Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Dazu kommt noch eine Vergütungskürzung in Höhe von 1 % für die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung, die auch noch einmal hinsichtlich der Effektivität hinterfragt werden muss. Man hört diesbezüglich, dass das auch noch nicht so ist, wie es sein sollte. Hinzu kommt eine Tariferhöhung für das ärztliche Personal. Insgesamt würde dies eine Reduzierung der Gesamtvergütung um 6 % zur Folge haben, die nicht zu verkraften ist.

Unser Ministerpräsident Professor Böhmer hat dankenswerterweise die eben geschilderte Situation im Bundesrat deutlich zum Ausdruck gebracht und mit Nachdruck darauf hingewiesen. Dies muss in Berlin überdacht werden. Inzwischen sind aus Berlin erste Signale zu vernehmen, dass eine Differenzierung erfolgen soll und die Einschnitte nicht so tief gehen sollen, wie sie ursprünglich geplant waren usw. Wir müssen aber dran bleiben.

Die Redezeit ist gleich zu Ende. Ich möchte bezüglich des drohenden Ärztemangels im ländlichen Bereich noch einige Zahlen vortragen.

Die Hausärzte in normalen Praxen haben zurzeit mit 60 bis 100 Patienten pro Tag Kontakt. Somit wird das medi

zinisch Vertretbare deutlich überschritten. Die Fallzahlen pro Arzt belegen, dass ein Ostarzt 36 % mehr arbeitet als sein Kollege in Westdeutschland, während der Fallwert, also Euro pro Fall, nur bei 72 % liegt. Dies haben Untersuchungen von Professor Stefan Felder, dem Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, ergeben. Der Ostarzt verdient also pro Fall 27,8 % weniger. Dann brauchen wir nicht lange darüber nachzudenken, wo sich ein junger, bei uns gut ausgebildeter Arzt im Zweifelsfall niederlassen wird, ob in der Altmark oder im Emsland.

Meine Damen und Herren! In Ostdeutschland müssen für den niedergelassenen Arzt gleiche Bedingungen wie in den westlichen Bundesländern geschaffen werden. Nicht mehr und nicht weniger wollen wir. Das ist unsere wichtigste Forderung.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Brumme, herzlichen Dank. Es gibt zwei Nachfragen. Wollen Sie diese beantworten? - Herr Czeke und Herr Kley wollen Fragen stellen. Bitte schön, Herr Czeke.

Herr Kollege Brumme, akustisch war das eben schwierig zu verstehen. Deshalb habe ich zwei Nachfragen. Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass der Ärztemangel im ländlichen Raum aus Ihrer Sicht erst droht? Oder besteht er tatsächlich schon, weil die Ärzte 36 % mehr Fälle zu behandeln haben und ungefähr 30 % weniger verdienen? Während einer Anhörung - diese liegt zwei Jahre zurück - machte die KV schon andere Angaben. - Das war die erste Frage.

Die zweite Frage. Sie sprachen von mehr Wettbewerb zwischen den Kassen. Könnten Sie mir da ein bisschen Aufhellung geben? Das würde bedeuten, dass wir noch zu wenig Kassen haben und noch 250 draufpacken müssten. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, dass wir aus einem Gebiet kommen, in dem wir nur eine Kasse hatten. Damit darf ich heute keinem mehr kommen, weil es dann heißt: Das ist Staatsmedizin. - Haben wir noch zu wenig Kassen?

Zu der ersten Frage. Der Ärztenotstand droht uns nicht nur, sondern wir haben ihn in vielen Bereichen schon. Bei den eben genannten Zahlen kann sich jeder ausmalen, welche Situation in den Praxen jetzt schon herrscht. Allerdings ist die medizinische Versorgung noch abgesichert, weil die Hausärzte 60, 70 Stunden in der Woche arbeiten und die Patienten nicht im Stich lassen. Aber es ist auch ein Ende der physischen Kraft abzusehen. Wenn in den nächsten Jahren weitere Ärzte ausscheiden werden und wir wesentlich weniger junge Ärzte dafür gewinnen können, sich im Land niederzulassen - so ist der Trend heutzutage -, dann werden wir ernsthafte Probleme bekommen.

Ich komme zu der zweiten Frage bezüglich des Wettbewerbs zwischen den Kassen. Vom Bundesgesetzgeber ist angedacht, dass die Kassen nach der Einführung des Fonds einen einheitlichen Sockelbetrag bekommen. Die Kassen werden den Versicherten dann attraktive individuelle Leistungen anbieten müssen, um sie

bei sich zu behalten. Das ist eigentlich die Frage, die hier bisher noch nicht so im Raum stand. Aber das sollte jetzt noch mehr auf den Punkt gebracht werden. Durch die Fondsbildung wird eine Ausgangsbasis geschaffen werden, um den Wettbewerb richtig auf den Weg zu bringen.

Vielen Dank. - Jetzt ist Herr Kley aufgerufen. Bitte schön, Ihre Frage.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Brumme, Sie haben bei den Problemen, die auf die Gesundheitswirtschaft in Sachsen-Anhalt zukommen, immer darauf verwiesen, dass in den alten Bundesländern ein sehr hoher Anteil an Privatversicherten vorhanden ist und dadurch wesentliche Beiträge zur Stützung des Gesundheitssystems geleistet werden. Sind Sie also der Meinung, dass das Modell der privaten Krankenversicherung dem Modell der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich überlegen ist?

Die privaten Krankenkassen zahlen zunächst einmal jede Leistung, die der Arzt erbringt, was im GKV-Bereich nicht der Fall ist. Dort ist das individuelle Praxisbudget schon nach zwei Dritteln des Quartals ausgeschöpft. Die einzelnen Leistungen werden auch deutlich höher als bei den gesetzlich Versicherten honoriert, sodass die Krankenhäuser und auch die Praxen damit eine Quersubventionierung vornehmen können. Diese ist in den meisten Fällen notwendig, um die Kosten weiterhin tragen zu können.

Wir wissen, dass der Anteil der besser vergüteten Privatliquidationen in unseren kommunalen Krankenhäusern nur 2 bis 3 % beträgt. Unsere Häuser können damit nicht in größerem Maßstab rechnen. Die Krankenhäuser in den alten Bundesländern, die einen Privatliquidationsanteil von teilweise mehr als 20 % haben, sind wesentlich besser in der Lage, den Sanierungsbeitrag in Höhe von 1 % und dergleichen mehr abzufedern.

Vielen Dank, Herr Brumme. - Weitere Nachfragen gibt es nicht. Ich erteile jetzt für die FDP-Fraktion der Abgeordneten Frau Dr. Hüskens das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahr 2005 starteten SPD und CDU in Berlin, um eine Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen, die auch in Zukunft für alle Versicherten hervorragende medizinische Leistungen zu tragfähigen Preisen sichern sollte. Es war die Rede von einer nachhaltigen Finanzierung und von der Berücksichtigung demografischer Faktoren.

Effizienzsteigerung, erhöhte Transparenz und mehr Wettbewerb seien die Ziele der Reform gewesen, formulierte Jens Bullerjahn im September 2006 und glaubte wohl selbst nicht mehr, dass diese Ziele erreicht würden.

Es war klar, dass die Kompromissfindung zwischen CDU und SPD schwierig sein würde. Dass sie zu einem Ergebnis wie der jetzt vorliegenden Gesundheitsreform führen würde, hat aber wohl niemand erwartet.

Der DGB-Chef Michael Sommer bewertete die Reform unlängst als „Stümperwerk“, mit dem niemand leben könne. Das ist kein Wunder; denn wenn es bei einer Gesundheitsreform im Verlauf der Beratungen zu mindestens drei großen Durchbrüchen kommt, dann muss man froh sein, wenn der Patient das überlebt.

Noch problematischer als diese Kompromissvariante, die die FDP schlicht ablehnt, finde ich allerdings die extreme Intransparenz und die Unmöglichkeit einer Gesetzesfolgenabschätzung für unser Land.

Auch Frau Kuppe hat heute Morgen ständig im Konjunktiv geredet. Allein nach den jeweils wissenschaftlich fundierten Berechnungen über den erfolgenden Finanzausgleich zwischen den Ländern liegt die Spanne für das, was Sachsen-Anhalt bekommen soll, zwischen 22 Millionen € und mehr als 500 Millionen €.

Vielleicht denkt jetzt der eine oder andere von Ihnen: „Prima, mehr Geld!“ - Ich meine, das ist auch die positive Quintessenz der Aussagen von Frau Kuppe. Aber wer sichert uns zu, dass im Gesundheitssystem SachsenAnhalts zukünftig wirklich mehr und nicht unter dem Strich sogar weniger Finanzmittel zur Verfügung stehen werden?

Zu berücksichtigen sind die Kosten für die Krankenhäuser, den Rettungsdienst und die Apotheken. Welche Kosten kommen durch die Stärkung der Palliativmedizin, die Eltern-Kind-Kuren und die Pflichtimpfungen, um nur einige neue Aufgaben zu nennen, hinzu, während in Bezug auf Kostenentlastungen wohl nur die stärkeren Regressmöglichkeiten bei Schönheitsoperationen oder Piercings infrage kommen?

Das System wird nicht von Aufgaben entlastet, um finanzierbar zu werden; vielmehr wird an den Strukturen herumgebastelt mit der Behauptung, dadurch würde alles besser. Überlegungen in der SPD-Bundestagsfraktion dahin gehend, nun nochmals an der Steuerschraube zu drehen, um erwartete Mehrkosten der Gesundheitsreform aus der Staatskasse zu kompensieren, lassen Arges befürchten.

Die AOK in Sachsen-Anhalt hat ihren Beitragssatz bereits zum Ende des Jahres 2006 auf 15 % erhöht. Auch wenn niemand offiziell eine Zahl sagt, gehen doch alle davon aus, dass dies noch nicht das Ende der Fahnenstange ist - es sei denn, es kommt mehr Geld aus der Staatskasse. Das bedeutet letztlich eine Steuererhöhung. Jeder Steuerzahler in diesem Raum - ich gehe davon aus, dass Sie alle ordentlich Ihre Steuern abführen - weiß allerdings, dass dies für den privaten Haushalt vollkommen egal ist. Ob ich das Geld als Steuer abführe oder als Krankenkassenbeitrag bezahle, ist für mein Budget gleichgültig.

Inzwischen zweifelt eigentlich niemand mehr daran - außer vielleicht Ulla Schmidt -, dass diese Reform finanziell auf wackeligen Beinen steht und spätestens in fünf Jahren erneut unter das Messer muss. Zu den Skeptikern gehört auch unser Ministerpräsident, der schon im Juli 2006 die Auffassung vertrat, die Reform werde nur wenige Jahre halten. Im Oktober 2006 formulierte er die Hoffnung, das parlamentarische Verfahren werde die Gesundheitsreform so ertüchtigen, dass sie immerhin mehrere Jahre halte.

Hinzu kommt die Frage der konkreten Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt. Am 15. Dezember 2006 meldete sich unser Ministerpräsident mit der Aussage zu Wort, die

künftigen Finanzströme im Gesundheitssystem seien unklar.

Gesundheitsminister fordern fast täglich wie die Wettervorhersage eine Folgenabschätzung für den Finanzausgleich. Frau Kuppe allerdings äußerte zumindest auf dem Neujahrsempfang der Heilberufe am 10. Januar 2006 die Erwartung, dass Sachsen-Anhalt durch die Gesundheitsreform Vorteile haben werde. Ich zitiere: „Endlich wird es einen echten bundesweiten Finanzkraftausgleich unter den Kassen geben.“

Dies muss ein enormer Erkenntnissprung gewesen sein; denn in dem Schreiben an den Vorsitzenden des Sozialausschusses vom 8. Januar 2006, also zwei Tage vorher, heißt es noch, dass es wegen der Komplexität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung, wegen der verschiedenen Wechselwirkungen zwischen den Vorschriften sowie des noch nicht abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahrens nicht möglich ist, konkrete Daten zu denkbaren Auswirkungen schon jetzt zu liefern. - Auch das hat Frau Kuppe heute hier noch einmal bestätigt.

Meiner Einschätzung nach ist das die Realität: Niemand kann derzeit auch nur annähernd sagen, welche Auswirkungen die umfangreichen Veränderungen auf unsere Krankenhäuser, auf den Rettungsdienst, die Ärzte und Apotheker und vor allem auf uns Patienten haben werden. Nach dem Verlauf der Debatte und auch vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen etwa mit Hartz IV gehe ich nicht davon aus, dass sich dies bis zur Beschlussfassung ändern wird.

Es gibt Politikwissenschaftler, die das inzwischen ganz toll finden. Professor Korte hat sich letztens zu Wort gemeldet, indem er dies als „die neue Bürgernähe der Politik“ bezeichnet hat. Man geht allgemein davon aus, dass wir alle fachlich versiert sind und dass sich Politiker und Bürger aufgrund dieses enormen Wissensvorsprungs inzwischen voneinander entfernt hätten. Herr Professor Korte sagte, dass Bürger und Politiker bei der Gesundheitsreform gleichermaßen völlig unwissend seien, und meinte, dass sich die Politik auf den Bürger zu bewege. - Das kann aber nicht die richtige Richtung sein.

Wenn Herr Steinbrück noch davon ausgeht, dass es immerhin drei Menschen in der Republik gebe, die den Länderfinanzausgleich verstünden, von denen der eine tot, der andere verrückt und der dritte noch nicht gefunden worden sei, so kann Frau Schmidt getrost davon ausgehen, dass es niemanden gibt, der auch nur annähernd weiß, wozu ihr Reformeifer führen wird.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der Links- partei.PDS)

Statt aus den Fehlern der Regierung Schröder zu lernen, die letztlich ihren handwerklichen Fehlern, den sich aufhebenden Wirkungen ihrer Gesetze, fahrlässigen Konjunkturkalkulationen und immer neuen außerparlamentarischen Kommissionen zum Opfer gefallen ist, erreicht die Form des außerparlamentarischen Regierens mit der Gesundheitsreform einen absoluten Höhepunkt.

Ich hoffe, dass sich unsere Regierung nicht aus Gründen der politischen Loyalität zur Zustimmung im Bundesrat verleiten lässt, sondern sich den Interessen unseres Bundeslandes verpflichtet fühlt. Wenn das der Fall ist, können Sie auf der Basis der jetzt verfügbaren Informationen nicht zustimmen.

Zusammenfassend kann man sagen: Es erfolgt keine Entlastung bei den Lohnnebenkosten und auch nicht der Versicherten. Es gibt keine Entbürokratisierung, obwohl diese gerade von den Heilberufen gefordert wird. Es gibt keine Vorsorge für die demografische Entwicklung. Es gibt keine Transparenz, weder bei den Beiträgen noch bei den Abrechnungen für den Patienten. Es gibt keine Freiheit für die Versicherten, ihren Versicherungsschutz über einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandard hinaus selbst zu gestalten.

Und das Resultat aus all dem: Es gibt keine Nachhaltigkeit.

Für mich ist die Gesundheitsreform ein unkalkulierbares Risiko, zu deren Nebenwirkungen ich nicht einmal den Arzt oder Apotheker fragen kann. Auf diese Medizin sollten Sie verzichten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Herzlichen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Als letzter Debattenrednerin erteile ich der Abgeordneten Frau GrimmBenne das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die große Koalition in Berlin sieht den Kompromiss zur Gesundheitsreform als endgültigen Durchbruch an.

(Zuruf von der FDP: Den wievielten?)

Unsere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt betrachtet alle Kranken als Gewinner dieser Reform. Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel ist zuversichtlich, dass das Reformwerk planmäßig zum 1. April 2006 im Bundesanzeiger veröffentlicht werden kann.

Nur zur Erinnerung: Im Frühsommer und dann wieder im Herbst des vergangenen Jahres wurde ebenfalls bereits von einem entscheidenden Durchbruch in der Gesundheitspolitik gesprochen. Der vorliegende Kompromiss scheint mir persönlich somit so etwas wie der dritte Aufguss zu sein. Jeder, der schon einmal denselben Teebeutel dreimal aufgegossen hat, weiß, wie wässrig der Tee dann schmeckt.

Wir als SPD führen vor allem an, dass wir gegenüber der Union eine allgemeine Versicherungspflicht für alle durchsetzen konnten. Empfohlene Impfungen und Eltern-Kind-Kuren sollen zukünftig Krankenkassenleistungen sein. Schwerstkranke und Sterbende sollen eine spezielle Betreuung in der vertrauten häuslichen Umgebung erhalten.

Aber kann man diese unstreitig wichtigen Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten wirklich als die bislang größte Gesundheitsreform bezeichnen? - Ich meine, nein. Alle diese Änderungen hätten meines Erachtens auch einfachgesetzlich innerhalb kürzester Zeit herbeigeführt werden können. Auf einige dieser Leistungen besteht schon jetzt, wenn sie denn notwendig sind, ein Rechtsanspruch.

In Wahrheit - das gestehe ich mir jedenfalls ein - stehen die erzielten Kompromisse in einem krassen Missverhältnis zu den ursprünglichen Zielen der Gesundheitsreform.