Protokoll der Sitzung vom 23.04.2015

Zweite Beratung

Kinder und Jugendliche als Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen - Beteiligung stärken

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2211

Beschlussempfehlung Ausschuss für Arbeit und Soziales - Drs. 6/3984

Für die Berichterstattung erteile ich der Abgeordneten Frau Lüddemann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme die Berichterstattung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Titel „Kinder und Jugendliche als Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen“ in der Drs. 6/2211 vor.

Dieser Antrag wurde in der 48. Sitzung des Landtags am 11. Juli 2013 zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen. Mitberatend war der Ausschuss für Inneres und Sport.

Intention des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN war, das festgeschriebene Recht von Kindern und Jugendlichen auf Beteiligung in unserem Bundesland, insbesondere auf kommunaler Ebene, zu stärken und umzusetzen, was

auch die Einbeziehung bei allen sie betreffenden Entscheidungen beinhaltet. Mit dem Antrag sollten dafür entscheidende Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Der federführende Ausschuss für Arbeit und Soziales befasste sich in der 35. Sitzung am 4. Dezember 2013 erstmals mit dem Antrag. Hier wurden zunächst Verfahrensfragen besprochen. Schließlich wurde mit 9 : 0 : 1 Stimmen beschlossen, den Antrag im Zusammenhang mit dem zeitgleich vom Landtag überwiesenen Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Drs. 6/2216 zu beraten, welcher federführend in den Innenausschuss und mitberatend in den Sozialausschuss und den Ausschuss für Finanzen überwiesen wurde.

Über das weitere Verfahren sollte entschieden werden, nachdem der beim Gesetzentwurf in der Drs. 6/2216 federführende Innenausschuss dazu seine vorläufige Beschlussempfehlung vorgelegt hat.

Der in dieser Sitzung des Sozialausschusses von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterbreitete Vorschlag, gemeinsam mit dem Innenausschuss eine Anhörung zu den beiden Beratungsgegenständen durchzuführen, also zu dem Antrag und zu dem Gesetzentwurf, insbesondere zu den Bereichen der Jugendhilfe und der Stärkung der Kinder- und Jugendrechte, wurde nicht weiter verfolgt.

Die nächste Befassung mit dem Antrag in der Drs. 6/2211 fand in der 47. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 5. November 2014 statt. Hierzu lagen dem Ausschuss von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von den Fraktionen der CDU und der SPD jeweils ein Entwurf einer vorläufigen Beschlussempfehlung vor.

Während die Koalitionsfraktionen den Antrag im Hinblick auf den sich damals in der Beratung befindlichen Gesetzentwurf zur Parlamentsreform 2014 als erledigt betrachteten, hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Projekt des Kinder- und Jugendrings „Jugend und Impulse“ als einen Punkt des Ursprungsantrages im Entwurf ihrer vorläufigen Beschlussempfehlung umfassender inhaltlich untersetzt. Hierbei geht es um die Förderung von sogenannten Mikroprojekten.

Die Koalitionsfraktionen lehnten jedoch die Aufnahme von Mikroprojekten in die vorläufige Beschlussempfehlung ab. Sie plädierten für den Hinweis auf die Parlamentsreform, weil in diesem Rahmen die Kinderrechte in die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt aufgenommen würden.

Im Ergebnis seiner Beratung am 5. November 2014 verabschiedete der Ausschuss für Arbeit und Soziales mit 6 : 5 : 0 Stimmen die vorläufige Beschlussempfehlung mit dem Inhalt, den Antrag für

erledigt zu erklären, wie es von den Fraktionen der CDU und der SPD vorgeschlagen worden war.

Der mitberatende Ausschuss für Inneres und Sport befasste sich in der 54. Sitzung am 27. November 2014 mit dem Antrag und der Beschlussempfehlung. Er schloss sich der vorläufigen Beschlussempfehlung mit 6 : 5 : 0 Stimmen an.

Der federführende Ausschuss für Arbeit und Soziales setzte den Antrag in der 50. Sitzung am 18. Februar 2015 erneut auf die Tagesordnung mit dem Ziel, eine Beschlussempfehlung an den Landtag zu erarbeiten. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sprach sich weiterhin dafür aus, den Antrag in der Drs. 6/2211 in unveränderter Fassung anzunehmen. Die Fraktion DIE LINKE kündigte angesichts der Tatsache, dass die Haushaltsberatungen zu Einzelplan 05 abgeschlossen seien und Mittel für die Förderung von Mikroprojekten ohnehin nicht mehr eingestellt werden könnten, ihre Enthaltung in der Abstimmung an.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales verabschiedete mit 7 : 1 : 4 Stimmen die Beschlussempfehlung an den Landtag, den Antrag im Hinblick auf das am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Parlamentsreform 2014 für erledigt zu erklären.

Da nach § 29 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtages bei einem Widerspruch gegen eine Erledigterklärung über den Beratungsgegenstand in der Sache abzustimmen ist, was versehentlich in der 50. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales unterblieben ist, wurde der Antrag für eine nochmalige Abstimmung über die Beschlussempfehlung an den Landtag in der 52. Sitzung am 15. April 2015 auf die Tagesordnung gesetzt.

Der Ausschuss stimmte in dieser Sitzung über den Antrag in seiner ursprünglichen Fassung ab. Bei 8 : 1 : 3 Stimmen wurde der Antrag abgelehnt. Die entsprechende Beschlussempfehlung liegt dem Parlament heute mit der Bitte um Zustimmung vor. - Vielen Dank.

Danke schön, Frau Kollegin Lüddemann, für die Berichterstattung aus dem Ausschuss. - Wir treten nun ein in die Aussprache zur Beschlussempfehlung. Im Ältestenrat wurde dazu eine Dreiminutendebatte vereinbart. Zunächst hat für die Landesregierung Herr Minister Bischoff das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin kurz ans Rednerpult gekommen, obwohl nur eine Dreiminutendebatte geführt werden soll und im Ausschuss alles klar ist, weil ich mich bedanken

möchte für die konstruktive Beratung im Ausschuss. Des Weiteren gilt mein Dank dem Kinder- und Jugendring, der das jugendpolitische Programm derzeit durchführt und auch weiterführen wird. Besonders herzlichen Dank sagen möchte ich allen, die in der Zwischenzeit an Veranstaltungen teilgenommen haben, bei denen es um Partizipation und Teilhabe von Jugendlichen geht, gerade im Rahmen dieses Programms.

Das ist dann weiterentwickelt worden zu dem Programm „Jugend Macht Zukunft“. Diese Worte sind alle groß geschrieben, sodass man jedes Wort für sich allein nehmen kann. Die Mikroprojekte, die Frau Lüddemann in ihrer Berichterstattung erwähnt hat, waren ein zentraler Bestandteil des Programms. Die Jugendlichen, die daran teilgenommen haben, kamen übrigens aus allen Teilen des Landes, waren nicht unbedingt verbandsgebunden. Es waren von acht- und neunjährigen Kindern bis zu 22- bis 24-Jährigen alle Altersgruppen vertreten.

Sie alle haben gemeinsam überlegt, wie ihre Zukunft aussehen soll und was sie tun können. Deshalb finde ich es wichtig, wie es in der Begründung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht, dass es ein Programm der Kinder und Jugendlichen werden soll und nicht ein Programm der Landesregierung. Deshalb ist es wichtig, diesen Prozess weiterzuführen.

Es sind 860 Vorschläge unterschiedlicher Art eingegangen, manche waren witzig, andere waren übertrieben, aber sehr, sehr viele waren ernsthaft. Es liegt eine Dokumentation vor, in der diese Vorschläge enthalten sind. Diese Dokumentation ist den Fraktionen zugeleitet worden. Bei einer Veranstaltung am Ende des Prozesses, an der einige von Ihnen teilgenommen haben, wurden mir diese Vorschläge übergeben. Sie betreffen alle Politikbereiche, alle Ressorts und auch alle, die in Verbänden, in den Kreistagen und in den Verwaltungen Verantwortung tragen. Sie richten sich aber auch an uns Politikerinnen und Politiker.

Ich denke, Partizipation ernst zu nehmen heißt auch, die Jugendlichen ernst zu nehmen, die sich die Mühe gemacht haben. Am Ausgang steht eine grüne Kiste. Wahrscheinlich ist sie grün, weil der Antrag von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellt worden ist. Darin sind die 860 Vorschläge, die, um mir und uns das Leben zu versüßen, mit kleinen Naschereien versehen sind. Hier im Plenarsaal darf ich sie nicht verteilen.

Ich selber werde nicht alle verzehren können. Ich würde Sie alle bitten, meine Kabinettskollegen und die Abgeordneten, greifen Sie in die Kiste. Ich stelle sie heute am rechten Ausgang und morgen am linken Ausgang hin. Wenn Sie hineinschauen, dann sehen Sie, welche Vorschläge die Jugendlichen unterbreiten. Vielleicht können Sie hier oder

da, wo Sie Verantwortung tragen, diese Vorschläge mit einbringen. Das ist eine gute Idee.

(Frau Lüddemann, GRÜNE, meldet sich - Herr Schröder, CDU: Da hat jemand schon jetzt Hunger!)

- Sie hat jetzt schon Hunger, okay. - Vielen Dank.

Danke, Herr Minister. Frau Kollegin Lüddemann hat noch eine Frage.

An den Süßigkeiten bin ich durchaus auch interessiert. Aber meine Frage ist jetzt eher inhaltlicher Natur. In dem Antrag, den es jetzt zu beerdigen gilt - jedenfalls nach dem Willen der Koalitionsfraktionen -, geht es nicht um das jugendpolitische Programm, sondern um ganz andere Tatbestände; das will ich noch einmal klarstellen. Das sind zwei verschiedene Sachen. Über das jugendpolitische Programm müssen wir auch noch beraten, aber an einer anderen Stelle, nicht im Zusammenhang mit diesem Antrag. Ist Ihnen das bewusst?

Das ist mir bewusst. Ich wollte das Thema Partizipation nur zum Anlass nehmen, Ihnen die Vorschläge zu übergeben. Denn ich wollte die Kiste nicht noch länger bei mir stehen lassen. Das Programm wurde erarbeitet. Es wurde auch bei diesem Tagesordnungspunkt im Ausschuss mit erwähnt. Deshalb nehme ich es zum Anlass, es Ihnen einfach einmal vorzustellen. Das ist ja auch in Ihrem Interesse; schließlich kam der Antrag von Ihnen. Es ist eine nette Geste des Kinder- und Jugendrings gegenüber dem Landtag.

(Zustimmung von Herrn Borgwardt, CDU)

Vielen Dank. - Das ist ein sehr harmonischer Auftakt für die Debatte, in die wir jetzt eintreten. Als erster Redner spricht für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Jantos.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir teilen die Einschätzung, dass die Beteiligung der jungen Menschen an der Gestaltung des für sie relevanten Umfelds von zentraler Bedeutung ist. Partizipation, also die Beteiligung der Jugendlichen an für sie wichtigen Entscheidungen, muss größer geschrieben werden. Konkrete Partizipation wird häufig vor Ort gestaltet und ist oft auch von den örtlich handelnden Personen abhängig.

Junge Menschen bringen bereits heute die Bereitschaft mit, ihr Umfeld mit Engagement und viel individuellem Einsatz zu gestalten. Ein Indiz dafür sind die nach wie vor erfreulich hohen Teilnehmerzahlen am freiwilligen sozialen Jahr im sozialen Bereich, in der Kultur, im Sport, in der Politik, in der Denkmalpflege oder im ökologischen Bereich, aber auch beim Bundesfreiwilligendienst. In großer Zahl beteiligen sich junge Menschen an der Gestaltung der sozialen Wirklichkeit und übernehmen ganz individuell Verantwortung für ihr Umfeld. Junge Menschen wollen ihr Umfeld gestalten, wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten.

Den Kommunen kommt hierbei eine große Bedeutung zu. Konkrete Partizipation wird häufig vor Ort gestaltet und ist oft auch von den örtlich handelnden Personen abhängig. Kommunen, die Kinder und Jugendliche frühzeitig beteiligen, profitieren doppelt. Sie verbessern ihr Angebot für junge Menschen und deren Familien, weil sie sie als Experten in eigener Sache einbinden. Gleichzeitig stärken sie die Demokratieorientierung der jungen Generation.

Die Beteiligung von Jugendlichen kann man nicht staatlich verordnen. Dazu braucht es auf den einzelnen Ebenen eine Sensibilität nach dem Motto: Lasst die jungen Leute machen. Wir müssen also Jugendlichen die Chance geben, Verantwortung zu übernehmen. Ich glaube nicht, dass die propagierte Institutionalisierung das ist, was sich junge Menschen primär wünschen und für ihr Engagement benötigen. Engagement ist auch ohne eine Institutionalisierung in Gremien möglich, wie die Erfahrung mit den vorhandenen Gremien, zum Beispiel beim Kinder- und Jugendring, zeigt.

Ich komme zum Schluss. Mit dem am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Gesetz zur Parlamentsreform 2014 haben wir Teile des Anliegens der Antragstellerin aufgegriffen und umgesetzt. Mehr ist aus unserer Sicht nicht zielführend. Die vorliegende Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales empfiehlt dem Landtag, den Antrag abzulehnen. Ich bitte um Zustimmung zu dieser Beschlussempfehlung. - Danke.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Kollege Jantos. - Wir fahren fort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abgeordnete Frau Hohmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag wollte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr Partizipation von Kindern und Jugendlichen ermöglichen. Diesem Anliegen folgt meine Fraktion. Dennoch

werden wir uns wie auch im Ausschuss bei der Abstimmung der Stimme enthalten.

Wir sind der Auffassung, dass die im Antrag geforderte Finanzierung von Mikroprojekten für Jugendliche schon seit letztem Jahr realisiert wird. Für die Erarbeitung eines jugendpolitischen Programms gibt es bereits das Projekt „Jugend Macht Zukunft“, das der Minister erwähnt hat.

In den Mikroprojekten können Kinder und Jugendliche ihre Ideen zum Thema Mitbestimmung verwirklichen. Eine finanzielle Unterstützung von bis zu 200 € für ihr Konzept ist möglich. Während im ersten Halbjahr 2014 die Resonanz noch sehr karg war, änderte sich dies zum Ende des Jahres. Deshalb ist es begrüßenswert, dass die Förderung der Mikroprojekte über die Deutsche Jugendstiftung auch weiterhin fortgesetzt wird.

Sehr geehrte Damen und Herren! Darüber hinaus ist nun die Landesregierung am Zug, sich mit den insgesamt 137 Hauptforderungen der befragten Kinder und Jugendlichen zu den 13 verschiedenen Themenbereichen auseinanderzusetzen. Auf keinen Fall dürfen die Dinge zeitlich hinausgezögert werden. Kinder und Jugendliche wollen ernst genommen werden.

Für meine Fraktion wird daher die entscheidende Frage sein, wie ehrlich nehmen die politischen Entscheidungsträger und Ministerien den Output aus diesem Projekt auf, das gemeinsam mit den jungen Menschen im Land umgesetzt werden soll. Die Koalition von CDU und SPD hätte schon jetzt die Möglichkeit, erste Zielstellungen aus dem erarbeiteten Katalog der Kinder und Jugendlichen Wirklichkeit werden zu lassen.