Protokoll der Sitzung vom 11.05.2007

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP – Dr. Fritz Hähle, CDU: Was haben Sie denn für eine Schule besucht? – Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, geht an seinem Platz vorbei und antwortet dem Abgeordneten auf seine Frage.)

Wird von den Fraktionen weiter das Wort gewünscht? – Dann, bitte, Herr Staatsminister Flath.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es gebe jetzt wieder eine Menge zu sagen zu Frau Falken und Frau Günther-Schmidt.

(Heiterkeit – Dr. Fritz Hähle, CDU: Eine Absolventin des gegliederten Schulsystems!)

Aber ich will mich jetzt auf den FDP-Antrag konzentrieren und sachlich darauf eingehen.

Die individuelle Förderung aller Schüler und damit von Schülern, die versetzungsgefährdet sind, ist in Sachsen ein bildungspolitischer Schwerpunkt – insofern, Herr Herbst, stimmen wir durchaus überein. Gegenwärtig wiederholen an unseren Grund- und Mittelschulen sowie den Gymnasien 6 178 Schüler eine Klassenstufe.

Das entspricht einer Quote von 2,2 %. Vor drei Jahren waren es noch 2,7 %. Es ist sehr erfreulich, dass wir eine positive Tendenz haben.

Damit es nicht untergeht, sage ich, es gibt nur zwei Bundesländer, die eine niedrigere Quote haben. Das sind Baden-Württemberg und Thüringen. Die höchste Quote in Deutschland hat Bayern. Bayern ist aber PISA-Sieger in Deutschland. Daraus will ich nicht schlussfolgern, dass in diesem Fall etwa Bayern unser Vorbild sei, aber insgesamt können doch die Bayern nicht alles verkehrt machen. Das zeigt, dass es in Bildungsfragen einigermaßen problematisch ist, einfache Zusammenhänge herzustellen.

Wir stimmen zweifellos darin überein, dass die weitere Reduzierung der Wiederholerquote eine Herausforderung ist. Im Rahmen der bisherigen Regelungen und neuer

Fördermaßnahmen halte ich eine Senkung auf unter 2 % für durchaus realistisch. Die Basis dafür bildet der in der Stundentafel verankerte Förderunterricht. An Mittelschulen und Gymnasien wird er sowohl für leistungsschwächere wie auch für besonders befähigte Schüler angeboten. Die Grundschulen können die individuelle Förderung zudem in einem pädagogischen Entwicklungsplan dokumentieren. Für Schüler mit Teilleistungsschwächen und verhaltens- bzw. leistungsbedingten Besonderheiten müssen Entwicklungspläne erstellt werden. Individuell abgestimmte Fördermaßnahmen beinhalten selbstverständlich auch Förderunterricht, gehen aber weit darüber hinaus. Die im Antrag der FDP-Fraktion auf Förderunterricht begrenzten Maßnahmen würden hier die bereits vorhandenen Möglichkeiten einschränken.

Darüber hinaus verfügen unsere Schulen über einen Ergänzungsbereich, aus dem Stunden zur Förderung der Schüler eingesetzt werden können, also auch für abschlussgefährdete und versetzungsgefährdete Schüler. Das ist an Sie gerichtet, Frau Falken: Zurzeit liegt an Mittelschulen der Ergänzungsbereich bei über 200 %. Über 200 %!

(Widerspruch der Abg. Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS)

Und Sie gehen jedes Mal ans Mikrofon und wollen den Eindruck erwecken, dass die Situation an den sächsischen Schulen so schlimm sei, dass wir inzwischen schon EinEuro-Jobber zum Einsatz bringen.

(Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gerade erst haben Sie schriftlich die Anfrage an mich gestellt und ich habe sie ausführlich beantwortet. Der Freistaat Sachsen – ich will es hier noch einmal erklären – beschäftigt nicht einen einzigen Ein-Euro-Jobber an sächsischen Schulen. Das habe ich Ihnen schriftlich als Auskunft gegeben. Es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass Kommunen im Freistaat Sachsen als Schulträger durchaus eine sinnvolle Einsatzmöglichkeit sehen, zum Beispiel im Rahmen von Ganztagsprogrammen, Ein-Euro-Jobber zum Einsatz zu bringen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich frage mich, warum Sie die Öffentlichkeit so hinters Licht führen. Das haben Sie heute wiederum getan. Das wollte ich einmal richtigstellen.

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Bitte, Frau Falken.

Herr Flath, können Sie mir sagen, ob die über 200 % im Ergänzungsbereich zugewiesenen Stunden für die Mittelschulen die Zahlen sind, die zu Beginn des Schuljahres ausgereicht werden oder zum jetzigen Zeitpunkt?

Nach Auskunft meines Hauses – ich wiederhole noch einmal – heißt es: „Zurzeit liegt an Mittelschulen der Ergänzungsbereich bei über 200 %.“ Ich bleibe dabei, er bietet damit optimale Voraussetzungen, entsprechenden Förderunterricht über die Stundentafel hinaus anzubieten.

Zusätzlich werden mit der Förderrichtlinie zum Ausbau von Ganztagsangeboten Initiativen der Einzelschule zur leistungsdifferenzierten Förderung finanziell unterstützt. Diese Vorhaben gehen über den Förderunterricht hinaus und wirken gerade für versetzungsgefährdete Schüler. Zur Unterstützung der Arbeit können Schulen Bildungsvereinbarungen zwischen Lehrern, Schülern und Eltern abschließen. Damit werden die notwendigen Leistungen aufseiten der Schüler und der Eltern transparent und abrechenbar gestaltet. Dieses Instrument ist wichtig und stärkt die Verantwortung der Eltern bei der Begleitung, Motivation und Kontrolle ihrer Kinder. Um Lehrer zu unterstützen, den Förderbedarf von Schülern zu erkennen und auf ihn einzugehen, existiert auf dem Bildungsserver ein Materialpool zur individuellen Förderung von Schülern, der ständig aktualisiert und überarbeitet wird.

Deshalb noch einmal als Fazit zusammengefasst: Individuelle Förderung sollte auch individuelle Maßnahmen beinhalten. Nicht für jeden der betroffenen Schüler ist ein Mehr an Unterricht der Erfolg versprechende Weg. Hier können zum Beispiel Diagnostik, Beratung, Gespräche und Lernpatenschaften oder aber Förderunterricht zielführender sein. Daneben sind die Notenausgleichsregelungen in Sachsen so – Herr Herbst, insofern war es nicht korrekt, was Sie hier gesagt haben –, dass nur solche Schüler nicht versetzt werden, bei denen deutlich ist, dass die entstandenen Defizite, in der Regel in mehreren Fächern, nicht in absehbarer Zeit zu beheben sind. Darüber hinaus bieten die vorhandenen Regelungen ausreichend Spielraum, in Fragen der Versetzung immer im Interesse des Schülers zu entscheiden, auch wenn er die Voraussetzungen nicht erfüllt, jedoch seine bisherige Gesamtentwicklung erkennen lässt, dass er den Anforderungen der nächsten Klassenstufe gewachsen ist. Ich denke, das ist sinnvoll geregelt. In jedem Fall muss es das Ziel sein, vorhandene Defizite auszugleichen.

Eine Probeversetzung, wie von Ihnen vorgeschlagen, hätte zur Folge, dass neuer Unterrichtsstoff nicht ausreichend verstanden oder verarbeitet wird. So wachsen die Lücken im nächsten Schuljahr weiter, und auf der anderen Seite können die Lücken der vergangenen Stufe nicht geschlossen werden. Wenn nicht mehr die Jahresleistung zählt, Herr Herbst, sondern eine kurzfristige Anstrengung zur nachträglichen Versetzung führt, würden nachlässige Schüler vielleicht sogar in ihrer unzureichenden Arbeitsweise bestärkt. Ich glaube nicht, dass Sie das beabsichtigen, aber ich will Ihnen zumindest die Gefahr aufzeigen.

Damit nicht der Eindruck entsteht, als sei in Sachsen – –

Das ist es, was mir immer ein bisschen leid tut, Herr Herbst. Sie sind als Marketingexperte sehr aktiv, die Presse in Sachsen zu beherrschen. Es ist völlig legitim,

dass Sie versuchen, den Kultusminister zu ärgern. Das gehört zum politischen Geschäft dazu. Sie sollten aber bitte mit beachten, dass Sie aufpassen müssen, dass Ihre Kampagnen im Lande nicht dazu führen, dass die an den Schulen erbrachten Leistungen geschmälert werden. Bei meinen Schulbesuchen geht es nicht darum, dass mir ein roter Teppich ausgerollt wird. Darauf lege ich keinen Wert, schon gar nicht auf den roten. Mir wird auch nie einer ausgerollt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Nur ist es wirklich besser, eine Schule in Sachsen zu besuchen, als einer Debatte im Landtag über Schulpolitik zu folgen.

(Beifall bei der CDU)

Dort erleben Sie die Wirklichkeit. Zur Wirklichkeit gehört zum Beispiel, dass gestern die Sachsen einmal wieder – einmal wieder – am besten bei der deutschlandweiten Mathematikolympiade abgeschlossen haben. Sachsen! Die Besten!

(Beifall bei der CDU)

Zur Wirklichkeit gehört auch, dass ich gestern Vormittag einer Einladung des Bundespräsidenten folgen konnte, weil er einen Hauptschulpreis vergeben hat. Da geht es um Motivation. Wer unseren Bundespräsidenten Horst Köhler schon einmal erlebt hat, weiß, dass er das außerordentlich gut kann. Es waren drei sächsische Schüler im Hauptschulbildungsgang, eine Schulleiterin und ein Lehrer aus Sachsen anwesend, die in Ostdeutschland am besten abgeschnitten haben. Wir haben einen achten Platz belegt. Das ist ein sehr, sehr gutes Ergebnis. Ich habe mir auch die ersten drei Preisträger angeschaut.

Dabei war eine Schule aus Schleswig-Holstein, das wird jetzt Herrn Dulig besonders freuen. Sie stellte sich als Gemeinschaftsschule vor. Wenn ich es recht verstanden habe, machen die das, was unsere Mittelschulen in Sachsen leisten. Das bezeichnen sie dort als Gemeinschaftsschule, also die Verbindung von Haupt- und Realschulbildungsgang.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Die Schule hat auch dafür geworben, dass es ihnen in den letzten drei Jahren gelungen ist, dass alle Schüler versetzt werden konnten. Das ist eine realistische Sache. Eine Schule kann sich selbst zum Ziel setzen, daran zu arbeiten, aber solches zu verordnen, vielleicht gar noch von einem Staatsminister, ist der völlig falsche Weg. Man muss die Schüler erreichen, dass sie lernen wollen. Wenn der Schüler bereit ist zu lernen, dann gibt es ausreichend Möglichkeiten, dass er das Ziel der Versetzung tatsächlich erreicht. Ich denke, das ist die richtige Herangehensweise. In der Ausrichtung gibt es Unterschiede, aber in der Zielsetzung, Herr Herbst, stimmen wir durchaus überein, dass wir realistischerweise in den nächsten Jahren den Prozentsatz noch ein bisschen senken können. Wir arbeiten an Zielvereinbarungen mit den Schulen. Das ist für uns ein Thema, aber nicht in der Weise, dass wir es vom

Landtag aus verordnen können. Das wäre der falsche Weg.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Dr. Horst Metz)

Herr Herbst wird jetzt sicher das Schlusswort halten.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, wenn sich der Kultusminister ärgert, wenn er sich für Mängel im Schulsystem verantworten muss. Aber, Herr Flath, es ist nun einmal so, dass wir als Opposition auch einmal den Finger in die Wunde legen. Das war vielleicht früher anders, als wir noch nicht im Landtag saßen.

(Beifall bei der FDP)

Damit müssen Sie eigentlich klarkommen.

Wir sind im Übrigen auch stolz auf die Leistungen, die an den Schulen von den Lehrerinnen und Lehrern, die unter nicht immer einfachen Umständen versuchen, das Beste aus den Schülern zu machen, tagtäglich erbracht werden. Ich glaube, wenn wir von hier aus die Rahmenbedingungen noch etwas verbessern würden, indem wir ihnen mehr Ressourcen zur Verfügung stellen, dann wären sie auch für ihre tagtägliche Arbeit mehr motiviert.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS)

Wir haben hier in der Debatte auch erlebt, dass Sie mit Herrn Colditz relativ allein stehen. Wir haben von allen Fraktionen, inklusive SPD, überraschenderweise gehört, dass sie durchaus Sympathie für unseren Antrag haben.

Wir sind natürlich der Meinung, Herr Colditz, es ist immer eine einzelfallbezogene Förderung, weil die

Motive ganz verschieden sind. Aber wenn Sie sagen, die vorhandenen Gesetze und Verordnungen reichen aus, dann schauen Sie doch einmal hinein. Ich habe nicht erkannt, dass darin ein Rechtsanspruch auf Förderunterricht festgeschrieben ist. Papier ist nun einmal geduldig. Das erleben wir gerade bei der Novellierung der Förderrichtlinie für Ganztagsschulen. Bis heute liegt die neue Förderrichtlinie nicht vor.

Das Beispiel Baden-Württemberg, Herr Flath, um das vielleicht noch einmal zu erläutern, war so gemeint, dass man es schaffen kann, auf der einen Seite möglichst wenige Sitzenbleiber zu haben, aber dass das man auf der anderen Seite nicht auf Kosten des Leistungsniveaus erkauft, sondern beides miteinander vereinbaren kann.