Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

liengründungen vor Ort, aber auch die am Standort Schneeberg beschäftigten Zivilpersonen – wir sprechen von über 120 Zivilbediensteten und 500 bis 600 länger als vier Jahre Dienenden.

Mit Sozialmaßnahmen, meine Damen und Herren, lassen sich solche absehbaren Härten für die Betroffenen auf Dauer nicht ausgleichen. Das ist meines Erachtens reine Augenauswischerei.

Nach Angaben der Bundesregierung haben strukturpolitische Gesichtspunkte bei der Entscheidung keine Rolle gespielt. Die damit verbundene rein verteidigungspolitische Maßgabe entbindet aber dennoch die Bundesregierung nicht von ihrer ganzheitlich und damit auch strukturpolitisch zu wahrenden Verantwortung.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das ist richtig!)

Sie ist in der Pflicht, meine Damen und Herren, wenn sie an der Entscheidung wider besseres Wissen festhält, dann mit einem ausreichend finanzierten Rahmen einer Strukturpolitik in enger Abstimmung mit der kommunalen Ebene Voraussetzungen zu schaffen, dass gerade in strukturschwachen Regionen, wie den eben genannten, Beschäftigungsund Wachstumspotenziale entstehen können.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Meine Damen und Herren! Darüber sollten wir aber dann reden, wenn die Entscheidung wirklich endgültig ist. Deshalb kann das erst der zweite Schritt sein. Wir sollten vorab nicht die Waffen strecken.

(Beifall bei der CDU)

Durch den regen Austausch auf verschiedenen Gebieten und die vielgestaltigen Begegnungen zwischen Bürgern und den stationierten Soldaten wurde geradezu selbstverständlich vor Ort erlebbar, was deutschlandweit wohl noch keine Selbstverständlichkeit ist, nämlich das wirkliche Zusammenwachsen von Ost und West – eine Entwicklung, die gerade auch von staatlicher Seite gefördert und eben nicht gehemmt werden sollte.

Eindrucksvoll haben wir die gegenseitige Verbundenheit von Standort und Region bei der Bewältigung der Flutkatastrophe von 2002 erlebt. Die schnelle, wirksame Hilfe, die hier seitens der Bundeswehr geleistet wurde, war eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Betriebe vor Ort und die Zivilbevölkerung bei der Beseitigung vorhandener Schäden unterstützt werden konnten.

Meine Damen und Herren! Der Standort – ich denke, das kann ich für Zeithain genauso wie für Schneeberg sagen – ist infrastrukturell, wirtschaftlich und durch soziale Bindungen in der Region verankert. Den Standort auszuhebeln heißt eine Wunde zu reißen, die die Region auf lange Zeit nicht verkraften wird. Deshalb muss auch bei der aktuellen Entscheidungslage zunächst alles für den Erhalt der Standorte getan werden. Das – ich sage es noch einmal – muss zunächst Priorität haben.

Überparteilich ist jeder von uns deshalb in seiner Verantwortungsebene gefragt. Dieses vielschichtig notwendige

Engagement muss regional dabei nicht erst initiiert werden, weil die Verbundenheit der verschiedenen Ebenen mit dem Standort schon vorhanden ist und jetzt nur umso stärker zu Tage tritt. Diese Verbundenheit kann bei der Entscheidung der Bundesregierung nicht leichtfertig ignoriert werden, sondern hat bei der Entscheidung ebenso wie die vorhandenen Sachargumente berücksichtigt zu werden.

Ich hatte es ähnlich in der Diskussion im Jahr 2000 gesagt: Für mich hat diese Entscheidung auch etwas mit dem Aufbau Ost durch die Bundesregierung zu tun. Deshalb kann es bei der getroffenen Entscheidung nicht bleiben. Wir müssen alles tun, damit sie revidiert wird. Hierzu bedarf es auch eines eindeutigen Votums dieses Hauses nach Berlin.

Deshalb bitte ich Sie herzlich um unveränderte Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich rufe die PDSFraktion auf. Herr Gebhardt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche sagte mir der Bürgermeister von Schneeberg, dass er für den Bundeswehrstandort in seiner Stadt so lange kämpfen wird, solange noch ein Soldat da ist. Dafür habe ich Verständnis. Ich habe auch dafür Verständnis, dass die Kommunalparlamente und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort lautstark ihren Unmut gegen eine Standortschließung zum Ausdruck bringen.

Die Kommune vor Ort ist wie so oft in der Politik die Leidtragende bei politischen Entscheidungen, die auf anderen Ebenen getroffen werden.

Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist der Aufschrei von Bundes- und Landespolitikern. Gerade die Bundespolitiker haben überhaupt kein Recht, ein Geschrei zu veranstalten. Der Bundesminister Struck hat den schwarzen Peter. Dabei haben seine Amtsvorgänger die Reformen der Bundeswehr eingeleitet. Der Umbau der Bundeswehr war immer ein zentrales Anliegen von Volker Rühe aus der CDU. In seinen verteidigungspolitischen Richtlinien ging es vor allem darum – Zitat –: „die Aufrechterhaltung des Welthandels und den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt zu sichern“. Sein Nachfolger im Amt, Rudolf Scharping von der SPD, baute die Bundeswehr zu einer weltweit interventionsfähigen Armee um. Dazu braucht man Geld – viel Geld. Deswegen werden die meisten Standorte aus betriebswirtschaftlichen Gründen geschlossen.

Die Bundeswehrreform hat, kurz gesagt, zwei Ziele: eine Reduzierung der Truppenstärke und eine Umwandlung der Bundeswehr in eine Armee, die sich immer stärker auf Auslandseinsätze ausrichtet. Begonnen hat dies – um es allen noch einmal in Erinnerung zu rufen – bereits 1994, als die Bundeswehr in Hauptverteidigungskräfte, die für die Landesverteidigung bereitstehen, und in Krisenreaktionskräfte, die für internationale Einsätze ausgebildet wurden, eingeteilt worden ist. Inzwischen vertei

digt die Bundeswehr laut Peter Struck deutsche Interessen am Hindukusch.

Warum erwähne ich das? Ich mache das, weil in großer Gemeinsamkeit die Bundeswehrreform über Parteigrenzen hinweg, aber gegen die Stimmen meiner Partei, im Bundestag beschlossen worden ist.

Immer dann, wenn der Bundesverteidigungsminister sich als Standortstreichminister hervortut, kommt plötzlich der kollektive, bereits oben erwähnte Aufschrei. Ich bezeichne dies als scheinheilig und verlogen.

(Beifall bei der PDS)

In einer Zeit, als Herr Struck wie bereits sein Vorgänger Herr Scharping in den Jahren 2000/2001 seine aktuelle Streichliste vorschlug, stellte die CDU-Fraktion hier im Landtag fast den gleichen Antrag. Er lautete verkürzt: Die Staatsregierung möge sich für den Erhalt der Standorte der Bundeswehr im Freistaat Sachsen einsetzen.

Herr Porsch hat bereits im Sommer 2004 die Vermutung angestellt, dass die CDU-Fraktion ihrer eigenen Staatsregierung nicht traut, weil sie immer wieder dieselben Anträge stellt. Wenn ich mir die Ergebnisse so anschaue, hat die CDU-Fraktion mit ihrem Misstrauen gegenüber der Staatsregierung irgendwie Recht. Doch vielleicht wird es jetzt mit einer neuen Staatsregierung besser, zumal wir auch einen neuen Innenminister haben.

Die Begründung fällt 2004 etwas kürzer aus als noch 2000. Geblieben sind die Argumente: Erstens, die Bundeswehr ist in Sachsen zu wenig präsent und im Vergleich zu anderen Bundesländern haben wir pro Kopf der Bevölkerung zu wenig Soldaten. Zweitens geht es wieder um das Argument, dass die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsförderung leistet. Das dritte Argument lautet – Zitat aus dem CDU-Antrag –: „Die Bundeswehr im Freistaat Sachsen muss auch weiterhin ihren Beitrag zur Akzeptanz der Bundeswehr erbringen können.“

Nun hört man häufig das Argument, am Standort Schneeberg, der in den letzten Jahren umfangreich saniert worden ist, würden mit der Schließung des Standortes Steuergelder zum Fenster hinausgeworfen oder würde – wie Herr Colditz das eben sagte – Geld in den Sand gesetzt.

Habe ich da etwas falsch verstanden? Das Geld ist doch verbaut worden. Es sind Aufträge ausgelöst und realisiert worden. Handwerker vor Ort haben einige Jahre gut leben können. Der Staat hat einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor geschaffen und erklärt nun: Wir geben unser Geld woanders aus. Das kann man natürlich kritisieren, weil das keine Nachhaltigkeit ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion! Ihre Fraktion hat doch im Bundestag zugestimmt, dass neue Großraumtransportflugzeuge für die Bundeswehr angeschafft werden sollten.

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, PDS)

Rund 5 Milliarden Euro werden sie kosten. Wollen wir einmal gemeinsam ausrechnen, wie lange man davon weiterhin den öffentlich geförderten Beschäftigungsstandort Schneeberg und andere auf der Liste der Schlie

ßungen oder Reduzierungen in Sachsen stehende Standorte betreiben könnte?

Es wird immer angeführt, dass ein großer Kaufkraftverlust für Schneeberg eintritt, wenn der Standort geschlossen wird. Weder ich noch irgendjemand anderer aus meiner Fraktion werden dies abstreiten wollen. Nur sollten wir wenigstens in diesem Hohen Haus ehrlich sein. Die Hälfte der am Standort Schneeberg stationierten Armeeangehörigen befindet sich in der Regel im Auslandseinsatz. Auch die Ausbildung der Gebirgsjäger ist in der Regel außerhalb von Schneeberg, ja außerhalb von Sachsen, nämlich in Bayern.

Wieso kommt man eigentlich auf die Idee, dass sich Militär nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten für eine Region entscheiden wird? Militär wird dies immer nach militärpolitischen Gesichtspunkten tun, zumal dann, wenn die Politik dazu die Vorgaben macht. Oder wollen wir hier im Landtag dafür Sorge tragen, dass zum Beispiel die Stadtwerke von Schneeberg den Strom und die Wärme zu einem niedrigeren, von uns subventionierten Preis abgeben? Ergibt sich daraus vielleicht der Standortvorteil, mit dem dann das militärische Management davon zu überzeugen wäre, den Standort Schneeberg nicht aufzugeben?

Friedrich Schorlemmer hat im Zusammenhang mit dem 9. November 1989 von einem Glücks- und Versäumnistag gesprochen. Versäumt wurde in den letzten Jahren eine tatsächliche Reform, nämlich die, die Abschaffung der Bundeswehr als militärische Einheit in Angriff zu nehmen. Die Abwicklung der NVA und die Reduzierung der Bundeswehr von über 500 000 Mann auf zirka die Hälfte war der richtige Schritt. Aber auch hier bleiben wir, wie bei vielen Reformen in diesem Land, auf der Hälfte des Weges stehen. Unter den heutigen Verhältnissen in Europa wäre es konsequent, dass die Bundeswehr weiter radikal schrumpft. Bei Deichbauarbeiten braucht kein Mensch eine Maschinenpistole.

Die PDS-Fraktion ist für den Erhalt der Bundeswehrstandorte in Sachsen so lange, bis andere Lösungen gefunden werden, die in Bezug auf Wirtschaftskraft und die soziale Situation in der Region gleichwertig sind.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Eine Bundeswehrreform, die einzig und allein militärischen Gesichtspunkten folgt und nicht die strukturpolitischen Folgen für die Region berücksichtigt, ist eine halbe Reform.

Trotzdem werden wir diesem Antrag wie auch schon im Jahr 2000 und im Sommer dieses Jahres nicht zustimmen können, weil er die wichtigste Aufgabe vergisst: Es geht vor allem um die Konversion. Dies würde Strukturentwicklung bedeuten. Daraus würden neue Aufträge für sächsische Unternehmen und Arbeit für Sächsinnen und Sachsen entstehen. Wir fordern ein Bundeskonversionsprogramm. Damit sollen die Folgen der aktuellen Bundeswehrreform kompensiert werden. Es muss um eine angemessene Kompensation gehen, um Entlastungsinstrumente für die betroffenen Regionen und Kommunen unter Beachtung der kommunalen Mitwirkungsrechte. Hier befindet sich die PDS-Fraktion in völliger Übereinstimmung mit Staatsminister Tillich, der am 16. Februar

2001 im Bundesrat eine finanzielle Abfederung durch den Bund als zwingend erforderlich ansah.

Der grüne Regierungspartner in Berlin sieht es ebenfalls so – ich zitiere Herrn Nachtweih, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –: „Zugleich bleibt der Bund in Mitverantwortung für die Folgen seines Tuns. Standorte in ausgesprochen strukturschwachen Gebieten dürfen nicht einfach hängen gelassen werden.“ Aus Sicht der PDS-Fraktion wäre die Einsetzung eines Bundeskonversionsbeauftragten, der Hilfestellung beim Konversionsprozess leistet, unabdinglich, zumal es auch hier bereits einen wahrhaften Dschungel von Fördermöglichkeiten, auch auf europäischer Ebene, gibt.

Begreifen wir endlich die Bundeswehrreform als Chance und versuchen wir nicht in regelmäßig wiederkehrenden Ritualen Kommunen neue Hoffnung auf den Erhalt ihres Standortes zu machen!

Wenn ich am Schluss noch einmal auf den Standort Schneeberg zurückkomme, dann deshalb, weil in unmittelbarer Nachbarschaft das Kurbad Schlema liegt. Dort ist seit 1990 in vorbildlicher Art und Weise Konversion betrieben worden. Die vor allem aus militärischen Gründen verursachten Schäden aus dem Uranbergbau sind fast völlig beseitigt. Wer hätte dem – Zitat – „Tal des Todes“ 1990 eine wirkliche Überlebenschance gegeben? Es geht darum, jetzt gemeinsame Alternativen für zu schließende Bundeswehrstandorte zu finden.

(Beifall bei der PDS)

Ich rufe die SPDFraktion auf. Herr Abg. Pecher, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vieles ist gesagt worden. Ich möchte mich bei diesem Thema auf drei Aspekte konzentrieren. Erstens: Bezüglich solcher Geschichten, die vom Bund angeschoben werden, kann man eigentlich sagen: Nichts ist entschieden, solange es nicht vollzogen wurde. Deswegen glaube ich – die SPD-Fraktion sieht das genauso –, dass wir diesem Antrag ohne weiteres zustimmen können. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Neue Argumente suchen, neu prüfen, überlegen, welche Vorteile gibt es, diese Standorte zu erhalten, das ist die Aufgabe einer Staatsregierung. Sie zu beauftragen ist an dieser Stelle auch richtig.

Zweitens: Es ist auch richtig, dafür zu sorgen, dass diese Standorte erhalten bleiben, sich darum zu bemühen, darum zu kämpfen; denn wenn diese Standorte geschlossen werden, greift genau das Thema Konversion. Hier muss man eindeutig sagen: Konversion ist Länderaufgabe, ist in erster Linie Länderaufgabe, natürlich mit Unterstützung des Bundes, mit Rahmenbedingungen, aber es ist Länderaufgabe. Wir müssen uns um Konzepte bemühen, um diese Standorte zu entwickeln. Das ist eine Tatsache.

Ich möchte noch einen dritten, sehr persönlichen Aspekt anfügen, und das insbesondere auch unter dem Thema, dass in diesem Haus Leute sitzen, die ihrer Ideologie zufolge wahrscheinlich jenseits von Stalingrad wieder Schützengräben buddeln würden. Wir hatten in der Ver