Der Statistik war zu entnehmen - das fand ich verblüffend -, dass die Zahl der Ärztinnen und Ärzte in der Bundesrepublik seit 2007 um 22 % gestiegen ist. Die Zahl der Hochschulabsolventen
in Sachsen-Anhalt im Bereich Medizin ist in der Zeit von 2005 bis 2016 von 336 auf 580 Personen gestiegen ist, also 72 % mehr.
Mit der Klasse Allgemeinmedizin und dem Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin haben wir durchaus innovative Angebote zur Bekämpfung des Hausärztemangels im Land; dennoch gibt es natürlich Handlungsbedarf. Das ist klar.
Die Altersstruktur der Ärztinnen und Ärzte in der Niederlassung wird einen erheblichen Bedarf erzeugen, sobald die entsprechenden Alterskohorten absehbar in den Ruhestand gehen. Dies steht praktisch unmittelbar an. Gleichzeitig erhöht sich durch die Alterung der Bevölkerung der Bedarf nach ärztlichen Leistungen. Die Arzt-PatientenKontakte steigen im Alter deutlich an.
Hinzu kommt, dass der Anteil der Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit ansteigt. Das mag man finden, wie man will, es erhöht aber schlicht den Bedarf nach Köpfen in der medizinischen Versorgung. Wir haben also durchaus ein quantitatives Problem.
Die wachsenden Abschlusszahlen werden also wohl nicht reichen. Insofern muss man tatsächlich über die Frage der Aufstockung von Studienplatzzahlen reden. Herr Gürth hatte in diese Richtung auch seine Frage gestellt.
Man muss die enormen Kosten, die damit einhergehen, benennen. Wenn man dies mit so konkreten Werten, wie sie im Raum stehen, fordert, dann muss man das im aktuellen Haushalt bzw. in den Folgehaushalten unterbringen. Dies ist in der Tat eine anspruchsvolle Aufgabe. Insofern tue ich mich sehr schwer, eine Zahl zu nennen, die in der Praxis tatsächlich für uns leistbar wäre.
Die Bewerberzahlen sind nicht das Problem. Herr Lange, Sie haben es gesagt, das Verhältnis ist ungefähr eins zu sechs, also sechs Bewerber auf einen Studienplatz. In den Gesprächen zu den Zielvereinbarungen muss dieses Thema tatsächlich angegangen werden.
Gleichzeitig haben wir als Politik ein gewisses Steuerungsproblem. Wir können Ärztinnen und Ärzte nicht zwingen, auf dem Land zu praktizieren. Im Sinne der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Berufsfreiheit ist dies auch gut so. Aber wir können Anreize setzen und Instrumente entwickeln, um eine Niederlassung in den ländlichen Regionen wahrscheinlicher zu machen. Eine Landarztquote scheint mir ein gangbarer Weg zu sein. Das scheint auch auf einen breiten Konsens zu treffen.
Aber die Frage nach der Anzahl der Ärztinnen und Ärzte ist nur die eine Seite der Medaille. Entscheidend ist die Frage, wie und wo diese ar
beiten. Das klassische Modell des Einzelkämpfer in der eigenen Praxis scheint eher ein Auslaufmodell zu sein, um nur einen Trend zu nennen. Die Zahl der Ärzte in Niederlassungen sinkt deutschlandweit leicht. Dagegen steigt die Zahl der angestellten Ärzte stark an und dies nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in medizinischen Versorgungszentren. Die Zahl dieser MVZ hat sich in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren verdreifacht, nämlich von 20 im Jahr 2006 auf 68 im Jahr 2016. Diese Zahlen weisen auf eine Antwort auf Versorgungsprobleme in ländlichen Regionen hin.
Wir müssen über Versorgungsnetzwerke reden, getragen von lokalen Krankenhäusern, Versorgungszentren und Ärztenetzen. Dann suchen wir nicht vergeblich für einen Hautarzt, einen Augenarzt oder einen Orthopäden auf dem Land einen Praxisnachfolger, sondern eine Kommune stellt beispielsweise einen Praxisraum zur Verfügung, der mittels Rotationssprechstunden von Ärzten aus einem nahegelegenen MVZ genutzt wird. Solche MVZ können im Übrigen inzwischen auch von Kommunen als eigene Einrichtungen betrieben werden. Hierfür braucht es innovativ eingestellte Kommunen, die mit den Akteuren vor Ort neue Wege beschreiten wollen. Rechtlich ist das machbar.
Ich setze auf Strukturveränderungen, weil nicht ländliche Regionen per se Ärztinnen und Ärzte abschrecken, sondern die Vorstellung, sich über eine Niederlassung, die meist umfangreiche Investitionen verlangt, dort lange, wenn nicht lebenslang zu binden. Gerade wenn die weitere Übernahme dieser Praxis in der Folge ungewiss ist, schreckt eine solche langfristige Investition und Entscheidung ab, ganz anders, als wenn ich dort im Angestelltenverhältnis arbeiten kann. Dieser Schritt ist weniger einschneidend.
Wir müssen also in diesen neuen Strukturen denken, um die Ärzteversorgung nachhaltig zu sichern, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Einfach nur mehr Ärztinnen und Ärzte in das bestehende System zu entlassen, hilft wahrscheinlich wenig; denn wenn anstatt 20 Ärzte etwa 50 das Angebot einer Niederlassung auf dem Land ablehnen, dann ist auch niemandem geholfen.
Bei diesen neuen tragfähigen Strukturen, die kooperativ ansetzen und auf Versorgungsnetzwerke setzen, haben wir noch nicht einmal über die Delegation von ärztlichen Leistungen an Pflegekräfte gesprochen. Diese Aufwertung der Pflegeberufe kann einen Weg darstellen, um die Gesundheitsversorgung moderner aufzustellen.
Letzter Satz; ich komme zum Schluss. - Die Telemedizin erwähne ich nur als Stichwort. Es gibt bei dem Stichwort Ärztemangel aus unserer Sicht weit mehr, über das es sich zu reden lohnt. Heute bitte ich erst einmal um Unterstützung für den Alternativantrag der Koalitionsfraktionen. - Danke schön.
Vielen Dank. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Die nächste Debattenrednerin ist die Abg. Frau Dr. Pähle für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort, bitte.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Minister wie auch die Vorredner haben zum vorliegenden Antrag der AfD-Fraktion schon vieles gesagt. Ich kann deshalb die vorbereitete Rede zur Seite packen und will auf ein paar Argumente, die ich gehört habe, eingehen und darstellen, dass die AfD für ein sehr komplexes Thema eine unterkomplexe Antwort geliefert hat.
Sie sind übrigens nicht diejenigen, die das Thema zum allerersten Mal in den Landtag bringen. Schauen Sie einfach einmal in das Archiv der Landtagsdokumente. Sie werden sehen, dass das Haus seit der fünften Wahlperiode - in diesem Haus seit 2006 - immer wieder über das Thema in unterschiedlichen Ansätzen diskutiert hat.
Sie werden, wenn Sie ein bisschen recherchieren, darüber hinaus feststellen, dass Sachsen-Anhalt auch verschiedene Ideen ausprobiert hat, zum Beispiel das Stipendienmodell. Das hatten wir auch schon im Land. Dieses Modell wurde nicht in genug in Anspruch genommen, weil die Summe, die das Land zur Verfügung gestellt hat, anscheinend nicht hoch genug war. Damit sind wir bei dem Argument von Herrn Philipp, der fragte, wie hoch dieses Stipendium denn sein muss, um wettbewerbsfähig zu sein.
Ich möchte auch noch auf das Thema Erhöhung der Studienkapazitäten eingehen. Herr Lange, in der idealen Welt kann jeder das studieren, was er möchte.
Wir werden es aber nicht finanzieren können. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Ich würde mich schon sehr freuen, wenn wir dann, wenn wir mit dem Bund über die Hochschulpakte in unterschiedlicher Weise verhandeln, auch die Forderung erheben, dass sich der Bund an der Medi
zinerausbildung in den Ländern beteiligt; denn das Problem, das wir in Sachsen-Anhalt haben, ist kein sachsen-anhaltisches Problem. Es ist ein bundesweites Problem. Alle Bundesländer haben im universitären Bereich Probleme, die Medizinerausbildung weiter aufzubauen, weil es enorme Kosten verursacht.
Ich möchte an dieser Stelle versuchen, die Verteufelung des NC ein bisschen zurechtzurücken. Sie finden HIS-Studien über den Studienerfolg gerade in der Medizin. Diese Studien belegen, dass die Abiturnote einen wesentlichen Einfluss auf den Studienerfolg hat.
Medizin ist ein Studium, das unglaublich viel mit Wissensaneignung und Auswendiglernen zu tun hat, und anscheinend gibt es zwischen diesen beiden Systemen einen Zusammenhang. Deshalb glaube ich, bei allen Instrumenten neben der NCBewertung, die man sicherlich heranziehen kann und sogar heranziehen muss, zum Beispiel die Einbeziehung von medizinischen Vorerfahrungen durch Ausbildungsberufe, sollte man sich von der Abiturnote nicht gänzlich verabschieden.
Ich möchte ganz allgemein noch auf das eingehen, was der Minister gesagt hat. Es gibt einen guten Grund dafür, dass diese Abiturnote die allgemeine Hochschulzulassung bedeutet. Mit einem Abitur, das man in Bitterfeld erworben hat, kann man überall studieren. Es ist also kein Abitur, das in Bitterfeld mehr Wert hat, weil es eine Landeskinderquote gibt. Das widerspricht dem Grundsatz einer allgemeinen Hochschulzulassung. Aus dieser Nummer werden wir nicht herauskommen; egal wie oft wir darüber diskutieren oder dies fordern. Ich finde es auch richtig.
Herr Siegmund, um Ihr Argument aufzugreifen: Wenn die Landeskinder weggehen, dann gehen Sie davon aus, dass sie wegbleiben, aber Sie gehen nicht davon aus, dass Studierende aus anderen Bundesländern hierbleiben. Auch bei denen gehen Sie davon aus, dass sie wieder weggehen. Ist Sachsen-Anhalt denn aus Ihrer Sicht so furchtbar, dass man von hier nur weggehen kann?
Ich sage, nein. Wir haben gute Regionen. Wir haben gute Krankenhäuser. Man kann hier sehr gut als Arzt tätig sein. Seien Sie doch zusammen mit uns mutig und sagen denjenigen, die aus Berlin, Hamburg oder München zu uns kommen, dass man hier gut Arzt sein kann. Wir schaffen Bedingungen, damit die Leute gern bleiben, und dies hat nicht nur etwas mit dem Medizinstudium zu tun.
Ganz allgemein: Die Medizin hat sich verändert, natürlich. Deshalb sprechen Sie sich unter Punkt e) Ihres Antrages insbesondere für eine rechtliche Verpflichtung aus, und zwar zur Vollzeittätigkeit. Ganz ehrlich: Das geht an der Realität vorbei.
Wir haben es an vielen Stellen schon gehört. Viele junge Mediziner, egal ob Männer oder Frauen, wollen nicht mehr die Alleinkämpfer sein und sie wollen nicht 40 oder mehr Stunden in der Woche als Mediziner tätig sein. Sie wollen geteilte Dienste. Sie wollen in Gemeinschaftspraxen oder MVZ angestellt sein, um dann in der Verbindung zwischen Beruf und Familie ihrer Tätigkeit nachzugehen.
Ich komme zu meiner letzten Bemerkung, weil mir leider die Zeit wegläuft. Sie haben vorhin gesagt, dass bei der Vergabe der Medizinstudienplätze auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis geachtet werden solle.
Ich bin sehr erstaunt, dass Ihre Fraktion, die bei einer Frauenquote davon spricht, dass Frauen mit weniger Leistung dem Anschein nach bevorteilt werden, in dem Bereich aber davon ausgeht, dass Männer, die kein gutes Abitur haben, anscheinend bevorzugt werden sollen, nur um die Quote einzuhalten.
Ganz ehrlich: Das sind vollkommen neue Ansätze in der AfD; vielleicht setzt dort ein Denkprozess ein. Das würde mich freuen.
An vielen Stellen, das haben wir auch gehört, werden wir uns sicherlich weiter mit dem Thema beschäftigen.
Ich werbe für die Zustimmung zum Alternativantrag. Wir werden über dieses Thema in vielen Ausschüssen immer wieder streiten. Ich hoffe, dass Sie dann komplexere Antworten liefern können. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. - Ich sehe zwei Anfragen, nämlich eine von Tobias Rausch und eine von Herrn Lange. Möchten Sie diese beantworten? - Bitte, Herr Abg. Rausch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Pähle, Ihre Rede hat mich sehr erstaunt, weil ich Teile davon sehr gut fand.
Sie sind auf die Rede von Herrn Siegmund eingegangen und haben gefragt, ob er das Land so schlecht finde und deshalb davon ausgehe, dass zu viele Ärzte weggehen. Ich weiß nicht, mit wie vielen Ärzten Sie schon gesprochen haben, die in Sachsen-Anhalt das Studium absolviert haben.
- Ich kenne mehrere. Ich kenne auch mehrere im MVZ, weil wir sie beruflich bedingt in unseren Räumen betreuen. Deswegen kenne ich mich damit ein wenig aus. - Dies nur, weil Sie gerade dazwischengequakt haben.
Jetzt frage ich Sie: Ist Ihnen das Problem der Ärzte bekannt? - Denn die Kassenärztliche Vereinigung hat mit den Krankenkassen in Bezug auf die Abrechnung ausgehandelt, dass man in Sachsen-Anhalt weniger Geld abrechnen kann als in Niedersachsen - das war die erste Frage. Die zweite Frage ist, wie man dem abhelfen kann. Ich kenne durchaus Ärzte, die sich in Braunschweig niedergelassen haben. Diese würden auch gerne wieder zu uns kommen, aber sie würden ungefähr 30 % weniger Einnahmen generieren können. Deswegen entscheiden sie sich dafür, in Braunschweig zu bleiben.
Das ist meiner Meinung nach ein großes Problem, das hier gar nicht benannt worden ist. Davon abgesehen weicht unser Antrag gar nicht so stark von Ihrem Standpunkt ab. Auf meine Frage hätte ich gerne eine Antwort. Gegebenenfalls schließe ich noch eine weitere Frage an.