Möglichkeit eingeräumt, bei der Kommunalwahl ihre Stimme abgeben zu können. Wir müssen über die Statistik hinaus, die auch in diesem Antrag in der Begründung kundgetan wird, mit Datum vom 31. Dezember 2011 zur Kenntnis nehmen, dass ca. 7 Mio. Nichtdeutsche in der Bundesrepublik durchschnittlich 19 Jahre leben, also mit dem im Parlamentsrecht durchaus gängigen Begriff ihren Lebensmittelpunkt hier in diesem Land haben, dass sie nicht nur über ihre Sprache, über ihr Leben, gegebenenfalls auch über ihre kulturelle Identität hier in diesem Land integriert sind und demzufolge in den meisten Fällen auch Steuern zahlen. Warum sollen wir ihnen nicht auch die Möglichkeiten einräumen, über das Wahlrecht, das aktive und passive Wahlrecht, die Möglichkeit einer demokratischen Beteiligung und Mitwirkung haben zu können?
Wir gehen davon aus, dass es nicht nur eine Frage von Integration ist in diesem Moment, sondern auch ein demokratietheoretisches Prinzip, was wir hier zu beantworten haben. Lassen Sie mich abschließend mit Blick auf die Integration den letzten Satz der Begründung vortragen, weil ich glaube, er zeigt deutlich, was das Ziel dieses Antrags ist. Ich zitiere: „Die vielfach diskutierte Herausforderung zur Integration von Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund entscheidet sich letztlich am Zugang zu gleichen politischen wie auch sozialen Rechten. Das aktive und passive Wahlrecht ist daher“ - Einfügung von mir, zeitgemäß - „notwendige Grundvoraussetzung.“ Vielen Dank.
Ich eröffne die Aussprache und rufe als erste Rednerin für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Rothe-Beinlich auf.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst möchte ich mich bei der Fraktion DIE LINKE für diesen Antrag bedanken. Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE fordert die Landesregierung auf - Herr Blechschmidt hat das gerade dargestellt -, eine Bundesratsinitiative zu initiieren mit dem Ziel, das Grundgesetz so auszugestalten, dass Nichtdeutsche, die sich seit mindestens fünf Jahren in Deutschland aufhalten, tatsächlich auch das aktive und passive Wahlrecht bei allen Wahlen, sprich den Kommunal-, den Landtags-, den Bundestags- und Europawahlen erhalten und auch an Abstimmungen teilnehmen können. Ich glaube, dass das im zwanzigsten Jahr der Verfassung in Thüringen im Thüringer Landtag sicher eine gute Debatte ist, die
wir heute hier führen können. Deswegen gestatten Sie mir ein paar verfassungsrechtliche Ausführungen, denn die Situation ist in der Tat schwierig. Wir können nicht einfach im Landtag beschließen, dass wir das Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit entsprechend einführen, sondern die Verfassung zeigt hier leider etliche Grenzen auf. An der Stelle lohnt sich vielleicht auch einmal die Frage, darüber nachzudenken, ob und wo und wie welche Verfassungen auch Änderungsbedarfe aufweisen, damit sie der Lebensrealität im 21. Jahrhundert gerecht werden.
Das Grundgesetz lässt es derzeit nicht zu, dass Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit durch ein einfaches Gesetz das aktive oder passive Wahlrecht zu Landtags- oder Bundestagswahlen erhalten. Auch die Teilnahme an Volksabstimmungen auf Bundes- oder Landesebene ist nicht möglich für diese Menschen.
Nach Artikel 20 im Grundgesetz ist das Staatsvolk der BRD Träger und Subjekt der Staatsgewalt. Dieser Grundsatz gilt über Artikel 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 auch für die Länder und die Kommunen. Damit sind auf der staatlichen als auch auf der kommunalen Ebene Nichtdeutsche grundsätzlich von Wahlen ausgeschlossen. Hier stellt sich unseres Erachtens in der Tat die Frage, ob dies der Lebensrealität entsprechen kann, wenn wir wissen, wie groß der Anteil der Menschen ist, die in unserem Land seit vielen Jahren mit uns leben und als Nichtdeutsche gelten.
Seit 1992 besteht für Personen, die die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats haben, immerhin das aktive und passive Wahlrecht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene. Damit setzt Deutschland eine Regelungsverpflichtung des Europäischen Gemeinschaftsrechts um. Eine ähnliche Regelung für EU-Bürger, Landes- und Bundestagswahlen betreffend, gibt es allerdings bis heute nicht.
Ein weiteres verfassungsrechtliches Problem besteht darin, dass Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz festlegt, dass Änderungen, welche unter anderem die in Artikel 1 und 20 Grundgesetz niedergelegten Grundsätze berühren, unzulässig sind. Das Bundesverfassungsgericht hat noch 1990 erklärt, ein Ausländerwahlrecht sei auf kommunaler Ebene mit dem Grundgesetz unvereinbar, allein Deutsche könnten wahlberechtigt sein. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht aber betont, dass es der demokratischen Idee entspricht, eine Übereinstimmung zwischen der Wohn- und der Wahlbevölkerung herzustellen. Folgerichtig hatte Karlsruhe - das passiert ja leider häufiger als man in der Politik Bewegung erlebt - die Politik aufgefordert, durch ein vereinfachtes Einbürgerungsrecht möglichst viele
Zum 31.12.2012 lebten laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 7,2 Mio. Menschen ohne deutschen Pass. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer dieser Menschen beträgt - hören Sie zu - etwa 19,7 Jahre hier in diesem Land. Doch sie haben keine Chance, sich an Wahlen oder Volksabstimmungen zu beteiligen. Wir meinen, dass es uns darum gehen muss, allen hier lebenden Menschen größtmögliche Teilhabe und Mitbestimmung zu ermöglichen, und zwar unabhängig von der Herkunft, der Hautfarbe oder vom Geschlecht.
Wir können und werden uns nicht damit abfinden, dass Millionen von Menschen, die seit vielen Jahren bei und mit uns leben, von demokratischer Teilhabe dauerhaft ausgeschlossen sind. In diesem Sinne noch einmal mein Dank an die Initiative der Fraktion DIE LINKE, die wir völlig richtig finden und teilen, nämlich ein Wahlrecht für alle zu schaffen. Allerdings sind wir uns wir uns auch der hohen verfassungsrechtlichen Hürden bewusst, die wir für die Schaffung eines entsprechenden Wahlrechts für alle hier lebenden Menschen überwinden müssen. Deshalb haben wir uns als GRÜNE vorgenommen, quasi als ersten Schritt das kommunale Ausländerwahlrecht einzuführen und hatten dazu im Bundestag bereits 2010 entsprechende Änderungen vorgelegt.
Erstens: Die verfassungsrechtliche Argumentation des Bundesverfassungsgerichts ist überholt. Durch den Maastricht-Vertrag 1992 haben Unionsbürgerinnen in Deutschland bereits das kommunale Wahlrecht erhalten. Damit wurde der Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts durchbrochen, wonach die Staatsgewalt allein von deutschen Staatsangehörigen ausgeht. Das sieht im Übrigen auch die Mehrheit der Sachverständigen des Innenausschusses im Bundestag so, der dazu im Jahr 2008 eine Anhörung durchführte. Außerdem sind Kommunalparlamente keine Legislativorgane, sondern lediglich Körperschaften der Selbstverwaltung.
Zweitens: In vielen anderen europäischen Ländern ist das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige eine Selbstverständlichkeit. Ich benenne hier nur einmal Finnland, Schweden, Dänemark, Estland, Luxemburg, Irland, Belgien oder die Niederlande. Warum nicht also auch in Deutschland?
Drittens: Die Einteilung in Ausländerinnen erster und zweiter Klasse, die wir hier vornehmen oder erleben, ist diskriminierend.
Dass Drittstaatsangehörige anders als Deutsche oder Unionsbürger nicht an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen, ist sachlich nicht zu begründen und verfassungsrechtlich höchst bedenklich, denn die Lebenssituation von Drittstaatsangehörigen unterscheidet sich nicht von der Lebenssituation von EUBürgerinnen und Deutschen. Es geht um Menschen, die seit Jahren hier mit uns leben, hier arbeiten und Steuern zahlen. Ihre Kinder besuchen gemeinsam mit allen anderen Kindern die Schule oder den Kindergarten. Der einzige Unterschied ist, dass diese Bürgerinnen und Bürger bis heute die Angelegenheiten ihrer Kommune nicht mitentscheiden können und dürfen. Das finden wir hochgradig ungerecht.
Viertens: Die Alternative des Bundesverfassungsgerichts in der Frage der Übereinstimmung von Wohn- und Wahlbevölkerung durch vermehrte Einbürgerungen wird durch den Gesetzgeber sabotiert. Deutschland hat seit Jahrzehnten eine der niedrigsten Einbürgerungsquoten in Europa. Dennoch wurde das Staatsangehörigkeitsrecht in den letzten Jahren immer weiter verschärft. Die Folge ist, die Zahl der Einbürgerungen ist seit 2006 um rund 20 Prozent und die Einbürgerungsquote um 13 Prozent gesunken. Hier sollten wir uns vielleicht auch einmal über die Willkommenskultur vermehrt Gedanken machen.
Fünftens: Die Ausübung des Kommunalwahlrechts ist auch für die Integration der in Deutschland lebenden Einwanderinnen und Einwanderer von großer Bedeutung. Eine erfolgreiche Integration lässt sich nur durch Teilhabe, gerechte und gleichberechtigte Teilhabe, erreichen und dazu gehört ganz elementar das Wahlrecht als erster Schritt auf kommunaler Ebene auch dazu.
Die Einführung des kommunalen Wahlrechts wird sechstens - unterstützt von bundesweit 40 Integrationsbeauftragten. Dies hat eine Umfrage schon 2010 ergeben. Wir wünschen uns jedenfalls für alle hier lebenden Menschen, die Möglichkeit der demokratischen Teilhabe durch Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts in Anspruch zu nehmen. Deshalb stehen wir dem Anliegen der Fraktion DIE LINKE auch sehr aufgeschlossen gegenüber. Allerdings, das muss uns natürlich bewusst sein, braucht es für diese notwendige Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit auf Bundesebene. Da kann sich ja vielleicht am 22. September, sprich am Sonntag, noch etwas tun.
auf kommunaler Ebene das Wahlrecht für Drittstaatsangehörigkeit zu schaffen und dann tatsächlich den Weg zu bereiten, dass alle Menschen gleiche Rechte auch hier in Deutschland haben. Und da gehört das Wahlrecht ganz elementar dazu. Vielen herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt nicht schlecht gestaunt, was Frau Rothe-Beinlich hier alles erzählt hat. Am meisten habe ich gestaunt, dass sie bedauert: Leider ist das Grundgesetz, wie es ist, und das lässt es nicht zu. Da war ich schon etwas überrascht: Leider lässt das Grundgesetz das nicht zu. Vielleicht muss man auch mal überlegen, wo das Grundgesetz herkommt, warum das Grundgesetz so geschrieben wurde und was das Ziel war.
Wir haben auch eine Geschichte, wir haben auch eine Historie und wir haben vor allem auch eine Verpflichtung.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in Artikel 20 Abs. 2 Satz 1 verfasst, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, geprägt von dem Eindruck der zwölfjährigen Nazidiktatur und den verheerenden Folgen für Deutschland, Europa und die ganze Welt.
Ich denke, das Grundgesetz, so wie es auf den Weg gebracht wurde, wie es beabsichtigt wurde, hat bewusst eine hohe Hürde eingesetzt, bewusst eine hohe Hürde von Zweidrittelmehrheit eingebaut, damit es nicht leichtfertig geändert werden kann. Deswegen habe ich mich gewundert, wie Frau Rothe-Beinlich sagt, sie bedauert, dass das Gesetz so ist, wie es ist.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege Kellner. Würden Sie mir recht geben, dass die Lebensrealität in der Bundesrepublik Deutschland im Entstehungsjahr des Grundgesetzes eine andere war - bezogen auf Migration -, als das heute ist?
Zweite Frage: Würden Sie mir recht geben, dass das Grundgesetz immer wieder gewonnen hat, wenn es mit Zweidrittelmehrheit fortentwickelt wurde?
Dass es Veränderung gegeben hat, ist unstrittig, hat aber nichts damit zu tun, das muss ich ganz klar sagen, es hat nichts damit zu tun. Die Lebenswirklichkeit ist, dass eine Zuwanderung stattfindet, dass wir einen erhöhten Ausländeranteil haben. Aber es hat mit dem Thema nichts zu tun. Darauf, warum es nichts damit zu tun hat, komme ich gleich noch zurück.
Dieser Ausschlussgrund, der hier ständig oder gerade eben lang und breit gebracht wurde, ist nicht zutreffend. Diesen Ausschlussgrund gibt es aus unserer Sicht nicht. Ich komme gleich darauf zurück und werde es auch begründen.