Protokoll der Sitzung vom 19.11.2015

Dabei spielt aber nicht nur Geld eine Rolle. Bei diesem Thema kursieren die kuriosesten Gedankenspiele.

So will Minister de Maizière die Bildungsstandards senken, um Flüchtlinge schneller in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu kann ich nur sagen: Das ist der falsche Weg, Herr Minister. Wir haben in Deutschland über Jahrzehnte hinweg einen Standard erschaffen, einen Standard, auf den wir stolz sein können, einen

Standard, der es uns ermöglicht, auch zukünftig weltweit konkurrenzfähig zu sein.

Diese hohen Standards dürfen nicht infrage gestellt werden; denn wir in Deutschland haben keine großen Ressourcen an Bodenschätzen. Unsere Ressource ist eine dauerhafte und solide Bildung, welche auch künftig kluge Köpfe hervorbringt. Selbst dieser Standard ist im weltweiten Vergleich nach PISA nur Mittelmaß.

Die Wirtschaft und vor allem das Handwerk beschweren sich bereits jetzt über die offenbar immer schlechter werdenden Schulabsolventen und über die kontinuierliche Verschlechterung der Kenntnisse, welche die Ausbildungsanwärter teilweise mitbringen.

Natürlich sorgt auch der demografische Wandel dafür, dass die Auswahl an potenziellen Auszubildenden stark zurückgeht. Es verwundert nicht, dass die Wirtschaft und das Handwerk in den Zuwanderern eine Chance sehen, um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen. Hierbei hätte die Politik aber von Anfang an mit offenen Karten spielen müssen. Die Fachkraft, von der allzu gern gesprochen wird, ist die absolute Ausnahme.

Der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist zu entnehmen, dass 81 % der ankommenden Menschen über keinerlei nennenswerte Kenntnisse verfügen, um in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. 11 % haben eine berufliche Ausbildung und nur 8 % eine akademische Ausbildung.

Hinzu kommt, dass Standards in anderen vor allem NichtEU-Ländern in keiner Weise mit deutschen Standards vergleichbar sind und ein nicht zu unterschätzender Teil der Menschen alphabetisiert werden muss.

Spricht man mit Wirtschaftsverbänden und Ausbildungsbetrieben, stellt man ganz schnell fest, dass die Sprache ein wichtiger Schlüssel ist, um überhaupt die Chance zu haben, eine Ausbildung in Deutschland erfolgreich abschließen zu können. Hier scheiterten schon viele junge EU-Bürger aus Spanien und Tschechien, welche zum Teil schon mit Sprachkenntnissen in Deutsch ankamen.

Lothar Semper, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, sagt indes, dass 70 % der Flüchtlinge, die im Jahr 2013 mit einer Ausbildung begannen, diese jetzt bereits abgebrochen haben, weil ihnen zum Beispiel das Lehrlingsentgelt monatlich zu gering war. So funktioniert Integration definitiv nicht.

Integration funktioniert ebenfalls nicht, indem wir für Flüchtlinge den Mindestlohn abschaffen, weil genau dieser Schritt zu erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen führen würde. Damit die Wirtschaft und die Flüchtlinge sowie die gesamte Gesellschaft gleichermaßen profitieren, sollten wir unbedingt darüber sprechen, wie wir die verfehlte Asylpolitik wieder vom Kopf auf die Füße stellen und die unkontrollierte Zuwanderung beenden.

Anhand des derzeitigen Zustandes sollte auch dem Letzten klar sein, dass wir uns hier deutlich übernommen haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Auch für Sie, Kollege Beger von der AfD-Fraktion, noch einmal der Hinweis: freie Rede, Stichworte, keine ausformulierten Texte, damit wir auch jeden in dieser Rederunde gerecht behandeln.

Als Nächstes ergreift Frau Zais für die Fraktion GRÜNE das Wort. Ich erkenne schon ihren Stichwortzettel.

(Präsidentenwechsel)

Aha, Präsidentenwechsel! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der Aktuellen Debatte lautet ja „Geflüchtete über Sprache, Ausbildung und Beschäftigung integrieren – Angebote der Kammern und Wirtschaftsunternehmen annehmen“. Ich habe aber jetzt streckenweise gedacht, dass ich in einem sehr trockenen Vortragsseminar über das Thema Integration und Spracherwerb in Bezug auf Integration sitze, weil das, was tatsächlich im Moment in Sachsen passiert, bis auf wenige Ausnahmen in dieser Aktuellen Debatte noch keine Rolle gespielt hat.

Was war denn das Angebot der Industrie und der Handwerkskammer, Kollegin Neuhaus-Wartenberg? Sie haben ja zum Beispiel auf das Projekt aus Leipzig verwiesen. Es gibt viele gute Projekte. Die sächsische Industrie hat eine erstaunlich hohe Bereitschaft, Geflüchtete in Beschäftigung zu bringen. Es gibt Tausende freie Lehrstellen. Auch hier steht die Industrie, stehen die Ausbildungsbetriebe Gewehr bei Fuß und würden gern ausbilden. Warum tun sie es nicht? Es ist relativ einfach, und jeder von uns, der ein Unternehmer wäre und einen Ausbildungsplatz hätte und dann einen interessierten Flüchtling hat, der vielleicht auf das Profil dieser Stelle passen würde, muss dann allerdings feststellen, dass dieser junge Mann oder diese junge Frau zwar eine Aufenthaltsgestattung hat, aber mit dieser Aufenthaltsgestattung nicht viel anzufangen ist; denn sie gilt nur für wenige Monate und muss regelmäßig erneuert werden. Das ist natürlich schwierig. Jeder Unternehmer, der sich mit so einer Situation konfrontiert sieht, wird natürlich diesen jungen Bewerber ganz unabhängig vom Sprachstand nicht einstellen. Deswegen ist diese Debatte, die heute hier von der LINKEN angeregt wurde, eine wichtige Debatte, denn es geht nämlich im Kern dieser Debatte um die Rahmenbedingungen für Integration und mit Blick auf den Arbeitsmarkt zuallererst um die rechtliche Situation, insbesondere die Fragen des Aufenthaltsstatus für Leute, die zu uns kommen.

Wie war die Praxis über die Jahre? Das gehört natürlich auch in die Debatte. Über Jahrzehnte ist, gerade wenn es um die Frage der Arbeitsmarktintegration geht, Deutschland von Abschottung, von Abwehr und auch von Verhin

derung der Integration geprägt gewesen. Da, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat sich trotz Änderungen und aktueller Anpassungen nach wie vor tatsächlich nicht viel geändert. Wir haben keine gravierenden Verbesserungen erreicht. Wir haben keine Entbürokratisierung. Auch das kritisieren zu Recht die Handwerkskammern und die Betriebe. Wir haben nach wie vor keine Erfassung der beruflichen Qualifikation in der Ersterfassung.

Lieber Henning Homann, wenn du von Early Intervention sprichst und dass man das ausweiten muss, weil das so ein erfolgversprechender Ansatz ist, dann muss man sein Augenmerk auf die Ergebnisse in Sachsen richten. Sie sind mehr als mau. Das Projekt hat hier in Dresden im Januar 2014 angefangen. Wie viele sind tatsächlich bis zum September 2015 in Arbeit? Fünf sind in Arbeit vermittelt worden und fünf in Ausbildung. Der Hauptgrund dafür ist das nicht ausreichende Bleiberecht. Deswegen gehört in die Debatte tatsächlich auch die Forderung in Bezug auf das Asylverfahrensrecht. Es geht um die Forderung der IHK und der Handwerkskammer, dass, wenn man Flüchtlinge ausbilden will, mindestens ein dreijähriges Bleiberecht garantiert wird und im Anschluss daran ein zweijähriges Bleiberecht, also insgesamt fünf Jahre, damit das Sinn macht. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist wirtschaftlich und vernünftig.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wir wünschen uns als GRÜNE, dass mit der gleichen Vehemenz, mit der insbesondere von der CDU und mit entsprechender Energie schnellere Abschiebungen gefordert werden, auch die Rahmenbedingungen für eine tatsächlich gelingende Integration angegangen werden.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wir gehen in die nächste Runde. Es beginnt die Linksfraktion. Herr Abg. Brünler, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Anfang möchte ich etwas Grundsätzliches sagen. Welche Bedeutung hat Beschäftigung für die Betroffenen unterm Strich? Unterbeschäftigung und Ausgrenzung aus dem Arbeitsleben ist grundsätzlich ein gravierendes menschliches Problem, und zwar nicht nur für Menschen, die schon länger hier leben, sondern auch für solche, die frisch zu uns kommen. Arbeiten zu können ist oftmals die Basis für soziale Anerkennung, und deshalb die Basis für soziale Integration. Das heißt, dies zu verhindern, schadet dem gesamten Land, weil wir die soziale Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft unterminieren und weil wir wirtschaftliche Chancen dadurch nicht nutzen.

Doch das Kernproblem ist in der heutigen Debatte schon mehrfach besprochen worden: der geklärte Aufenthaltsstatus. Ohne diesen ist viel Ehrenamt und viel kommunale Energie unterm Strich einfach nur eine Bewältigung einer

vorläufigen Unterbringung, hat aber mit Integration noch nichts zu tun.

In diesem Zusammenhang sei vielleicht noch einmal kurz auf die Zahlen hingewiesen. Bereits Anfang dieses Jahres war Deutschland Spitzenreiter in der Anzahl unbearbeiteter Asylanträge und Spitzenreiter in der Verfahrensdauer von Asylanträgen. Wohlgemerkt, das war Anfang dieses Jahres, das heißt, vor rund einem Jahr und deutlich vor dem Anstieg der Zahl der Hilfesuchenden.

Wie die Situation nun aussieht, kann sich jeder denken. Ja, und es ist auch grundsätzlich richtig: Zentraler Anker für die Integration auf dem Arbeitsmarkt ist die Bundesagentur für Arbeit. Es ist auch gut, dass die Bundesagentur hier mit Modellprojekten in der EAE in Chemnitz vor Ort ist. Aber das Land kann und muss hier ebenfalls etwas tun. Die Wegweiserkurse des Landes sind ein richtiger Schritt, aber eben nur ein erster. Es muss ein Willkommenspaket mit allen arbeitsmarktrelevanten Informationen anbieten, und es muss auch die Flüchtlinge unterstützen, die nicht direkt in Chemnitz untergebracht sind. Es muss Schnittstelle zu den Kammern sein, die, wie wir gehört haben, ja eigentlich darauf warten. Vor allem muss es auch eine Koordination zwischen einer Arbeitsvermittlung und eine Koordination zwischen der örtlichen Wohnortverteilung der Flüchtlinge geben. Hier kann man auch einmal von anderen abgucken. Bevor Sie es erwarten, verweise ich jetzt nicht auf Thüringen, sondern einmal auf Baden-Württemberg. Da gibt es ein Programm „Chancen gestalten – Wege der Integration in den Arbeitsmarkt öffnen“. Das gibt es schon seit einigen Monaten, und es ist keine Schande, auch einmal bei anderen zu schauen.

Es ist in der Tat eine Herausforderung, Zuwanderer zu integrieren, welche ohne konkrete Beschäftigungsperspektive zu uns gekommen sind. Logischerweise integrieren sich Flüchtlinge auch später als andere Einwanderergruppen. Aber Herr Beger von der AfD, wenn Sie behaupten, 80 % derer hätten keinerlei Qualifikation, würde angeblich eine Studie der Arbeitsagentur sagen, dann hat wohl einer von uns beiden die Studie verkehrt herum gehalten. Ich glaube, das war nicht ich.

(Mario Beger, AfD: Doch, mit Sicherheit!)

Es ist bei Weitem nicht so, dass 80 % über keinerlei Qualifikation verfügen.

(Zuruf von der AfD: Mit rosaroter Brille und zwei linken Händen!)

Manchmal sind zwei linke Hände gerade richtig, um eine Studie auch richtig herum halten zu können.

(Zuruf von der SPD)

In der Tat ist es so, dass das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ausgesagt hat, dass es Schwierigkeiten beim Zeitablauf bezüglich der Integration gebe. Bereits im Zuzugsjahr werden bisher nur 8 % der Asylsuchenden eine Arbeit finden. Bis die Hälfte der Antragsteller eine

Arbeit gefunden hat, vergehen in der Regel mindestens fünf Jahre.

Das Hauptproblem dabei sind vor allem Verfahrensfragen und bürokratische Hürden, keineswegs Qualifikationsfragen. Wenn man sich die demografische Struktur der Zuwanderer anschaut, ist die durchaus positiv. Nicht nur, dass 80 % im erwerbsfähigen Alter und die restlichen 20 % zum größten Teil Kinder und Jugendliche sind, welche voraussichtlich in Deutschland auch ihre Volljährigkeit erleben werden, nein, es ist in der Tat so, dass circa die Hälfte der Flüchtlinge derzeit entweder im Schul- oder Ausbildungsalter ist. Mithin ist das Bildungspotenzial sehr hoch und damit auch das Potenzial von Integration.

Nun sehe ich, dass meine Zeit quasi abgelaufen ist. Bevor ich abgemahnt werde, kündige ich Weiteres für die nächste Runde an.

Danke schön.

Sie hätten noch ein bisschen Zeit gehabt.

(Nico Brünler, DIE LINKE: Ich wollte keinen neuen Gedanken mehr beginnen!)

Dann jetzt die CDU-Fraktion, Herr Abg. Heidan, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brünler, darin stimmen wir voll überein, dass Integration nur durch Arbeit gelingt. Aber mit Ihrer Überschrift, die Sie hier gewählt haben – „Flüchtlinge über Sprache, Ausbildung und Beschäftigung integrieren – Jetzt Angebote der Wirtschaft und des Handwerkes umsetzen“ –,

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Richtig vorgelesen!)

umfassen Sie nur einen Teil. Ich glaube, der Arbeitsmarkt macht keinen Unterschied zwischen Langzeitarbeitslosen, Flüchtlingen und Migranten. Das sollten Sie in dieser Aktuellen Debatte bedenken: Es gibt keinen Unterschied, und es ist Aufgabe der Arbeitsagenturen, keine Unterschiede zuzulassen.

(Zuruf von den LINKEN)