Protokoll der Sitzung vom 25.02.2005

(Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Sachsens Beiträge zur Lissabon-Agenda können sich also sehen lassen; aber wir sind eingebunden in Europa und natürlich können wir uns nicht von den großen Trends abkoppeln. Das nun von der Kommission vorgelegte Reformpaket geht in die richtige Richtung. Es bestätigt geradezu die Politik der Staatsregierung. Aber auch für die zweite Halbzeit des Lissabon-Prozesses gilt: Beschließen ist das eine, verwirklichen natürlich das andere.

(Der Abg. Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon.)

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, danke, jetzt nicht. Es fehlt in Deutschland immer noch an der notwendigen Konsequenz, das gesamte Regierungshandeln auf das Kernziel Wirtschaftswachstum auszurichten. Jede Ebene – da meine ich: von den Kommunen bis hin zur Europäischen Kommission – muss dabei ihren Beitrag leisten, und zwar so, dass ein wirtschaftsfreundliches Klima hier bei uns in Deutschland entsteht.

Die Halbzeitbilanz zur Lissabon-Strategie ist für uns Ansporn, unsere erfolgreiche Politik fortzusetzen und noch konsequenter als bisher darauf zu achten, dass die hart erarbeitete gute Ausgangsposition Sachsens die Früchte trägt, die dieses Land verdient. Im Übrigen gilt immer noch: Die beste Sozialpolitik ist eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Die Fraktion der GRÜNEN hat noch Redezeit. – Frau Abg. Hermenau, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wenn Sie, Herr Schowtka, jetzt die „Geheimwaffe“ der CDU-Fraktion in dieser Debatte gewesen sind und trotzdem Ihrem eigenen Staatsminister, der übrigens auch für Bundes- und Europaangelegenheiten zuständig ist, zugehört haben, dann dürfte Ihnen klar geworden sein, dass es auch darum geht, wie sich die Kommunen und wie sich der Freistaat Sachsen als Region in diesem Prozess, der stattfindet, begreift – egal, ob Sie ihn zur Kenntnis nehmen oder nicht.

Und Sie haben eigentlich mit der Frage, ob das der richtige Ort für diese Debatte sei, nur deutlich gemacht, dass Sie hier von Ignoranz geprägte platte Beschwörungsformeln herstellen, statt mal einen Blick über den Tellerrand zu werfen – was ich mir gewünscht hätte. Dieser Widerwillen, sich damit zu beschäftigen, scheint ja eigentlich nur etwas damit zu tun zu haben, dass Sie vielleicht ahnen, es könnte Anstrengung bedeuten. Es ist ein ideologisches Scheingefecht, das Sie hier gegen erneuerbare Energien führen; das ist doch ganz logisch.

Der bis zum letzten Jahr noch amtierende Wirtschaftsminister Gillo, der von der CDU ist – inzwischen ist er ja irgendwann mal beigetreten –, hat zu den erneuerbaren Energien gesagt – ich zitiere Herrn Gillo: „Im Vergleich zu Gesamtdeutschland hat der Freistaat noch Nachholbedarf.“ Machen wir das doch einmal konkret auf Sachsen bezogen, damit wir auch wissen, wovon wir reden.

Bei den Umwelttechnologien im Bereich erneuerbare Energien gibt es einen Umsatz in Deutschland pro Jahr von 6 Milliarden Euro – das ist eine Menge Holz. Es sind 130 000 Menschen in Deutschland in dem Bereich beschäftigt – das ist mehr als früher in der Braunkohle der DDR. Sachsen macht von diesen 6 Milliarden Euro Umsatz läppische 150 Millionen Euro und von den 130 000 Beschäftigten in dem Bereich sind nur läppische 1 500 in Sachsen beschäftigt. Das bedeutet bei 5 % Bevölkerungsanteil 2,5 % des Umsatzes und 1 % der Beschäftigten. Da gibt es noch etwas zu tun, meine Damen und Herren von der Koalition, das ist ja wohl eindeutig, die Zahlen sprechen für sich, und das sind sächsische Versäumnisse.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben im Osten das bessere Fernwärmenetz. Herr Gillo hat das Defizit selbst zugegeben. Die Potenziale in Sachsen sind enorm und wir könnten uns ja gern mal über Biomasse und biogene Kraftstoffe unterhalten.

Frau Hermenau, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber gern.

Frau Hermenau, Sie sprachen den Bereich Windenergie an. Können Sie uns verraten, mit wie viel Euro pro Jahr derzeit ein Arbeitsplatz in der Windenergiewirtschaft in Deutschland subventioniert wird?

Diese Zahl kann ich Ihnen konkret nicht nennen. Ich habe nicht nur von Windenergie, sondern von verschiedenen Trägern erneuerbarer Energien gesprochen. Wenn Sie die Zahl kennen, können Sie sie gern noch in einem Debattenbeitrag beibringen.

Biomasse und biogene Kraftstoffe sind mein Thema. Um die Ideologiegeschichte abzurollen, die Sie, Herr Schowtka, aufzubauen versucht haben: Schauen Sie nach Bayern, das nun wirklich nicht rot-grün regiert wird! Bayern ruft – neben Baden-Württemberg – zum Beispiel die höchsten Pro-Kopf-Sätze im Bereich Solarenergie ab. Wenn Sie sich die Zwischenbilanz des 100 000-DächerSolarstromprogramms der KfW anschauen, dann sehen Sie, dass in den Jahren 1999 bis 2001 fast zwei Drittel des gesamten Kreditvolumens der KfW von knapp 700 Millionen Euro an Bayern und Baden-Württemberg gegangen sind; NRW und Niedersachsen folgen mit weitem Abstand. Das bedeutet: Es ist keine ideologische Frage, ob man begreift, dass Träger erneuerbarer Energien ein Wirtschaftsfaktor sind, sondern das ist eine Frage des eigenen Blickwinkels und der eigenen Furcht. So nehme ich Ihren Debattenbeitrag hier wahr. Ich finde das schade.

Wir hätten gerade in Sachsen im Bereich Biomasse und biogene Kraftstoffe ein großes Potenzial. Sie kommen aus einem ländlich strukturierten Raum und müssten Interesse daran haben, Pflanzen anzubauen, die man so verwerten kann, dass daraus Kraftstoffe gewonnen werden können. Die Verfahrenstechnik ist in Freiberg, einem sächsischen Standort, entwickelt worden. Stattdessen machen Sie hier Ihre Scheindebatte auf und heben die Hände. Ich finde das unglaublich; denn die Chancen, die Sachsen insoweit hat, werden versäumt. Die Europäische Union würde uns sogar noch bestärken, wenn wir diesen Weg einschlagen würden. In diesem Bereich wäre so vieles möglich, wenn wir uns ein Beispiel an anderen Regionen – auch innerhalb Deutschlands –, aber auch in der übrigen Europäischen Union nähmen und wenn wir die Möglichkeiten und die Potenziale, die die Europäische Union in diesem Bereich anbietet, ausschöpfen würden. Stattdessen ergehen Sie sich in irgendwelchen Scheingefechten. So viel wäre möglich gewesen, was bis jetzt nicht erreicht worden ist. Wir werden nicht müde werden, Sie entsprechend zu mahnen.

Ansonsten sage ich: muito obrigado por a conversação. (Vielen Dank für dieses Gespräch.)

(Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Die CDU-Fraktion steigt noch einmal in die Debatte ein. Herr Abg. Schowtka.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Hermenau, ich kenne

Sie aus der 1. Legislaturperiode. Von daher weiß ich, dass Sie schneller reden können als denken.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das haben Sie erst jetzt bemerkt?)

Ich habe in meinem Beitrag das Wort „Energien“ überhaupt nicht in den Mund genommen. Ich habe von „Immissionen“ gesprochen. Ich glaube, das ist ein kleiner Unterschied. Ich habe nichts gegen regenerierbare Energien, aber ich habe etwas dagegen, wenn die schöne Oberlausitz mit Windmühlen zugestellt wird, so dass man von ihrer Schönheit nichts mehr sieht.

(Beifall bei der CDU, der NPD und der FDP)

Nun noch einmal zu Ihnen, Herr Leichsenring! Ich bin vor vier Wochen 60 Jahre alt geworden und damit ein bisschen älter als Sie. Ich habe das große Glück, 60 Jahre in Frieden gelebt zu haben, obwohl im Januar 1945, als ich geboren wurde, der Krieg mit seinem letzten Elend über unser Land gekommen ist. Ich liebe unser Vaterland. Aber ich bin auch stolz darauf, dass Patrioten wie Konrad Adenauer gemeinsam mit de Gasperi und Schuman daran mitgewirkt haben, dass Europa einig wird. Das hatte diesen 60-jährigen Friedensprozess zur Folge; er soll noch länger andauern.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Wie gesagt, ich liebe mein Vaterland, aber ich möchte, dass dieses Vaterland in der Gemeinschaft von freien europäischen Staaten weiterhin existiert.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei der FDP und den GRÜNEN)

Von der PDS-Fraktion ist noch ein Redebeitrag angemeldet. Herr Abg. Kosel, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einige Worte zu dem NPD-Beitrag: Ja, wir stehen zu Europa. Die PDS steht zu Europa, zur europäischen Integration als einem wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und vor allen Dingen zivilen Projekt. Wir stehen zu Europa, weil Europa Zukunftschancen bietet. Es ist eines der wenigen politischen Projekte, die derzeit mit Zukunftschancen für unsere Bürgerinnen und Bürger verbunden sind. Ihr politischer Ansatz ist mit keinerlei Zukunftschancen verbunden; er führt allenfalls in die Katastrophe – wie die Geschichte belegt hat, auch in die nationale Katastrophe für das deutsche Volk!

(Beifall bei der PDS, der SPD und den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Das lassen wir die Wähler entscheiden!)

Ich habe bereits in meinem vorangegangenen Redebeitrag darauf hingewiesen, dass es für die PDS entscheidend ist, dass sich Arbeit für diejenigen lohnen muss, die sie erbringen. Dies gilt für uns sowohl diesseits als auch jenseits der Grenzen des Freistaates; denn nur so

wird es wirklich gelingen. Das „Grenzen dicht!“ der NPD führt Sachsen – –

(Uwe Leichsenring, NPD: Für Lohndrücker!)

Ich komme gleich dazu. Bleiben Sie ganz ruhig! Das „Grenzen dicht!“ der NPD führt Sachsen in die Isolation und beraubt uns unserer europäischen Zukunftschancen. Der kleingedruckte Zusatz auf dem NPD-Plakat „… für ausländische Lohndrücker“ ist nicht nur inhuman, sondern vor allen Dingen, mit Verlaub, schwachsinnig. (Beifall bei der PDS)

Denn nicht die Lidl-Kassiererin im tschechischen Šluknov und nicht der Schichtleiter beim Siemens-Zulieferer im polnischen Boleslawiec machen Druck auf Löhne in Sachsen; der Lohndruck geht vielmehr hüben wie drüben von solchen Großunternehmen wie Lidl und Siemens aus. Lidl und Siemens sind aber keine Ausländer, sondern hiesige Großkonzerne. Aber Sie als NPD-Nazis stehen ja in einer Tradition des Kuschens und des Anbiederns bei den Großkonzernen.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Das ist an Dummheit nicht mehr zu überbieten! Dummheit in Reinkultur!)

Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass die PolitFolklore der Deutschtümler nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Meine Damen und Herren! Von den drei großen Herausforderungen, denen sich die EU nach ihrer Osterweiterung gestellt hat, ist die dritte für die Bevölkerung die Wichtigste: die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und dadurch die Annäherung an die Vollbeschäftigung. Diese Herausforderung müssen die nationalstaatlichen Regierungen selbst bewältigen. Nur zwei EU-Mitglieder erreichten vor einem Jahr das in Lissabon gesetzte Ziel, für 70 % der arbeitsfähigen Bevölkerung Arbeit zu schaffen. Großbritannien ist eines der beiden; Deutschland ist nicht dabei. Ohne Deutschland könnte die Euro-Zone

mit den USA in Fragen des Wachstums, des Pro-KopfEinkommens, der Produktivität und der Beschäftigung mithalten.

Was sich die EU auf dem Lissabonner Gipfel im März 2000 vorgenommen hat, hat sich zur Halbzeit als billige Rhetorik, wenn nicht, mit Verlaub, um einen gängigen juristischen Begriff zu gebrauchen, als arglistige Täuschung erwiesen. Der so genannte Europäische Beschäftigungspakt, bereits 1999 in Köln verkündet, ist dies gleichermaßen. Was ist von der Übereinkunft geblieben, Geldpolitik, Finanzpolitik und Lohnpolitik so aufeinander abzustimmen, dass die Zahl der Arbeitslosen schnell zurückgeht und die Beschäftigungszahl dauerhaft steigt? Nicht einmal Kritik am eigenen Versagen kommt auf, weder in Deutschland noch konkret in Sachsen. Der Redebeitrag des Herrn Staatsministers hat das leider wieder bewiesen.

Als wäre alles seinen europäischen Gang gegangen, so meinte die Bundesregierung in ihrer Unterrichtung an den Bundesrat, die Strategie zur Erreichung des Lissabonner Ziels habe seit dem Jahr 2000 viele richtungsweisende Entscheidungen für die Zukunftsfähigkeit Europas auf den Weg gebracht. „In Deutschland gibt es die Agenda 2010“. Hört, hört! „Diese gibt entscheidende Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung“ – so wörtlich. So sehen lohnpolitisch des Kaisers neue Kleider aus.

Nackte Tatsachen auch in Sachsen sehen aber anders aus. Diese Tatsachen erfordern es, die Sozialunion in der Europäischen Union endlich Wirklichkeit werden zu lassen. Damit ist dann auch den deutschen Arbeitslosen geholfen – mit nationalistischen Tiraden, wie die NPD sie hier vorträgt, keinesfalls.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Die Arbeitslosigkeit habt aber ihr produziert!)

Meine Damen und Herren! Mir sind von den Fraktionen keine weiteren Redner benannt worden. Damit können wir Tagesordnungspunkt 2, Aktuelle Stunde, abschließen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 3