Protokoll der Sitzung vom 07.05.2004

Dann, bitte, zunächst Herr Gallert, danach Frau Dr. Klein.

Frau Wybrands, mir geht es noch einmal um das Stichwort Hungerrevolte in der Slowakei. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit im Mitteldeutschen Rundfunk einen Bericht über die Ernährungssituation der Kinder in Polen gesehen, der mich absolut schockiert hat. Nach diesen Aussagen sind dort 30 % der Kinder unterernährt, im Ostteil Polens sind es sogar 60 % aller Kinder.

Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Sie haben auf das Problem Hungerrevolte in der Slowakei mit dem Kohäsionsbericht geantwortet.

Ist es nicht unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit in der Europäischen Union, für solche Steuersätze innerhalb der EU zu sorgen, die solche leeren Staatskassen, die dort solche Folgen für die Bevölkerung bringen, verhindern, statt einen ruinösen Steuerdumpingwettbewerb innerhalb der EU zu skizzieren, der dazu führt, dass deren soziale Verhältnisse sich innerhalb der EU praktisch nach Westen durchfressen? Ist es nicht das Gebot der

Stunde, eine Steuerharmonisierung gegen das Steuerdumping zu realisieren?

(Zustimmung bei der PDS)

Herr Gallert, ich weiß nicht, ob es opportun ist, hungernde Kinder und Steuerharmonisierung zusammenzubringen.

(Herr Gallert, PDS: Doch, das ist es!)

Es gibt diese hungernden Kinder, weil Polen jetzt erst in die Europäische Gemeinschaft hineinkommt. Wenn dies vorher der Fall gewesen wäre, hätte es genug Unterstützung gegeben, um daran arbeiten zu können. Natürlich kann man nicht alle Probleme auf einmal lösen. Aber das wäre zumindest möglich gewesen.

Richtig ist allerdings, dass dem deutschen Steuerzahler nicht zu erklären ist, dass auf der einen Seite die Beitrittskandidaten unter anderem mit deutschen Steuergeldern unterstützt werden und dies auf der anderen Seite dazu genutzt wird, dort Arbeitsplätze zu schaffen, die uns dann wieder Probleme machen. Eine generelle Lösung dafür gibt es noch nicht. Darüber wird zurzeit diskutiert.

Aber ich sage es noch einmal: Die hungernden Kinder können nicht auf irgendwelche Steuervereinbarungen warten. Es muss jetzt geholfen werden. Mit dem 1. Mai laufen hierzu auch die Hilfsprogramme an.

(Zustimmung bei der CDU)

Nun bitte, Frau Dr. Klein, Ihre Frage.

Frau Wybrands, zum letzten Thema: Wir werden sicherlich im Rahmen der Beratungen zum Nachtragshaushalt noch einmal thematisieren, wie Steuern und öffentliche Hand zusammenhängen.

Aber meine Frage ist erstens: Haben Sie an den Sitzungen des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten im November und im Dezember 2003 teilgenommen? Können Sie sich daran erinnern, worüber wir debattiert haben?

Danke, Frau Dr. Klein, für das Stichwort. Ich kann mich genau daran erinnern, dass Sie damals schon gesagt haben, dass die Regierung nicht ordentlich informiert hätte. Ich habe schon damals darauf hingewiesen, dass wir in der CDU-Fraktion und in der FDP-Fraktion sehr lange über Evaluierung und Umakzentuierung gesprochen haben und dass wir der Ansicht sind, dass dies auch Sache des Landtags ist. Deshalb haben wir uns eingemischt. Das habe ich schon damals zwei- oder dreimal gesagt.

Aber Sie können sich daran erinnern - ich will es nicht laufend wiederholen -, dass es nicht nur von meiner Seite Kritik gab. In den anderen Ausschüssen wurden diese

Debatten erst im Januar und im Februar, im Finanzausschuss sogar erst im März, geführt.

Aber zu meiner zweiten Frage: Wie interpretieren Sie den Artikel 1 des Verfassungsentwurfs, in dem steht, dass die Europäische Union eine Rüstungsagentur zu schaffen hat, und in dem die Verpflichtung der europäischen Staaten zur weiteren Militarisierung direkt und wörtlich verankert ist?

Frau Dr. Klein, natürlich geht es um eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Natürlich müssen wir die haben. Aber das heißt noch lange nicht, dass die gesamte EU „militarisiert“ wird. Man muss sich einmal überlegen, was hinter diesem Wort steht. Das nenne ich: Ängste sinnlos schüren. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Wybrands. - Damit ist die Debatte über die Regierungserklärung abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt 2 beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2004

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 4/1558

Der Gesetzentwurf wird von Herrn Finanzminister Paqué eingebracht. Bitte schön, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung legt Ihnen heute den Planentwurf für einen Nachtragshaushalt vor. Mit diesem Entwurf wird der Haushaltsplan 2004 in einigen wesentlichen Punkten geändert. Mit diesen Änderungen reagieren wir, die Landesregierung, auf die aktuellen Entwicklungen der wirtschaftlichen und fiskalischen Rahmenbedingungen, und diese Entwicklungen, meine Damen und Herren, sind schlecht.

Deutschland befindet sich in einer tief greifenden Konjunktur- und Wachstumskrise. Im Jahr 2003 schrumpfte die deutsche Wirtschaft um 0,1 %, und dies nach Wachstumsraten nahe null in den beiden Vorjahren, 0,8 % im Jahr 2001 und 0,2 % im Jahr 2002.

Sachsen-Anhalt hat sich natürlich dieser Entwicklung nicht entziehen können. Im Jahr 2003 gab es hierzulande zwar ein positives Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, aber dieses Wachstum fiel mit 0,3 % relativ bescheiden aus, vor allem weil die durchaus beachtliche Expansion im verarbeitenden Gewerbe von einer fortgesetzten Schrumpfung der Bauwirtschaft begleitet war.

Auch die Arbeitslosigkeit nimmt in Deutschland zu und die Zahl der Erwerbstätigen geht zurück. Im Frühjahrsgutachten der Forschungsinstitute wird darauf hingewiesen, dass rund 600 000 Vollzeit- und Teilzeitstellen zum Jahresende 2003 im Vorjahresvergleich weggefallen sind. Für die neuen Länder wird ein Minus von

100 000 Erwerbstätigen festgestellt. Auch in diesem Jahr ist keine durchgreifende Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu erwarten. Die Arbeitslosigkeit wird weiter zunehmen und die Zahl der Beschäftigten wird weiter sinken. Die Arbeitslosenquote hat sich in Deutschland von 9 % im Jahr 2001 auf 10,3 % im Jahr 2003 erhöht.

In Sachsen-Anhalt gibt es zwar strukturell einige Lichtblicke - so konnte der Abstand zu den anderen Ländern im Durchschnitt verringert werden und die rote Laterne wandert vermutlich in diesem Jahr endgültig nach Mecklenburg-Vorpommern -, eine grundlegende konjunkturelle Belebung des Arbeitsmarktes ist aber auch hierzulande ausgeblieben.

Meine Damen und Herren! Was sich am Arbeitsmarkt widerspiegelt, ist auch für die Kapazitätsauslastung der Wirtschaft zu beobachten. Wir haben es mit einer deutlichen konjunkturellen Unterauslastung des Produktionspotenzials zu tun und die dauert schon drei Jahre. Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass sich die Wirtschaft Deutschlands und die Wirtschaft Sachsen-Anhalts in einem ausgeprägten Ungleichgewicht befinden.

Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage des Nachtragshaushalts mussten wir die haushaltswirtschaftlichen Konsequenzen aus drei Jahren Stagnation ziehen; denn wirtschaftliche Stagnation heißt auch vor allem Wegbrechen von Steuereinnahmen. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, sei es in den alten Ländern seit 1949, sei es im vereinten Deutschland seit 1990, hat es auch nur annähernd vergleichbare Steuerausfälle gegeben. Was sich seit 2002 in Deutschland auf der Seite der Steuereinnahmen abgespielt hat, das ist für die Verwalter der öffentlichen Kassen ein Alptraum.

Ich sage ganz deutlich: Es ist bitter, dass wir mit diesem Nachtragshaushalt die Nettokreditaufnahme um 368 Millionen € erhöhen müssen. Aber ich sage auch ganz deutlich: Wir tun dies, ohne auch nur einen Euro mehr für freiwillige Leistungen gleich welcher Art auszugeben, und wir tun dies, ohne unseren Konsolidierungskurs mit den harten Sparauflagen, die wir haben, und zwar in allen Bereichen, auch nur an irgendeiner Stelle zu verlassen, meine Damen und Herren.

Lassen Sie mich kurz darlegen, welches die Gründe sind, die uns gezwungen haben, einen Nachtragshaushalt aufzustellen:

Das Haushaltsjahr 2003 schloss mit einem Defizit in Höhe von 354 Millionen € ab.

(Herr Bullerjahn, SPD: Endgültig?)

Nach dem geltenden Haushaltsrecht - § 25 LHO - ist ein Fehlbetrag spätestens in den Haushaltsplan des zweitnächsten Jahres einzustellen. Die Landesregierung hat sich entschlossen, den Fehlbetrag mit dem Nachtragshaushalt zu aktivieren, da bei einer derartigen Größenordnung eine Erwirtschaftung im Vollzug des kommenden Haushaltsjahres nicht möglich ist.

Betrachten wir rückblickend die Situation im Jahr 2003:

Das Land hatte Steuerausfälle von rund 352 Millionen € zu verkraften. Das zeigt im Übrigen - es entspricht nämlich ziemlich genau dem Fehlbetrag rein vom Ergebnis her -, dass der Fehlbetrag netto im Wesentlichen auf exogene Faktoren zurückzuführen ist, auf Faktoren, die

außerhalb des Landes liegen und die von der Landesregierung nicht zu vertreten sind und auch nicht zu beeinflussen waren.

Mit der Haushaltssperre des letzten Jahres konnten zwar alle anderen Mehrbelastungen aufgefangen werden, so unter anderem überplanmäßige Ausgaben für Sozialhilfe von fast 40 Millionen € und Überzahlungen an die Kommunen in einer Größenordnung von 70 Millionen €. Immerhin gelang es auch, über die globale Minderausgabe in Höhe von fast 80 Millionen € hinaus noch fast 100 Millionen € netto im Vollzug einzusparen. Einem zusätzlichen Einnahmeausfall in einer Größenordnung von über 350 Millionen € ist aber ein Land wie SachsenAnhalt weitgehend machtlos ausgeliefert. Klar ist: Das Defizit 2003 war in seiner vollen Höhe nicht durch Einsparungen im konsumtiven Ausgabenbereich aufzufangen.

Ich hatte eine Haushaltssperre verhängt. Von dieser blieben aber die Investitionen weitgehend ausgenommen, zumindest soweit sie mit EU- und mit Bundesmitteln kofinanziert waren. Nur durch ganz tiefe Einschnitte bei den Investitionen hätten wir die Höhe des Defizits überhaupt nennenswert verringern können, und das in einer gesamtwirtschaftlichen Lage, die den erhofften Aufschwung vermissen ließ und immer mehr den Charakter einer schweren Rezession annahm.

Die wirtschaftliche Lage in Sachsen-Anhalt und im Bundesgebiet war im letzten Jahr bedrohlich genug, um die Ausnahme der Investitionen von der Sperre zu rechtfertigen; denn die Folgen einer solchen Sperre wären gewesen: keine öffentlichen Aufträge für die mittelständische Wirtschaft vor Ort, kein zusätzliches Geld aus Berlin und Brüssel im Wirtschaftskreislauf unserer Region und damit im Ergebnis eine weitere Vertiefung der Rezession.

Meine Damen und Herren! Ich weise an dieser Stelle auch darauf hin, dass der Mittelabfluss im Investitionsbereich in einer völlig normalen Größenordnung lag. Es geisterten anschließend einige Meldungen durch die Presse, dass ein außergewöhnliches Ausmaß an Investitionsabfluss die Situation bewirkt habe.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Das ist schlicht nicht richtig. Wir hatten im Jahr 2002 einen Investitionsabfluss, gemessen an der Veranschlagung, von 91,7 %. Wir hatten im Jahr 2003 einen Investitionsabfluss, der höher lag, aber nicht wesentlich höher. Er lag bei 92,3 %. Mit anderen Worten: Eine Einschränkung der Investitionen hätte an dieser Stelle bedeutet, dass wir noch einmal ganz drastisch unter das Niveau des Vorjahres hätten gehen müssen. Eben dies war aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage nicht zu rechtfertigen.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Herr Tullner sieht das an- ders!)

Es war eine Situation, in der man als Finanzminister zwischen zwei Übeln wählen musste. Die Kritiker haben es später natürlich leicht, mit dem Vorteil des besseren Wissens im Nachhinein Schwächen in der Feinabstimmung nachzuweisen. Freimütig bekenne ich, dass man über die Einzelheiten in diesem Zusammenhang natürlich trefflich streiten kann. Aber das ändert nichts an der grundlegenden Tatsache, dass bei der Höhe, bei dem Ausmaß der Steuerausfälle ein Haushaltsausgleich im Vollzug nicht möglich war.