Protokoll der Sitzung vom 27.09.2017

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Nun die CDUFraktion, Herr Abg. Hartmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Zais, in der Tat, das Handeln muss auf rechtsstaatlichen und gesetzlichen Grundlagen basieren. Insoweit haben zumindest aus Sicht meiner Fraktion auch in dem von Ihnen thematisierten Fall die Behörden auf Grundlage der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen gehandelt. Zur Wahrheit gehört natürlich, dass diese Geschichte auch eine entsprechende Vorgeschichte hat.

Wir folgen an dieser Stelle nicht dem Ruf der Straße, sondern wir folgen den geltenden rechtsstaatlichen und gesetzlichen Regeln. Zur Klarstellung: Abschiebung vollzieht nicht der Sächsische Staatsminister des Innern, sondern vollziehen die zuständigen Behörden auf Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen. In diesem Falle können die Behörden davon ausgehen, dass sie zumindest die Unterstützung der CDU-Fraktion hier in diesem Hause haben.

Aber wir reden jetzt nicht über diesen Einzelfall, sondern über die Frage: Wie halten wir es mit Abschiebungen nach Afghanistan? Da stellt sich schon die Frage: Wie sicher ist sicher? Die Bundesregierung erklärt Afghanistan in Teilen als sicher. Es gebe in dem Land Gebiete, in denen man sicher leben kann, so die Haltung der Bundesregierung bis zum 31. Mai 2017.

Mit dem verheerenden Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul mit vielen Toten und Verletzten hatte die Bundesregierung die Abschiebung nach Afghanistan teilweise ausgesetzt und eine Neubewertung der Sicherheitslage angekündigt. Die Neubewertung liegt nun seit Anfang September als ein Zwischenbericht des Auswärtigen Amtes vor und entspricht im Kern der Auffassung, die die Bundesregierung auch vor dem Anschlag in Kabul vertreten hat: Afghanistan ist ein sicheres Land. Das Auswärtige Amt schreibt auf seiner Internetseite Folgendes – ich zitiere –: „Wegen immer wieder und in vielen Landesteilen aufflammender Kämpfe zwischen afghanischen Sicherheitskräften und vor allem den Taliban, aber auch den regionalen Ablegern des sogenannten Islamischen Staates, ist die Sicherheitslage in großen Teilen des Landes unübersichtlich und nicht vorhersehbar.“

Ich bin weder Außenpolitiker noch Experte für internationale Sicherheitsfragen. Dennoch habe ich – dies ist mein ganz persönliches Empfinden – schon einige Schwierigkeiten mit dieser Einschätzung. Es gibt zahlreiche Berichte der Vereinten Nationen, von Hilfs- und Flüchtlingsorganisationen sowie den Flüchtlingen selbst, die durchaus ein anderes Bild vermitteln. Selbst das Pentagon warnte im Juli 2017, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan aufgrund der steigenden Zahlen an Anschlägen mit wachsender Zahl ziviler Opfer zusehends verschlechtere. Diese Zahl stieg in den ersten sechs Monaten 2017 um 15 % und ist damit auf dem höchsten Stand seit dem Jahre 2009. Insbesondere in den Provinzen Kundus und Helmand verschlechtert sich die Lage zusehends. Taliban und IS sind vor allem in diesen Gebieten aktiv. Selbst in der Hauptstadt Kabul ist die Zahl der Anschläge in 2017 stark gestiegen. Die US-Regierung beabsichtigt daher, weitere 3 000 bis 5 000 Soldaten nach Afghanistan zu verlegen, um die Lage zu stabilisieren. Ich halte diese Entwicklung für bedenklich und hoffe, dass die neue Bundesregierung diese Entwicklung genau beobachten und die notwendigen Schlüsse daraus ziehen wird.

Nun hat die Bundesregierung in Abstimmung mit der Innenministerkonferenz nach dem 31. Mai 2017 auf die unsichere Lage in Afghanistan reagiert. Abschiebungen

nach Afghanistan finden nur nach sorgfältiger Einzelfallprüfung statt. Dies betrifft in erster Linie Gefährder, Straftäter und Personen, die hartnäckig ihre Mitwirkung bei der Identitätsklärung verweigern. Dass diese Personengruppen weiterhin nach Afghanistan abgeschoben werden, hält meine Fraktion und halte ich persönlich für richtig. Schließlich wiegt das Sicherheitsinteresse unserer Bevölkerung schwerer als das individuelle Recht auf Asyl dieser Personen.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Wer unser Asylrecht missbraucht, hier Straftaten begeht oder den deutschen Staat über die Schutzbedürftigkeit zu täuschen versucht, verwirkt sein Gastrecht in Deutschland.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entscheidet im Rahmen einer Einzelfallprüfung über jeden Asylantrag und darüber, ob sogenannte Abschiebeverbote vorliegen, und dies unter Einbeziehung sämtlicher individueller Umstände wie Ethnie, Herkunftsregion, Konfession, Familienstand und Herkunft.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jede getroffene Entscheidung ist gerichtlich überprüfbar. – Jawohl, Frau Präsidentin.

Frau Meier, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Hartmann, jetzt doch noch einmal eine Frage. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie jetzt gerade ausgeführt haben, dass Migrantinnen und Migranten, die hier Straftaten begangen haben, hier keiner Strafe unterworfen werden, hier nicht ins Gefängnis kommen, hier nicht ihre Strafe verbüßen sollen, sondern dass sie sozusagen in Freiheit abgeschoben werden und dann dort vor Ort nicht der Strafe zugeführt werden? Habe ich Sie richtig verstanden, ist das Ihre Meinung zu dem Thema?

Danke für die Gelegenheit, klarzustellen. Erstens habe ich das so nicht gesagt. Ich habe deutlich gemacht: Wer sich nicht an die Regeln dieses Landes hält, wer hier Straftaten begeht oder den deutschen Staat über seine Schutzbedürftigkeit täuscht, verwirkt sein Gastrecht. Folgendes, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ganz klar: Wer in diesem Land Hilfe will, der muss sich an die Regeln halten; ansonsten ist die Konsequenz auch die Rückführung in die Heimat, solange das in Übereinstimmung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen möglich ist.

Hinsichtlich der Sicherheitslage in Afghanistan stützt sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insbesondere auf den jeweils aktuellen Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes. Nach diesem Bericht ist eine pauschale Bewertung der Sicherheitslage für die Zivilbevölkerung in

ganz Afghanistan nicht möglich. Vielmehr stellt sie sich regional sehr unterschiedlich und höchst volatil dar. Im Umkehrschluss kann man sagen: Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach den Berichten des Auswärtigen Amtes nicht als allgemein unsicher zu bezeichnen. Das Auswärtige Amt stützt sich dabei auch auf UNHCRBerichte. Dort finden sich neben allen erstzunehmenden Hinweisen auf eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan auch Einschätzungen, dass es Provinzen und Distrikte gibt, in denen die Lage vergleichsweise sicher und stabil ist. Zu diesen Gebieten gehören das zentrale Hochland, zu dem auch Bamijon und Panjshir gehören, sowie die Mehrzahl der 33 Hauptstädte.

Dem jüngsten Ansinnen einiger Bundesländer, Rückführungen nach Afghanistan bis zu einer weiteren Klärung der Sicherheitslage zurückzustellen oder einen Abschiebestopp zu vollziehen, wie im vorliegenden Antrag auch gefordert, ist bei allen Bedenken zur Sicherheitslage in Afghanistan dennoch eine Absage zu erteilen, und dies aus folgenden Gründen:

Erstens. Ein Abschiebestopp in Sachsen wäre system- und spätestens nach sechs Monaten ohne Zustimmung des Bundesinnenministeriums auch rechtswidrig. Wenn die Verhältnisse im Herkunftsland generell eine Rückkehr zulassen, kann man nicht nach ausführlicher Prüfung pauschal die allgemeine Unsicherheit feststellen. Wenn tatsächlich die Rückkehr in einen Teil Afghanistans aus Sicherheitsgründen nicht möglich wäre, dann müsste dafür ein allgemeiner Abschiebestopp erlassen werden. Das würde dann alle ausreisepflichtigen Personen, also auch Straftäter, einschließen.

Zweitens. Deutschland kommt im europäischen Vergleich seinem Schutzauftrag sehr wohl nach. Mitte 2017 lag die Schutzquote für afghanische Asylbewerber bei 44 % und damit 12 % über dem Durchschnitt der Europäischen Union, der bei circa 32 % verortet werden kann.

Drittens. Die asymmetrische Kriegsführung von Taliban und IS ist darauf gerichtet, mit punktuellen Anschlägen die gesamte Sicherheitslage in Afghanistan zu destabilisieren mit dem Ziel, die Bevölkerung zu verunsichern und den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Würde man Afghanistan als unsicheres Land einstufen, dann spielte das genau diesen terroristischen Organisationen in die Hände.

Viertens. Ein Abschiebestopp würde auch das Bemühen der afghanischen Regierung konterkarieren, insbesondere gutausgebildete Afghanen im Land zu halten. Die Gefahr eines Brain-Drain ist durchaus real; dieser würde das Land weiter destabilisieren.

Insoweit kann ich den beiden ersten Punkten Ihres Antrags keinesfalls meine Zustimmung geben. Den Punkten drei und vier stehe ich durchaus offen gegenüber, da ich der Auffassung bin, dass ein ausführlicher Bericht dazu beitragen könnte, mit vielen falschen Vorstellungen und Mythen über die Situation in Afghanistan sowie die Abschiebepraxis unserer Behörden aufzuräumen.

Dennoch werde ich meiner Fraktion auch an dieser Stelle empfehlen, den Antrag abzulehnen, die Diskussion aber im Innenausschuss durchaus weiterzuführen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Eine Kurzintervention?

Frau Präsidentin, ich möchte vom Mittel der Kurzintervention Gebrauch machen.

Bitte, Herr Lippmann.

Herr Kollege Hartmann, ich hoffe, ich habe Sie in Ihrer Ausführung falsch verstanden. Wenn ich Ihnen richtig zugehört habe, haben Sie zu Beginn Ihrer Rede implizit ausgeführt, dass das Sicherheitsinteresse der deutschen Bevölkerung im Zweifel höher wiege als der Asylanspruch von Menschen, die zu uns kommen.

Ich sage Ihnen ganz deutlich, dass diese Aufrechnung von körperlicher Unversehrtheit gegen körperliche Unversehrtheit – im Zweifel: von Leben gegen Leben – nicht nur moralisch hoch fragwürdig, sondern aus der Sicht des deutschen Grundgesetzes schlicht unzulässig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Artikel 1, die Unantastbarkeit der Menschenwürde, und das Recht auf körperliche Unversehrtheit gelten uneingeschränkt und unabhängig von der Frage des Aufenthaltsstatus oder eines zukünftigen Aufenthaltsstatus. Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz dürfte klar sein, dass es auch nach der deutschen Verfassung unzulässig ist, im Zweifel Leben gegen Leben und körperliche Unversehrtheit gegen körperliche Unversehrtheit aufzuwiegen, sondern dass diese jeweils uneingeschränkt gelten.

Ich hoffe, dass ich Sie falsch verstanden habe; denn ich wünsche mir nicht, dass die größte Fraktion in diesem Hause jetzt mit diesem ehernen Grundsatz unserer Verfassungsordnung bricht.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Herr Hartmann, möchten Sie reagieren?

Ich nutze erneut gern die Gelegenheit zur Klarstellung. – Erstens. Unsere Fraktion steht uneingeschränkt zu dem Recht auf Asyl, wie es sowohl in den entsprechenden grundgesetzlichen Regelungen als auch in den weiteren rechtlichen Bestimmungen vorgegeben ist.

Zweitens. Ich stelle nochmals klar: Wer sich in unserem Land strafrechtlich verhält, wer sich in der Frage seiner Identität bzw. Herkunft missbräuchlich verhält, und zwar wiederholt und schwerwiegend, wer also das Gastrecht an dieser Stelle missbraucht, der hat seinen Anspruch in diesem Land verwirkt. Insoweit ist, solange es die rechtlichen Rahmenbestimmungen zulassen, eine Rückführung in die Heimat das konsequente Mittel.

Sollte dies nicht möglich sein – das ist genau die Frage, was dann der Fall wäre, wenn den Menschen dort, wo sie herkommen, Folter oder Tod droht –, dann wäre eine Rückführung ausgeschlossen. Dazu stehen wir ausdrücklich.

Hier geht es um die Frage: Ist Afghanistan ein sicheres Land oder nicht? – Ich habe deutlich gemacht, dass die jetzige Einschätzung darauf hinausläuft, zumindest Teile Afghanistans als sicher einzustufen. Ob das tatsächlich so ist? In dieser Frage habe auch ich Bedenken angemeldet. Ich habe darauf hingewiesen, dass es letzten Endes einer abgestimmten Bewertung der Bundesregierung – konkret: durch das Auswärtige Amt – bedarf. Die jetzige Einschätzung geht davon aus, dass wesentliche Teile Afghanistans offensichtlich als sicher eingestuft werden. Insoweit kann ich mir Ihre Argumentationslogik nicht zu eigen machen, weil es genau nicht darum geht, Menschen in den Tod zu schicken. Noch einmal: Die Bewertung, die uns derzeit vorliegt, geht davon aus, dass große Teile als sicher einzustufen sind.

Ich schließe mit dem nochmaligen Hinweis: Ich habe meine persönlichen Bedenken vorgetragen. Wir handeln auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen. Insoweit weise ich Ihren Vorwurf zurück, Herr Lippmann.

(Beifall bei der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das war ein bisschen am Thema vorbei!)

Für die Fraktion DIE LINKE Frau Abg. Nagel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da meine beiden Vorrednerinnen auf den Fall der Dresdner Familie abgestellt haben, möchte auch ich kurz etwas dazu sagen: Es ist sicherlich bekannt, dass es bei der Familientrennung um eine akut suizidgefährdete Mutter ging, die für November zu einem Termin in die Ausländerbehörde Dresden vorgeladen war. Zumindest bis zum Vorliegen des Ergebnisses hätte diese Familie nicht getrennt werden müssen durch eine Abschiebung, die durch die ZAB angeordnet oder vollzogen wurde. Das möchte ich dazu sagen. Menschlichkeit muss so weit reichen, dass eine Familie nicht auseinandergerissen wird, wenn Entscheidungen kurz bevorstehen.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Aber zum Thema des Antrags! Am 31. Mai 2017 – das wurde von den Vorrednerinnen schon erwähnt – kamen bei einem mutmaßlichen Selbstmordanschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul über 150 Menschen ums Leben. Hunderte weitere wurden verletzt. Dabei wurde die deutsche Botschaft schwerwiegend beschädigt. Perfiderweise mit der Begründung, dass die Botschaft nicht arbeitsfähig sei, wurde eine geplante Sammelabschiebung für diesen Tag abgesagt.