Protokoll der Sitzung vom 23.06.2000

Meine Damen und Herren! Die Drogenkriminalität ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem Problem geworden, einem Problem, dessen sich die Polizei ganz intensiv angenommen hat. Zur Entwicklung der Drogenkriminalität verweise ich auf die polizeiliche Kriminalstatistik des letzten Jahres, in der wir bei den Drogendelikten einen Anstieg von 35 % zu verzeichnen hatten.

Dazu muß man wissen, daß diese Kriminalität insofern eine ausgesprochene Kontrollkriminalität ist, das heißt ein Kontrolldelikt: Weil auf beiden Seiten des Drogenhandels zumindest unmittelbar Geschädigte fehlen, fallen die Opfer der Straftaten als Anzeigeerstatter typischerweise aus.

Ein statistischer Anstieg dieser Delikte ist deshalb nicht nur besorgniserregend, sondern auch ein deutlicher Ausdruck dafür, daß der Verfolgungsdruck und der Aufklärungserfolg durch unsere Polizei stärker geworden sind.

Mit großer Bestimmtheit muß in diesem Zusammenhang ergänzt werden, daß gerade das Problem der Drogensucht und der damit einhergehenden Kriminalität nicht allein die Polizei und die Justiz etwas angeht. Wenn in einer an sich unverdächtigen Stadt wie Bernburg die Drogenkriminalität verstärkt auffällt, lohnt sich auch ein Blick auf die Ursachen der Sucht bei deutschen Drogenkonsumenten.

Auch der Gegenstand des vorliegenden Antrags der CDU-Fraktion betrifft ein Problem, das die Polizei in diesem Lande sehr ernst nimmt. Mit Blick auf die Antragsüberschrift sollte allerdings nicht vom Drogenhandel durch Asylbewerber die Rede sein, sondern ganz bewußt vom Drogenhandel durch eine Minderheit von Asylbewerbern, die im Land Aufnahme gefunden hat.

Ernst ist dieses Thema neben den Fragen der Drogenkriminalität nämlich auch deshalb, weil diese Straftaten die Gefahr in sich bergen, daß die große Gruppe unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die zum weit überwiegenden Teil gesetzestreu hier leben, in der öffentlichen Meinung in Mißkredit gebracht wird.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Minister Herrn Dr. Heyer)

Ernst ist das Thema auch gerade deshalb, weil diese Gruppe, wie das erschreckende ausländerfeindliche Tötungsdelikt in Dessau zu Pfingsten erneut gezeigt hat, unseres besonderen Schutzes bedarf.

Meine Damen und Herren! Gerade angesichts des schrecklichen Ereignisses von Dessau in der vergangenen Woche hätte ich es begrüßt, wenn dieser Antrag, der makabererweise das Drucksachendatum des Todestages von Alberto Adriano trägt, von der antragstellenden Fraktion für diese Sitzung zurückgezogen worden wäre.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Minister Herrn Dr. Heyer)

Für die notwendige sachliche Debatte ist es auch wenig hilfreich, daß der CDU-Kreisvorstand in Bernburg am 15. Juni 2000, am Tag des Trauermarsches für Alberto Adriano in Dessau, in der Bernburger „MZ“ zu einer Unterschriftenaktion unter dem Motto „Kein Asyl dem Drogendeal“ aufruft und so noch Vorbehalte schürt.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines deutlich sagen, damit ich nicht mißverstanden werde: Ich spreche dem vorliegenden Antrag nicht den notwendigen Ernst ab, was die Auseinandersetzung mit dem angesprochenen Problem anbetrifft. Ich meine jedoch, daß diese Diskussion von allen Beteiligten aus den angesprochenen Gründen eine besondere Verantwortung, und das bedeutet auch Zurückhaltung, verlangt. Das ist eine Verantwortung, die die Landesregierung wie den Landtag in besonderer Weise betrifft.

Lassen Sie mich zum sachlichen Inhalt des Antrages folgendes anmerken: Sie beziehen sich in Ihrer Antragsbegründung auf die polizeiliche Kriminalstatistik, wobei diese Zahlen nicht in der Kriminalstatistik stehen.

Herr Minister, würden Sie eine Frage von Herrn Jeziorsky beantworten?

Bitte, Herr Jeziorsky.

Herr Minister, Sie haben eben gesagt, Sie wollen jetzt sachlich zu dem Antrag sprechen.

(Minister Herr Dr. Püchel: Zum sachlichen Inhalt des Antrags!)

Darf ich diese Äußerung so verstehen, daß Sie meinen Einbringungsbeitrag als unsachlich und vielleicht als emotional überladen angesehen haben?

Ich halte allein diesen Antrag im Landtag so einzubringen und darüber zu diskutieren in dieser Situation schon für gefährlich.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Oh! bei der FDVP - Herr Wolf, FDVP, und Herr Weich, FDVP, lachen - Frau Liebrecht, CDU: Wo denn dann?)

Über dieses Thema muß diskutiert werden, aber nicht in einer Debatte, in der nicht über jede Facette ausreichend diskutiert werden kann, gerade jetzt, wo vor wenigen Tagen jemand zu Tode geprügelt worden ist, weil er eine andere Hautfarbe hatte als die meisten hier Lebenden.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS - Herr Dr. Sobetzko, CDU: Bleiben Sie sachlich! - Zuruf von Herrn Weich, FDVP)

- Ich bleibe sachlich.

Ich komme jetzt zum sachlichen Inhalt des Antrages. Sie beziehen sich in der Antragsbegründung auf die Kriminalstatistik, wobei die genannten Zahlen gar nicht in der Kriminalstatistik stehen. Dazu ist zu sagen, daß der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen an der gesamten Rauschgiftkriminalität im Lande 9 % beträgt.

Allein vor dem Hintergrund dieser statistischen Zahlen ist Ihrer Forderung, alle Asylbewerber bei ihrer Aufnahme auf den gebotenen Umgang mit Rauschmitteln hinzuweisen, nicht zu folgen. Nähme man Ihren Vorschlag ernst, könnte, ja müßte man jedem Deutschen ein Strafgesetzbuch in die Wiege legen.

(Zustimmung bei der PDS)

Im übrigen ist Drogenhandel wohl überall auf der Welt strafbar. Ein Unrechtsbewußtsein darf demnach vorausgesetzt werden. Ebenso wird aber bei uns die Fähigkeit vorausgesetzt werden müssen, daß wir bei der Aufnahme von Flüchtlingen den Eindruck pauschaler Vorverurteilungen vermeiden.

Tatsache ist nach polizeilichen Erkenntnissen leider auch, daß an oder um einige Asylbewerberunterkünfte ein Schwerpunkt beim Drogenhandel in auffälliger Weise auftritt. Jedoch handelt es sich um eine relativ kleine Gruppe von Tätern, denen natürlich konsequent begegnet werden muß und auch wird. Dieser Umstand rechtfertigt aber keine pauschale Diskriminierung oder Kriminalisierung der Asylbewerber.

Aufgrund des Lagebildes ist insoweit bereits veranlaßt, daß das LKA gemeinsam mit den anderen zuständigen Behörden im Rahmen der Brennpunktbildung besondere Maßnahmen ergreift. Das entspricht dem Konzept des Landes zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität vom 6. März 1998 zur Unterbindung bzw. Zurückdrängung des illegalen Drogenhandels an diesen Brennpunkten.

Grundsätzlich gilt, daß bei Verstößen gegen die Rechtsordnung durch Rauschgiftdelikte ein dringendes Bedürfnis besteht, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus ausländische Straftäter auszuweisen. Das abgestufte Ausweisungssystem nach dem Ausländergesetz bietet hierzu ein angemessenes Instrumentarium. Auf die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen sind die Ausländerbehörden bereits vor Jahren durch entsprechende Erlasse hingewiesen worden. Sie, Herr Jeziorsky, als Landrat sind ja auch Ausländerbehörde.

Diese Hinweise werden bei geeigneter Gelegenheit jeweils aktualisiert.

Die Probleme, die Abschiebungen und im Vorfeld die Abschiebungshaft im Einzelfall dennoch erschweren können und auf die das Land leider wenig Einfluß hat, sind hier im Landtag oft genug diskutiert worden.

Die geforderte Koordination der beteiligten Behörden und Dienststellen gehört schließlich ebenso zu dem bereits erwähnten zielgerichteten Vorgehen des LKA und der örtlichen Polizeidienststellen wie die Einbeziehung der weiteren Maßnahmen, die Sie im Antrag erwähnt haben.

Zusammenfassend kann ich zwei Feststellungen treffen: Erstens. Die Landesregierung hat den im vorliegenden Antrag aufgezeigten Handlungsbedarf und die Handlungsmöglichkeiten erkannt und die Initiative ergriffen.

Zweitens - das ist der aus meiner Sicht entscheidendere Punkt -: Dieser Antrag birgt aufgrund unzulässiger Pauschalisierungen die Gefahr, daß Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Ausländer kriminalisiert werden und nicht zuletzt aus diesem Grund im schlimmsten Fall ausländerfeindlichen Übergriffen ausgesetzt sind. Für mich ergibt sich daraus die Empfehlung, diesen Antrag im Landtag nicht weiter zu behandeln.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Minister Herrn Dr. Heyer)

Danke, Herr Minister. - Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Wiechmann.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem wir in der Vergangenheit eine Reihe von Anfragen zur Drogen- und Asylproblematik, aber auch Anträge, die sich etwa mit der Aufschlüsselung der Täter und Tätergruppen in der Kriminalstatistik oder mit der Abschiebung straffällig gewordener Ausländer beschäftigten, eingebracht haben, betrachten wir die Fortsetzung unserer konsequenten Antidrogenpolitik durch die CDU-Fraktion zunächst mit einer gewissen Genugtuung.

Wenn es nicht alle besser wüßten, könnte man meinen, es hätte Absprachen zwischen unserer und der CDUFraktion darüber gegeben; denn wir traten schon immer für die konsequente Unterbindung des Drogenhandels im allgemeinen ein; das schließt die Asylanten natürlich nicht aus.

(Frau Lindemann, SPD: Asylbewerber heißt das!)

Den CDU-Informationen, nach welchen gerade im Bereich des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln eine auffällige Konzentration, das heißt ein - ich zitiere „außergewöhnlich hoher Anteil von Asylbewerbern in der polizeilichen Kriminalstatistik Sachsen-Anhalts“ festzustellen ist, ist nichts entgegenzusetzen.

Dennoch müssen wir an dieser Stelle konstatieren, daß die Drogenkriminalität insgesamt ständig ansteigt. Was uns dabei besonders besorgt macht, ist der Umstand, daß unter den Drogenkonsumenten ein deutlicher Zuwachs an Jugendlichen und Heranwachsenden zu verzeichnen ist.

Die Jugend muß bereits in ihrer frühesten Phase über die schädlichen Folgen von Drogenkonsum - das

schließt Alkoholmißbrauch, Nikotin und andere Suchtformen mit ein - aufgeklärt werden. Sie wissen, daß wir diesbezüglich schon lange die Einführung eines entsprechenden Schulunterrichtsfaches, welches man beispielsweise Gesundheitserziehung nennen könnte und das sich keinesfalls im Fach Körperertüchtigung erschöpft, fordern. Wir werden an dieser Forderung weiterhin festhalten.

Wir teilen die Ansicht der CDU, daß es gilt, alle repressiven staatlichen Maßnahmen gegen dealende Asylanten zur Anwendung zu bringen. Nur die konsequente Ausschöpfung der rechtsstaatlichen Mittel gegen ausund inländische Drogenhändler und andere Verbrecher kann die Sicherheit in Sachsen-Anhalt und anderswo erhöhen.

Doch Drogenkriminalität und Gewalt sind nicht nur eine Angelegenheit der Exekutive, sondern auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. Dort muß nach unserer Bewertung angesetzt werden. Dieser Sichtweise kommt die CDU in dem Antrag leider nicht entgegen. Wir haben deshalb den Rahmen durch einen Änderungsantrag ergänzt.

Nun richtet sich der CDU-Antrag zwar speziell gegen kriminelle Ausländer und fordert zugleich - zu Recht eine konsequentere strafrechtliche Vorgehensweise gegen ausländische Drogenhändler. Dennoch müssen wir die Drogenbekämpfung in einem Antrag auf alle Drogenverbrecher, also auch auf die deutschen bzw. inländischen erweitern. Auch das ist Bestandteil unseres Änderungsantrages.

Wie wir wissen, ist darüber diskutiert worden, daß die Landesregierung den Drogenkonsum in diesem Land insofern erlauben will, als jungen Menschen legal Drogen verabreicht werden können. Statt die Jugend mit allen Mitteln vor der Sucht zu schützen und zu bewahren, statt der Drogenkriminalität radikal den Boden zu entziehen, statt die Drogeneinfuhr, den Drogenbesitz und die Herstellung und den Handel konsequent zu verfolgen und härter zu bestrafen, um damit auch der Begleitkriminalität entgegenzuwirken, will man eventuell sogar Fixerstuben einrichten.

Da schließt sich der Kreis. Es geht nicht darum, fragwürdige Projekte à la Hamburg oder Schleswig-Holstein in Ermangelung eigener Strategien zu kopieren, sondern es geht darum, ein absolutes Verbot illegaler Drogen zu erreichen, ganz gleich ob Asylbewerber oder andere damit handeln.

Lassen wir nicht zu, meine Damen und Herren, daß das Verbrechen in der Szene Realität wird. Die Opfer von Gewalttaten können - Herr Püchel, da gebe ich Ihnen recht - nicht nur Farbige sein, sondern das können Menschen aller Couleur sein.