Protokoll der Sitzung vom 22.02.2002

Meine Damen und Herren! Ebenso bedenklich erscheint das Instrument der Rasterfahndung, das die CDU wesentlich erweitern will. Die rechtliche Fragwürdigkeit ist jüngst durch Gerichtsurteile belegt worden. Bisher nicht belegt werden konnte hingegen die Effektivität dieser Befugnis. Es gibt daher keinen Grund, der vorgesehenen Erweiterung zuzustimmen.

Ausdrücklichen lehnen wir auch die Ausdehnung der Aufgaben des Verfassungsschutzes auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ab. Die strikte Trennung polizeilicher und geheimdienstlicher Aufgaben und Befugnisse bleibt auch weiterhin unser Anliegen.

Zum letzten Punkt Ihres Gesetzentwurfs. Mir ist nicht einsichtig, welcher Effekt für die Bekämpfung von Extremismus dadurch erreicht werden soll, dass bereits 14Jährige in entsprechenden Dateien gespeichert werden können. Dem Problem extremistischer Szenen, zum Beispiel den zunehmenden Rekrutierungsversuchen der Naziszene unter Jüngeren, werden Sie durch die Beobachtung und Speicherung von Daten dieser Altersgruppen nicht begegnen können. Hierfür bedarf es zivilgesellschaftlicher Jugendkultur und nachhaltiger Demokratieerfahrung Heranwachsender, nicht jedoch erweiterter geheimdienstlicher Instrumente.

Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion lehnt den CDU-Gesetzentwurf ab und wird der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rothe.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst möchte ich die Gelegenheit nutzen, namens der SPD-Fraktion dem Kollegen Jeziorsky als Vorsitzendem des Innenausschusses von der ersten Legislaturperiode an für seine Leistungen Dank und Anerkennung auszusprechen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat - das wurde eben schon ausgeführt - nur neun Tage nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 wiederum Vorschläge als Gesetzentwurf präsentiert, die bereits wortwörtlich in ihren Gesetzentwürfen vom 22. Oktober 1998 und vom 21. Januar 1998 enthalten waren.

Lassen Sie mich kurz auf das Thema Straßenkontrollen eingehen. In der Anhörung, die wir am 22. Januar 2002 im Ausschuss durchgeführt haben, hat der Vertreter des Stuttgarter Innenministeriums die Frage aufgeworfen, ob eine Ausdehnung der Straßenkontrollen auf den gesamten öffentlichen Verkehrsraum mit der Rechtsprechung vereinbar ist.

Baden-Württemberg trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung, dass es sich um Straßen mit erheblicher Bedeutung für die internationale Kriminalität handeln muss. In Bayern werden im Rahmen der Schleierfahndung 98 % der Straftaten in dem 30 km breiten Grenzgebiet und nicht auf den Durchgangsstraßen im Landesinneren ermittelt. Die verhältnismäßig geringe Fallzahl bei uns ist darauf zurückzuführen, dass wir im Unterschied zu den vier Ländern, die bei der Anhörung vertreten waren, keinen an das Ausland grenzenden Kontrollraum haben.

(Herr Becker, CDU: Niedersachsen?)

- Herr Kollege Becker, der Vertreter Niedersachsens hat in der Anhörung darauf hingewiesen, dass insbesondere im Grenzraum zu Holland die Aufgriffe erfolgen. Das gilt insbesondere für Drogendelikte.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Püchel)

Auch dort ist also die Außengrenze zu einem anderen europäischen Land von großer Bedeutung für die Fallzahl.

Ich denke, wir sollten, nachdem sowohl die Praktiker als auch die Gewerkschaft der Polizei dazu geraten haben, zunächst weitere Erfahrungen zu sammeln und diese anschließend sorgfältig auszuwerten, nicht jetzt schon wieder eine Gesetzesänderung beschließen.

Meine Damen und Herren! Den Vorschlag der Union, den Richtervorbehalt bei der Rasterfahndung abzuschaffen, hätte die SPD-Fraktion sofort umgesetzt, wenn der Richter nach dem 11. September 2001 den Antrag der Landesregierung abgelehnt hätte. Das ist doch gar keine Frage. Wir unterstützen die Initiative des Innenministers,

in den Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes eine Regelung aufzunehmen, die bei der Übernahme durch die Länder bundesweit Rechtssicherheit schafft. Da bei uns die Rasterfahndung funktioniert, können wir das Ergebnis der Fachberatungen auf Bundesebene in Ruhe abwarten.

Zum nächsten Vorschlag. Die CDU-Forderung, den Verfassungsschutz im Bereich der organisierten Kriminalität ermitteln zu lassen, lehnen wir ab. Der Verfassungsschutz hat eine andere Zielstellung und andere Kompetenzen als die Polizei. Dabei soll es bleiben.

Meine Damen und Herren! Ich komme jetzt zu einem Punkt, der die anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendweihe sicher auch interessieren wird, nämlich zu der Frage, ob der Verfassungsschutz Erkenntnisse über Jugendliche im Alter von 14 und 15 Jahren speichern soll. Bislang werden lediglich die Straftaten der 14- und 15-Jährigen von der Polizei erfasst und verfolgt.

Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wie gefestigt waren Ihre politischen Ansichten, als Sie in diesem Alter waren? - Im „Bayernkurier“ vom 22. Juni 1974 spricht ein gewisser Bernward Rothe von der „an vielen Schulen auszufechtenden geistig-ideologischen Auseinandersetzung mit der Linken“.

(Herr Gärtner, PDS, lacht)

Weiter heißt es in meinem Leserbrief:

„Ich werde auch in Zukunft mir besonders gelungen erscheinende ‚Bayernkurier‘-Artikel in der Schule aushängen, was übrigens auch auf der linken Seite Resonanz gefunden hat, indem nämlich neben dem ‚Bayernkurier‘ die ‚Rote Fahne‘ und ein Bild von Mao zu finden waren.“

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

Der CSU-Vorsitzende Strauß hat seinerzeit wiederholt dem Vorsitzenden Mao seine Aufwartung gemacht. Beim dritten Mal wurde er als alter Freund des chinesischen Volkes begrüßt. Von China war gestern auch schon die Rede, Frau Dr. Sitte.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS - Zu- stimmung von Herrn Stier, SPD)

Ich selbst habe damals Radio Peking gehört und die Mao-Bibel studiert. Hier ist sie übrigens.

(Der Redner hält ein rotes Buch hoch - Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Auf der Seite 254 finden sich folgende Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung:

„Die Dinge in der Welt sind kompliziert, sie werden von allen möglichen Faktoren bestimmt. Man muss die Probleme von allen Seiten betrachten und nicht nur von einer einzigen.“

(Zustimmung bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Wir sollten den unter 16-Jährigen die Freiheit lassen, die Probleme von allen Seiten zu betrachten, ohne dass sie in einer Akte des Verfassungsschutzes auf ihre unreifen Ansichten festgelegt werden.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Herr Kollege, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von Herrn Becker zu beantworten? - Bitte.

(Herr Tögel, SPD: Nach dem, was Sie heute ge- leistet haben, dürften Sie gar keine Zwischen- fragen mehr stellen! Schwächling!)

Kollege Rothe, Sie sagten, Sie würden den Richtervorbehalt bei der Rasterfahndung abschaffen, wenn bei uns ein solches Urteil wie in Hessen oder in Berlin vorläge.

Ich frage Sie einmal als Jurist - ich gehe davon aus, dass Sie Ihr Handwerk gelernt haben; Sie waren auf einer guten Universität -: Glauben Sie nicht auch, dass die jetzige Situation so ist, dass jedes Gericht die Rasterfahndung in Sachsen-Anhalt aufheben müsste, weil wir nämlich keine Terroristen suchen, die hier Terroranschläge begehen wollen, sondern weil wir solche Terroristen suchen, die sich an den Anschlägen in New York und Washington beteiligt haben, und weil damit im Grunde genommen von diesen Terroristen keine Gefahr für dieses Land, für die Bundesrepublik Deutschland und für Leib und Leben Deutscher ausgeht, wie es das jetzige Tatbestandsmerkmal voraussetzt?

Brauchen wir deshalb nicht vielmehr ein Tatbestandsmerkmal, das die Begehung von Straftaten vorsieht? Glauben Sie nicht auch, dass die Rasterfahndung in der jetzigen Form aufgehoben werden müsste? Wie würden Sie, wenn Sie Richter wären, entscheiden?

Herr Kollege Becker, Ihre jetzige Rechtsauffassung überrascht mich etwas. Sie haben nach dem 11. September 2001 die Frage aufgeworfen, ob denn ein Richter sachsen-anhaltinischer Prägung auf der Grundlage der vorhandenen Regelung eine Entscheidung in unserem Sinne treffen werde.

(Herr Becker, CDU: Ich habe Sie gefragt!)

Jetzt hat er das getan. Warum stellen Sie jetzt die Richtigkeit dieser Entscheidung infrage, nachdem der Herr Innenminister darauf hingewiesen hat, dass es intensive Verflechtungen nach Hamburg und sogar nach Köthen gab? Daraus ist doch ersichtlich, dass wir weiterhin von einer gegenwärtigen Gefahr auszugehen haben.

Ich bin zuversichtlich, dass die Entscheidung des Richters bestätigt werden wird, wenn in Sachsen-Anhalt die Rasterfahndung gerichtlich angefochten wird. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann ändern wir eben das Gesetz. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, möchten Sie noch einmal das Wort ergreifen?

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Becker, Sie sprachen eben von Jurist zu Jurist. Das war vollkommen richtig. Sie sind beide sehr gute Juristen; das habe ich in den letzten Jahren erlebt. Ich schätze Sie beide sehr, aber es gibt

noch mehr Juristen, zum Beispiel solche, die am Verwaltungsgericht Mainz arbeiten.

Ich möchte Ihnen etwas aus einem aktuellen Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vorlesen. Die Überschrift lautet „Rasterfahndung ist rechtmäßig“. Die Richter in Mainz sagen in Bezug auf die gegenwärtige erhebliche Gefahr:

„Nach Ansicht der Richter seien die Anordnung, Speicherung und Verarbeitung der Daten nach dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz zulässig. Die erforderliche gegenwärtige erhebliche Gefahr liege vor. Die zurückliegenden terroristischen Attentate seien Teil einer planmäßig angelegten Strategie islamistischer Fanatiker, die mit den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht ihren Abschluss gefunden habe. Es bestehe eine Dauergefahr.“

Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)