Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

Herzlichen Glückwunsch, Sachsen! Platz eins. Es geht eben nicht um das Individuum Mensch, es geht nicht um die Schülerinnen und Schüler, die Auszubildenden und Studentinnen und Studenten, es geht um die Durchtrimmung eines Bildungssystems mit dem Blickwinkel der Effektivität, und diesem läuft Sachsen mit geschwellter Brust voran. Das hat mit Humboldt, Pestalozzi, Salzmann, Schiller und der Aufklärung so viel zu tun wie Cindy aus Marzahn mit einer 1 in Allgemeinbildung.

(Lothar Bienst, CDU, steht am Mikrofon.)

Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage.

(Beifall bei den LINKEN – Zurufe von der CDU)

Wir brauchen nicht nur wirtschaftlich verwertbares Exceltabellendenken, sondern die Bildung des Herzens. Schule ist eben mehr als die bloße Vorbereitung junger Menschen auf deren Produzenten- und Konsumentendasein. Wann begreifen Sie endlich, dass ohne moralische Substanz, gebildet und gelehrt meist in den musischen Fächern, eine Gesellschaft nicht zusammenhält?

Ich sage Ihnen: Mir wird auch für meine Kinder bange, dass ich Sie einem Schulsystem aussetzen muss, das gnadenlos mehr und mehr auf Elite getrimmt wird, Wissen eintrichtert, das Humankapital schnellstmöglich in der Wertschöpfungskette ausspuckt, und zwar mit dem antrainierten Traum: Auto, Haus, Familie, Kinder, deren Ausbildung, Konsum, Tod,

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

und dabei wirklich vergisst, was uns auch ausmachen sollte, was wir brauchen, was wir ebenso lernen und fördern müssen, nämlich Empathiefähigkeit, Gerechtigkeitssinn, Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Solidarität und Sinn für Schönheit.

Erinnern Sie sich noch, meine Damen und Herren von der Koalition? Ich zitiere: „Die individuelle Förderung eines jeden jungen Menschen steht für uns im Mittelpunkt. Das Bildungsangebot muss so gestaltet sein, dass jedem Schüler ein differenziertes Angebot zur Verfügung steht, welches seinen individuellen Fähigkeiten, Begabungen, Neigungen und Leistungspotenzialen entspricht.“ So steht es im Koalitionsvertrag CDU/SPD 2014. Da kann ich nur sagen: Richtig erkannt! Bisher nicht umgesetzt: Setzen, 6!

(Beifall bei den LINKEN – Oh-Rufe von der CDU)

Für die einbringende Fraktion DIE LINKE hatte gerade Herr Kollege Sodann das Wort. Wir fahren jetzt fort in der Rednerfolge mit Kollege Bienst für die CDU-Fraktion.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Herr Bienst, alles in Ordnung? – Lothar Bienst, CDU: Nein, jetzt nicht mehr!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich meinen Vortrag anders beginnen. Lieber Herr Kollege Sodann, wir brauchen nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung Facharbeiter im Land und keine Schauspieler, wie Sie es sind. Herzlichen Dank für Ihren Beitrag.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Wir brauchen Leute in diesem Land, die das verinnerlichen, was wir vor neun Wochen diskutiert haben. Wir haben genau dieses Thema vor neun Wochen auf Ihren

Antrag hin durchdekliniert. Aber Sie wissen ja, steter Tropfen höhlt den Stein, ständiges Wiederholen festigt. Deshalb versuche ich es einfach einmal mit ein paar Schwerpunkten.

Ja, wir konnten leider in der letzten neun Wochen – darin waren auch sechs Wochen Ferien bzw. Urlaub – nicht den leergefegten Lehrerarbeitsmarkt in Deutschland füllen. Wir konnten in den letzten neun Wochen eben nicht die jungen Abiturienten dazu bewegen, überwiegend Lehramt für die Schulart Oberschule zu studieren. Wir konnten eben auch in den letzten neun Wochen nicht diejenigen bewegen, die das gymnasiale Lehramt studieren, gerade die MINT-Fächer zu wählen. Wir konnten auch in den letzten neun Wochen die Bestehensrate in der Lehramtsprüfung der Schularten Oberschule und Gymnasium nicht von circa 65 % auf 80 % erhöhen. Das ist uns nicht gelungen.

Aber statt den heute von Ihnen aufgezeigten schwarzen Bildungspleitegeier einzufangen, müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir gemeinsam in der Koalition – das sage ich auch zu meinem Koalitionspartner – die Bildung in Sachsen von 2004 bis 2009 und von 2014 bis 2019 voranbringen.

Wir haben – und das ist seit der Sommerpause, seit dem 22. Juni passiert – über 1 400 Stellen besetzen können. Sie haben an unserem Erfolg gezweifelt. Dass wir damit nicht ganz zufrieden sind, sei dahingestellt. Dafür möchte ich einen großen Dank an die Mitarbeiter der Bildungsagenturen aussprechen, die diese Aufgabe mit Bravour gemeistert haben. Natürlich sind wir nicht mit der hohen Zahl an Seiteneinsteigern zufrieden. Wir sollten uns als Ziel stellen, die Zahl der Seiteneinsteiger zu minimieren. Außerdem sollten wir deren Qualifizierung beschleunigen, um das System zu optimieren.

Wir werden – wie Sie das am 22. Juni gefordert haben – über die schulscharfen Ausschreibungen die über hundert noch zu besetzenden Stellen besetzen. Ich denke, das wird uns gelingen.

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich habe etwas Unverständnis – das richte ich wirklich an die LINKEN – gegenüber dem Aufruf der GEW. Ich zitiere: „..., dass der Landtag bei seiner Beschlussfassung zur Vergütung von Überstunden an den Schulen einen Freizeitausgleich de facto ausgeschlossen hat.“ Deshalb versucht die GEW Sachsen auf allen Ebenen eine Arbeitszeiterhöhung per Anweisung von Mehrarbeitszeit abzuwehren oder – wie ich es sagen würde – einzuschränken.

Das ist für uns nicht hinnehmbar, und das sollten Sie Ihren GEW-Leuten sagen. Wir haben in der Koalition versucht, diese Mehrarbeitsstunden ab der ersten Stunde finanzieren zu lassen. Das ist uns gelungen. Ab September wird das rückwirkend bezahlt. Das hat absolut nichts mit Freizeitausgleich zu tun. Wenn wir es tun würden – das haben wir auch durchdekliniert –, dann würden wir die Anzahl der Stundenausfälle in unserem Schulsystem erhöhen.

Ja, ich habe mir vorgenommen, den Bildungsmonitor zu zitieren. Wenn wir zurückblicken, dann sind wir dort seit 2004 auf Platz eins. Auch beim Beseitigen der von Ihnen zitierten Bildungsarmut belegen wir vordere Plätze. Ich könnte noch weitere Kompetenzen benennen, zum Beispiel die Förderinfrastruktur, die Schulqualität, aber auch Hochschule und MINT.

Vielleicht sind Sie auch darüber informiert, dass wir im Bundesbildungsfinanzbericht, bei dem es um die Finanzierung der Bildung in den Flächenländern geht, deutschlandweit den Platz drei belegen. Ich denke, das ist für Sachsen ein super Platz. Wir werden auf diesem Weg weitergehen.

Wenn wir die Länder miteinander vergleichen, dann sehen wir, dass wir in Sachsen anderthalb Jahre Bildungsvorlauf gegenüber Bremen haben, das auf dem letzten Platz liegt.

Wir sind für stabile Bildungsstrukturen. Wir als CDU werden weiter das zweigliedrige sächsische Bildungssystem in Sachsen forcieren und qualifizieren.

Die Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Wir werden auch weiterhin in Sachsen den Platz eins behalten, bei allen Problemen, die wir noch im Land haben.

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Herrn Kollegen Bienst folgt jetzt Frau Kollegin Friedel für die SPD-Fraktion. – Entschuldigung, ich sehe eine Kurzintervention, Frau Kollegin Friedel. – Frau Dr. Pinka, Sie möchten eine Kurzintervention vortragen?

Ja, Herr Landtagspräsident, ich möchte gern eine Kurzintervention machen. Obwohl ich ganz hinten sitze, habe ich schon mitbekommen, wie diskriminierend der Kollege in seinem Redebeitrag einen Beruf genannt hat, nämlich den des Schauspielers. Wer mich etwas länger kennt, der weiß, dass ich sehr nah an der Kultur, am Theaterleben, an den Schauspielern bin.

(Zurufe von der CDU)

Ich kenne in Freiberg jeden einzelnen und reiche ihm die Hand. Ich halte es nicht für gut, was Sie da gesagt haben. Vielleicht können Sie sich bei den Berufskollegen entschuldigen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch die der Schauspieler.

(Beifall bei den LINKEN – Patrick Schreiber, CDU: Da sind wir bei G20 gelandet!)

Das war eine Kurzintervention von Frau Dr. Pinka. Diese bezog sich auf den vorhergehenden Redebeitrag von Herrn Kollegen Bienst. Dieser reagiert jetzt.

Liebe Kollegin Dr. Pinka, ich oute mich einmal: Ich bin in meinem Leben auch manchmal ein bisschen Schauspieler. Aber das mache ich an einem bestimmten Ort, an dem es auch passt. Wir sind hier in einer sachlichen Diskussion. Alles andere weise ich von mir. Ich denke, wir sollten hier inhaltlich diskutieren und keine solchen Reden wie der Kollege schwingen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Jetzt, Frau Kollegin Friedel, haben Sie für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Debattentitel der LINKEN enthält das schöne Wort „Verantwortung“. Ich finde, das ist ein großes und auch ein wichtiges Wort. Deswegen möchte ich an dieser Stelle über die Verantwortung reden, die wir als SPD-Fraktion tragen.

Das ist keine Verantwortung auf exekutiver Ebene, aber natürlich eine Verantwortung in der Koalition im Rahmen der Legislative. Wir haben durchaus etwas damit zu tun, unter welchen Rahmenbedingungen und unter welchen Impulsen die Staatsregierung – hier im Besonderen das Kultusministerium – arbeiten kann.

Die Rahmenbedingung, die wir im Jahr 2014 vorgefunden haben, war beispielsweise eine Stellenplanung, die die Anzahl der Lehrkräfte von 28 000 im Jahr 2014 auf 25 000 im Jahr 2020 reduzieren wollte. Wir haben Verantwortung übernommen und gesagt: Das funktioniert nicht aufgrund steigender Schülerzahlen und aufgrund steigender Belastungen. Deshalb haben wir diese Stellenplanung umgekehrt: von 25 000 Lehrkräften, die von der Vorgängerregierung für das Jahr 2020 geplant waren, auf 30 400 Lehrkräfte, die nunmehr im Jahr 2020 zur Verfügung stehen werden.

Wir haben im Rahmen unserer Verantwortung immer wieder eine ganze Reihe von Einzelmaßnahmen vorgeschlagen und darüber debattiert. Es ist uns dann gelungen, sie gemeinsam mit dem Koalitionspartner im Lehrermaßnahmenpaket zu vereinbaren. Das fängt an bei einem Bewerberverfahren, das jetzt umgestellt wird, das laufende Einstellungen vorsieht und bei dem schulscharfe Stellenausschreibungen eine wichtige Rolle spielen. Das ist ein Punkt, den wir immer gefordert haben. Es geht weiter mit der finanziellen Anerkennung von Lehrkräften. Wir haben eine neue Lehrqualifikationsverordnung, die die Anerkennung von DDR-Lehrabschlüssen deutlich vereinfachen wird, es gibt die Bindungszulage und die bezahlten Überstunden.

Wir haben außerdem auch im Rahmen unserer Verantwortung als Gesetzgeber versucht, mit einem Schulgesetz mehr Entwicklungsperspektiven für unser sächsisches Schulwesen aufzuzeigen: Schulsozialarbeit, Praxisberater an jeder Oberschule. Wir haben das Thema Eigenverantwortung und mehr Freiheiten für die Schulen aufgegriffen

und versucht, in jedem einzelnen Punkt die pädagogischen Fragen vor die verwaltungstechnischen zu stellen.

Ich habe heute früh einen schönen Satz von Julian NidaRümelin gelesen, der sagte: „Wer Verantwortung trägt, der kann sich nicht allein auf formale Vorschriften berufen, er muss auch den Geist der Aufgabe erfassen und erfüllen.“ – Das ist das, was wir im Bereich der Bildungspolitik versuchen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind an dieser Stelle noch nicht am Schluss. Wir haben weitere Vorhaben, manche sind dringend und kurzfristig, andere mittelfristig, die wir aber jetzt beginnen müssen. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen für die Seiteneinsteiger. Wir müssen es hinbekommen, dass die Einstiegsfortbildung zum Schuljahresbeginn endet, sodass die Leute ab dem ersten Schultag da sind.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen es hinbekommen, dass die Seiteneinsteiger auch während ihrer beruflichen Qualifizierung bezahlt werden und nicht umsonst an die Uni gehen; denn das Wissen, das sie dort erwerben, nutzt ja dem Arbeitgeber. Wir müssen es schaffen, die Lehramtsausbildung klüger zu organisieren und Schulstufen zu orientieren, damit wir einen flexibleren Einsatz der Lehrkräfte erreichen. Wir müssen mehr Wege zum Lehrerberuf eröffnen. Ich rede dabei beispielsweise über Masterstudiengänge für Leute, die in einem Fachstudium einen Bachelor-Abschluss absolviert haben und sich dem Lehramt zuwenden wollen.