Protokoll der Sitzung vom 13.10.2006

(Beifall bei der CDU)

Sie leugnen damit die demografische Entwicklung. Sie leugnen die Notwendigkeit der Stärkung der Allgemeinbildung in der gymnasialen Oberstufe, die uns die Experten in der Anhörung sehr deutlich vorgeführt haben. Sie leugnen auch die Notwendigkeit der Stärkung der Naturwissenschaften, die letztlich mit der Reform verbunden ist. Ich verstehe Ihre Argumentation in keiner Weise.

Frau Falken, wenn Sie davon ausgehen, dass mit einer Entscheidung für einen Leistungskurs letztlich auch die Entscheidung für ein zukünftiges Studium fällt, dann muss ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, was Sie nämlich selbst zitiert haben: das Schulgesetz, in dem die Leistungsbeschreibung des Gymnasiums steht. Es heißt dort in beiden Schriften, dass das Gymnasium eine allgemeine Hochschulreife vermittelt und nicht auf konkrete Studiengänge vorbereitet. Wenn das bisher teilweise so war – es mag ja sein, dass das im Einzelfall von Schülern so gehandhabt wird –, dann muss man dem strukturell und durch entsprechende Vorgaben entgegen

wirken. Sie haben aber gerade dieser Fehlentwicklung das Wort geredet. Das ist wiederum nicht nachvollziehbar.

Zur Astronomie, Frau Falken, das wissen Sie genau, habe ich eine differenzierte Sicht. Ich will das an dieser Stelle nicht vertiefen. Sie sollten sich aber die Mühe machen, wenn Sie davon ausgehen, dass die Astronomie in der 10. Klasse weggefallen ist, sich Lehrpläne von der 5. bis zur 10. Klasse anzuschauen, in denen eigentlich gerade im Sinne dessen, was Sie gefordert haben – nämlich für den Sekundarbereich die Naturwissenschaften zu stärken –, Elemente der Astronomie enthalten sind, und zwar fächerübergreifend.

Es gibt viele Zwischenfragen. Gestatten Sie die Fragen?

Ja, bitte.

Dann beginne ich mit Frau Falken, bitte.

Herr Colditz, ich möchte Sie fragen, ob Sie die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz gelesen haben. Ich habe ausführlich in meinem Beitrag geäußert, dass ich es daraus entnommen habe, weil dort genau die Orientierung steht, dass die Leistungskurswahl entscheidend für das weitere Studium ist. Es mag schon sein, dass es die Theorie ist.

Bitte nur eine Frage stellen.

Wissen Sie, wir haben ganz einfach in unsere Überlegungen einbezogen, weil es von den Hochschulvertretern in der Expertenanhörung gesagt worden ist, dass es nämlich darum geht – das hat auch Herr Herbst in seinem Redebeitrag noch einmal bekräftigt –, nicht auf ein spezielles Studium vorzubereiten, sondern das Allgemeinwissen im Sinne einer Hochschulreife zu stärken. Das ist der Hintergrund, den wir letztlich bedienen müssen. Damit steigern wir auch den Wert des sächsischen Abiturs. Mit dem, was Sie hier wollen, geht es doch ins Leere.

Frau GüntherSchmidt, bitte.

Herr Colditz! Sie haben eben auf das Votum der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung verwiesen und ohne Not das Stichwort Astronomie gebracht. Können Sie mir erklären, warum Sie trotz des mehrheitlichen Votums in der Anhörung zum Fach Astronomie gegen das Fach gestimmt haben?

Frau Günther-Schmidt, ich muss Sie daran erinnern, dass ich dort überhaupt nicht mitgestimmt habe. Ich war zu der Zeit krank. Ich habe aber deutlich gemacht, dass ich trotzdem zu der Entscheidung stehe, weil die Astronomie fächerübergreifend von der 5. bis zur 10. Klasse in verschiedenen Fächern immanent

in den Lehrplänen enthalten ist und dass damit auch dem Anliegen, was die Befürworter des Faches Astronomie in der Klasse 10 geäußert haben, entsprochen wird.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Da können wir den Deutschunterricht abschaffen! Es wird ja immer deutsch gesprochen!)

Benachteiligung der musischen Fächer, Frau Falken, dazu schauen Sie sich einfach mal die Stundentafel an, die Ihnen auch mittlerweile durch den Ausschuss vorliegt. Sie finden dort Kunst und Musik im erweiterten Kernbereich als nicht abwählbare Fächer. Sie finden dort die Möglichkeit, dass Geschichte durch Kunst ersetzt werden kann. Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, in welchem Sinne musische Fächer benachteiligt werden.

Schließlich noch zu Ihnen, Frau Günther-Schmidt: Ich denke, Sie haben sich in Ihren Ausführungen wesentlich darauf beschränkt, die Reform und die angedachte Neustrukturierung generell infrage zu stellen. Was Sie uns aber schuldig geblieben sind, das muss ich Ihnen auch zum Vorwurf machen, sind eigene Vorstellungen. Wo sind denn Ihre Vorstellungen zur gymnasialen Oberstufe? Sie hatten lange genug Zeit, nachdem Sie im vorigen Jahr die Diskussion eröffnet haben, eigene Konzepte vorzulegen. Uns liegt aber nicht allzu viel vor.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Herr Colditz, erinnern Sie sich an Leitlinien, zu denen wir einen Antrag der GRÜNEN zur Reform der gymnasialen Oberstufe eingebracht haben, in denen wir vier Eckpunkte benannt haben, zum Beispiel Oberstufenzentren, was nach unserer Ansicht ein Modell der Oberstufenreform der GRÜNEN darstellt?

Der Antrag, auf den Sie Bezug nehmen, war nichts anderes als die Beschreibung von organisatorischen Veränderungen in der gymnasialen Oberstufe. Die Dinge, die Sie dort benannt haben – die Oberstufenzentren und die Kooperation zwischen den Gymnasien –, werden von den Praktikern abgelehnt, weil sie einfach nicht umsetzbar sind. Das ist bisher Ihr Beitrag zur gymnasialen Oberstufe gewesen. Ich kann Ihnen das nicht anders sagen, als es war, ziemlich mager an dieser Stelle.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Gibt es weitere Wortmeldungen der Fraktionen? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Herr Minister Flath, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Vielen Dank für den Streit und die umfangreiche

Meinungsbildung. Ich denke, es hat sich insgesamt gelohnt. Wir sind ein ganzes Stück weitergekommen. Ich kann damit leben, wenn ich jetzt auch nicht von Reform spreche, sondern von der Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe. Ich denke, dass die Koalitionsfraktionen die erforderlichen Rahmenbedingungen damit geschaffen haben, das in Sachsen bewährte System der gymnasialen Oberstufe mit nicht gerade schlechten Ergebnissen im Vergleich an die Bedingungen der dramatischen demografischen Entwicklung unseres Landes anzupassen. Wir brauchen zukunftssichere und für alle Landesteile gerechte Strukturen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sagen Sie die mal!)

Ich denke einmal, von einigen Rednern abgesehen, herrschte hier überwiegend Übereinstimmung.

Ich gehe noch einmal auf einiges ein, Herr Prof. Porsch. Zugleich wird dieses Modell die vertiefte Allgemeinbildung sächsischer Abiturienten stärken und damit noch konsequenter eine allgemeine Hochschulreife sichern. Zu den zentralen Anliegen gehören deshalb die Stärkung der Naturwissenschaften sowie die Fortführung von zwei Fremdsprachen bis zum Abitur, Herr Herbst.

Erwartungsgemäß löste ein erster Entwurf eine breit angelegte und in einzelnen Aspekten durchaus kontroverse Diskussion in unserem Land aus. Ich möchte mich bei allen herzlich bedanken, die sich konstruktiv in diesen Prozess eingebracht haben. Viele richtige und wichtige Argumente kamen so zur Sprache und konnten in die Überlegungen einbezogen werden.

Der Diskussionsprozess hat allerdings auch ganz deutlich eines gezeigt: Ein Modell, das alle Aspekte berücksichtigt, kann es nicht geben. Vielmehr muss es um eine tragfähige Verbindung zwischen Notwendigem und Machbarem gehen. Diesen Ansatz spiegelt die Weiterentwicklung der Oberstufe deutlich wider. Die eingangs genannten Zielstellungen wurden erreicht. Alle Gymnasien werden nunmehr zeitgleich zum Schuljahr 2008/2009 die veränderten Strukturen einführen. Die verbleibende Zeit müssen wir gut nutzen. Gegenwärtig laufen die Arbeiten an der Neufassung der Oberstufen- und Abiturprüfungsverordnung. Das Kultusministerium plant zudem eine Reihe von Informationsveranstaltungen zum neuen Modell.

Aber auch sächsische Hochschulen und Universitäten – hier gehe ich auf die Debatte ein – sollten die Zeit nutzen. Es ist ja Zeit. Wenn wir 2008 beginnen, dann sind das bis zum Sommer 2010 knapp vier Jahre, wenn die Ersten dann mit dem neuen Abitur an die Türen der Hochschulen und Universitäten anklopfen werden. Wir brauchen gute Lösungen, damit gut ausgebildete sächsische Abiturienten ihre anspruchsvolle Ausbildung in Sachsen fortsetzen. Wir haben hier noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Die vier Jahre dürften ausreichen, dass sich Hochschulen und Universitäten darauf vorbereiten.

Zur Debatte. Ich möchte mich noch einmal ausdrücklich bei Herrn Colditz, aber auch bei Herrn Dulig bedanken. Es war ja nicht gerade einfach, die Einigung herbeizuführen. Wir haben viele Stunden zusammengesessen, wir haben uns aber doch insgesamt fair verhalten, dass wir die Entscheidung tatsächlich dann nach dieser Anhörung hier im Landtag getroffen haben. Somit hatten wir die Möglichkeit, Argumente einzubeziehen.

Nun wird uns immer wieder vorgehalten – Frau Falken, Sie haben das heute wieder getan –, es sei zu wenig Zeit für Diskussionen. Ein Jahr Vorbereitung im Ministerium, wo wir das nicht etwa, wie immer behauptet wird, hinter verschlossenen Türen getan haben, sondern wir haben in die Arbeitsgruppen Praktiker einbezogen, müsste ausreichend sein. Dazu ein halbes Jahr öffentliche Diskussion – das ist ausreichend. Wir haben auch heute wieder gesehen, dass neue Argumente kaum noch vorgetragen werden.

Ihren Vorwurf verstehe ich nicht ganz, Frau Falken, dass das Modell auf eine DIN-A4-Seite passt. Es hat schon einmal Versuche gegeben, das Steuersystem auf einem Bierdeckel unterzubringen. Jeder, der etwas von der Sache versteht und sich damit beschäftigt, kann sich durchaus aus den Angaben von einer DIN-A4-Seite etwas nehmen. Herr Colditz hat das schon aufgegriffen.

Dass Sie immer noch die Notwendigkeit der Reform bestreiten, ist eigentlich nicht haltbar. Wissen Sie, Sie haben hier immer wieder protestiert, als es um Schulschließungen ging. Wenn ich nun sage, mit Schulschließungen ist es jetzt vorbei, abgesehen von einigen, die noch etwas nachzuarbeiten haben, wie die Landeshauptstadt, dann müssten Sie doch zustimmen. Dann müssten Sie auch zustimmen, dass die jetzt bestehenden 127 Gymnasien in Sachsen etwa die nächsten zehn bis 15 Jahre Bestand haben sollten. Wenn wir in drei Jahren noch 7 000 Schüler in der Klassenstufe 11 haben, ist es doch eine einfache Rechnung, also im Durchschnitt 55 pro Gymnasium.

Den Durchschnitt erklären muss ich nicht, ich will jetzt nicht zum Schulmeister werden, aber ich verweise auf die gestrige Debatte zum sorbischen Schulwesen, als ich auf das sorbische Gymnasium in Bautzen Bezug genommen habe, in dem 33 Schüler in der Eingangsklasse sind. Wenn diese einmal in der Klasse 11 ankommen, muss man erst einmal schauen, ob es wirklich noch 33 sind. Dann müssen Sie mir einmal vormachen, wie Sie diese zwischen acht oder, was ja beabsichtigt war, neun Leistungskursen wählen lassen. Das ist schier unmöglich. Etwa den Leuten vorzugaukeln, das sei zu lösen, indem man etwas kleinere Kurse zulässt, ist eine Milchmädchenrechnung. Wenn wir nicht eingreifen würden, würde eines passieren, was ich hier ganz deutlich benennen möchte: Es würde zuallererst viele Gymnasien geben, die keine Chemie mehr im Angebot hätten. Als Nächstes würde es die Physik treffen, und das in einem Land wie Sachsen! Das ist für mich unvorstellbar. Deshalb müssen wir jetzt

gegensteuern. Mit dieser Weiterentwicklung tragen wir dem Rechnung.

Frau Falken, in der Konsequenz Ihrer Rede würde das bedeuten, dass Sie sich durchaus mit weiteren Schulschließungen anfreunden könnten, um das System so aufrechtzuerhalten. Da wollen wir einmal sehen, ob damit Mehrheiten im Lande zu erreichen wären.

Dann haben Sie gesagt – darauf muss ich Sie hinweisen –, dass die Gesetzeslage anders aussieht. Sie haben gesagt, es müsste zwingend im Parlament beschlossen werden. So ist die Gesetzeslage nicht. Dennoch bin ich sehr dankbar dafür, dass wir hier im Parlament – es ist ja heute nicht das erste Mal – die Debatte dazu führen. Jeder hatte auch die Möglichkeit, im Rahmen der parlamentarischen Arbeit eigene Modelle einzubringen.

Herr Herbst, ich sehe es eigentlich wie Herr Colditz: So nahe wie heute waren wir uns noch nie,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Es sind die Herbstferien!)

bis auf die Fremdsprachen, wo ich Ihnen nicht ganz recht geben kann. Die Fremdsprachen schwächen wir nicht. Bei zwei Fremdsprachen bis zum Abitur sind wir sogar noch Vorreiter in Deutschland. Wir haben fünfstündig oder zweistündig im Angebot. Da haben Sie recht. Wir haben eine zweite Fremdsprache mit drei Stunden, eine mögliche dritte Fremdsprache wiederum mit zwei Stunden. Beachten sollten Sie aber auch, dass wir immerhin Englisch mittlerweile ab Klasse 3 anbieten. Das sollte sich auch eines Tages auszahlen, dass die Abiturienten gut gerüstet sind, was Fremdsprachen anbetrifft.

Frau Bonk, ich habe einmal versucht, Ihnen zuzuhören, weil Sie besonders von der linken Perspektive gesprochen haben. Ich habe auch versucht, mich hineinzudenken. Aber Sie haben sich selbst ein Bein gestellt, Frau Bonk. Sie haben gesagt, aus Ihrer Sicht, aus der linken Perspektive, soll Bildung keine Wege festlegen. So haben Sie das bezeichnet. Da gebe ich Ihnen ja recht. Aber genau deshalb ist, denke ich, diese Reform wichtig, um zu verhindern, dass Wege vorzeitig festgelegt werden. Sie hatten den Übergang von der Grundschule zu den Gymnasien oder zur Mittelschule gemeint. Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Aber es ist nun einmal so, dass die Entscheidung nicht endgültig ist, denn der Weg über die Mittelschule zum beruflichen Abitur erfordert 13 Jahre.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Schauen Sie sich mal die Statistik an!)

Der Unterschied besteht lediglich darin, dass ich ein Jahr länger brauche. Aber immer mehr machen auch in Sachsen von diesem Weg Gebrauch. Eines wurde aber aus der Anhörung sehr deutlich, Frau Bonk, wenn Sie zugehört haben: Wer in der 10. Klasse Physik oder Chemie abwählt, der kann in Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften oder im Medizinstudium nicht bestehen. Das wurde ja nun eindeutig hier festgehalten.

Es wurde zu den Stellungnahmen insgesamt gefragt. Sie waren überwiegend positiv, natürlich von der Wirtschaft, natürlich von den Hochschulen und Universitäten, natürlich von Eltern. Als Eltern „Klasse“ gehört haben – wie war die Umfrage im MDR-Fernsehen? –, haben 90 % gesagt, dass sie für Klasse statt Kurse seien, wie immer man das im Einzelnen auch werten mag. Es haben sich aber auch führende Wissenschaftler aus der Bildungsforschung zu Wort gemeldet. Prof. Prenzel – Frau Bonk, der ist Ihnen ja noch bekannt, er hat Sie damals fast sprachlos gemacht, als er die PISA-Ergebnisse hier vorgestellt hat – hat gesagt: Es ist nicht gerade ideal, die Naturwissenschaften zweistündig anzubieten.

Wenn man aber vor der Wahl steht, eine Naturwissenschaft fünfstündig anzubieten und die anderen abwählbar zu machen, ist er dafür, alle Naturwissenschaften zweistündig zu machen, um die Breite zu sichern und solche Wege nicht vorher festzulegen. Natürlich kann ich niemanden zu einem Ingenieurstudium zwingen, aber ich will zumindest eines sichern: dass es mit dem sächsischen Abitur, wann immer man es sich im Leben überlegt, auch noch möglich sein muss, eine Naturwissenschaft oder Ingenieurwissenschaft zu studieren. Diesem Anliegen werden wir gerecht, und ich bedanke mich für den großen Schritt nach vorn, den wir damit tun.

Danke schön.