Da wir zwar das Grundanliegen des FDP-Antrages teilen, aber auch einige Ungereimtheiten sehen, werden wir uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der eine verspricht, nichts zu sagen, der andere lässt die Hälfte meines Namens weg. Ich fühle mich richtig willkommen.
Im FDP-Antrag zur Bildungsempfehlung steckt wirklich eine grandiose Idee, nämlich den Notendurchschnitt von 2,5 auf 2,33 abzusenken und damit zu suggerieren, man würde einen leistungsgerechten, realistischen Einstieg in die gymnasiale Laufbahn finden. Ich frage mich: Wie kommen Sie auf diese absurde Idee?
Wahrscheinlich waren wir GRÜNEN die Einzigen, die sich damals gefreut haben, als das Bildungsministerium verkündet hat, dass der Notendurchschnitt für die Bildungsempfehlung von 2,0 auf 2,5 erhöht wird. Vielleicht ist das aufgrund eines grandiosen Missverständnisses passiert.
Wir sehen dies als Einstieg in die Abschaffung der Bildungsempfehlung. Denn eine Bildungsempfehlung, wie sie in Sachsen praktiziert wird, ist ein Eingriff in die Freiheit der elterlichen Entscheidung. Wir sind fest davon überzeugt, dass Eltern gewissenhaft und fürsorglich entscheiden und ihre Kinder nicht leichtfertig auf eine Schule schicken werden, der sie nicht gewachsen sind.
In Sachsen haben wir nicht das Problem, dass wir zu viele Gymnasiasten haben, sondern ganz im Gegenteil. Wir haben dort erhebliche Defizite aufzuholen. Insofern kann man den Antrag der FDP auch nur als Schutzklausel für die bestehenden Mittelschulen interpretieren. Die FDP outet sich hier als Bewahrer eines sächsischen Schulsystems und nicht als Modernisierer, als der sie die letzten sechs bis neun Monate aufgetreten ist.
Wir schauen uns einmal an, was eigentlich eine Bildungsempfehlung bedeutet. Wir hatten im Ausschuss für Schule und Sport vor kurzem eine Anhörung, in der es um die Frage der sozialen Differenzierung von mehrgliedrigen Schulsystemen und eben auch den sächsischen ging. Für uns, die GRÜNEN, hat Prof. Melzer deutlich zusammengefasst, dass natürlich eine soziale Auslese vorgenommen wird, eine soziale Auslese, bei der die Herkunft der Kinder nach der 4. Klasse bestätigt wird. Mehr nicht. TIMSS hat uns gezeigt, dass ungefähr 50 % der Bildungsempfehlungen in der Bundesrepublik falsch sind. Das heißt, es werden Kinder auf das Gymnasium geschickt, die möglicherweise den Anforderungen nicht genügen. Es verbleiben aber auch Kinder auf der Hauptschule oder auf der Mittelschule, die dort nicht hingehören.
Ich werde Ihnen einmal Prof. Jürgen Baumer zitieren: „Gut 40 % der Realschüler erreichen den Kernbereich gymnasialer Mathematikleistung und 25 % liegen sogar in der oberen Leistungshälfte der Gymnasien. Von einer leistungsgerechten Verteilung der Schüler auf Schultypen entlang ihrer individuellen Leistungsfähigkeit kann also keine Rede sein.“ Ich denke, das ist der Punkt. Wir sollten es nicht an formalen Kriterien wie Kommazahlen hinter einem Notendurchschnitt festlegen, sondern wir sollten auf individuelle Förderung und auf Kompetenzerwerb setzen. Wir sollten Schulen wirklich nicht in der 4. Klasse zu einem Wettbewerb der gnadenlosen Auslese anregen, ob nun 2,5 oder 2,33 als Notendurchschnitt zählt. Das ist überhaupt nicht wichtig. Wichtig ist vielmehr, dass wir ein Schulsystem in Sachsen haben, das es möglichst vielen Schülern ermöglicht, zu einem Schulabschluss und zum Abitur zu kommen. Wir haben eine Abiturquote von ungefähr einem Drittel. Damit sind wir weit zurück im europäischen Vergleich. Hier bedarf es mindestens einer Verdoppelung. Das bedeutet natürlich, dass wir konsequent dazu übergehen müssen, Reformen im sächsischen Bildungswesen zu realisieren.
Ich sehe nach wie vor die Gemeinschaftsschule als Einstieg in diese Reformen. Wir GRÜNEN sind der Auffassung, dass diese Selektion nach der 4. Klasse viel zu früh ist. Wir treten dafür ein, die Bildungsempfehlung gänzlich aufzuheben und es dem Entscheidungswillen
Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Herr Minister Flath, bitte.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Abg. Günther-Schmidt, nun sind wir schon einmal einer Meinung, und da sagen Sie, das müsse irgendwie ein Missverständnis sein. Ich will bei dem Thema mit Frau Falken beginnen. Sie haben gefragt, wie das eigentlich alles so zustande gekommen ist. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das ganz kurz zu erklären. Die Koalitionsvereinbarung war kein Schnellschuss, es hat einige Wochen gedauert. Darin steht: „Die individuelle Bildungsberatung ist zu verbessern und zugleich die Entscheidung der Eltern bei der Wahl der weiterführenden Schulart zu respektieren.“ Nun musste ich ja irgendwo in der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung beginnen. Das schien mir ein geeigneter Punkt zu sein. Nun darf man ja nicht vergessen, dass ich nicht viele Möglichkeiten hatte. Ich hätte natürlich gänzlich auf die Bildungsempfehlung verzichten können, das sage ich ganz offen. Das wäre mit der CDUFraktion nicht machbar gewesen. Ich hätte überhaupt nichts tun können, das wäre mit der SPD-Fraktion nicht machbar gewesen. Nun gibt es nicht furchtbar viele Möglichkeiten. Herr Herbst, Ihre Variante, die Sie hier heute vorschlagen, war mit dabei. Das wäre aber im Grunde eine Variante, wie es die Bayern machen; Herr Colditz hat es gesagt. Diese Möglichkeit hatten wir in Erwägung gezogen. Was dagegen sprach, war, dass man es erst im übernächsten Jahr hätte machen können. Es wäre unfair gewesen, mitten im Schuljahr diese Schulordnung zu ändern und ein Fach heranzuziehen, wo vorher nicht davon auszugehen war. Das hat damals dagegen gesprochen. Deshalb ging der Schritt nur mit 2,5. Dazu hat die SPD gesagt, es ist eigentlich nicht weit genug, aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Genau diese Begründung war im Übrigen auch die – wenn ich einmal an den Landesbildungsrat denke, dort haben wir das nämlich beraten, es wollte sich anschließend nicht immer noch jemand daran erinnern –, dass es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Ich habe damals auch die Regelung der Landeselternsprecherin vorgestellt, die das auch als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnet hat. Es könnte noch mehr an Freiheit für die Eltern sein. Doch es ist schon mehr Freiheit für die Eltern. Es heißt nämlich – das wird oft vergessen –, dass die Eltern sich trotz einer Bildungsempfehlung nicht so entscheiden, das heißt bei 1,0, bei 1,5, bei 2,0, bei 2,5.
Die Praxis zeigt doch: Nicht alle Kinder, die die Bildungsempfehlung Gymnasium haben, gehen tatsächlich dort hin. Das heißt doch, für eine sehr große Gruppe von Eltern gibt es in der Tat die Entscheidungsfreiheit in Sachsen. Bei 3,0 sagen wir bei der gegenwärtigen Regelung: Gut, damit kann man an das Gymnasium gehen,
aber nach bestandener Aufnahmeprüfung. Bei 3,5 sagen wir, dass es überhaupt nicht geht. – So ist es entstanden.
So richtig negativ diskutiert wurde das Ganze im Lande, als es um Mitwirkungsentzüge ging, als deutlich wurde, dass eine ganz schöne Verschiebung in dem Jahr auftrat. Mein Eindruck war, dass es so manchem im Lande ganz recht war, das auf die Änderung der Bildungsempfehlung schieben zu können in einer Art, dass man sagte: Die Schulnetzplanung war in den Landkreisen überall in Ordnung und nur durch die Änderung der Bildungsempfehlung sei jetzt hier irgendetwas passiert.
So ist dann die negative Diskussion zustande gekommen. Das glaube ich. Das ist aus den Redebeiträgen sehr deutlich geworden, obwohl sie sehr unterschiedlich angelegt waren.
Was sicherlich nicht zweckmäßig ist und was ich als Lehre hier mitnehmen würde, kurzfristig irgendetwas in die Welt zu setzen, was man wieder ändert.
Deshalb, so denke ich, ist der Änderungsantrag im Augenblick das Vernünftigste, was man tun kann, nämlich zu sagen: Das müssen wir uns genau anschauen. Wir müssen die Änderungen analysieren, die dies bewirkt hat. Wir müssen uns dies auch in der Folgezeit anschauen und mit anderen Bundesländern vergleichen. Die Regelung, die gegenwärtig in Sachsen angewendet wird, entspricht in etwa der von Baden-Württemberg. Dort bricht die Welt ja schließlich auch nicht zusammen.
Ich empfehle uns einfach, insgesamt etwas unaufgeregter damit umzugehen, das auszuwerten und dann eines Tages, wenn überhaupt notwendig, die richtigen Änderungsentscheidungen zu treffen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir haben eine äußerst interessante Debatte erlebt. Ich bin auch dem Kultusminister dankbar, dass er mit seinen offenen Worten etwas Licht in den Dschungel dieser Empfehlung oder die Art, wie sie zustande gekommen ist, gebracht hat. Das zeigt auch, wie das interne Klima in dieser Koalition ist. Martin Dulig, ich kann natürlich verstehen, dass man Frust hat, wenn man sich in der Koalition nicht durchsetzt. Aber das muss man nicht bei der FDP abladen, sondern das müsst ihr in euren internen Koalitionsrunden bitte schön klären.
Uns hier Leistungsfetischismus vorzuwerfen ist wirklich sehr, sehr billig. Da hätte ich etwas mehr Niveau erwartet. Offenbar lebt auch die SPD in einer Traumwelt. Sonst wird immer argumentiert, wenn wir Veränderungen im Schulsystem vorschlagen, man müsse die Realitäten zur Kenntnis nehmen. Genau das kommt immer von der SPD. Wenn wir an einem konkreten Beispiel genau das tun, versuchen Sie zu sagen, das zähle alles nicht.
(Vereinzelt Beifall bei der FDP – Martin Dulig, SPD: Sie müssen entscheiden, ob Sie ein Konzept haben oder nicht!)
Wir haben klar gesagt, dass unser Vorschlag eine Korrektur im bestehenden System ist. Auch wir würden uns wünschen, dass die Entscheidung später fällt, weil sie dann, wie ich glaube, besser wäre, dass, wenn nach einem längeren Lernen Talente besser sichtbar sind, über den weiteren Bildungsweg entschieden wird. Weil diese Bildungsempfehlung so, wie sie ist, offensichtlich nicht immer den Neigungen und Fähigkeiten der Schüler entspricht, stellen wir sie auf eine breitere Grundlage. Ich glaube, dass das eine fairere Basis ist, als es bisher der Fall ist. Man kann jetzt Wortklauberei, Treffsicherheit oder was auch immer betreiben.
Sie wissen genau, was bei uns gemeint ist. Wir wollen eine Empfehlung, die dem Leistungsniveau der Schüler näher kommt. Wir lehnen es ab, nur ideologisch darüber zu diskutieren und sich Begriffe um die Ohren zu werfen. Genau deswegen haben wir uns die Mühe gemacht und uns das Verfahren angeschaut. Nur einen Antrag zu stellen, man möge mal überprüfen – sorry, das ist auch ein bisschen dünn an der Stelle.
Zur Kollegin der GRÜNEN: Ich kann Ihnen nur empfehlen, einen Antrag auch mal richtig zu lesen, bevor Sie darüber sprechen. Dort steht mitnichten, dass der Elternwille in irgendeiner Form beschnitten wird. Eines wissen wir auch: Die Bildungsempfehlung heißt Empfehlung.
Es ist keine Entscheidung. Es gibt auch Klagen vor Gericht deswegen; in der Regel gehen diese zugunsten der Eltern aus; das wissen wir auch.
Deshalb nehmen wir eine Änderung im bestehenden System vor, um es treffsicher zu machen. Wir behalten uns aber weiterhin vor, über die generelle Weiterentwicklung des Systems nachzudenken, dafür zu streiten, und das werden Sie auch in Zukunft noch erleben.
Ich bin jetzt am Ende meines Beitrages; ich denke, wir hatten in der Diskussion hinreichend Zeit, die Argumente auszutauschen. Danke schön.
Meine Damen und Herren! Es gibt einen Änderungsantrag der Koalition zu Drucksache 4/2193; ich bitte um Einbringung. Herr Colditz, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt eben eine kontroverse Diskussion geführt; Einigkeit besteht über alle Fraktionen hinweg darin, dass diese aktuelle Bildungsempfehlung
zu revidieren bzw. zu evaluieren ist, und darauf läuft unser Änderungsantrag hinaus. Ich denke, bei etwas gutem Willen kann sich jeder in diesem Änderungsantrag wieder finden – auch der Antragsteller selbst. Es sollen die Überlegungen, die im FDP-Antrag enthalten sind, natürlich auch in die Analyse einbezogen werden. Wir sollten uns aber Zeit dazu nehmen, diese Analyse vorzunehmen und dann wirklich eine Regelung zu finden, die in die Zukunft reicht und die wir gemeinsam tragen können. Insofern bitte ich um Zustimmung zu diesem Änderungsantrag.
Sehr geehrter Herr Präsident! Evaluierung von Regeln für Bildungsempfehlungen klingt so, als wenn das sehr lange dauern wird, als wenn man das ausführlich machen will – keinen Schnellschuss. Ich könnte mir vorstellen und würde mir wünschen, dass wir dann schon beim längeren gemeinsamen Lernen sind, wenn das hier ein endgültiges Konzept werden sollte.
Was ich natürlich gar nicht sehe und in dem Antrag vermisse, sind zum Beispiel die Überlegungen aus den Koalitionsvereinbarungen; ich hoffe, Sie haben sich noch nicht wirklich davon verabschiedet – sowohl die CDU als auch die SPD. Wenn Sie hier evaluieren und Erfahrungen anderer Bundesländer einbeziehen wollen, dann sind Sie doch bitte so lieb und schauen mal in die anderen Länder, denn von den anderen Bundesländern können wir wesentlich mehr abschauen.
Meine Damen und Herren, dann bringe ich den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD, Drucksache 4/2409, zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dagegen ist dem Änderungsantrag mehrheitlich zugestimmt worden. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt beendet.