Angesichts dieser Einsicht muss doch die Frage lauten: Warum gelingt es anderen Schulsystemen, mit der gleichen oder sogar einer schlechteren Ausstattung mit Lehrern deutlich bessere Ergebnisse zu erzielen, uns aber nicht? Die Antwort haben wir wiederholt gegeben; eine erneute Wiederholung kann offensichtlich nicht schaden: Die erfolgreichen Schulsysteme gehen deutlich effizienter mit dem Personal um. Sie organisieren den Lernprozess der Kinder und Jugendlichen intelligenter.
Die Pisa-Erfolgsländer haben eine Gemeinsamkeit: Die Schulen dort tragen sehr viel mehr eigene Verantwortung für die Bildungsprozesse.
Sie sind von vielen strukturellen Vorgaben befreit und werden nicht, wie unsere Schulen, in ein enges Korsett gezwungen. Die dortige Lernkultur nimmt die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler ernst; sie richtet sich auf diese Bedürfnisse aus. In den ‚Pisa‘-Erfolgsländern stehen die Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt der Arbeit. Wir haben diesen Perspektivwechsel in unserem Schulreformkonzept niedergelegt und im Grundsatz im Koalitionsvertrag gemeinsam vereinbart.
Der Stellenrahmen für die Schulen steht jetzt fest. Nun hat das Kultusministerium nicht nur die Aufgabe und
die Verpflichtung, mit diesen Stellen die Unterrichtsversorgung zu sichern; es muss jetzt vor allem beginnen, das Ziel einer hohen Qualität und der sozialen Ausgewogenheit der schulischen Bildung in Sachsen umzusetzen. Lernen findet nicht nur im Unterricht statt. Halten wir uns vor Augen, welche Qualifikationen und Kompetenzen wir von unseren jungen Menschen erwarten: Selbstständigkeit, Teamfähigkeit, soziale Kompetenz, Eigenverantwortung. Selbstständigkeit lernt man nicht, wenn man alles vorgesetzt bekommt.
Teamfähig wird man nicht, wenn man kaum im Team arbeitet. Kommunikativ wird man nicht, wenn man dem größten Teil des Schulalltags zuhören muss.
Seien wir also ehrlich und schauen wir genauer auf das Pisa-Gewinnerland Finnland! Finnische Schüler haben im Vergleich den wenigsten Unterricht, 46 Wochenstunden weniger als sächsische Schüler. Das entspricht anderthalb Schuljahren. Was können wir daraus lernen? Wir müssen aufhören, Lernzeit und Unterricht gleichzusetzen. Wir müssen aufhören, den nackten Zahlen nachzujagen.
Wir müssen den Blick endlich auf die Bildungsprozesse richten. Entscheidend ist doch nicht, wie lange Kinder im Unterricht hocken. Entscheidend ist, was inhaltlich und methodisch in der Schule passiert.
Wir akzeptieren es nicht, dass der Mangel vor Ort mit dem Hinweis auf den Haushaltsgesetzgeber beschieden wird. Mit dem neuen Haushalt stellen wir den Schulen ausreichend Stellen zur Verfügung. Wir haben der Kultusverwaltung mit dem Koalitionsvertrag neue Möglichkeiten eröffnet, mit diesen Stellen effizient und intelligent umzugehen. Jetzt gilt es, die zentralen Vorgaben abzubauen. Jetzt gilt es, die Handlungsspielräume der Schulen zu erweitern, um so eine neue Bildungsqualität zu ermöglichen.
Wir wollen, dass die Schulen bei der eigenverantwortlichen Wahrnahme dieser Spielräume unterstützt werden.
Ich habe eine Frage zur optimierten Schuleingangsphase, die auch mit zum Bildungsqualitätssprung gehören soll. Sie haben erzählt, dass in den skandinavischen Ländern sehr gute Erfahrungen gemacht wurden. Wir haben ja gesehen, als wir in Finnland waren, dass dort im ersten
Jahr zwei Lehrerinnen oder Lehrer zur Verfügung stehen. Es gab eine Erprobung der optimierten Schuleingangsphase in Sachsen. Da waren auch immer zwei Lehrerinnen in den Anfangsgruppen.
Welchen Qualitätssprung wollen Sie damit erreichen, dass Sie nun nur einen Lehrer pro Anfangsgruppe in der Schuleingangsphase zur Verfügung stellen?
Wir haben den Schwerpunkt in dem Primarbereich gelegt. Wir haben eine Schuleingangsphase vereinbart und genau unter diesem Gesichtspunkt haben wir ein Mehr an Stellen im Haushalt durchgesetzt. Genau aus diesem Grund.
An welcher Stelle konkret werden dazu die Handlungsspielräume der Schulen gegenüber der Kultusbürokratie wirklich erweitert?
Wir haben doch jetzt die Aufgabe, in den nächsten Jahren mit dem Lehrereinsatz intelligent umzugehen. Es ist doch nicht eine Frage, dass wir mit Fingerschnipsen jetzt die neue Qualität erreichen. Wir müssen uns endlich auf den Weg machen, und das haben wir vereinbart.
Wir wollen, dass die Schulen bei der eigenverantwortlichen Wahrnehmung dieser Spielräume unterstützt werden. Wir wollen eine Stellenbewirtschaftung, die den neuen Gegebenheiten Rechnung trägt, eine Stellenbewirtschaftung, die flexibler und sicherer wird. Die Schulen müssen Sicherheit über Personal erhalten und der Personaleinsatz vor Ort muss flexibler gestaltet werden.
Bildungsabbau betreibt, wer mit dem Lehrerpersonal weiter so umgeht wie bisher. Wer nur mehr Lehrer fordert, damit alles beim Alten bleiben kann, der fordert nur, den Bildungsabbau teurer zu machen. Machen wir uns endlich daran, inhaltliche Reformen umzusetzen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vorgestern einen Haushalt beschlossen, der eine antiquierte Struktur und eine antiquierte Schulkultur bestätigt. Kein neuer Aufbruch in der Pädagogik, kein längeres gemeinsames Lernen und keine anderen Bildungsprämissen sind durch die Koalition festgeschrieben worden.
Ob die Gemeinschaftsschulen ihren Weg aus dem Kultusministerium und seiner Bürokratie jemals finden werden, bleibt abzuwarten. Den anderen Schulen aber stehen Schließungen mit einem Drittel der Mittelschulen und weiterer Gymnasien bevor und Stellenkürzungen bedrohen Unterrichtsabsicherung und pädagogisches Plus.
Meine Damen und Herren! Ich habe mit mehreren Schulleitern gesprochen. Ein kurzes Rechenbeispiel will ich Ihnen nicht vorenthalten.
Ein Schulleiter erzählte mir, er habe 80 Kolleginnen und Kollegen und bislang noch einen Stundenpool von 140 Stunden, durch den er die Vertretungsstunden und einen Ergänzungsbereich absichern kann. Wenn alle Lehrerinnen und Lehrer einfach in der Praxis zwei Stunden weniger arbeiten, sind das 160 Stunden, die wegfallen. Damit ist schon die grundlegende Unterrichtsversorgung nicht mehr abgesichert und keine Vertretungsstunde gehalten, keine AG besetzt und keine Förderstunde gegeben. Es gibt auch keinen Schulchor mehr. Das ist, was Ihre Schulpolitik in Sachsen auslöst. Bildungsabbau ist dafür das richtige Wort.
Sie verändern eine Unterrichtsstruktur und -kultur auch nicht, Herr Dulig. Aber an Ihnen wäre es. Sie dagegen in der Regierung kürzen noch an dieser Struktur und verschlechtern dadurch die Qualität der schlechten Struktur auf Kosten der Schülerinnen und Schüler, die jetzt zur Schule gehen.
Sie wollen Lernprozesse anders organisieren. Davon habe ich noch nichts gemerkt. Aber die Stellen streichen Sie schon einmal. Das ist ja das, worum es eigentlich geht: Stelleneinsparungen. Aber dann reden Sie nicht ständig von Schulqualität.
Die Qualität steigt einfach nicht bei immer schlechter werdenden Bedingungen. Das ist, was man sehen muss. 150 zu schließende Schulen und 300, die die Kriterien nicht erfüllen, werden uns heute vorgelegt. Wir werden bei den mündlichen Fragen noch die Möglichkeiten haben, vom Kultusminister diese 300 Schulen genannt zu bekommen. Wir haben das angefragt. Wir wollen von Ihnen hören, wie Sie sich dazu verhalten. Wir wollen vor allem auch sehen, wenn wir über Schulqualität sprechen, wie Sie das, was Sie im Schulgesetz festgeschrieben haben, überhaupt umsetzen. Dazu wären weitere 500 Lehrerinnen und Lehrer notwendig, gerade im Grundschulbereich, aber auch an den weiterführenden Schulen. Nichts dergleichen passiert. Stattdessen verschlechtern Sie die Bedingungen und Sie erwarten von uns, dass wir über Konzepte zu einem Zeitpunkt sprechen, zu dem wir nur Abwehrkämpfe zu führen haben.
Ich erwarte, dass gerade Sie als SPD in der Regierungskoalition Einfluss nehmen. Ich verstehe, dass die Rolle des kleinen Koalitionspartners schwierig ist, aber Sie müssen nicht nach vorne preschen und das auch derart
offensiv verteidigen, sondern Sie könnten sich Bereiche heraussuchen, in denen Sie klare Akzente setzen.
Ich muss offensichtlich daran erinnern, dass es gerade die SPD war, die mit mehr Lehrern für kleinere Klassen geworben hat. Nun sind Sie es, die sich daran beteiligen, gerade das zu verhindern und den demografischen Wandel nicht dafür auszunutzen, sondern im ländlichen Raum Schulen absterben zu lassen. Das ist einfach unehrlich.