Protokoll der Sitzung vom 03.07.2003

Was die letzten 16 Jahre betrifft: Sie meinen nicht die letzen 16 Jahre. Sie betätigen sich als Wirtschaftshistoriker und gehen offenbar noch sehr weit in die Zeit der frühen 80er-Jahre zurück, in die Zeit von 1982 bis 1998.

(Herr Bullerjahn, SPD: Lassen Sie den Quatsch, ist ja gut!)

Hinsichtlich dieser Zeit kann man sehr wohl sagen - das will ich an dieser Stelle betonen -, dass man manches von dem, was erst in den späteren 90er-Jahren von der Koalition als Reformwerk angeboten wurde, hätte früher machen können.

Ich sage Ihnen ganz klar, Herr Bullerjahn - ich sage es zumindest für meine Partei -: Das wurde auch früh angemahnt, bereits in den 80er-Jahren, übrigens unter wütenden Protesten der Sozialdemokraten und der Grünen, die das damals - aber eigenartigerweise nicht mehr heute - als eine unsoziale Politik ansahen, die wir vorschlugen.

Noch in den Jahren 1997 und 1998 gab es im Zusammenhang mit den Petersberger Beschlüssen eine außerordentlich scharfe Polemik, die auf einen Abbau des Sozialstaats zielte, eine Diffamierung sowohl der CDU als auch der FDP für Vorschläge, mit denen Sie sieben Jahre später kommen und sie als innovativ verkaufen. Herr Bullerjahn, das muss der Ehrlichkeit halber dazu gesagt werden.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Dass uns in der früheren Zeit auch Dinge sozusagen nicht schnell genug gingen - es gab gerade in meiner Partei eine ganze Menge von Stimmen, die könnte ich Ihnen alle nachliefern, die genau die Richtung angemahnt haben, die wir heute tendenziell offenbar zunehmend gemeinsam einschlagen. Das haben wir schon früh angemahnt. Aber es war nicht so, dass die Sozialdemokraten damals sagten, das ist die richtige Richtung. Nein, nein, die Sozialdemokraten sagten genau das Umgekehrte: Dreht euch um, geht in die Vergangenheit!

Jetzt scheinen zumindest einige Sozialdemokraten verstanden zu haben, dass es so nicht weitergeht. Das begrüßen wir. Aber ich bitte Sie: Machen Sie uns doch jetzt keine Vorwürfe, dass wir in der Wirtschafts- und in der Finanzgeschichte Deutschlands in den letzten 25 Jahre die Dinge nicht schnell genug vorangetrieben haben.

Eines ist klar: Es wäre alles schneller gegangen, wenn Sie nicht lange Zeit in den 90er-Jahren - nicht Sie persönlich, aber Ihre Partei - eine Blockadepolitik betrieben hätten.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister, sind Sie bereit, zwei weitere Fragen zu beantworten? - Bitte sehr, Frau Dr. Weiher.

Herr Minister, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Ihnen offensichtlich die Steuersenkungen noch nicht reichen und Sie den Weg geradlinig weitergehen wollen. Wir werden verfolgen, wie das alles weitergeht.

Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass Sie uns mit Ihren Worten zu der Aussage in unserer Begründung, dass die Spitzenverdiener faktisch ihr Geld nicht ausgeben wollen, in die Ecke stellen wollen, dass wir eigentlich zurückgeblieben sind.

Ich denke, die Entwicklung in den letzten Jahren hat genau gezeigt, dass es dorthin geht, dass die Spitzenverdiener, die Großunternehmen, die mit Milliardengeschenken versehen worden sind, die keinerlei Steuern mehr zahlen, obwohl sie Millionengewinne haben, nicht bereit sind zu investieren und nicht bereit sind, für Wirtschaftswachstum zu sorgen. Das zum einen. Das ist aber nicht meine eigentliche Frage.

(Zustimmung bei der PDS)

Sie haben auch heute wieder von sparen, sparen, sparen gesprochen. Nun habe ich mit Interesse gelesen - ich versuche auch immer, mich ein Stück weiterzubilden -, dass es in der ökonomischen Theorie das so genannte Sparparadoxon gibt. Das heißt im Grunde genommen, mit zunehmender Sparquote sinkt das Einkommen, einmal auf ganz wenige Worte beschränkt. Also: Wer immer mehr spart, spart, spart, der macht eine Kette auf, sodass er letztlich nicht mehr einnimmt, sondern aufgrund der sinkenden Kaufkraft, der sinkenden Preise, der sinkenden Beschäftigungsquote usw. zu weniger Einnahmen kommt.

Könnten Sie mir zustimmen, dass Sie im Augenblick sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene genau in dieser Kette sind?

(Zustimmung bei der PDS)

Frau Dr. Weiher, hinsichtlich des letzten Punktes kann ich Ihnen nicht zustimmen. Aber ich bitte Sie, davon abzusehen, auf eine ausführliche Antwort zu dringen; denn sonst muss ich in der nächsten Broschüre, die die SPD über die Leistung dieser Landesregierung herausgibt, lesen: Er doziert immer noch weiter; er hat nichts dazugelernt.

Frau Dr. Weiher, ich bin gern bereit, mit Ihnen über diesen Punkt am Rande einer Ausschusssitzung zu diskutieren.

(Herr Bullerjahn, SPD: Da wäre ich vorsichtig!)

- Nein. Es geht doch darum, dass wir eine Frage von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung haben. Es geht um die Frage, wie Kaufkrafterhöhungen oder Kaufkraftsenkungen letztlich wirken. Es gehört sicherlich nicht hierher, das auszuführen.

Aber eines möchte ich doch feststellen: Die Länder, die wirtschaftlich erfolgreich waren, die in den letzten Jahren wachstumspolitisch wesentliche Schritte nach vorn gemacht haben, sind alle in die Richtung gegangen, dass sie gewissermaßen nicht mehr Kaufkraft durch entsprechende Regelungen geschaffen haben, sondern tendenziell die Kapitalbildung, die Investitionen gefördert haben.

Liebe Frau Weiher, die Frage nach der Investitionsbereitschaft einzelner Einkommensgruppen betrifft auch eine komplizierte Materie. Das kann man nicht in einem Satz beantworten.

Aber klar ist: Es geht nicht - das will ich ganz deutlich sagen - um irgendwelche Entlastungen von irgendwelchen Spitzenverdienern. Es geht insgesamt um eine breit angelegte Senkung der Einkommensteuertarife, damit sich in unserem Land Leistung stärker lohnt, und das geht von den Beziehern ganz niedriger Einkommen bis zu den Beziehern ganz hoher Einkommen. Diesen Weg müssen wir gehen, um mehr Wachstum und Beschäftigung zu haben.

Herr Gallert, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Minister, als Erstes möchte ich den Kollegen der CDU-Landtagsfraktion einen Hinweis geben, die Ihre Auseinandersetzung mit der Begründung zu dem Antrag

der PDS-Fraktion auf die Aktuelle Debatte so klasse fanden. Ihnen will ich nur sagen, dass das, was der Minister soeben kritisiert hat, fast wortwörtlich die Argumentation des hessischen Ministerpräsidenten Herrn Koch ist, mit der er vor vier Tagen diese vorgezogene Steuerreformstufe abgelehnt hat.

(Zustimmung bei der PDS und von Frau Budde, SPD)

Was Herr Koch heute sagt, weiß man nicht. Das ist klar. Die Meinungen schlagen bei der CDU alle 24 Stunden in die entgegengesetzte Richtung um. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass man die geistigen Väter einer solchen Argumentation nicht nur bei der PDS vermuten sollte. Die haben wir uns hier einmal ausdrücklich von Herrn Koch abgeschaut.

(Frau Fischer, Merseburg, CDU: Aha!)

Jetzt haben wir das gleiche Problem wie bei der ersten Aktuellen Debatte: Was will die Landesregierung? Ich versuche das einmal auf den Punkt zu bringen. Erstens. Herr Paqué, Sie sind also dafür, die Steuerreformstufe vorzuziehen, wenn daraus für das Land keine Belastungen resultieren, ansonsten sind Sie dagegen?

Zweitens. Entspricht es auch der Position von Herrn Westerwelle und Ihrer Bundespartei, dass ausschließlich der Bund die Folgen zu tragen hat und die Länder und die Kommunen vollständig davon freizustellen sind?

Zu Frage 1. Herr Gallert, ich werde an dieser Stelle keine Aussage darüber machen, wo exakt die numerische Grenze der Belastbarkeit liegt. Lieber Herr Gallert, Sie wissen genau, dass solche Entscheidungen darüber, welcher Preis dafür zu zahlen ist, mit Blick auf die gesamte Situation abgewogen werden müssen.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Na endlich!)

Nun ja, auf die Zahl Null werde ich mich an dieser Stelle nicht festlegen lassen. Wir werden alles genau prüfen, wenn entsprechende Vorschläge vorliegen. Die Diskussion wird in den nächsten Wochen noch weitergehen. Mit der Zahl Null würden wir sozusagen eine Benchmark setzen. Wir werden sehen, wie es weitergeht.

(Frau Budde, SPD, lacht)

Zur zweiten Frage, was die Bundespartei angeht. Ich bin Mitglied im Bundesvorstand. Dort haben wir am vergangenen Montag einen Beschluss gefasst. Ich kann aus diesem Beschluss zitieren.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Lesen können wir auch!)

Darin heißt es, wir als Liberale werden darauf achten, dass der Bund nicht zulasten der Länder und Kommunen seine Finanzprobleme löst. Das ist es. Das beinhaltet genau das, was wir wollen.

(Frau Budde, SPD: Was denn nun, null oder? - Frau Dr. Sitte, PDS: Sagen Sie nun nein oder ja? Herr Westerwelle sagt ja!)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler des Bismarck-Gymnasiums Genthin.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die CDU-Fraktion erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Tullner das Wort. Bitte sehr, Herr Tullner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Herr Gallert, wenn Sie sagen, Sie hätten die Begründung für Ihren Antrag von Roland Koch übernommen, muss ich fast vermuten, dass das Abschreiben bei Ihnen im Moment Methode ist.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Gallert, PDS: Wir verschließen uns nicht den Anregungen an- derer, Herr Tullner!)

Zweitens. Ihre Kollegin Frau Dr. Weiher sagte - Sie haben es auch noch einmal betont -, dass die CDU in einen Chor der Vielstimmigkeit eingefallen sei. Dazu kann ich Ihnen nur eines sagen: Wenn diese Bundesregierung in Ihrer Sprunghaftigkeit in kurzer Zeit solche grundlegenden Entscheidungen trifft,

(Frau Budde, SPD, lacht - Herr Gallert, PDS: Das haben Sie übertroffen!)

dann muss es doch das Recht einer Volkspartei sein, darüber öffentlich zu diskutieren.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

In 14 Tagen zu einer einvernehmlichen Meinung zu kommen, ist doch in Anbetracht der Debatten, die innerhalb der PDS geführt werden, eine große Leistung, Herr Gallert.