Protokoll der Sitzung vom 11.11.2009

Das ist Ihnen bekannt?

Das ist klar. Das sind große Pakete.

Es wäre vielleicht günstig gewesen, wenn wir ein Faltblatt für unsere Bevölkerung und für jeden Haushalt eine Information des Ministeriums gehabt hätten, um diese Verunsicherung, die zurzeit in der Presse kursiert, nicht unter der Bevölkerung zu erzeugen.

Viele Experten streiten öffentlich über den richtigen Einsatz der Schutzimpfung. Noch nie waren sich Wissenschaftler in der Lagebeurteilung so uneinig wie derzeit bei der Schweinegrippe. Obwohl sich die Lebenssituation der Menschen in den letzten Jahren beträchtlich geändert hat, haben Seuchen und ihre Entstehungsmechanismen sich nicht geändert. Sie sind ähnlich und gleichzeitig ähnlich unberechenbar geblieben.

Bitte kommen Sie zum Ende.

Ich denke, dass die Schweinegrippe eines bewirkt hat: Sie führt uns allzu deutlich vor Augen, dass die Pharmaindustrie, die Wissenschaft und auch die Politik machtlos sind. Sie führt uns auch unser Versagen vor Augen.

Ich werde mich auf jeden Fall impfen lassen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die SPD-Fraktion erhält das Wort; Frau Neukirch, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte macht es deutlich: Schweinegrippe ist das Schlagwort, welches uns neben Wirtschaftskrise momentan am häufigsten beschäftigt.

Trotz der ganzen Zeitungsartikel, die man täglich lesen kann, ist die Verunsicherung groß. Wenig hilfreich waren in den vergangenen Wochen auch manche Hinweise von Politikern in der Zeitung, wie beispielsweise die von Herrn Tillich, dass er sich nicht impfen lasse, sondern sich lieber warm anziehen würde. Deshalb sei er gegen Grippe geschützt. Das ist ein Beispiel dafür, wie groß die Unwissenheit in der Bevölkerung ist.

Das Robert-Koch-Institut gibt jedes Jahr Empfehlungen heraus, wie man sich vor Infektionskrankheiten schützen kann. Warm anziehen gehört nicht dazu.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich hätte vielleicht an seiner Stelle bei so einer Gelegenheit auf den Mundschutz zurückgegriffen.

Ich komme nun zurück zu den ernsthaften Fragen. Die Menschen haben Angst, denke ich immer mehr. Die Krankheit breitet sich aus. Jeder kennt im Bekanntenkreis, in der Schule oder im Kindergarten jemanden, der die Krankheit schon hat. Sie ist durchaus weit verbreitet. Allein in der Schule meiner Kinder sind fünf Lehrer erkrankt. Die Frage der Ausbreitung ist demnach von der aktuellen Entwicklung eingeholt. Vor zwei Wochen waren es noch 1 800 Erkrankungen pro Woche. Derzeit liegen wir schon bei fast 10 000 Neuerkrankungen pro Woche.

Der Erkrankungsverlauf ist die nächste Unsicherheit, vor welche die Menschen gestellt sind. In dem einen Artikel liest man, dass die Symptome alle gemäßigt sind und es nicht so schlimm wäre. Daneben ist ein Artikel über den Menschen, der zuletzt an der Schweinegrippe – auch ohne Vorerkrankung – gestorben ist. Die Menschen wissen nicht: Ist es ernst oder ist es nicht ernst, soll ich mich schützen oder nicht?

Die dritte Frage ist die Frage nach dem Impfstoff. Ist er gefährlich? Ist es eine Extragefahr für mich oder wirklich ein Schutz? Wer kann mir diese Frage beantworten? Nicht zuletzt besteht die praktische Frage: Wenn ich mich impfen lassen möchte, bei welchem Arzt kann ich das tun? Es gibt bisher keine Ärztelisten, die veröffentlicht worden sind, aus denen man das ablesen könnte. Alle diese Fragen brauchen Antworten. Das Infotelefon, das die Staatsregierung eingerichtet hat, ist ein erster Schritt. Ich hoffe, dass demnächst die Informationen zur Verfügung stehen, um endgültig die Fragen der Menschen zu beantworten.

Die Kassenärztliche Vereinigung hat in dieser Woche mit der Abfrage begonnen, welche Ärzte sich beteiligen. Ich hoffe, dass diese Informationen auch bald über das Telefon abrufbar sind.

Die Grippewelle hat uns eingeholt. Es wurde bereits gesagt, dass fast 80 % der festgestellten Erreger Schweinegrippeerreger sind. Das heißt: Die saisonale Grippe rückt ein wenig in den Hintergrund. Die Schweinegrippeerreger sind doppelt so ansteckend und hoch infektiös.

Die alte Regel des Infektionsschutzes lautet: Je mehr Menschen geimpft sind, desto größer ist der Schutz für

alle. Je weniger Fallzahlen es geben wird, desto weniger Komplikationen werden auftreten und desto weniger Tote wird es geben. In diesem Punkt sollten wir uns einig sein, dass das unser Ziel sein muss.

Dennoch bleibt die Impfentscheidung eine ganz individuelle Entscheidung. Jeder muss sein Risiko abwägen und sich beraten lassen. Unsere Aufgabe ist es, die Unterstützungs- sowie Beratungsleistung und zum Schluss den Impfstoff zur Verfügung zu stellen, dass jeder, der sich impfen lassen möchte, das tun kann. Die Sachsen wollen glücklicherweise zu großen Teilen sich impfen lassen. Die Impfbereitschaft ist höher als in anderen Bundesländern.

Ich möchte das einmal sagen: Ich bin froh, in einem Land zu leben, das sich diesen Impfstoff nicht nur leisten will, sondern auch leisten kann. In vielen anderen Ländern Europas ist das Problem viel gravierender. Die Menschen haben keine Möglichkeit, an diesen Impfstoff zu kommen.

Langsam muss Klarheit ins Chaos kommen. Das Ministerium muss diese Klarheit in den Impfablauf in Sachsen bringen und bekannt geben, bei welchen Ärzten welche Impfstoffe zur Verfügung stehen. Sollte es so sein, dass Nicht-Risikopatienten länger warten müssen, dann muss das klar kommuniziert werden, und dann ist regelmäßig darüber zu informieren. Die derzeitige Verwirrung schadet auch dem Vertrauen in unser Gesundheitswesen. Das können wir alle nicht wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Für die Fraktion GRÜNE Frau Giegengack, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin neu im Landtag und muss mich erst mit den Gepflogenheiten hier vertraut machen. So enthält die Geschäftsordnung die eigenwillige Regelung, dass man einen Minister, obwohl er einem direkt gegenübersitzt, in einer Ausschusssitzung nicht fragen darf. Eine andere Besonderheit ist, dass mündliche Fragen, die im Plenum gestellt werden sollen, eine Woche vorher schriftlich einzureichen sind. Vor diesem Hintergrund bzw. bei diesem empfindlichen Verhalten der Regierungsparteien ist es für mich durchaus etwas verwunderlich, warum ein Thema zur aktuellen politischen Debatte auf die Tagesordnung gesetzt wird, das grundsätzlich nur aus Fragen besteht. Warum also das Thema?

Wenn man die Medienberichterstattung der letzten Wochen und Monate verfolgt hat, stellt man fest: Eine politische Diskussion um Grippe und Impfungen dagegen ist so gar nicht gelaufen. Es geht um Adjuvantien und irgendwelche Zehnerpacks von Impfstoffen, aber es gibt keine direkte politische Diskussion. Hier ist auch der Knackpunkt, warum dieses Thema auf die heutige Tagesordnung gehievt wurde.

Ich gehe von Folgendem aus: Die Ministerin möchte, dass wir uns hier mit Fragen der Grippe und der entsprechenden Schutzimpfungen auseinandersetzen. Sie möchte uns ins Boot holen, damit sie, wenn die Sache aus dem Ruder läuft, nicht allein dasteht. Wir GRÜNE werden der Ministerin ihre Verantwortung für dieses Problem nicht abnehmen.

Viele der von meinen Vorrednern schon angesprochenen Probleme sind durchaus hausgemacht. Es ist nicht geklärt, wie gefährlich die Grippe tatsächlich ist. Über den Impfstoff werden intensive Diskussionen geführt. Hier wurde eine entsprechende Zwischenfrage gestellt. Es gibt verschiedene Impfstoffe – warum? Die Impfregelungen sind nicht geklärt. Die Haftungsfrage halte ich für einen neuralgischen Punkt. Auch die Ärzte fühlen sich in vielerlei Hinsicht allein gelassen. Das ist ganz klar auf das Agieren unserer Gesundheitsministerin und der Gesundheitsminister anderer Länder sowie des Bundes zurückzuführen.

Frau Ministerin, wenn Sie der Überzeugung sind, von der Schweinegrippe gehe die Gefahr einer Pandemie aus, dann fordere ich Sie auf, klare Ansagen zu machen, eindeutige Anweisungen zu geben und diesen Wirrwarr und die Unklarheit endlich zu beenden. Die Bevölkerung muss wissen, was auf sie zukommt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sind Sie jedoch der Meinung – das vermute ich auch aufgrund Ihrer persönlichen Äußerungen zur Grippeschutzimpfung eher –, dass von dieser Schweinegrippe keine Pandemiegefahr ausgehe, dann beenden Sie die leidige Diskussion. Sagen Sie ganz klar, wer unmittelbar gefährdet ist.

Nunmehr möchte ich zwei Punkte ansprechen, die noch nicht deutlich geworden sind, die mir aber sehr am Herzen liegen.

Erstens. Die leidige Auseinandersetzung über den Impfstoff führt meines Erachtens dazu, dass die grundsätzlichen Impfgegner Wasser auf ihre Mühlen bekommen. Ich befürchte, dass als Konsequenz aus der leidigen Diskussion um die Schweinegrippeimpfung in Sachsen die Impfbereitschaft in Bezug auf viele andere Infektionskrankheiten wie Kinderlähmung, Diphtherie und Keuchhusten langfristig zurückgeht. Das hielte ich für unverantwortlich. Eine solche Konsequenz müssten Sie sich aber auf Ihre Fahnen schreiben lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der zweite Punkt wurde schon mehrmals angeführt. Sie reden sich immer mit dem Satz heraus: „Sie müssen das vertrauensvoll mit ihrem Hausarzt besprechen.“ Das würden einige gern tun. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht über die unterschiedlichen Zugangsberechtigungen von Privatpatienten und Kassenpatienten bei Ärzten auslassen. Natürlich hat es ein Privatpatient – viele von Ihnen sind sicherlich welche – durchaus einfacher, sich Beratung zu holen.

Es ist Ihnen sicherlich auch bewusst – Herr Tillich hat es in seiner Regierungserklärung angesprochen –, dass wir in bestimmten Regionen unseres Landes einen Hausarztmangel verzeichnen. Den dort lebenden Menschen zu empfehlen, sich vertrauensvoll an ihren Hausarzt zu wenden, empfinde ich in gewisser Weise als Hohn.

Letztlich zeigt sich in diesem Punkt eine verfehlte Gesundheitspolitik der letzten Jahre, die – so sieht es angesichts der Farbenkombination aus – wohl so weitergehen wird. Auch die Koalition im Bund wirft mit ihrer Gesundheitspolitik schon dunkle Schatten voraus.

Vielen Dank!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die NPDFraktion Herr Dr. Müller.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist etwas undankbar, als siebter Redner zu demselben Thema zu sprechen. Ich möchte versuchen, eine gewisse Chronologie hineinzubringen.

Ich werbe für einen goldenen Mittelweg zwischen der medial entwickelten Unruhe – teilweise ist sie in einen gewissen Selbstlauf übergegangen –, die sich um die Frage der Gefährdung durch das H1N1-Virus oder durch die Impfstoffe dreht, und der Verdrängung des Problems, zu der es in manchen Teilen der Bevölkerung kommt.

Was haben wir? Wir haben die pandemische Ausbreitung eines Influenza-A-Virus mit dem Genom H1N1. Schon früher konnten wir so etwas beobachten. Deshalb sind im Moment – wegen der genetischen Erinnerung – Ältere ohne chronische Vorerkrankungen weniger gefährdet als Menschen im mittleren Lebensalter.

Gegenwärtig verzeichnen wir in der Bundesrepublik 40 000 Erkrankte und zwölf Tote. Es ist aber weitgehend gesichert, dass die meisten davon chronisch vorerkrankt waren. Von der WHO wird die Letalitätsrate unter den Erkrankten auf 0,4 % geschätzt. Ähnliches hat Frau Schütz schon gesagt. Die Letalitätsrate liegt damit unter der einer saisonalen Grippe. Natürlich ist jeder Tote ein Toter zu viel. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass in der Bundesrepublik täglich neun Menschen im Straßenverkehr und jährlich Tausende an der saisonalen Influenza sterben.

Kommen wir zum zweiten Punkt: Impfstoff und Impfstoffmangel. In absehbarer Zeit verfügbar sind Pandemrix von Glaxo als Spaltimpfstoff und Celvapan von Baxter als Ganzvirusimpfstoff. Man sollte vielleicht auch als Nichtmediziner wissen, wie der Impfstoff hergestellt wird: Die Viren werden im Hühnerei angezüchtet und bebrütet. Dieser Vorgang braucht Zeit; am Ende steht nur eine begrenzte Menge an Virusmaterial zur Verfügung. Bei Pandemrix werden Virusgenome in verschiedene Bestandteile aufgespaltet; das ist auch bei anderen Impfstoffen üblich. Deswegen werden Adjuvantien hinzugefügt. Es handelt sich im Grunde genommen um standardisierte Verfahren. Bei der Herstellung der Impfstoffe hat man

sich auf die Erfahrungen aus der Herstellung der H5N1Impfstoffe gestützt. Adjuvantien sind biologische Substanzen. A S 03 wird von Glaxo in Pandemrix angewendet und ist auch in anderen Arzneimitteln sowie in Kosmetika und teilweise sogar in Lebensmitteln enthalten. Die Partikelgröße beträgt 120 bis 200 Nanometer. Damit sind die Partikel sogar noch etwas größer als Nanopartikel. Man kann nun glauben oder nicht, dass diese nicht die unkontrollierbaren Wirkungen auslösen wie die „richtigen“ Nanopartikel. Das ist sicherlich ein strittiger Punkt. Aber das ist nichts, was bei dem Wirkstoff jetzt völlig neu erfunden worden wäre.

Allerdings sehe ich es als kritisch bzw. problematisch an, dass man bereits nach dem ersten Auftreten 50 Millionen Impfdosen bestellt hat, ohne wirklich zu wissen, wie sich H1N1 hinsichtlich Erkrankungshäufigkeit und Erkrankungsschwere entwickelt. Jetzt hat man Verträge mit der Pharmaindustrie. Dementsprechend werden Bedenken geäußert, dass diese Maßnahme nur zur Finanzierung der Pharmaindustrie gelaufen ist. Ich denke, das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, weil Verträge, die bestehen, auch erfüllt werden. Das alles wird sicherlich nicht zur Impffreudigkeit der Bevölkerung beitragen, weil man immer diesen Wirtschaftsaspekt im Hinterkopf haben wird.