Die Frage, die sich uns stellt und uns allen stellen muss, ist: Ist das auch handlungsanleitend für all diejenigen, die mit diesem Erziehungs- und Bildungsauftrag arbeiten müssen? Da habe ich meine Zweifel. Wenn man in die Schulgesetze anderer Länder schaut, findet man auch dort solche Texte als Präambel. Wir finden danach klare handlungsanleitende Ziele, die Schule erfüllen soll. Da heißt es zum Beispiel – das kann man vielleicht unter dem Begriff „Nächstenliebe“ subsumieren: Die Schule soll die vorurteilsfreie Begegnung von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kulturen fördern. Das ist ein ganz konkretes Ziel, bei dem sich jede Schule und jede Lehre
Oder: Die Schule soll die vorurteilsfreie Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderung fördern, Thema „Inklusives Lernen“. Oder auch Stichwort „Kooperativer Unterricht“ – eine sehr schöne Formulierung: Die Schüler sollen lernen, für sich und gemeinsam mit anderen zu lernen.
Das sind Ziele, die eingängig sind und die auch etwas verständlicher und gleichzeitig praktischer sind, als all die – ich sage es jetzt einmal etwas despektierlich, es ist so nicht gemeint – bildungswissenschaftlichen Anleitungen, die wir derzeit in unseren Leistungsbeschreibungen für die Schularten oder auch in den Lehrplänen finden.
Deshalb, liebe Fraktion DIE LINKE, ist das ein wenig zu kurz gesprungen. Ich halte es für wichtiger, oder ich halte es für den Schlüssel in dieser Frage, dass wir uns über den Erziehungs- und Bildungsauftrag unterhalten, darüber, was wir als Gesellschaft von der Schule erwarten, darüber, was Schülerinnen und Schüler von unseren Schulen erwarten sollen, und auch darüber, was Lehrerinnen und Lehrer in unseren Schulen tun können. Deshalb ist der § 1 Erziehungs- und Bildungsauftrag im Schulgesetz der eigentliche Punkt und der Schlüssel.
Ich denke, wir werden im Rahmen der Schulgesetznovellierung noch dazu kommen, intensiv über diesen Punkt zu debattieren. Deswegen lehnen wir das an dieser Stelle heute ab. Trotzdem Danke für die Impulse, die wir für diese Debatte mitnehmen werden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrte Kollegin Junge! Das Thema Ihres Antrages lautet: „Schule demokratisieren und politische Bildung stärken“. Ich hoffe allerdings, dass es sich nicht um ein neues Fach namens Staatsbürgerkunde Teil 2 handelt.
Wir brauchen eine stärkere neutrale politische Bildung an unseren Schulen, damit die Kinder und Jugendlichen mehr über die Demokratie erfahren, in die sie hineingeboren wurden, welches Glück ihnen damit zuteil wurde und welche Chancen es ihnen und unserer Gesellschaft eröffnet. Vielleicht kann man hiermit auch eine Brücke zu den vielen Nichtwählern bauen. Aus diesem Grund ist die Intention für diesen Antrag wichtig und richtig.
Ich kann einigen Ihrer Vorschläge folgen und sie unterstützen. Ich glaube nicht, dass diese ausreichen, und bin fest davon überzeugt, dass der Erlass zur politischen Werbung an Schulen nicht aufgehoben werden darf. Ich glaube auch, dass es nicht sinnvoll und nicht ungefährlich ist, Jugendverbänden und zivilgesellschaftlichen Instituti
onen die Schulen zu öffnen. Es bleibt immer die Frage einer Beeinflussung der Kinder und Jugendlichen zu einem Zeitpunkt, zu dem die Persönlichkeiten noch nicht gereift sind, bevor sie sich selbst ein Bild von der Welt machen können.
Die politische Bildung darf nicht gefärbt vermittelt werden, weder rot, grün, gelb, schwarz, blau und auf keinen Fall braun. Es gibt auch einen guten Grund, warum man erst mit 18 wählen darf und warum man erst mit 18 voll geschäftsfähig ist. Man kann Begriffe erklären und Unterrichtstoff vermitteln, ohne dass die Jugendlichen die Zusammenhänge verstehen. Es ist deshalb nötig, dass man debattieren und argumentieren lernt und dies im Unterricht regelmäßig geübt und gefördert wird, damit die Kinder und Jugendlichen neben den Begrifflichkeiten auch deren Bedeutung verstehen.
Wir müssen unseren Kindern beibringen, dass unterschiedliche Meinungen völlig in Ordnung sind und sie das Leben und die Gesellschaft bereichern können. Sie müssen aber auch lernen – und am besten von klein auf –, dass unterschiedliche Meinungen zu Problemen nur im offenen Diskurs gelöst werden können.
Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Wenn wir dies nachhaltig vermitteln können, dann ist unsere Demokratie sicher.
In Ihrer Begründung, sehr geehrte Frau Junge, nehmen Sie Bezug auf Pegida und darauf, dass die Zeitungen titelten, dass die politische Bildung in Sachsen in die Kritik geraten sei. Das ist richtig. Ich glaube auch, dass die politische Bildung schon zu lange zu wenig Bedeutung an unseren sächsischen Schulen hat, vielleicht auch vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte.
Wenn wir etwas aus der Bürgerbewegung lernen wollen, dann das, dass wir offener über alle Themen und Probleme sprechen müssen. Wenn wir mittelfristig den Lehrplan dahin erweitern könnten, dann hätten die Bürgerproteste auf beiden Seiten vielleicht etwas Positives. Hierbei klammere ich jegliche extremistischen Strömungen und extremistischen Teilnehmer aus.
Sehr geehrte Frau Ministerin Kurth – auch wenn sie nicht anwesend ist –, die Ausführungen in der Stellungnahme der Staatsregierung sind richtig. Aber was sagen sie uns? Sie sagen, was theoretisch möglich sein müsste. Fakt ist, dass das nicht überall gelebt wird. Wir müssen etwas tun und können nicht darauf verweisen, was irgendwo, irgendwann geschrieben wurde. Wir müssen aktiv werden. Das zeigen gewalttätige Demonstranten, Menschen, die nicht mehr bereit sind zu reden und zuzuhören, und zwar auf allen Seiten. Wir müssen das gemeinsam, parteiübergreifend tun. Wir müssen als Parteien für Bürger ein gutes Beispiel im demokratischen Diskurs sein.
Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen, weil wir nicht wollen, dass an sächsischen Schulen eine 68erBildung eingeführt wird. Wir würden aber gern gemeinsam mit Ihnen, Frau Junge, und den anderen Parteien im
Ausschuss für Schule und Sport einen Aktionsplan zur politischen Bildung für Kinder in Sachsen erarbeiten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ganz froh heute über diesen Antrag, wo wir sonst nur über Bildungsrankings, Unterrichtsabsicherung und Lehrermangel reden.
In Deutschland haben wir eine Schulpflicht. Aus der erwächst eine Schulanwesenheitspflicht. Daraus hat der Staat meines Erachtens eine Verpflichtung, Kinder und Jugendliche an der Gestaltung ihres Lern- und Lebensraumes zu beteiligen und ihre Rechte zu stärken. Die Schulpflicht weckt hier regelmäßig gewisse Begehrlichkeiten, angefangen von A wie Alltagswissen, über B wie Benimmunterricht oder C wie Zahnpflege –
bis hin zu Z wie Zahnpflege. Von A bis Z haben wir hier schon Sachen diskutiert, die in ein Schulfach eingeordnet werden sollten. Die Versuchung ist tatsächlich groß. Wo, wenn nicht in der Schule, erreicht man alle Kinder und Jugendlichen, ohne dass sie sich dem entziehen können? Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Die Palette, was Hänschen lernen soll, ist ziemlich groß und auch umstritten.
Ich bin überzeugt davon, dass zu einer demokratischen Schulentwicklung auch gehört, die Schulen selbst zu stärken. Bei demokratischer Schulentwicklung geht es um ein geändertes Bildungsverständnis, das im vorliegenden Antrag der LINKEN mit dem Begriff Strukturprinzip tatsächlich gut umrissen ist. Mein Problem damit ist, dass sie das nicht stringent bis zum Ende durchziehen. Klar ist in meinen Augen, dass es nicht allein um die Vermittlung der Inhalte gehen kann, die im Lehrplan aufgelistet werden.
Worum geht es jetzt genau in Ihrem Antrag und worum nicht? Knackpunkt Ihres Antrages ist der Erlass zur politischen Werbung an Schulen. Das haben wir heute schon gehört. Meines Erachtens ist das nicht das entscheidende Dokument, denn der Erlass verpflichtet die Schulen zur politisch neutralen Erziehung. Da sage ich: Das ist richtig so. Warum ist das richtig? – Es ist eben wichtig.
Entscheidend ist die Schlussfolgerung daraus, dass die Schulen an der politischen Auseinandersetzung nicht zu beteiligen sind. Hier wird die parteipolitische Neutralität zur Entpolitisierung. Das, meine Damen und Herren, hat fatale Folgen. Lehrerinnen und Lehrer geben sich – sei es aus Unwissen oder Unsicherheit – betont unpolitisch. Sie
geben politischen Auseinandersetzungen kaum Raum. Aber Schule ist kein entpolitisierter Raum. Man kann Realitäten und gesellschaftliche Diskurse gerade in Zeiten wie diesen nicht aus der Schule aussperren.
Mit den Schlussfolgerungen der LINKEN bin ich dennoch nicht einverstanden. Mir geht es nicht darum, dass die Schulen eine offene Bühne für den Wahlkampf werden. Viel wichtiger ist es aus unserer Sicht, dass in der Schule ein Raum für Diskussionen geschaffen wird. Wichtiger als die Beteiligung Externer ist die Befähigung der Akteure, nämlich der Lehrerinnen und Lehrer, diese Diskussionen mit den Schülerinnen und Schülern zu führen. Deswegen müssen wir die Lehrerinnen und Lehrer stärken. Deswegen brauchen wir Weiterbildung, eine veränderte Lehramtsausbildung
und ein Umdenken in der Schulaufsicht. Die Lehrerinnen und Lehrer an den sächsischen Schulen dürfen wir bei dieser Herausforderung nicht alleinlassen. Deshalb ist für mich der Erlass nicht das vordringliche Anliegen.
Politische Bildung in der Schule wird nicht automatisch mit einer Änderung des Stundenplanes aufgewertet, genauso wenig, wie Sie mit der Schülermitwirkungsverordnung alle Möglichkeiten der Beteiligung ausschöpfen. Demokratie und Beteiligung muss erlebbar sein. Die an den Schulen Beteiligten müssen echte, greifbare Entscheidungen treffen, sei es bei Pädagogik, Finanzen oder beim Personal.
Deswegen mein Fazit zum Antrag: Der Titel ist gut, die Begründung ist gut, aber die Forderungen des Antrages werden dem doch eher nur bedingt gerecht. Ich hätte mir gewünscht, dass stärker durchdekliniert worden wäre, was Demokratie als Strukturprinzip für den Lebensraum Schule tatsächlich bedeutet. Das Verweisen auf Projektwochen und die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern mutet in dem Zusammenhang doch eher wie eine Ersatzhandlung an. Der Erlass zur politischen Werbung an Schulen ist für mich nicht der richtige Hebel, um politische Bildung zu stärken. Genau deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen, sondern uns enthalten.
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das sieht nicht so aus. Dann bitte ich jetzt die Staatsregierung.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Meine Kollegin Staatsministerin Brunhilde Kurth hat mich gebeten, Stellung zu diesem Antrag zu beziehen. Dem würde ich sehr gern nachkommen. Allerdings hat Herr Abg. Bienst schon das Wesentliche zum Inhalt gebracht.
Er ist sehr umfangreich auf den Antrag eingegangen. Deswegen möchte ich die Stellungnahme gern zu Protokoll geben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst für die Diskussionen und die Anregungen aus allen Fraktionen bedanken.