Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

die jährliche Abschreibungssumme als Grundlage für die Höhe der Instandhaltungsinvestitionen herangezogen wird, halten wir für wenig zielführend. Das wurde auch in der Anhörung klar, die wir im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Ende Oktober durchgeführt haben. Denn zur Ermittlung langfristig sinnvoller, das heißt wirtschaftlicher Strategien für die Straßenerhaltung braucht es eine komplexere Herangehensweise. Ich sage Ihnen das auch aus persönlicher Erfahrung. Schließlich habe ich vor meinem Eintritt in den Sächsischen Landtag 23 Jahre lang in diesem Bereich als Leiter verschiedener Ingenieurbüros gearbeitet.

Straßenbau ist auch beim Erhalt und bei der Instandsetzung eine komplexe Aufgabe. Ich erspare Ihnen jetzt Erklärungen über verschiedene Erhebungs- und Betrachtungsmethoden, zum Beispiel das Pavement-Management-System PMS, das einige andere Bundesländer bereits nutzen. Das würde schnell zu technisch und ich will ja hier keinen Vortrag für Straßenbauingenieure halten. Sicher ist aber, dass wir neben einer Gesamtbetrachtung zu der Frage, wie viele Straßen wir in Zukunft überhaupt benötigen, auch den Blick fürs Detail nicht vergessen dürfen. Wir müssen den Zustand einzelner Strecken und Ingenieurbauwerke exakt überprüfen.

Dafür sind wir auf das Wissen der Experten vor Ort, vor allem in den Niederlassungen unseres Landesamtes für Straßenbau und Verkehr angewiesen. Die Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort ist unerlässlich für die Entwicklung und Implementierung einer nachhaltigen Erhaltungsstrategie. Klar ist auf jeden Fall, dass wir umsteuern müssen und seit zwei Jahren auch dabei sind, genau dies zu tun. Unser Credo lautet: Erhalt geht vor Neu- und Ausbau, denn jeder Euro, den wir in den Neubau von Straßen stecken, fehlt für den Erhalt. Jede Straße, die wir neu bauen, bringt Folgekosten mit sich, für die wir entsprechend Vorsorge treffen müssen. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, eine Netzkonzeption zu erarbeiten, bei der genau ersichtlich sein soll, welche Infrastruktur wir uns in Zukunft überhaupt noch leisten können und welche wir uns leisten müssen.

So viel in der ersten Runde. Danke.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Nun die Fraktion DIE LINKE, Herr Abg. Böhme, bitte sehr.

Danke, Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Ich war sehr verwundert, als ich den Antrag im August im EDAS gefunden habe und gerade von Ihnen, Herr Nowak, gehört habe, dass Ihnen das Thema sehr wichtig ist. Das bezieht sich indirekt auf den Bericht des Rechnungshofes mit dem Titel „Erhaltung der staatlichen Infrastruktur“. Dieser Bericht wurde uns Ende April mit einer eigenen Drucksachen-Nummer zur Verfügung gestellt. Daraufhin hat meine Fraktion im Juni im Wirtschaftsausschuss eine Anhörung zu diesem Be

richt beantragt, die im Oktober durchgeführt wurde. Sie haben aber bereits im August Ihren fertigen Antrag mit Fragen, die wir der Staatsregierung stellen wollen, eingereicht und damit faktisch die Ergebnisse der Anhörung nicht beachtet und einfach in den Geschäftsgang gegeben. Insofern ist es mir schleierhaft, wie Sie sagen können, dass Ihnen das Thema sehr wichtig sei.

Aufgrund der Anhörung sind letztendlich viele mögliche Forderungen, die man in so einem Antrag hätte schreiben können, und auch viele Fragen, die man in der Anhörung an den Referatsleiter für Straßenbau im Wirtschaftsministerium hätte stellen können, auf der Strecke geblieben. Daher verstehen wir nicht ganz, warum dieser Antrag heute im Plenum ist. Ich möchte aber dennoch einige Anmerkungen zu dem Thema an sich machen.

(Andreas Nowak, SPD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Sie haben seit dem letzten Doppelhaushalt das Vorhaben „Erhalt vor Neubau“ in Ihrer Koalition beschlossen.

Herr Böhme, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Kollege Böhme, Sie kennen aber schon den Unterschied zwischen einer nicht öffentlichen Ausschusssitzung, auch wenn die Anhörung öffentlich ist, und der öffentlichen Plenarsitzung?

Ja, ich kenne den Unterschied zwischen einer Anhörung, die öffentlich ist – und darum ging es gerade – und worüber es sogar ein Protokoll gibt, das die Öffentlichkeit nachlesen kann, und einer geheimen Ausschusssitzung, in der das Thema aber gar nicht behandelt wurde.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das war eine geschlossene Sitzung, keine geheime!)

Oder eine geschlossene Sitzung, es gibt ja gar keine geheime. Genau.

Ich mache weiter im Text. Sie haben in dieser Legislatur im Doppelhaushalt das Vorhaben „Erhalt vor Neubau“. Das begrüßen wir auch. Dennoch sagt der Rechnungshof in seinem Bericht, dass die Haushaltsansätze weiter unter den Abschreibungen liegen. Der Vermögenserhalt ist damit nicht möglich und mit der Unterfinanzierung wird sich der Straßenzustand weiter verschlechtern. Das sind die Worte des Rechnungshofberichtes. Dort steht auch, dass seit 1999 1,5 Milliarden Euro in den Um-, Aus- und Neubau von Straßen in Sachsen gesteckt wurden, also neues Vermögen und neue Straßen geschaffen wurden, aber nur eine halbe Milliarde Euro in die Erhaltung, also nur ein Drittel der Mittel. Das Ziel Erhaltung vor Neubau, das Sie jetzt haben, ist zwar schön, aber es muss auch verstärkt umgesetzt werden.

Wir lesen auch – das sagten Sie schon –, dass der Gebrauchswert der Straßen, was das Thema Verkehrssicher

heit und Fahrkomfort angeht, in Sachsen relativ gut ist, aber der Substanzwert sehr schlecht, nämlich nur bei 40 % in einem guten Zustand. Das heißt umgekehrt, 60 % der Straßen sind in einem schlechten Zustand oder problematisch.

Der Sächsische Rechnungshof hat sich auch regional umgeschaut. Wie ist es denn in den einzelnen Landesniederlassungen des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr? Dort stellen wir fest, dass es in Plauen relativ gut ist und in Zschopau eher nicht so gut. In Zschopau zum Beispiel – da gibt es so eine tolle Tabelle – müssten jedes Jahr für 84 Kilometer Erhaltungsmaßnahmen umgesetzt werden. Aber das Personal zum Planen und Bauen reicht am Ende nur für 50 Kilometer für Neubau, Ausbau und Umplanungen. Selbst wenn man die 50 Kilometer in die Erhaltung stecken würde, würden am Ende noch 34 Kilometer fehlen. Das ist doch ein Problem.

Das Problem geht noch viel tiefer. Die Landesämter für Straßenbau und Verkehr haben keine eigene Erhaltungsabteilung in ihren einzelnen Verwaltungen. Das ist doch ein Problem, und das hätten Sie in Ihren Antrag schreiben müssen, dass es Erhaltungsabteilungen gibt, wie es in der Anhörung mehrfach betont wurde.

Ja, wir haben in den letzten 26 Jahren genug Straßen gebaut, und ja, wir haben letztendlich auch genug Straßen. Das haben Sie beide gerade mehr oder weniger bestätigt. Nur in den Ämtern muss dieses Umdenken irgendwann einmal ankommen, und dazu sind Umschulungen notwendig. Auch das wäre eine Maßnahme, die in dem Antrag hätte stehen können.

Es hätte auch darin stehen können, dass wir bei der Planung einen Nachhaltigkeitscheck brauchen, um Dysfunktionalitäten festzustellen, damit nicht nur Politiker irgendwelche Bänder durchschneiden, wo am Ende keine Autos über die Straßen fahren.

In der Anhörung und in dem Bericht wurde auch deutlich, dass 40 % der Straßen überproportional geplant waren, also zu groß, zu breit und am Ende wurde mehr Geld ausgegeben, als eigentlich nötig. Das ist doch krass. Das Problem dabei ist, dass die meisten Verkehrspolitiker und Verkehrsabteilungen oder Verkehrsämter nur an Verkehr denken, aber nicht an Mobilität. Es geht um ein neues Ziel der Mobilität. Wie kommen die Menschen von A nach B? Allen Menschen muss eine möglichst hohe Mobilität ermöglicht werden mit möglichst wenig Verkehr, also möglichst wenig Wegen und möglichst wenig Fahrzeugen. Alle sollten ihr Ziel jederzeit erreichen können. Bei der Betonung „alle Menschen“ kann es nicht darum gehen, dass überall eine Schnellstraße aus jedem erdenklichen Ort kommt, sondern es muss darum gehen, dass es auch Menschen gibt, die kein Auto fahren, weil sie zu jung sind, weil sie zu alt sind, weil sie krank sind, weil sie schlicht auch kein Geld haben. Es geht also darum, ein breites Mobilitätsangebot darzustellen.

(Andreas Nowak, CDU: Die Straßen sind für alle da!)

Das ist auch eine höchst soziale Frage. – Aber nicht alle können auf der Straße mit einem Auto fahren. Wenn kein Radweg da ist, fährt auch keiner Rad. Wenn keine Busverbindung da ist, fährt niemand Bus. Das heißt, die Leute, die ein Auto haben, können immer fahren. Aber wenn es keine barrierefreie Haltestelle gibt oder keinen Radweg, dann fahren eben einige Menschen nicht. Sie schließen damit Menschen aus.

Weiter geht es: Was die Menschen bekommen, ist Flächenversiegelung, Lärm, Staub, CO2 und Stickoxide und letztendlich auch Stau. Der Fokus lag viel zu lange auf dem Ausbau des Straßennetzes und zu wenig auf dem Umwelt-Bus, also Bus, Straßenbahn, Zug, Fuß- und Radfahrstreifen. Dadurch ist am Ende viel mehr Verkehr durch Autos entstanden, weil Sie das nicht beachtet haben. Die Möglichkeit der Mobilität für viele Menschen wurde vernachlässigt.

(Andreas Nowak, CDU: Dadurch sind Arbeitsplätze und Wohlstand entstanden!)

Auch durch Waggonbau entstehen Arbeitsplätze und durch andere Maßnahmen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen, auch wir sind dafür, dass die Straßen, die existieren, in einem guten Zustand sind, weil der Bus – wie Sie gerade sagten – oder auch der Radfahrer über die Straße fahren. Die Frage ist doch aber, wie die Straßen dimensioniert sind. Das Ziel, dass jede Staatsstraße 7,50 Meter breit sein muss, ist einfach übertrieben, es sei denn, dort wäre ein Radweg mit eingeplant. Aber das ist nicht der Fall, und das ist das Problem.

Daher hätten wir uns heute einen Antrag gewünscht, der konkrete Forderungen stellt, wie es auch in der Anhörung oder in dem Bericht steht, also Nachhaltigkeitschecks einführen, Dysfunktionalitäten überprüfen oder auch die Prognosen zum Verkehrsaufkommen neu überprüfen, insbesondere in der Frage, ob man nicht Alternativangebote zum Auto stärkt, damit mehr Menschen mobil sein können und damit Kosten gespart werden können.

Wir hätten heute auch darüber reden können, ob es nicht sinnvoll ist, einen neuen Haushaltsposten einzuführen oder den Namen des Haushaltspostens zu ändern, der „Abschreibung der Straßen“ heißt, in dem stehen müsste, dass jedes Jahr 180 Millionen Euro benötigt werden, um uns selber wachzurütteln, dass es Wahnsinn ist, die Abschreibung – –

(Staatsminister Martin Dulig: Das ist Wahnsinn!)

Das schreibt der Sächsische Rechnungshof, 180 Millionen Euro – –

(Staatsminister Martin Dulig: Das fordern Sie?)

Nein, ich fordere, dass uns das bewusst wird, damit wir sehen, dass es Wahnsinn ist, wie viel Geld nötig wäre, um die Abschreibung und damit den Vermögensverlust aufzuhalten.

Wir brauchen auch Erhaltungsabteilungen in den Straßenbaubehörden und Schulungen der Mitarbeiter in den

Landesstraßenbehörden. Anschließend brauchen wir ein effektives Erhaltungsmanagement.

All das hätte in dem Antrag stehen können. Deshalb: Mehr Mut das nächste Mal, liebe Koalition!

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion, Frau Abg. Grimm. Bitte sehr, Frau Grimm, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Regierungskoalition, haben Sie wirklich erst die Anhörung Mitte Oktober gebraucht, um zu erkennen, dass es erhebliche Mängel auf Sachsens Staatsstraßen gibt? Fahren Sie einfach einmal mit offenen Augen durch das Land.

Ihr Berichtsantrag bezieht sich auf die Einschätzung des Rechnungshofs vom 18. April 2016. Dieser zeigt in seiner Kritik kurz zusammengefasst erhebliche Mängel. Ich bringe Ihnen einmal ein exemplarisches Beispiel für sächsische Staatsstraßen aus meiner Region: Mich ärgern jedes Mal die lückenhaften Neubaustrecken der B-Straßen, wo nur fünf oder sieben Kilometer zur Fertigstellung fehlen. Immer wenn ich nach Hause fahre, fahre ich in Niederoderwitz von der B 178 n herunter auf die Staatsstraße S 128 in Richtung Großhennersdorf. Dort kommen mir immer Transit-Lkws entgegen. Ich muss nach rechts ausweichen und aufpassen, dass ich nicht zu weit nach rechts abkomme, weil der Randstreifen 20 Zentimeter absackt.

Für mich als Ortskundige kein Problem, aber wir haben auch viele Touristen, die unsere Region besuchen –

(Dr. Stephan Meyer, CDU: Das ist doch Unsinn, Frau Grimm! Unsinn!)

und das ist kein Einzelfall. Es werden die Ränder dort alle paar Monate neu aufgeschüttet, die Straße wird ausgebessert.

Herr Meyer, das ist kein Unsinn. Da müssen Sie einmal in unsere Richtung fahren und nicht in die Richtung nach Niederoderwitz!

(Dr. Stephan Meyer, CDU: Ich fahre auch dort entlang, Frau Grimm!)

Deshalb, sehr geehrte Staatsregierung, handeln Sie zügig, dass ein Lückenschluss nach 20 Jahren Bauzeit auf den Neubaustrecken der B-Straßen endlich erfolgt, um so die Staatsstraßen zu schonen und die Erhaltungskosten zu sparen.

Das Thema Vermögenserhalt bei Staatsstraßen ist auch für Sachsen von erheblicher Bedeutung und damit durchaus für das Plenum geeignet. Schade nur, dass sich in dem Antrag der Regierungskoalition neben dem Bericht kein Handlungsauftrag findet. Die in dem Antrag aufgeworfenen Fragen kann man stellen. Entscheidend wird jedoch sein, welche Konsequenzen daraus gezogen werden.

Schließlich hat der Sächsische Rechnungshof bereits eine umfassende Informationsgrundlage geliefert.