Protokoll der Sitzung vom 06.04.2017

(Heiterkeit und Beifall bei der AfD)

und sich dermaßen angegriffen fühlen, dann haben Sie doch ein Problem. Sagen Sie, was genau ist dabei Teil einer Beleidigung?

(Unruhe)

Ich denke, Ihre gedankliche Weiterausführung ist Teil der Beleidigung. Damit beleidigen Sie sich eigentlich selber. - Danke.

(Beifall bei der AfD)

Zum weiteren Ablauf: Die Präsidentin hat empfohlen, dass sich der Vorstand zur Beratung zurückzieht,

(Zuruf von der SPD: Ältestenrat! Vorstand gibt es nicht!)

und ich unterbreche somit die Debatte.

(Unruhe - Zuruf: Der Ältestenrat steht auch noch an!)

- Gut. Der Ältestenrat soll sich zur Beratung treffen.

(Zurufe: Wo? - Cornelia Lüddemann, GRÜ- NE: Es gab einen Antrag zur Geschäftsord- nung! - Swen Knöchel, DIE LINKE: Sie müssen ihn einberufen! - Unruhe)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, eine kurze Information: Wir treffen uns auf meinen Vorschlag hin zu einer Sitzung des Ältestenrates. Ich kann nur schätzen, dass wir vielleicht eine halbe Stunde brauchen. Danach werden wir den Tagesordnungspunkt beenden, und dann gehen wir in die Mittagspause.

Unterbrechung: 12:59 Uhr.

Wiederbeginn: 13:51 Uhr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die Sitzung fort. Wir hatten die Fünfminutendebatte begonnen und haben sie wegen einer Ältestenratssitzung unterbrochen. Wir fahren jetzt fort. Die nächste Debattenrednerin ist für die Fraktion DIE LINKE Frau Abg. Quade. Sie haben das Wort, Frau Quade.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Die Geschichte der juristischen und der politischen Diskussion um die Ausgestaltung des § 130 ist eine lange und es ist eine kontroverse.

Als die Grundsteine für den Volksverhetzungsparagrafen, der heute Teil des Strafgesetzbuches ist, gelegt wurden, gab es bereits eine mehr als zehn Jahre lang währende Debatte um den Regelungsgehalt, um die juristischen Möglichkeiten und eben auch Grenzen, Erscheinungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu erfassen und zu ahnden.

Gerade weil es diese intensive Debatte gab, bleibt festzustellen: Ja, der § 130 ist einer jener Paragrafen, wegen denen man durchaus der Auffassung sein kann, dass dem Grundgesetz und den darauf aufbauenden Gesetzen wie dem Strafgesetzbuch ein antifaschistischer Charakter innewohnt.

Dass die Kollegen der AfD das stört, das liegt auf der Hand, und das kommt nicht überraschend.

(Zuruf von André Poggenburg, AfD)

Der Antrag knüpft inhaltlich an diverse alte rechte Kampagnen an, die die Abschaffung des Volksverhetzungsparagrafen fordern

(Zurufe von der AfD: Was? - Können Sie lesen?)

und ihn wahlweise als Gesinnungsparagrafen, als Einschränkung der Meinungsfreiheit oder als Ungleichbehandlung gegenüber den von der Regelung nicht erfassten Mehrheiten der Bevölkerung diffamiert.

Genau dieser antifaschistische Charakter, genau diese Regelung, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit speziell ahndbar macht, war in der Gründungsphase der Bundesrepublik notwendig und sie ist auch heute notwendig.

Um die Beliebigmachung dieses Paragrafen geht es in dem vorliegenden Antrag. Es wird zum Problem gemacht, was längst strafbar ist. Es wird zum Massenphänomen stilisiert, was sich statistisch nicht belegen lässt. Es sind in einen Antrag gegossene Fake News.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Antrag ist überflüssig, weil Beleidigungen, die in der Antragsbegründung aufgeführt sind, selbstverständlich strafbar sind, nur eben nicht pauschal als Volksverhetzung. Genau das ist gut so. Denn das, was mit dem vorliegenden Antrag bestraft werden soll, erfüllt weniger den Charakter der Volksverhetzung als den der „Volkszersetzung“.

Das passt gut zu den Forderungen der AfD. Das passt gut zu den Forderungen nach 180-GradWenden. Das passt gut zu den Zensurfantasien in Bezug auf Kunst, Kultur und Hochschulen und den dazu gehörigen Funktionszuschreibungen und ist genau vor diesen Folien auch zu lesen.

Aber es ist eben eine - ich sage: die entscheidende - Lehre aus der Aufarbeitung des Nationalsozialismus, dass Volkszersetzung eben keine Strafkategorie ist, aber Volksverhetzung schon.

Es ist ein Paragraf, der Minderheitenschutzrechte verankert und der deutlich macht: Wer den Nationalsozialismus verherrlicht, wer gegen Teile der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, wer gruppenbezogen menschenfeindlich handelt - nichts anderes ist es -, also Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe abwertet, erniedrigt oder zur Gewalt gegen sie aufruft, der macht sich zum einen der individuellen Beleidigung und anderer Straftaten schuldig. Er macht sich aber auch - genau das regelt § 130 - eines Angriffes auf die Menschlichkeit schuldig. Genau das wird besonders geahndet, und zwar meist nicht im Rahmen von Individualklagen, sondern im übergeordneten staatlichen Interesse.

Insofern handelt es sich um einen Paragrafen, der Sonderregelungen für Minderheiten definiert, die

für die Mehrheit eben nicht gelten. Es klingt paradox, aber es bleibt doch richtig: Dadurch wird nicht Ungleichheit hergestellt, sondern Gleichheit, weil die Mehrheit Schutzrechte, die Minderheiten brauchen, eben nicht braucht.

Ob man nun den § 130 abschaffen oder durch Erweiterung beliebig machen und ihm seinen Charakter nehmen will, nimmt sich in Absicht und Wirkung relativ wenig.

Der Antrag der AfD leugnet die Notwendigkeit einer spezifisch auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wie alte und neue Nazis sie propagieren, anwendbaren Strafnorm. Er leugnet die bittere Notwendigkeit, die Abwertung, die Verherrlichung des Nationalsozialismus und die Aufstachelung zu Hass gegen Bevölkerungsteile, wie zum Beispiel Juden, wie Ausländer, wie Homosexuelle, wie Muslime, unter bestimmten Umständen im übergeordneten staatlichen Interesse auch als Angriff auf die Menschenwürde zu ahnden.

Das ist eine Verdrehung der Gegenwart. Es ist mit Blick auf die Geschichte des § 130 aber auch nichts anderes als Geschichtsrevisionismus.

Wir lehnen diesen Antrag ab.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Quade. Es gibt zwei Fragen, Möchten Sie diese beantworten? Herr Harms und Herr Poggenburg haben sich gemeldet. - Herr Harms, bitte. Sie haben das Wort.

Frau Kollegin, Sie sprachen von „Volkszersetzung”. Das ist für mich ein völlig neuer Begriff. Was verstehen Sie denn darunter?

(Zustimmung bei der AfD)

Frau Quade, bitte.

Der Begriff der Volkszersetzung ist eben leider nicht neu. Es ist ein Begriff, der in der Zeit des Nationalsozialismus einer der häufigsten Vorwürfe war - an den Haaren herbeigezogen -, der dazu diente, Menschen, die sich gegen das nationalsozialistische Regime artikuliert haben, einzuschüchtern mit dem Vorwurf, eben nicht zur weiteren gedeihlichen Entwicklung des Volkes - „Volkskörper“ passt auch in diese Reihe - beizutragen, dem deutschen Volk zu schaden, und die deswegen strafrechtlich belangt, zum Teil mit dem Tod bestraft wurden.

Herr Harms, ich habe vielleicht noch einen Literaturtipp für Sie. Es gibt ein auch in der Landtagsbibliothek verfügbares „Wörterbuch des besorgten Bürgers“. Darin ist es gut aufgelistet und zeigt interessante Anleihen der Gegenwart an den historischen Sprachgebrauchs, an den Sprachgebrauch des Nationalsozialismus. Das lege ich Ihnen ans Herz.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es gibt eine weitere Frage. - Sie möchten sie nicht beantworten. - Eine Kurzintervention. Bitte, Herr Poggenburg.

Frau Abg. Quade hat scheinbar den Antrag nicht richtig gelesen oder ihn nicht verstanden. Ich kann es nur mutmaßen.

(Zustimmung bei der AfD)

Denn die AfD reiht sich überhaupt nicht in irgendwelche rechtsextremen Bestrebungen ein, den § 130 abzuschaffen. Wir wollen ihn vielmehr ergänzen. Wir wollen nicht ein Wort darin streichen, sondern den Paragrafen ergänzen und ihn ein ganz klein wenig an reale momentane Gegebenheiten anpassen.

Uns wird ja ständig vorgeworfen, eine Partei von gestern zu sein.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Frau Quade, Ihre Partei ist eine Partei von vorgestern. Wenn Sie nicht einsehen können, dass gegebenenfalls auch ein solcher Paragraf einmal an momentane, ganz reelle Ereignisse und Gegebenheiten angepasst werden muss - - Es wurde ja ein Beispiel genannt; es gibt viele Beispiele dazu. Wenn man diesen Paragrafen vervollständigt, will man ihn doch nicht abschaffen. Bitte lesen Sie in Zukunft die Anträge richtig durch und beginnen Sie erst dann zu kritisieren. - Danke.