Protokoll der Sitzung vom 13.10.2015

vorgeschlagene Umsetzung zu viele Lücken lässt. Daher werden wir uns enthalten.

Beim Sitzzuteilungsverfahren hält die Große Koalition jedoch an D’Hondt fest. Dass dieses Verfahren den Wählerwillen stark zugunsten von CDU und SPD verfälscht, haben die Experten umfassend dargelegt. Auch im November 2013 hatten wir dazu bereits eine Diskussion. Bei Wahlen gilt stets der Grundsatz Gleichheit der Wahlen, daraus folgt auch Gleichheit beim Erfolgswert. Da ist das Zuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers einfach das Gerechteste. Es ist das Verfahren, bei dem der Wählerwille am stärksten berücksichtigt wird. Das haben bereits 13 von 16 Bundesländern erkannt. Sainte-Laguë/Schepers gilt auch im Bundestag und bei Europawahlen. Der einzige Nachteil, ein negatives Stimmgewicht, kann durch eine Mehrheitssicherungsklausel einfach ausgeglichen werden. Das haben wir berücksichtigt. Es gibt also keinen Grund, an D’Hondt festzuhalten. Es gibt aber einen Grund für die Große Koalition, dem bisherigen Verfahren weiterhin den Vorzug zu geben, einen wichtigen Grund, den Frau Berg nicht genannt hat: Das Festhalten an den eigenen Vorteilen für CDU und SPD.

(Abg. Huonker (DIE LINKE) : Genau so war es! Sprechen.)

Nicht nur hier im Landtag, das leuchtet ja direkt ein, aber vor allem in den Kommunen, denn dort verfügen SPD und CDU über Dutzende von Mandatsträgern mehr, als ihnen eigentlich zustehen.

(Abg. Roth (SPD) : Was? - Sprechen und Unruhe.)

Das, meine Damen und Herren, soll nach dem Willen der Großen Koalition auch so bleiben.

(Sprechen. - Zurufe der Abgeordneten Dr. Jung (SPD) , Scharf (CDU) und Wegner (CDU).)

Wenn wir ein anderes Zählverfahren hätten, Herr Jung, dann hätten Sie weniger Mandatsträger, und das möchten Sie verhindern.

(Weitere Zurufe von den Regierungsfraktionen.)

Sicher, Sie müssen das Verfahren nicht ändern. Es ist, wie Frau Berg sagte, verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie können das Zuteilungsverfahren auch einfach beibehalten. Sie können alles so lassen, wie es ist. Das machen Sie beim ÖPNV-Gesetz ja auch.

(Lachen bei den Oppositionsfraktionen.)

Sie können den Wählerwillen einfach ignorieren. Sie können von Bürgern gewählte Landräte einfach zu Sparkassen-Präsidenten machen, bei Landtagswahlen Unterlegene bei Saar Toto und EVS unterbringen oder Abgeordnete zum Rechnungshofdirektor ernennen. Die Saarländerinnen und Saarländer ha

ben Ihnen als Große Koalition große Verantwortung gegeben, aber auch große Befugnisse.

(Unruhe. - Zuruf des Abgeordneten Scharf (CDU).)

Zurzeit können wir erleben, wie die Große Koalition die ihr gegebene Macht dazu verwendet, das Saarland unter CDU und SPD aufzuteilen.

(Abg. Huonker (DIE LINKE) :Genau so, ja! - Anhaltendes Sprechen.)

Wie die Saarländer darüber denken, wissen Sie ganz genau. Wir alle dürfen auf die Landratswahl im November gespannt sein.

Eine Regierung, meine Damen und Herren, sollte nicht bloß verwalten und ansonsten das Land unter sich aufteilen, sie sollte sich um die Belange der Bürgerinnen und Bürger kümmern. Das erwarten die Saarländerinnen und Saarländer zu Recht von Ihnen! Im Übrigen, in der letzten Legislaturperiode war die CDU ja auch für eine Änderung des Zuteilungsverfahrens, nicht nach Sainte-Laguë/Schepers, sondern nach Hare/Niemeyer. Okay, aber wir wissen alle, die Unterschiede sind sehr marginal. Sie waren bereit, es zu ändern. Offensichtlich braucht es eine andere Zusammensetzung als eine Große Koalition, um hier endlich eine Änderung auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Ich möchte noch kurz auf den Antrag der PIRATEN zu sprechen kommen. Ich will nicht verhehlen, dass ich persönlich durchaus Sympathien für ein Verfahren mit Alternativstimme habe. Es wäre aber ein absolutes Novum. Weder auf Bundesebene noch in einem anderen Bundesland und auch nicht auf kommunaler Ebene gibt es Erfahrungen damit. Günter Waluga hat darauf hingewiesen, einige der Experten halten die Alternativstimme für verfassungsrechtlich bedenklich, andere, beispielsweise Professor Häuser, sehen das wiederum anders. Die Frage stellt sich daher, brauchen wir im Saarland überhaupt eine Alternativstimme? Hier sind wir GRÜNE uns einig, das ist nicht der Fall. Möglicherweise würden wir sogar davon profitieren, aber meine Damen und Herren, anders als die Große Koalition haben wir GRÜNE die Bürgerinnen und Bürger im Saarland im Blick und nicht den eigenen Vorteil.

(Oh-Rufe und Sprechen. - Zuruf: Oje, oje!)

Meine Damen und Herren, ich fasse noch einmal zusammen: Bei der Fünf-Prozent-Hürde und der Konnexität enthalten wir uns. Auch beim Bericht des Ausschusses enthalten wir uns.

(Sprechen und Unruhe. - Zuruf: Mein lieber Mann!)

(Abg. Neyses (B 90/GRÜNE) )

Den Antrag der PIRATEN auf Alternativstimme lehnen wir aus den genannten Gründen ab. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag, um den Saarländerinnen und Saarländern endlich ein gerechtes Zuteilungsverfahren zu bieten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN.)

Zur Begründung des Gesetzentwurfes der PIRATEN-Landtagsfraktion erteile ich Herrn Abgeordnetem Andreas Augustin das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag hatte vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes den Auftrag erhalten, die Fünf-Prozent-Hürde und das Sitzzuteilungsverfahren nach D’Hondt zu überprüfen. Diesem Auftrag entsprechend bringen wir PIRATEN heute einen Gesetzentwurf ein, der eine entsprechende Novellierung des Wahlrechtes vorsieht. Im Gegensatz zur Koalition kommen wir dabei ohne Verfassungsänderung aus. Unsere Position ist die, dass speziell beim Landtag des Saarlandes eine Fünf-Prozent-Hürde gerechtfertigt ist aus den Gründen, die Frau Berg im Wesentlichen ausgeführt hat; ich muss das nicht alles wiederholen.

Wir sehen aber auch, dass im Sinne der Stimmengleichheit eine Stimme nicht dadurch verschenkt werden darf, dass sie nachher keine Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Parlaments hat, wie das jetzt der Fall ist, wenn man eine Partei wählt, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Wenn ich eine Partei wähle, die nachher im Parlament ist, dann kann ich auch sagen, das ist die Person aus meinem Wahlkreis der Partei, die ich gewählt habe, an die kann ich mich wenden, wenn ich ein Anliegen habe. Das kann ich nicht, wenn die betreffende Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Dementsprechend sehen wir hier die Stimmengleichheit als nicht gegeben.

Als Ausgleich bieten wir deshalb die Variante mit der Alternativstimme. Mit der bereits bestehenden Stimme kann man zuerst einmal die Partei wählen, die man tatsächlich wählen will. Für den Fall, dass diese Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, hat man eben noch die Alternativstimme, mit der man dann immer noch Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments nehmen kann im Sinne der Größenverhältnisse der dort vertretenen Fraktionen. Wir gehen dann noch einen Schritt weiter und machen das auch auf Kommunalebene entsprechend. Dort ist die Alternativstimme besonders vorteilhaft, weil man sich zum Beispiel bei Bürgermeisterwahlen eine Stichwahl sparen kann, weil man die Stichwahl mit dem Hauptwahltermin schon vorwegnehmen kann.

Das erspart den zweiten Gang zur Urne, das erspart Kosten. Das erspart entsprechenden Aufwand.

Des Weiteren haben wir die notwendigen Folgeregelungen wie zum Beispiel bei der staatlichen Parteienfinanzierung getroffen, da auch dort die Stimmengleichheit natürlich weiterhin gelten muss. Im Gegensatz zur Großen Koalition haben wir den Prüfauftrag des Verfassungsgerichts aber vollumfänglich bearbeitet, uns auch mit dem Sitzzuteilungsverfahren befasst und dort eine Novellierung vorgelegt. Beim Sitzzuteilungsverfahren - das hat der Kollege Neyses eben schon ausgeführt - ist es eben so, dass das Verfahren nach Hare-Niemeyer nicht mehr infrage kommt, weil es das Problem mit negativem Stimmgewicht und so weiter gibt. Das ist inzwischen bekannt, wurde auch nach und nach überall abgeschafft.

Damit stehen nur noch die zwei Verfahren nach D’Hondt und nach Sainte-Laguë/Schepers zur Wahl, oder besser gesagt im Sinne verschiedener Gesetzentwürfe, die heute hier zur Abstimmung stehen, stehen die zwei Verfahren zur Wahl. Das Verfahren nach D’Hondt kann dabei nicht mehr als aktuell gelten. Es ist aktueller Stand der Wissenschaft, dass das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers das Verfahren ist, das den Wählerwillen am nächsten abbildet. Es ist zwar korrekt, dass die Gerichte entschieden haben, dass auch das Verfahren nach d’Hondt verfassungsgemäß ist, das trifft allerdings keine Aussage darüber, welches das mathematisch nächste ist, das also den Wählerwillen am mathematisch korrektesten in Sitzzuteilungen überführt. Das ist ganz eindeutig Sainte-Laguë/Schepers. Dementsprechend sieht unser Entwurf auch vor, dieses Verfahren einzuführen. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und der LINKEN.)

Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Professor Dr. Heinz Bierbaum von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir behandeln hier einen Gesetzentwurf zur Veränderung der Verfassung. Wir haben weiter Entwürfe zur Veränderung der Sitzzuteilung des Wahlverfahrens. Ich begrüße es außerordentlich, dass in dem Ausschuss sehr ausführlich darüber berichtet worden ist, dass wir hier eine Evaluierung hatten und dass wir auch zahlreiche Experten haben zu Wort kommen lassen. Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt, weil es doch tief in die Verfahren des Parlaments und die Zusammensetzung des Parlaments eingreift. Deswegen ist

(Abg. Neyses (B 90/GRÜNE) )

es auch wichtig, dass wir uns heute entsprechend ausführlich damit befassen.

Ich glaube, wir stimmen überein - das hat der Ausschuss auch bewiesen -, dass wir alle kein Problem mit der Fünf-Prozent-Hürde haben. Allerdings muss ich sagen, dass ich zu der Begründung, wie sie hier dargelegt worden ist, insbesondere von der Kollegin Berg, schon ein paar Fragezeichen machen muss, denn es ist doch etwas übertrieben dargestellt worden, dass diese Sperrklausel sozusagen die parlamentarische Demokratie rettet. Natürlich ist es richtig, dass die Sperrklausel nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Weimarer Republik in die Verfassung eingeführt worden ist. Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Es ist allerdings nur ein Faktor, was Sie auch gesagt haben.

Ich glaube, dass man einfach auch sehen muss, dass sich die politische Situation verändert. Gesellschaftliche Verhältnisse verändern sich. Ich sehe jetzt nicht unbedingt die parlamentarische Demokratie in Gefahr, wenn wir von der Fünf-Prozent-Hürde abweichen würden. Ich will nur darauf hinweisen auch wenn das jetzt wieder verändert wird -, dass wir es im Hinblick auf die Wahl des Europaparlaments, wo es gar keine Sperrklausel gab, nicht mit einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europaparlaments zu tun haben.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Jung (SPD).)

Das mag ja alles sein. Ich will nur darauf hinweisen, dass ich es in dieser Absolutheit, wie dies hier dargestellt worden ist, für übertrieben halte.

(Beifall von der LINKEN.)

Das ist auch der Hintergrund dafür, dass wir der Auffassung sind, dass diese Sperrklausel nicht in die Verfassung geschrieben werden sollte. So sehr wir das durchaus für praktikabel halten, so sehr sind wir allerdings auch dagegen, dass diese Sperrklausel von 5 Prozent Verfassungsrang erhält. Bei dem Prüfungsauftrag des Verfassungsgerichts hat das Verfassungsgericht darauf hingewiesen, dass das nicht ein für alle Mal bestimmt werden kann, sondern dass gesellschaftliche Entwicklungen und politische Veränderungen zu berücksichtigen sind. Von daher sind wir der Auffassung, dass es nicht geboten ist, der Sperrklausel von 5 Prozent einen Verfassungsrang zuzubilligen. Deswegen lehnen wir dies ab.

(Beifall von der LINKEN.)

Was nun die wahlrechtlichen Vorschriften und die Sitzverteilung angeht, so scheint mir doch ziemlich eindeutig - deswegen kann ich mich dabei relativ kurz fassen -, dass das Verfahren D’Hondt nicht mehr zeitgemäß ist. Es kommt auch in den meisten Landesparlamenten nicht mehr zur Anwendung. Die Mehrheit hat eine Veränderung herbeigeführt. Infra

ge kommt unter den bestehenden Gegebenheiten nur Sainte-Laguë/Schepers. Wir sind klar dafür, dass dies auch entsprechend gemacht wird, weil es in der Tat so ist, dass das gegenwärtige Verfahren D’Hondt die großen Parteien bevorzugt und nicht den Wählerwillen so abbildet, wie das bei einem anderen Verfahren besser möglich wäre. Deswegen unterstützen wir die Anträge für eine Veränderung des Zählverfahrens von D’Hondt hin zu SainteLaguë/Schepers.

(Beifall von der LINKEN.)

Ein Problem haben wir mit dem Thema der Alternativstimme. Darauf ist schon hingewiesen worden da würde ich der Kollegin Berg zustimmen -, dass das gegen die Eindeutigkeit der Wahl spricht, weil eine entsprechende Stimmabgabe auch eindeutig sein sollte. Ich glaube aber, dass noch mehr Gründe dagegen sprechen. Zunächst einmal bin ich nicht der Auffassung, dass eine Stimme für eine Partei, die nicht den Sprung ins Parlament schafft, eine verlorene Stimme sei. Ich halte das für nicht richtig, weil wir uns insgesamt im politischen Wettbewerb befinden. Da muss man sich einsetzen für verschiedene Auffassungen, die in den Parteien abgebildet werden und die auch in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zählen. Politik wird bekanntlich nicht nur im Parlament gemacht, sondern Politik wird vor allen Dingen auch in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung gemacht. Gerade von der gesellschaftlichen Auseinandersetzung hängt dann ab, ob bestimmte Dinge zu Gesetzen werden. Von daher ist es natürlich zentral wichtig und Anliegen jeder Partei, in das Parlament zu gelangen, um dann dort die Anliegen vertreten zu können. Wenn ich mir das hier einmal so anschaue, den saarländischen Landtag mit der überwältigenden Mehrheit der Großen Koalition, dann ist die parlamentarische Wirksamkeit der Opposition doch etwas eingeschränkt. So will ich es einmal formulieren.

(Zuruf aus den Koalitionsfraktionen: Das liegt aber nicht an uns! - Oh-Rufe von der LINKEN.)

Die Mehrheit der Großen Koalition gleichzusetzen mit einer besseren Politik ist Hybris.