Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

Unbenommen bleibt uns als Antragsteller aber die Möglichkeit, den Untersuchungsauftrag in einzelnen Sachverhalten zu erweitern, sollten es weitere Vorfälle, die einer Aufklärung bedürfen, erfordern. Ich erinnere hierbei an einen im „Tagesspiegel“ am gestrigen Tage veröffentlichten Artikel, in dem von Schießübungen Rechtsradikaler in einem Wittenberger Ortsteil im April 2007 berichtet wird. Doch dazu sage ich später noch etwas.

Die Hauptaufgabe, die der Untersuchungsausschuss zu leisten hat, ist die Untersuchung der Ursachen für das offensichtliche Fehlverhalten von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen sowie deren Vorgesetzen. Eingeschlossen darin ist die Frage, wer eigentlich die Verantwortung für diese Polizeipannen trägt. Waren es strukturelle Defizite, die dazu führten, oder nur das Versagen Einzelner?

Ich komme zu dem von mir bereits angesprochenen Vorgang in der Polizeidirektion Dessau. Dabei sind insbesondere Vorwürfe gegen den Abteilungsleiter der Polizei zu untersuchen. Nach Aussagen von drei Staatsschützern habe der Betreffende sie sinngemäß aufgefordert, bei rechtsextremistischen Straftaten nicht so genau hinzusehen.

Es ist ferner zu untersuchen, ob die Polizeidirektion Dessau-Roßlau sowie die Landesregierung, sprich das Innenministerium, ihrer Fürsorgepflicht gegenüber diesen drei Beamten gerecht geworden sind. Zur Erinnerung: Nachdem die drei Beamten diesen aus unserer Sicht nicht hinnehmbaren Vorfall öffentlich gemacht hatten, wurden sie plötzlich in andere Abteilungen versetzt.

Der zweite zu untersuchende Vorgang bezieht sich ebenfalls auf den Geschäftsbereich der Polizeidirektion Dessau-Roßlau. Hier wurde eine Anzeige von Amts wegen gegen den Leiter des Projektes „Gegenpart“ der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus in Dessau erstattet.

Zum Hintergrund: Die Gemeinde Bergwitz hatte im September 2006 zu einem Informationsabend eingeladen, auf dem der Leiter des Projektes „Gegenpart“ den dortigen Zuhörern erklärte, wer der Bergwitzer NPD-Mann sei. Zugleich wurde auch ein Foto der Person gezeigt. Im Publikum saß ein hochrangiger Beamter der Dessauer Polizei. Dieser brachte letztlich eine Anzeige von Amts wegen gegen den Leiter des Projektes wegen eines Verstoßes gegen das Kunsturheberrecht auf den Weg, weil dieser den NPD-Mann nicht gefragt habe, ob er dessen Bild zeigen dürfe.

Im dritten Fall sollen vor allem die widersprüchlichen Aussagen des Ministeriums des Innern sowie der Polizeidirektion Dessau hinsichtlich der Teilnahme eines

Beamten des Technischen Polizeiamtes an einer Feier mit rechtsextremistischem Hintergrund untersucht werden.

Viertens geht es um die Untersuchung von Vorgängen im Polizeirevier Bernburg, bei denen Polizeibeamte es zunächst abgelehnt hatten, Anzeigen von Asylbewerbern aufzunehmen.

Fünftens sollen Vorgänge mit fremdenfeindlichem Hintergrund während des Wittenberger Fußballturniers LutherCup in Wittenberg untersucht werden.

Sechstens soll sich der künftige Untersuchungsausschuss mit den Vorkommnissen in Halberstadt in der Nacht vom 8. zum 9. Juli 2007 beschäftigen. Damals sind Schauspielerinnen und Schauspieler des Nordharzer Städtebundtheaters überfallen worden; die Polizeibeamten agierten nach bisherigem Erkenntnisstand nur unzureichend oder falsch.

Ich möchte das Vorkommnis überhaupt nicht ins Lächerliche ziehen, dafür ist es viel zu ernst. Aber keiner der Schauspieler wird geahnt haben, dass sie nach dem Ende einer Vorstellung der „Rocky Horror Show“ im realen Leben den Horror erleben sollten. Denn dass es für die Geschädigten der blanke Horror war, zeigen bereits einige wenige Auszüge aus ihrem Gedächtnisprotokoll. Ich zitiere:

„Drei von uns waren schon auf der Höhe der Theaterkasse, als plötzlich zirka acht, neun Neonazis von der Treppe des Klubhauses auf uns zustürmten. Sie schlugen auf unsere fünf männlichen Begleiter ein, bis diese verletzt und stark blutend auf der Erde lagen und sie mit dem Treten beginnen konnten. Wir riefen die Polizei, versuchten, uns und die Verletzten in Sicherheit zu bringen, obwohl dies so gut wie unmöglich war.

Nach zirka fünf bis zehn Minuten traf die Polizei ein. Die Neonazis spazierten in Gruppen von je zwei Mann langsam davon. Wir baten die Beamten zunächst höflich, die Täter zu verfolgen. Sie taten nichts, sondern waren der Meinung, sie müssten zuerst unsere Personalien aufnehmen. Die Neonazis sind vor den Augen der Polizei davonspaziert.

Folgende Verletzungen mussten bei den Geschädigten unter anderem festgestellt werden: gebrochene Nasenbeine, herausgeschlagene Schneidezähne, Prellungen und Abdrücke von Springerstiefeln am ganzen Körper - um nur einiges zu nennen.“

So weit die Schilderung der Gruppe der Geschädigten, die uns nur ansatzweise die Ängste - ich glaube, man kann schon sagen, die Todesängste - und die Schmerzen der Geschlagenen nahebringen kann. Aus dem Aktenstudium wissen wir, dass hektische Betriebsamkeit bei den Polizeibeamten erst einsetzte, als man feststellte, dass sich unter den Geschädigten ein französischer Staatsbürger befunden hat.

Wie bereits kurz erwähnt, gibt es nun einen neuerlichen Vorfall im Bereich der Polizeidirektion Dessau. Gemäß Medienberichten soll ein Bürger Polizeibeamten berichtet haben, dass auf einem ehemaligen Militärgelände von Personen, die dem Aussehen nach der rechtsextremen Szene zuzuordnen seien, Schießübungen durchgeführt worden seien. Darüber soll dann ein Aktenvermerk

angefertigt worden sein - und weiter passierte nichts. Unbegreiflich!

Natürlich hätten wir auch diesen Fall unverzüglich zum Gegenstand des Untersuchungsauftrags machen wollen bzw. machen müssen. Aber jeder, der schon einmal einen Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses formuliert hat, weiß um die Tücken juristisch exakter Formulierungen. Ein Schnellschuss kann da nur schädlich sein.

Wir haben als Fraktion zwei Möglichkeiten, Licht in das Dunkel dieses besagten Vorfalls zu bringen, von denen wir auch Gebrauch machen werden: zunächst die Beantragung des Themas mittels eines Selbstbefassungsantrags im Innenausschuss und dann gegebenenfalls die Erweiterung der zu untersuchenden Vorfälle unter Punkt 2 des Antrags auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Das heißt, auch dieser Vorfall wird mit allen uns zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln untersucht und aufgeklärt werden.

Diese in einem künftigen Untersuchungsausschuss zu untersuchenden Vorgänge wären, sofern sich die Vermutungen bestätigen sollten, jeder für sich allein genommen schon verheerend genug; doch in der Summe wären sie, wenn sich das alles bewahrheiten würde, ein Skandal.

Eigentlich müsste jedem hier im Saal daran gelegen sein, dass alle Vorgänge konsequent und vollständig aufgeklärt werden, letztlich auch, um dem Bemühen der Landesregierung - dabei insbesondere des Innenministeriums - in ihrem Kampf gegen den Rechtsextremismus Glauben schenken zu können und um nicht auch nur ansatzweise annehmen zu müssen, dass all die Aktionen, die wir natürlich begrüßen, nur, wie es der Abteilungsleiter der Polizeidirektion Dessau-Roßlau gesagt haben soll, „etwas für die Galerie“ seien.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Folgendes möchte ich Ihnen ausdrücklich mit auf den Weg geben: Es ist völlig unangemessen, dieses Thema zu missbrauchen, um Koalitionsgefechte auszutragen, und das auch noch auf dem Rücken von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Der beantragte Untersuchungsausschuss soll sich mit den Vorgängen im Bereich der Polizei beschäftigen; er hat nicht den Auftrag, den Zustand der Koalition auszuloten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Antragstellerin hat den Antrag eingebracht. Wir kommen nun zur Debatte. Als erstem Debattenredner erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der Fraktion der CDU Herrn Scharf das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aller Voraussicht nach wird auf Antrag der Fraktion DIE LINKE am heutigen Tag der zehnte parlamentarische Untersuchungsausschuss in der Geschichte des Landtages von Sachsen-Anhalt eingesetzt werden.

In ihrem Einsetzungsantrag listet die LINKE sechs Sachverhalte auf, die der Untersuchungsausschuss in seine Arbeit „insbesondere“ einbeziehen soll. Zu den unter den Punkten 1 und 6 benannten Untersuchungsgegenstän

den liegen im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren sowie von Gerichtsverhandlungen und Beratungen des Innenausschusses des Landtages bereits sehr konkrete Erkenntnisse vor. Ohne auf Details eingehen zu können, möchte ich einiges von dieser schon erfolgten Aufklärungsarbeit in Erinnerung rufen.

Zum Ersten. Im Mai 2007 wurde ein Gedächtnisprotokoll über eine Unterredung des leitenden Polizeidirektors Hans-Christoph Glombitza mit drei Staatsschützern der Polizeidirektion Dessau öffentlich gemacht. In dem Gespräch ging es unter anderem um die Bekämpfung rechtsextremer Straftaten und die diesbezügliche Außendarstellung. Mitglieder des Innenausschusses hatten Gelegenheit, einen Untersuchungsbericht des Leiters der Fachhochschule der Polizei, Rainer Nitsche, zu diesem Sachverhalt einzusehen und den Innenminister sowie Herrn Nitsche zum Thema zu befragen.

Meine Damen und Herren! Unter Punkt 6 des Antrages wird der mittlerweile deutschlandweit bekannte Vorfall in Halberstadt angeführt. Am 9. Oktober 2007 beginnt vor dem Amtsgericht Halberstadt der Prozess gegen vier 22 bis 29 Jahre alte Männer wegen gefährlicher Körperverletzung.

Diese vier Männer, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden, sollen am 9. Juli 2007 fünf Ensemblemitglieder des Nordharzer Städtebundtheaters überfallen und verletzt haben. Neun weitere Ensemblemitglieder wurden Zeugen des Vorfalls. In der Folge hat es nach Einschätzung der Polizeidirektion Halberstadt und des Innenministeriums mehrere Ermittlungspannen gegeben. Der zuständige Dienstgruppenleiter wurde suspendiert. Der Innenminister hat eine landesweite polizeiliche Auswertung des Vorfalls angekündigt und eingeleitet. Das Urteil in dem Strafprozess wird für den Januar 2008 erwartet.

Hierzu kann nach meiner Auffassung die polizeiliche Auswertung wohl weitgehend unabhängig von der Urteilsfindung der Halberstädter Amtsrichter erfolgen. Aber auch hierzu stellt sich für die CDU-Fraktion wie bei allen anderen Sachverhalten die Frage - diese ist entscheidend für die parlamentarische Behandlung -: Was kann ein Untersuchungsausschuss leisten? Was kann er über staatsanwaltschaftliche und innerpolizeiliche Ermittlungen sowie Gerichtsverhandlungen hinaus zur Aufklärung beitragen? Was kann er leisten?

(Beifall bei der CDU)

Wir von der CDU-Fraktion sehen die deutliche Gefahr, dass dieser Untersuchungsausschuss erstens zur Aufklärung der Sachverhalte keinen nennenswerten Beitrag wird leisten können und damit seinen Auftrag eventuell verfehlen kann.

Zweitens ist in der Konsequenz nicht ausgeschlossen - die Rede von Frau Tiedge hat mich diesbezüglich auch nicht eines Besseren belehrt -, dass sich die LINKE auf der Grundlage ihrer Antragsrechte von den konkreten Sachverhalten abwenden und Polizisten und Staatsanwaltschaften unter Generalverdacht stellen wird.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Frau Tiedge über das Wörtchen „insbesondere“ in dem Antrag deuten ganz klar darauf hin: Wenn Sie es wollen, können Sie das Parlament bis zum Ende der Legislatur

periode mit diesem Untersuchungsausschuss beschäftigen. Nur so können Sie, meine Damen und Herren von der LINKEN, das mediale Interesse an dem von Ihnen initiierten Ausschuss dauerhaft aufrechterhalten. Dadurch wird der Ausschuss - so befürchten wir - dem von der LINKEN selbst formulierten Ansinnen, künftigen Versäumnissen im Umgang mit Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt vorzubeugen, eventuell komplett zuwiderlaufen. Es steht für uns viel mehr zu befürchten, dass die Motivation von Polizei und Staatsanwaltschaften durch Verunsicherung eher geschwächt denn gestärkt wird.

(Beifall bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, haben wir gesagt: Wenn der Koalitionspartner mitgeht, machen wir aus dem Minderheits- einen Mehrheitsausschuss, um den genannten Gefahren wirksam vorzubeugen und die Ausschussarbeit so zielführend und effektiv wie möglich gestalten zu können.

Unser Koalitionspartner, die SPD, hat dazu eine andere Meinung vertreten. Wir respektieren diese. Die Koalition enthält sich daher der Stimme, um deutlich zu machen: Wir verhindern das Ansinnen einer vollständigen Aufklärung nicht. Wir erwarten aber auch nicht, dass der Ausschuss über die polizeiliche Auswertung sowie über staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Verfahren hinaus weitere Erkenntnisse zutage fördern wird.

Meine Damen und Herren! Der Vollständigkeit halber möchte ich auch hier im Parlament ausdrücklich feststellen, dass Herr Stahlknecht auf einer Pressekonferenz exakt über einen Verhaltensvorschlag der CDU-Fraktion zum prozeduralen Umgang mit dem Antrag der Linksfraktion zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses berichtet hat.

Die Fraktionen der CDU und der SPD bezeugen heute im Parlament, dass sie sich auf eine gemeinsame Linie geeinigt haben. Diese gemeinsame Linie werden sie auch im Untersuchungsausschuss vertreten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Scharf. - Wir kommen dann zu dem Beitrag der FDP. Der Abgeordnete Herr Kosmehl hat das Wort. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde es mir ersparen, zu den Vorgängen innerhalb der Koalition Stellung zu nehmen, und werde stattdessen auf den eigentlichen Antrag eingehen.

(Zustimmung von Herrn Wolpert, FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt heute ein Antrag mehrerer Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE vor. Danach soll der Landtag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen. Grundlage hierfür ist Artikel 54 Abs. 1 der Verfassung unseres Landes, der wie folgt lautet - ich zitiere -:

„Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen.“

Die nähere Ausgestaltung dieses Rechtes des Parlamentes findet sich im Untersuchungsausschussgesetz. In § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes heißt es - ich zitiere -:

„Der Landtag kann zum Zwecke der Aufklärung eines Sachverhaltes, dessen Untersuchung im öffentlichen Interesse liegt, einen Untersuchungsausschuss einsetzen.“