Protokoll der Sitzung vom 27.05.2016

Selbstverständlich ist Visafreiheit und Reisefreiheit immer ein Thema, das auch mit Vorteilen behaftet ist – das wollen wir nicht verschweigen –, egal, ob es für kurze Geschäftsreisen, Bildungsreisen oder privaten Urlaub gilt. Wir sollten bei diesem Abkommen und bei der Frage der

Visafreiheit nicht noch einmal die gleichen Fehler begehen, wie es beispielsweise im Rahmen der Diskussion des Schengen-Abkommens geschehen ist, für das man jahrelang nur Vorteile und keinerlei kostenintensive Nachteile gesehen hat. Interessant ist nur, dass die Grenzen immer nur anlässlich von Gipfeltreffen, zum Beispiel G 7, geschlossen wurden. Dann treten die Ermittlungserfolge von Grenzkontrollen plötzlich so deutlich zutage. Das zeigt uns, dass in diesem Fall nun endlich einmal eine offene Diskussion dringend vonnöten ist.

Einige der Nachteile möchte ich Ihnen nennen: Bereits kurz nach Verkündung des anstehenden Türkei-Deals hat die AfD deutlich gemacht, dass wir dies für die Voraussetzung halten, eine neue Flüchtlings- und Asylwelle innerhalb der Türkei zu produzieren, weil die Konflikte, die zwischen der türkischen Staatsregierung und insbesondere der Bevölkerungsgruppe der Kurden herrschen, nicht gelöst sind. Man könnte fast sagen, es herrscht ein innerer Kampf, ein innerer Bürgerkrieg zwischen der kurdischen Minderheit und der türkischen Regierung, der immer wieder – das können Sie fast jede Woche in sämtlichen Medien nachlesen – zu bewaffneten Auseinandersetzungen führt. Erdoğan das Mittel in die Hand zu geben, ethnische Säuberungen in seinem eigenen Land vorzunehmen, sollte von der EU und insbesondere von Deutschland zu keinem Zeitpunkt ausgehen. Ich frage mich, wie die Große Koalition bewusst oder unbewusst so blind sein kann, dieses Abkommen, diesen Deal anzustreben, nur um damit ihre eigene verfehlte Politik zu verstecken?

(Beifall bei der AfD)

Wir müssen also darüber reden, wie sich ein derartiges Abkommen auf die Kriminalitätsraten, auf eine neue Flüchtlingswelle oder auch den Import von weiterem Terrorismus auswirken würde. Diese Gefahren beträfen dann selbstverständlich auch Sachsen. Wir leben nicht isoliert, auch hier in Dresden nicht. Wir sind schon lange kein Tal der Ahnungslosen mehr.

Ich nenne nur einige Zahlen für die erste Runde: Laut einer aktuellen Umfrage von N24 und Emnid sind 30 % der deutschen Bürger gegen die geplante Visafreiheit, weitere 14 % sind der Meinung, dass diese eine definitiv zu große Gegenleistung für das Türkeiabkommen ist. Dabei gehen diese Menschen aber davon aus, dass es eine Gegenleistung gibt – selbst das wäre jedoch zu debattieren. 35 % der Deutschen wären für eine Visafreiheit. Das heißt, dass die anderen 44 % der Befragten eine zwar knappe, aber immerhin signifikante Mehrheit bilden. Lediglich 16 % der Bevölkerung befürwortet die Visafreiheit unabhängig von einem Türkeiabkommen. Ich denke, es ist diese Zahl, die uns zu denken geben sollte. Sie besagt, dass die übergroße Mehrheit der Befragten die Visafreiheit für die Türkei richtigerweise ablehnt.

Ferner ist dem Türkeideal inzwischen die Geschäftsgrundlage entzogen, denn 26 von 28 EU-Staaten haben ihre Hausaufgaben gemacht. Die Balkanroute ist gekappt; Mazedonien und Österreich haben unter anderem das getan, was die Bundesregierung bis heute verweigert, sie haben die Grenzen für illegale Migration geschlossen.

(Zuruf des Abg. Mirko Schultze, DIE LINKE)

Nun noch ein Wort für die erste Runde. Trotz Merkels Angstmache, es würde zu einem Bürgerkrieg auf dem Balkan führen, wenn Grenzen ordnungsgemäß gesichert würden, ist dies nicht eingetreten. Im Gegenteil, wir erleben, dass Grenzsicherungsmaßnahmen, die ein wirkungsvolles Instrument von Staaten sind, wahrgenommen und auch ernst genommen werden. Der Rest in der nächsten Runde.

(Beifall bei der AfD)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Hartmann, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, wir haben uns sehr schwer getan, erst einmal in der Fraktion die Zuständigkeiten zu klären. Aber ich darf jetzt verkünden: Die CDU-Fraktion hat sich entschieden, den Innenpolitischen Sprecher auch mit der Aufgabe der außenpolitischen Wahrnehmung zu beauftragen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei den GRÜNEN)

In dieser Funktion habe ich mich entschieden, als Erstes den sächsischen Botschafter in Ankara einbestellen zu wollen.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der CDU)

Ups, seit 1867 hat Sachsen eine beschränkte außenpolitische Kompetenz. Das ist die Zeit des Beitritts zum Norddeutschen Bund.

(Lachen der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

Seit 1871 Teil des Deutschen Kaiserreiches, noch deutlich beschränktere außenpolitische Souveränität und mit der Weimarer Republik 1919 die Beschränkung auf innerpolitische Angelegenheiten. Im Übrigen hat sich dieser Kurs 1933, 1945, 1949, 1952 und 1990 fortgesetzt. So weit einmal zu einer kurzen politischen Genese.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der AfD und den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, die Frage der Visafreiheit für Türken für die Reise nach Deutschland, im Blickwinkel der aktuellen türkischen Politik, im Rahmen dessen, was wir auch von Herrn Erdoğan an der einen oder anderen Stelle hören, ist eine, die ernsthaft diskutiert werden muss und die natürlich auch die Bevölkerung bewegt. Insoweit ist es in der Tat Sache politischer Parteien, der Gesellschaft, der Öffentlichkeit, der Medien, dieses Thema zu diskutieren, die Meinungen zu formulieren. Es ist Sache der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes im Besonderen, aber auch des Deutschen Bundestages, sich der Frage verantwortungsvoll zu stellen, was sie im Übrigen getan haben. Ich möchte darauf verweisen, dass es bei Weitem nicht so ist, dass diese Diskussion ihren Ursprung in der Flüchtlingsfrage hat, sondern die Diskussionen über die Visafreiheit der Türkischen Republik laufen schon länger, die aktuellen Verhandlungen seit 2013.

Das, was wir jetzt erleben, ist eine Diskussion, die die Türken mit der Frage der Asylkompromissdiskussion verbunden haben, mit einer Beschleunigung. Bei weitem werden die 72 Punkte, die Grundlagen überhaupt für eine Visafreiheit sind, nicht in Abrede gestellt. Es geht darum, diese jetzt zeitnah umzusetzen. Im Übrigen ist auch ganz deutlich geworden, dass sowohl die Bundesregierung als auch der Deutsche Bundestag die Außerkraftsetzung dieser 72 Punkte nicht in Abrede stellen.

Im Übrigen ist es auch nicht allein Zuständigkeit der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, sondern es ist Teil der europäischen Außenpolitik und insoweit auch Bestandteil der Entscheidungsprozesse des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates und insbesondere mit Verweis auf Schengen ein Thema, das an dieser Stelle zu diskutieren ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann nur vermuten, dass die AfD ein Problem hat, ihre Botschaften über Medien oder den Deutschen Bundestag – ja klar, im Bundestag geht es ja nicht –

(Zuruf von der AfD: Noch nicht!)

zu kommunizieren. Insoweit sucht man sich andere Ventile, um einmal die Meinung zu artikulieren. Schön, Frau Petry, dass Sie noch einmal deutlich gemacht haben, dass auch bei uns kritische Diskussionen dazu laufen.

Aber es bleibt festzustellen: Dieses Hohe Haus ist weiland nicht die Stelle, an der außenpolitische Fragen der Bundesrepublik Deutschland zu diskutieren sind. Ich kann Sie nur einladen, dieses Thema zu Ihren Parteiveranstaltungen und in den öffentlichen Diskussionen einzuführen.

Aber zum Kern der Frage zurück: Sie verbinden mit Ihrem Antrag schon einen gewissen Zynismus: „Erst die Armenier und jetzt die Kurden“, also die Assoziierung ist zumindest recht missverständlich. Es besteht ja für Sie die Möglichkeit, den Titel Ihres Antrages in der zweiten Runde noch etwas aufzuklären. Vielleicht führen wir dann in diesem Haus noch eine Diskussion über internationale Politik, zumindest Sie.

Ich finde es sehr schwierig, dass Sie das Schicksal der Kurden mit einer solchen Debatte verquicken, insbesondere in einer Zeit, in der man sehr kritisch darauf schauen kann, dass 138 kurdische Abgeordnete nicht nur ihr politisches, sondern auch ihr persönliches Schicksal in einem höchst schwierigen Prozess gestalten.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Noch einmal kurz sachlich: Nur 10 % der Türken verfügen überhaupt über einen Reisepass.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Die Visafreiheit konzentriert sich auf geometrische Reisepässe. Darüber hinaus, was die Steuerung betrifft, gibt es einige Punkte, über die ich gerne, falls es erforderlich ist und Sie Anhalt dafür bieten, in einer zweiten Runde vortragen würde. Ansonsten, meine Damen und Herren, lohnt die Debatte an dieser Stelle in diesem Hohen Hause mangels Zuständigkeit wahrlich nicht. Wir haben andere Probleme in diesem Land!

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Für DIE LINKE Herr Abg. Scheel, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Zur Zuständigkeit des Sächsischen Landtages hat mein Vorredner schon alles Nötige gesagt. Insofern brauche ich mich jetzt nicht darauf zu kaprizieren. In der Tat gab es auch bei uns einige Fragezeichen, als wir das Thema der Aktuellen Debatte gelesen haben. Bevor ich darauf zu sprechen komme, ein paar Fakten zur Visafreiheit, vielleicht im Anschluss noch zur Türkei.

Wir haben in Deutschland drei Millionen Türkeistämmige. Davon sind 1,5 Millionen mit einem deutschen Pass ausgestattet. 500 000 dieser Menschen sind in Deutschland geboren. Alle diese Menschen sind eine Bereicherung für unser Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den LINKEN)

Natürlich sind sie geschäftlich und familiär mit der Türkei eng verbunden. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass diese familiäre und geschäftliche Verbindung auch danach schreit, dass man schneller und einfacher zueinander kommt. Deshalb ist die Visafreiheit auch für Türkeistämmige überfällig. Sie ist überfällig, weil Reisefreiheit ein hohes Gut ist. Es ist aus unserer Sicht ein Gut, das für jeden und jede auf dieser Welt eigentlich gewährleistet sein sollte. Es ist traurig, dass es genügend Menschen auf dieser Welt gibt, die, wenn sie eine Reise nach Deutschland unternehmen wollen, immense Hürden zu überwinden haben, die nachweisen müssen, dass sie Geld haben und dass sie überhaupt zurückwollen. Dementsprechend ist es Position meiner, unserer Partei, dass Visafreiheit für alle Menschen ein lohnens- und wünschenswertes Ziel ist.

(Beifall bei den LINKEN)

Es ist traurig genug, dass die Frage der Visafreiheit zur Verhandlungsmasse geworden ist, in einem unwürdigen Schauspiel, in einem miesen, dreckigen Deal, wie ihn einige nennen, der auf dem Rücken der Flüchtlinge mit dem Gut der Reisefreiheit ausgetragen wird.

Bevor wir uns die Türkei anschauen, möchte ich noch einen Ton zur AfD sagen. Genau dasselbe Spiel scheinen Sie jetzt auch wieder zu treiben, indem Sie den Konnex des Genozids an den Armeniern, der stattgefunden hat, zu der kriegerischen Auseinandersetzung der Türkei mit den Kurden im eigenen Land herstellen, offensichtlich vor dem Hintergrund, dass Sie den Kurden in der Türkei eine Fluchtmöglichkeit aus dieser kriegerischen Auseinandersetzung abschneiden wollen. Das ist wirklich traurig und erbärmlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD!

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Ich komme gleich noch einmal darauf. Natürlich ist die Türkei, wie wir sie im Moment wahrnehmen, kein netter Partner für uns.

(Zuruf von der AfD: Sie ist gar kein Partner für uns!)

Sie ist ein autoritärer Staat und entwickelt sich immer stärker dazu, meine Damen und Herren.

Es ist eben schon angesprochen worden: Es gibt dort keinen Respekt für frei gewählte Abgeordnete. Ihnen wird einfach aus niedrigen Beweggründen die Immunität abgesprochen. Es werden Kritiker massenweise verfolgt. Seit 2014 gab es 2 000 Verfahren wegen Beleidigung des Staatsoberhaupts innerhalb der Türkei. Die Leute werden in den Knast geworfen.

Die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit – Journalisten werden inhaftiert und verfolgt – werden in diesem Land im Moment mit Füßen getreten.

Wie ich eben schon ausgeführt habe, wird der Krieg in diesem Land gegen eine Minderheit, gegen die Kurden, geführt, denen man das Recht nehmen will, sich selbst zu äußern, ihre eigene Kultur zu leben. Dieser Krieg ist nicht

vereinbar mit den Grundwerten der Europäische Union, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den LINKEN – Zuruf von der AfD: Der wird doch dann nach Deutschland transportiert!)

Insofern kann ich festhalten, dass sich die Türkei im Moment von der Wertegemeinschaft der Europäischen Union entfernt und deshalb jegliche Debatte um einen EU-Beitritt aus unserer Sicht eigentlich gestoppt werden müsste, weil das das Signal wäre, was zumindest Erdoğan in Ankara verstehen würde, wenn sie wirklich vorhaben, in die Europäische Union überhaupt noch ansatzweise reinzukommen, müssen sie auch die Wertmaßstäbe der Europäischen Union respektieren und in ihrem eigenen Land umsetzen. Daran krankt es. Aber die Frage der Visafreiheit darf nicht zur Verhandlungsmasse in dieser Debatte gemacht werden. Menschenrechte gelten immer und überall universal.