Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es noch einmal betonen, auch wenn es meine Vorredner bereits gesagt haben: Sicherungsverwahrung ist keine Strafe. Im Gegensatz zur Freiheitsstrafe knüpft sie nicht an eine konkrete Tat an, sondern an die für die Zukunft prognostizierte Gefährlichkeit für die Allgemeinheit – und das genau ist schwierig. Ob diese besondere Gefährlichkeit tatsächlich vorliegt, kann niemand wirklich sagen. Die Methoden zur Einschätzung der Gefährlichkeit gelten als wissenschaftlich nicht ausreichend fundiert, und das ist das absolute Dilemma, dem wir mit diesem Gesetzentwurf Rechnung tragen müssen.
Ziel der Sicherungsverwahrung ist gemäß § 2, die Gefährlichkeit der Untergebrachten für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst
bald auf Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann. Dieses Ziel soll durch intensive Betreuung in der Sicherungsverwahrung erreicht werden, und ich glaube – Kollege Biesok hat darauf hingewiesen –, dass der Zusammenhang mit dem Strafvollzug, den wir gerade beim vorigen Gesetz besprochen haben, gegeben ist. Es wird also auch daran zu messen sein, ob bereits im Strafvollzug ausreichende Therapien zur Verfügung gestellt werden, um eine nachfolgende Sicherungsverwahrung möglichst überflüssig zu machen. Das hat etwas mit Personal zu tun, das wir in ausreichender und entsprechend ausgebildeter Art und Weise im Strafvollzug und in der Sicherungsverwahrung brauchen.
Es handelt sich bei den Menschen, über die wir hier sprechen, die in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden sollen, meist um Männer, die schwere Straftaten begangen und ihre Schuld schon verbüßt haben, ihre Strafe also abgesessen haben. Diese Menschen verfügen entweder über überhaupt keine sozialen Kontakte oder haben nur ganz vereinzelt Kontakte, und es hat sich gezeigt, dass sie die bis dahin angebotenen Therapien entweder nicht in Anspruch genommen oder diese nicht ausgereicht haben bzw. Therapien nicht in ausreichendem Maße angeboten werden, sodass eine Sicherungsverwahrung notwendig geworden ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat dafür nun Mindeststandards festgeschrieben, unter denen die Sicherungsverwahrung zulässig sein soll. Dabei hat es festgelegt, dass sich die Sicherungsverwahrung eklatant vom Strafvollzug unterscheiden muss, und – dies wurde bereits gesagt – es gilt das sogenannte Abstandsgebot. Ob wir mit den Regelungen, die uns heute in dem Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung vorgeschlagen werden, diesem Abstandsgebot ausreichend Genüge tun, wird sich hinterher zeigen. Ich bin der Meinung, dass der Versuch unternommen wurde, dem Abstandsgebot zu entsprechen und einen freiheitsorientierten und auf Therapie gerichteten Vollzug zu gestalten, auch wenn ich mir Teile der von den Kollegen vorgebrachten Kritikpunkte annehmen kann. Allerdings denke ich gleichzeitig, dass wir gerade wegen der Schwierigkeit, dieses Abstandsgebot zu definieren, Probleme haben, uns Sicherheit zu verschaffen, ihm zu genügen.
Ich möchte zwei Punkte aufgreifen. Ein wesentliches Kriterium betrifft die Unterbringung in entsprechenden Hafträumen. Dass es dabei nicht genügt, Hafträume einfach als Zimmer zu bezeichnen, ist klar. Vielmehr müssen diese Lebensbedingungen in der Sicherungsverwahrung weitgehend denen der Welt draußen entsprechen. Es muss also mehr Lebensraum als im Gefängnis zur Verfügung stehen. Deshalb ist es gut, dass nun auch 20 Quadratmeter im Gesetz festgeschrieben wurden. Trotzdem gibt es beispielsweise keine eigene Kochgelegenheit und keinen eigenen Kühlschrank. An dieser Stelle können wir uns sicher streiten, ob dies eher dazu beitragen würde, dem Abstandsgebot zu genügen.
Ich habe noch ein anderes Problem: Ich denke, überhaupt nicht ausreichend berücksichtigt wurde die Problematik weiblicher Untergebrachter. Das wird die absolute Ausnahme sein; aber bei der Trennung männlicher und weiblicher Untergebrachter, die ja festgeschrieben ist, kann dies bedeuten, dass weibliche Untergebrachte quasi in Einzelhaft und absoluter Isolation leben müssen, einmal abgesehen von den Maßnahmen der schulischen und beruflichen Qualifizierung, bei denen diese Trennung nicht vorgesehen ist. Wir müssen also noch einmal überlegen, wenn weibliche Gefangene eventuell in Sicherungsverwahrung untergebracht werden sollen, wie wir das machen sollten, um diskriminierende und menschenrechtlich nicht zulässige Unterbringung zu vermeiden. Das wäre für mich ein Punkt, für den ich aber keinen konkreten Vorschlag zu machen habe.
Noch ein Satz zum Schluss: Es wird so sein, dass gerade in der Sicherungsverwahrung ältere Menschen untergebracht sein werden. Sie haben ihre Freiheitsstrafe bereits hinter sich und aus bestimmten Gründen ist die Sicherungsverwahrung notwendig, vielleicht auch längerfristig. Das heißt, es sind ältere Menschen, mit denen wir dort umgehen müssen – mit allen Problemen, die ins Haus stehen, und darauf müssen wir vorbereitet sein.
Ich habe meiner Fraktion die Zustimmung empfohlen, auch wenn ich in einer Zwickmühle bin, was das Abstandsgebot betrifft.
Abschließender Redner in der ersten Runde der allgemeinen Aussprache ist Herr Delle für die NPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einmal mehr hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom
4. Mai 2011 einen gesetzgeberischen Akt der etablierten Politik für verfassungswidrig erklärt, in diesem Falle die Bestimmungen im Strafgesetzbuch über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.
Das BVG hat in diesem Urteil gleich einen ganzen Katalog von Anforderungen benannt, den die bisherige Rechtslage in verfassungswidriger Weise nicht entsprochen hat. Mit anderen Worten: Die noch bis zum 31. Mai 2013 geltenden Bestimmungen der Sicherungsverwahrung sind nicht nur marginal, sondern ganz essenziell und gleich in vielfacher Hinsicht verfassungswidrig.
Hierzu kurz im Einzelnen: Das BVG hat in seiner vorgenannten Entscheidung festgestellt, dass die bisherige Regelung zur Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht einmal den Mindestanforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt – desjenigen Rechtsprinzips also, das nach dem Grundgesetz gleichsam die Basis jeden geltenden Rechts bilden soll.
Die bisherigen Regelungen aber – so das BVG weiter – gewährleisten nicht einmal strukturell die Wahrung der verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die
Damit noch nicht genug: Sie können – so das BVG – nicht einmal im Wege der Auslegung so interpretiert werden, dass ihre Verfassungsmäßigkeit noch gewahrt ist. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Vor diesem Hintergrund lässt keine der zur Überprüfung gestellten Vorschriften eine verfassungskonforme Auslegung zu.“
Noch deutlicher lässt sich der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit eigentlich nicht mehr begründen, meine Damen und Herren. Und dabei ist dieses nun eindeutig als verfassungswidrig enttarnte bisherige Sicherungsverwahrungsrecht beileibe kein Einzelfall der tagtäglich gelebten und bewiesenen Verfassungsfeindlichkeit der etablierten Politik. Im Gegenteil: Es ist geradezu exemplarisch für Ihr politisches Agieren, dass systematisch und alle Jahre wieder Gesetze und Verordnungen Ihrer politischen Couleur vom BVG wegen krassester Verfassungswidrigkeit gestoppt werden müssen. Den gleichen politischen Schreibstuben also, in denen der absurde Vorwurf der Verfassungswidrigkeit gegen die NPD beschworen und postuliert wird, entspringen ihre ganz ureigenen verfassungswidrigen Machwerke, die Ihnen dann in Regelmäßigkeit vom Bundesverfassungsgericht um die Ohren gehauen werden.
Aber wie immer, wenn es darum geht, die Anforderungen des Grundgesetzes in die Praxis des deutschen Rechtsstaates umzusetzen, ist auf die NPD Verlass. Aus diesem Grund unterstützen wir den Gesetzentwurf der Staatsregierung, denn er dient endlich und erstmals der Herstellung verfassungsmäßiger Verhältnisse im sächsischen Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.
Die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag sieht sich durch das Bundesverfassungsgericht darin bestärkt, meine Damen und Herren, dass die wahren Gegner der Verfassung eben nicht in unseren Reihen, sondern in Ihren politischen Reihen sitzen.
Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde der allgemeinen Aussprache. Mir liegen keine Wortmeldungen für eine zweite Runde vor. Ich frage trotzdem die Abgeordneten der Fraktionen: Möchte jemand das Wort ergreifen? – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage, ob die Staatsregierung das Wort ergreifen will.
Es gibt jetzt eine Wortmeldung und ich würde noch einmal zurückgehen. Herr Bartl, ich hatte Sie sicherlich übersehen. Ich eröffne eine zweite Runde. Herr Bartl, Sie dürfen das Wort ergreifen.
die ich mir jetzt gestattet habe; Entschuldigung. – Ich will noch zwei, drei Aspekte nennen unter dem Gesichtspunkt, was Kollege Biesok von der Fraktion der FDP und meine verehrte Frau Kollegin Herrmann von der Fraktion GRÜNE gesagt haben.
Wir hatten vor circa vier, fünf Jahren eine Expertenanhörung, bei der es um die Frage ging: Wie hoch ist die Prognosesicherheit bei der Sicherungsverwahrung? Dort haben die Fachexperten – Psychiater, Psychologen, Kriminologen – gesagt: 15 %. Im Klartext heißt das: Wenn ich 100 Prognosefälle habe, liege ich in 85 Fällen falsch und bei 15 richtig. 15 % Prognosesicherheit gestatten sich die Experten.
Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht gesagt – bei den Sicherungsverwahrten unter dem Maßstab Europa –, dass das Leben im Vollzug der Sicherungsverwahrung den allgemeinen Lebensbedingungen anzugleichen ist, soweit nicht – das ist jetzt der Maßstab – Sicherheitsbelange entgegenstehen. Sie haben aber in vier Bestimmungen in diesem Gesetz neben Sicherheit auch „Ordnung“ drinstehen. Bei der Briefkontrolle, bei der Zimmerausstattung, bei der Untersagung des Schriftwechsels steht neben Sicherheit immer auch „Ordnung“ drin. Das ist vergleichbar mit dem Versammlungsrecht, wo ich nach Brokdorf Ordnung auch nicht heranziehen kann.
Deshalb hat Frau Herrmann die Frage aufgeworfen: Sind in dem Abstandsgebot nicht hinreichend drin? Die Ordnung als Kategorie zum Beispiel, dass die Nutzung des Zimmers mit bestimmten Anpflanzungen die Ordnung stören könnte, kann unter dem Aspekt der weitestgehenden Angleichung an das Leben in Freiheit nicht als Kriterium gelten und ist auch nicht haltbar, genauso bei der Frage der Briefkontrollen oder der Problematik der Rechte zur Durchsuchung von Räumlichkeiten und Ähnlichem mehr. Wir sehen den Aspekt, dass wir als Gesetzgeber in der Begrifflichkeit ohne Not direkt in weitere Verfassungsbeschwerden und Rechtsschritte
Ich frage nach weiteren Wortmeldungen in der zweiten Runde. – Es gibt keine mehr. Ich frage Herrn Staatsminister Dr. Martens. – Sie möchten das Wort ergreifen. Herr Minister, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt heute – man ist geneigt zu sagen: am Tag des sächsischen Justizvollzuges –
der Entwurf eines Sächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes – ich habe mir die Bezeichnung nicht ausgedacht – zur Beschlussfassung vor.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2011 mit den damaligen Regelungen zur Sicherungsverwahrung aufgeräumt und gesagt: Das ist mit dem Grundgesetz so nicht vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bund und den Ländern gesagt, bis 1. Juni 2013 habt ihr ein Konzept vorzulegen, das den nachfolgenden Grundsätzen gerecht wird, und hat insbesondere sein Abstandsgebot formuliert. Das Abstandsgebot heißt: Sicherungsverwahrung ist keine Strafhaft.
Es ist doch eigentlich ganz einfach: Die Bezeichnung des jetzt vorliegenden Gesetzes ist eigentlich viel komplizierter als der tragende Grundgedanke: Sicherungsverwahrung ist keine Strafhaft. Offensichtlich fällt es schwer – vor allem in der öffentlichen Diskussion –, dies so nachzuvollziehen: Sicherungsverwahrung ist keine Strafhaft. Punkt.
Die Straftat ist mit der Strafhaft abgegolten. Die Sicherungsverwahrung ist kein Übel, dass für eine Straftat zugeführt wird, sondern eine Maßnahme zur Verhinderung weiterer Straftaten. Sie bezieht sich auf die Gefährlichkeit des Untergebrachten. Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht völlig zu Recht verlangt, dass die Sicherungsverwahrung einen Vollzug braucht, der freiheitsorientiert und therapiegerichtet ist.
Dies folgt schon aus dem Grundsatz der Sicherungsverwahrung als Ultima Ratio, als letztem Mittel zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von ehemaligen Straftätern ausgehen. Das heißt, die Dauer der Sicherungsverwahrung muss so gering wie möglich gehalten werden. Sie ist auf das unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren.
Der Bund hat mit seinem Gesetz vom Dezember 2012 reagiert und ein Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes formuliert, das Richtschnur für die Landesgesetze ist. Wir haben in Sachsen intensiv geprüft, welche speziellen Regelungen für die Sicherungsverwahrung erforderlich sind. Dieser Gesetzentwurf setzt die Forderungen aus Karlsruhe konsequent um.
So sind den Untergebrachten die zur Verminderung ihrer Gefährlichkeit erforderlichen Therapiemaßnahmen anzubieten. Die Sicherungsverwahrten werden regelmäßig in Wohngruppen untergebracht, und die Vollzugsgestaltung ist darauf auszurichten, die Untergebrachten zur Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Gefährlichkeit zu motivieren.
Das Gesetz verzichtet, wie auch sonst im Maßregelvollzug üblich, bewusst auf Disziplinarmaßnahmen. Die Untergebrachten sollen befähigt werden, Konflikte einvernehmlich zu lösen.
Die Untergebrachten erhalten einen Rechtsanspruch auf mindestens vier Ausführungen im Jahr. Ziel der Ausführungen ist es, die Lebenstüchtigkeit der Untergebrachten trotz eines sehr langen Vollzuges zu erhalten, der sie in die Lage versetzt, vielleicht eines Tages wieder einmal in Freiheit leben zu können. Sobald anhand therapeutischer
Maßnahmen ein entsprechender Stand erreicht ist, geht es um das Risiko- und Rückfallmanagement. Das heißt, es sollen schrittweise Strategien in therapeutischer Begleitung erprobt werden. Neben dem Aufbau und der Intensivierung von sozialen Kontakten wird es auch um gestufte, vollzugsöffnende Maßnahmen gehen, zum Beispiel die Unterbringung im offenen Vollzug oder die Kontaktaufnahme mit externen Einrichtungen.
Der Entwurf berücksichtigt aber auch die berechtigten Belange der Sicherheit. Die Aufgabe des Vollzugs, der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist es, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Wir verfolgen dabei konsequent das Ziel, eine sichere Unterbringung mit den Vorgaben des Verfassungsgerichts nach einem freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug zu verbinden. Das heißt, ein Sicherungsverwahrter ist zu entlassen, wenn ein Gericht festgestellt hat, dass seine Gefährlichkeit nicht mehr fortbesteht. In der Tat ist es eine sehr hohe Hürde, bis ein Gericht festgestellt hat, dass jemand nicht mehr gefährlich ist. Aber in diesem Fall ist er zwingend zu entlassen. Das gebietet das Grundgesetz, das sind die Ansprüche, die jeder Untergebrachte hat. Aufgabe des Justizvollzugs und der Justiz ist es, die Sicherungsverwahrten hierauf vorzubereiten und den Zeitpunkt zu erkennen, an dem eine Entlassung möglich und geboten ist.