdaten speichern. Jegliche Inhalte von Kommunikation, auch der Inhalt von Telefongesprächen sowie die Information, welche Internetseiten aufgerufen wurden, dürfen nicht gespeichert werden. EMails sind generell und komplett von der Speicherpflicht ausgenommen. Die Speicherfrist ist definiert und bestimmt sich nach der Eingriffsintensität der Datenart. Die Daten werden grundsätzlich zehn Wochen gespeichert, die besonders sensiblen und eingriffsintensiven Standortdaten lediglich vier Wochen. Nach Ablauf der Fristen sind die Unternehmen verpflichtet, die Daten binnen einer Woche zu löschen. Die Daten werden bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert. Die Strafverfolgungsbehörden können nur dann einzelne Daten abrufen, wenn ein Richter oder eine Richterin dies für den konkreten Einzelfall nach Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit erlaubt. Die Datennutzung unterliegt also ausnahmslos einem umfassenden Richtervorbehalt. Eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft existiert nicht. Die Daten dürfen von der Staatsanwaltschaft abgerufen werden zur Verfolgung einzelner, im Gesetz aufgeführter besonders schwerer Straftaten, also etwa bei Mord, Totschlag oder schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern. Weiteres ist nicht vorgesehen. Ein Abruf für zivilrechtliche Zwecke ist ausgeschlossen. Die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen soll durch die verkürzten Speicherfristen und hohe Hürden für den Abruf von Standortdaten verhindert werden.

Zum Thema Transparenz. Die betroffenen Personen sind grundsätzlich zu benachrichtigen. Für die Speicherung gelten die hohen Datenschutzstandards des Bundesverfassungsgerichts. Es gibt strengere

Sanktionen, bei Verstößen drohen den Unternehmen Geldbußen von 100.000 bis 500.000 Euro.

Ich habe das Thema Berufsgeheimnisträger und Verwertungsverbot bewusst an den Schluss gesetzt. Der Gesetzentwurf sieht folgende Schutzmechanismen vor: Verkehrsdaten, die sich auf Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen beziehen, die grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern ganz oder überwiegend telefonische Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und die selbst oder deren Mitarbeiter insoweit besonderen Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegen, sind grundsätzlich von der Speicherpflicht ausgenommen. Darüber hinaus dürfen die Verkehrsdaten in Bezug auf alle nach § 53 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Personen - insbesondere Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte, auch Abgeordnete zählen dazu - nicht abgerufen werden. Zufallsfunde unterliegen einem Verwertungsverbot. Das heißt, diese Daten dürfen auf keinen Fall genutzt werden.

Es wäre unter Datenschutzgesichtspunkten nicht vertretbar, alle Berufsgeheimnisträger bereits vorab von der Speicherpflicht auszunehmen, denn dann müsste man eine Art Datenbank mit Namen und Rufnummern der Berufsgeheimnisträger anlegen und bei allen Telekommunikationsanbietern hinterlegen. Es gibt in Deutschland circa 1.000 TK-Anbieter, die Erstellung, Übermittlung und Aktualisierung einer solchen Liste von Berufsgeheimnisträgern würde daher ein erhebliches Missbrauchsrisiko bergen. Der Eingriff in die Berufsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre größer als der Nutzen, der in der Ausnahme der Speicherung liegt. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass sich solche Erhebungs- und Verwertungsverbote auch in anderen Regelungen der Strafprozessordnung bewährt haben.

Wir Sozialdemokraten haben uns im Rahmen des Parteikonvents in Berlin intensiv mit diesem Gesetz befasst und es teilweise kritisch diskutiert, wie auch in der Presse zu verfolgen war. Die Debatte endete mit dem Beschluss „Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten im Einklang mit Datenschutz und Grundrechten“. Eine der wesentlichen Ergänzungen war der Auftrag an die SPD-Bundestagsfraktion, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auch eine Evaluierung der Gesetzespraxis festzulegen.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch einmal an den Besuch unserer Datenschutzbeauftragten Thieser im Datenschutzausschuss, bei dem sie die ausgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook - so dick - in einem Koffer mitgebracht hat. Es sollte sich jeder überlegen, der bei Facebook ist, dass er mit einem Haken bestätigt hat, sich die Geschäftsbedingungen durchgelesen zu ha

(Abg. Waluga (SPD) )

ben. Ich weiß nicht, ob er sich dazu wochenlang Zeit genommen hat. Die meisten gehen nicht gerade sensibel mit diesen Daten um. Hier aber geht es, das muss man einmal festhalten, wirklich um Terrorismusbekämpfung, Verhinderung von schweren Straftaten und Anschlägen. Ich bemühe das nicht, es ist Tatsache.

Ein weiteres Beispiel ist doch wohl die Sauerland Gruppe, das Thema ist in der 13. Wahlperiode bei uns aufgeschlagen. Es wurde im Innenausschuss darüber berichtet, Sie waren damals noch nicht dabei. Vielleicht fragen Sie aber einmal Kollegen, die dabei waren, denn es wurde keine Niederschrift angefertigt, es war eine geheime Sitzung. Die Kolleginnen und Kollegen, die anwesend waren, haben erfahren, mit welchen Mitteln hier drohende Anschläge verhindert wurden.

(Sprechen bei der LINKEN.)

Ich erinnere nur daran. Solche Dinge sollte man berücksichtigen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Diese Tatsachen haben sich nicht weit vom Saarland entfernt abgespielt. Man meint immer, das wäre nicht vor unserer Haustür. Wir haben diese Woche im Innenausschuss auch über die Schleierfahndung gesprochen. Auch dabei ging es um das Thema Freiheit auf der einen Seite und Sicherheitsgewährleistung für unsere Bevölkerung auf der anderen Seite. Es wird ja immer wieder gefordert, dass der Innenminister die Polizisten auf die Straße bringt. Aber die Opposition kritisiert direkt, warum kontrolliert wird. Hier geht es doch auch um das Thema Sicherheit. Ich frage mich, wie die Bevölkerung dies wohl beurteilt.

Die vorliegenden Anträge gehen nach meiner Einschätzung davon aus, dass es sich bei der Speicherung von Verkehrsdaten um eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte handelt, und verweisen auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 und des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2014. Es wurde hierbei aber nicht berücksichtigt, dass die Bundesregierung bei der Erstellung des Gesetzentwurfs die verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben beachtet hat und diesen in vollem Umfang gefolgt ist: Klare Regelung der Voraussetzungen und des Umfangs der Datenspeicherung, Beschränkung auf einen klar definierten Kreis schwerer Straftaten, die auch im Einzelfall schwer wiegen müssen, Beschränkung des Personenkreises, der Zugriff auf gespeicherte Daten nehmen darf, Transparenz, Richtervorbehalt, Eröffnung von Rechtsschutzmöglichkeiten für Betroffene, Sanktionierungsmöglichkeiten bei Verletzung gesetzlicher Vorgaben.

Der vorgelegte Gesetzentwurf erfüllt die Vorgaben aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH. Das Gesetz sieht - da folge ich der Auffassung unseres Bundesjustizministers Heiko Maas - eine Speicherung von Verkehrsdaten in äußerst engen Grenzen vor. Inhalte sind in keiner Weise betroffen. Es wurden klare und transparente Regeln zu Höchstspeicherfristen von Verkehrsdaten beschlossen. Es wird die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit in der digitalen Welt gewahrt. Aus diesen Gründen versteht es sich von selbst, dass wir den vorliegenden Anträgen nicht folgen können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. - Das Wort hat nun für die Fraktion DIE LINKE die Kollegin Birgit Huonker.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Vorratsdatenspeicherung - das kann man jetzt betrachten, wie man möchte - geht es um die Totalerfassung des Kommunikationsverhaltens fast aller Menschen in der Bundesrepublik. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden Zeuge eines Paradigmenwechsels. Nicht mehr die Unschuldsvermutung gilt - die Kollegen haben es schon gesagt -, sondern es besteht ein Generalverdacht gegen die gesamte Bevölkerung, und das ist mit dem demokratischen Rechtsstaat schlicht nicht vereinbar!

(Abg. Meiser (CDU) : Sie gilt immer noch!)

Es gibt keine Unschuldsvermutung mehr bei einer Vorratsdatenspeicherung. Das genaue Gegenteil ist nun der Fall, jeder ist plötzlich verdächtig. Es ist einfach so, das kann man drehen, wie man möchte.

Nun hören wir ja immer, die Vorratsdatenspeicherung wäre notwendig im Kampf gegen Terror, es wäre fahrlässig im Kampf gegen den Terror, wenn man auf die Vorratsdatenspeicherung verzichten würde. Nun, der Vorsitzende der saarländischen SPD und jetzige Bundesjustizminister, unser ehemaliger Kollege Heiko Maas, äußerte sich zu diesem Punkt allerdings im Januar in einem Interview mit dem Deutschlandfunk wie folgt. Ich möchte zitieren: Es sei „(…) ,fahrlässig, den Leuten weiszumachen, dass Anschläge damit zu verhindern seien‘.“ Genauso ist es. Die Vorratsdatenspeicherung kann keine Anschläge verhindern, trotzdem wird sie eingeführt. Man kann sich gar nicht genug wundern, wie schnell ursprüngliche Überzeugungen von Politikern nur um der Macht willen über Bord geschmissen werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der LINKEN und B 90/GRÜNE.)

(Abg. Waluga (SPD) )

Auch zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages sind ebenso wie Journalistenverbände, Rechtsanwaltsverbände und die Bundesbeauftragte für den Datenschutz der Meinung, dass die Vorratsdatenspeicherung grundrechts- und verfassungswidrig ist. Dass man das noch im Jahre 2 nach Snowden betonen muss, ist wirklich nicht mehr zu fassen!

Als ich jedoch gestern in der Zeitung las, dass Bundesjustizminister Heiko Maas vor der Datensammelwut bei intelligenten Autos und damit vor einer Totalüberwachung von Autofahrern durch Versicherungsunternehmen warnt, weil Menschen die Freiheit behalten müssten, über die Verwendung ihrer Daten autonom zu entscheiden, da dachte ich schon, ich bin jetzt im Tollhaus. Egal, ob mit oder ohne staatlichen Segen, Datensammelwut bleibt Datensammelwut, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall von der LINKEN und B 90/GRÜNE.)

Verbindungs- und Standortdaten verknüpft mit Profilen über die soziale Vernetzung einer Person lassen doch Rückschlüsse auf ihre Lebensgewohnheiten zu. Darüber brauchen wir doch gar nicht zu diskutieren. Anrufe bei Schwangerschaftsberatungsstellen, bei Schuldnerberatungsstellen, bei den Anonymen Alkoholikern, bei Anwälten oder Ähnlichem - anhand der Verbindungsdaten lässt sich schnell ein Personenprofil erstellen. Alle wissen das. Diese Daten werden gewiss auch entsprechende Begehrlichkeiten wecken. Ich erinnere an dieser Stelle auch an die Datenpannen, die in der Vergangenheit schon passiert sind. Wer gibt uns denn die Sicherheit, dass diese hochsensiblen Daten nicht in falsche Hände geraten?

Nein, die Vorratsdatenspeicherung hat keinen nachweisbaren Nutzen. Das wurde selbst von dem Bundesjustizministerium eingeräumt. Sie ist also eine Beruhigungspille nach dem Motto: „Wir überwachen euch und werden damit Terroristen ausfindig machen“. Das eigentliche Problem ist aber unseres Erachtens ein ganz anderes: Wir brauchen mehr Ermittler.

Übrigens, Kollege Waluga, die Sauerland-Gruppe ist Medienberichten zufolge aufgeflogen, da sind Ende 2009 -

(Abg. Meiser (CDU) : Das müssen Sie etwas genauer erklären. Ich war damals Innenminister.)

Nach Medienberichten. Es ist der FOCUS gewesen. Sie können das gerne nachlesen.

(Abg. Meiser (CDU) : Das war ein Dummschwätzer.)

Also ist der FOCUS ein Dummschwätzer?

(Abg. Meiser (CDU) : In dem Fall!)

In dem Fall ist FOCUS ein Dummschwätzer, danke schön, Herr Meiser. Also Sie bestreiten das. Ich kann nur das wiedergeben, was im FOCUS steht. Dort steht, dass Dutzende Experten der CIA-Zentrale 2006 -

(Zuruf des Abgeordneten Scharf (CDU). - Abg. Wegner (CDU): Er war Innenminister!)

Es richtet sich nicht gegen den ehemaligen Innenminister, es richtet sich nicht gegen Herrn Meiser, ganz bestimmt nicht. Ich habe das hier in den Zusammenhang gestellt und will, auf den Vortrag von Herrn Kollegen Waluga eingehend, deutlich machen, was im FOCUS stand.

(Abg. Meiser (CDU) : Ich wollte das auch deutlich machen.)

Okay. Ich sage aber, was im FOCUS stand. Dort stand, dass Ende 2006 Dutzende Experten, nämlich die Navy Seals, von der CIA-Zentrale dort eingeschleust worden sind. Das stand drin.

Es gibt noch einen anderen Punkt, den ich anmerken möchte. Diese Vorratsdatenspeicherung wird die Gesellschaft verändern. Das schleichende Gift der Überwachung führt zu Angst und zu einer Änderung des Kommunikationsverhaltens. Glauben Sie im Ernst, dass Verbrecher sich auf diesen Umstand nicht vorbereiten? Um einmal von der digitalen Seite auf die analoge Seite zu kommen: Wie würden denn die Leute reagieren, wenn der Postbote jeden Brief registriert, den sie bekommen, wenn er sich den Absender notiert, den in eine Liste einträgt und dann die Liste irgendwo abgibt? Ich habe einmal versucht, das von der digitalen Welt in die analoge Welt zu übertragen, denn die ist uns auch noch sehr geläufig.

Zum Schluss noch ein Wort zu den vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die nun zur Speicherpflicht verdonnert sind. Diese Firmen werden Schwierigkeiten haben, die erforderlichen Speicherkapazitäten bereitzustellen! Damit meine ich ausdrücklich nicht die großen Anbieter wie die Telekom. Diesen Hinweis richte ich einmal an die Adresse derjenigen, die sich immer die Mittelstandsförderung auf die Fahne schreiben. Auch das hätte in diesem Gesetz berücksichtigt werden sollen.

Das Fazit kann nur lauten: Die Freiheit kann man nicht verteidigen, indem man Freiheitsrechte abschafft. Das ist einfach absurd. Wir laufen Gefahr, dass wir unsere reale Freiheit gegen die unbewiesene Hoffnung auf mehr Sicherheit eintauschen.

(Beifall der Abgeordneten Kugler (DIE LINKE).)

Daher brauchen wir mehr Freiheit, mehr Rechtsstaatlichkeit und mehr Demokratie. Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir völlig unterschiedliche Auffassungen zur Vorratsdatenspeicherung haben. Hier haben

(Abg. Huonker (DIE LINKE) )

wir die Möglichkeit, die Argumente auszutauschen. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass die Vorratsdatenspeicherung der falsche Weg ist. Sie hat auch innerhalb aller Parteien eine Diskussion ausgelöst. Wir wissen, dass es auch innerhalb der Parteien unterschiedliche Standpunkte zu diesem Thema gibt, und das ist gut so. - Danke schön.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. - Das Wort hat für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Christian Gläser.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge verfolgen das Ziel, die Einführung der Vorratsdatenspeicherung zu verhindern. Diese sei nicht erforderlich und nicht verhältnismäßig.