b) Eckpunkte für ein Thüringer Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Tieren Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1531
Wünscht die Landesregierung das Wort zur Begründung für ihren Gesetzentwurf? Herr Prof. Huber, dann haben Sie das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, wiederholt mussten auch in diesem Jahr die Ordnungs- und Rettungskräfte einschreiten, um die durch eine unsachgemäße Haltung gefährlicher Tiere verursachten Gefahren zu beseitigen. Leider kamen sie in einigen Fällen zu spät. In SachsenAnhalt biss im September ein Rottweiler einen dreijährigen Jungen tot. In Cottbus verletzte im April ein Husky ein acht Wochen altes Baby so schwer, dass es an seinen Verletzungen starb. Aus Berlin erreichte uns im Oktober die Meldung, dass ein Staffordshire-Terrier-Mischling ein Kind attackierte und schwer verletzte. Auch in Thüringen gab es zwei Fälle: Der tödliche Beißangriff von American-Staffordshire-Mischlingen in Sachsenburg auf ein dreijähriges Mädchen im Mai und die ebenfalls tödliche Beißattacke eines ca. 70 kg schweren Mischlingshundes in Kindelbrück im Oktober haben auf tragische Weise gezeigt, welches Gefahrenpotenzial von einer unsachgemäßen Haltung von Hunden für die Bevölkerung ausgehen kann. Zu Recht wurde und wird im Anschluss an diese grausamen Vorfälle in der Öffentlichkeit diskutiert, was insbesondere der Gesetzgeber tun kann, um Leben und Gesundheit der Bevölkerung effektiver vor diesen Gefahren zu schützen. Erst gestern gab es zwei Vorfälle in Thüringen mit gefährlichen Hunden, die wieder zu erheblichen Verletzungen geführt haben. Der vorliegende Gesetzentwurf greift die berechtigten Erwartungen der Öffentlichkeit auf und stellt den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tieren, insbesondere vor gefährlichen Hunden, auf eine neue parla
mentsgesetzliche Grundlage. Die derzeit noch geltende Thüringer Gefahrenhundeverordnung von 2000 wird aufgehoben. Der Gesetzentwurf sieht nunmehr einen einheitlichen Rahmen für alle gefährlichen Tiere vor.
Die wichtigsten Eckpunkte dieses Entwurfs sind: Gefährliche Tiere im Sinne dieses Gesetzes sind zunächst solche einer wildlebenden Art, die Menschen durch Körperkräfte, Gifte oder ihr Verhalten erheblich verletzen können. Damit werden insbesondere exotische Tiere, wie Giftschlangen, erfasst. Als gefährliche Tiere gelten darüber hinaus Hunde der Rasse Pitbull-Terrier, American StaffordshireTerrier, Staffordshire-Bullterrier, Bullterrier sowie deren Kreuzungen untereinander oder mit anderen Hunden. Gerade die von mir eingangs erwähnten Beißattacken dieser Hunde haben gezeigt, dass diese Rassen ein ganz besonderes Gefährdungspotenzial aufweisen.
Zweitens wird der zuständigen Behörde die Möglichkeit eingeräumt, im Einzelfall nach Durchführung eines Wesenstests auch solche Hunde als gefährlich einzustufen, die sich als bissig oder sonst verhaltensauffällig erwiesen haben.
Drittens wurde insbesondere auf Anregung des Gemeinde- und Städtebundes eine Sonderregelung für große und schwere Hunde aufgenommen, da auch von diesen Hunden eine spezifische Tiergefahr ausgehen kann, wenn sie andere Menschen, ich denke insbesondere an Kinder, Behinderte oder ältere Menschen, anspringen oder gefährden. Die Haltung gefährlicher Tiere wird in Zukunft der Erlaubnis bedürfen, diejenige eines großen oder schweren Hundes ist dagegen bei der zuständigen Behörde anzuzeigen. Die Genehmigung wird nur erteilt für die gefährlichen Hunde, wenn der Halter zuverlässig ist, insbesondere darf er bislang nicht straffällig geworden sein. Der Halter muss volljährig sein und die erforderliche Sachkunde nachweisen. Schließlich muss eine Haftpflichtversicherung für das gefährliche Tier nachgewiesen werden und die gefährlichen Hunde müssen fälschungssicher mit einem Chip versehen werden, damit die Identität des Halters festgestellt werden kann. Die zuständige Behörde kann die notwendigen Anordnungen gegenüber dem Halter eines gefährlichen Tieres treffen, insbesondere kann bei der Haltung eines gefährlichen Hundes auch die Durchführung eines sogenannten Wesenstests angeordnet werden. Zahlreiche weitere im Gesetz geregelte Verhaltensanforderungen des Halters betreffen Zucht und Handelsverbote für die vier gelisteten Hunderassen sowie Anforderungen an das Führen von gefährlichen Hunden in der Öffentlichkeit.
Lassen Sie mich noch auf zwei Punkte besonders eingehen. Die Einführung einer Rasseliste wurde im Rahmen der Anhörung vielfach kritisiert. Das Problem liege, so der zutreffende Einwand, am an
deren Ende der Leine. Grund für ein aggressives Verhalten des Hundes sei ein Fehlverhalten des Halters und nicht die genetisch bedingte Aggressivität des Tieres. Ob und in welchem Maße ein Hund für den Menschen zur Gefahr werden kann, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab: Neben bestimmten Zuchtmerkmalen eines Hundes etwa von der Erziehung, Ausbildung und Haltung, von situativen Einflüssen, vor allem aber von der Zuverlässigkeit und der Sachkunde seines Halters. Der Entwurf knüpft daher durch die Normierung einer Rasseliste an die genetische Disposition bestimmter Hunderassen und durch die Regelung diverser Halterpflichten auch an die Verantwortlichkeit des Halters an.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung zum Thema Rasseliste aus dem Jahr 2004 die Verwendung einer solchen ausdrücklich als zulässig bezeichnet. Zahlreiche andere Länder, mit Ausnahme von Thüringen und Niedersachsen, haben in ihren Landeshundegesetzen weitaus mehr Hunderassen als potenziell gefährlich gelistet. Die Verwendung einer Rasseliste erleichtert vor allem den Vollzug des Gesetzes. Der Gemeinde- und Städtebund hat aus diesem Grund im Rahmen der Anhörung sogar die Aufnahme weiterer Rassen in diese Liste gefordert neben Regelungen zu großen und schweren Hunden. Aus meiner Sicht ist das ein besonders innovatives Element des Gesetzentwurfs. Mit dieser Regelung wird der Schutz der Bevölkerung abgerundet.
Ich möchte den Haltern großer und schwerer Hunde jedoch die Sorge nehmen, dass sie nunmehr sogleich mit neuen Verpflichtungen überhäuft werden. Zunächst gelten diese Neuregelungen nicht für diejenigen Halter, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits einen großen Hund halten. Darüber hinaus gelten solche Halter als sachkundig, die bereits in der Vergangenheit über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren einen großen Hund beanstandungsfrei gehalten haben und dies nachweisen können. Ein gesonderter Hundeführerschein wird in diesem Fall nicht mehr verlangt. Insgesamt, denke ich, enthält das Gesetz einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Interessen der Hundehalter und dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Das rechtliche Instrumentarium der Bevölkerung zum Schutz vor gefährlichen Tieren wird deutlich präziser und effektiver ausgestaltet. Absoluten Schutz vor einem Angriff eines gefährlichen Hundes - das muss man natürlich einräumen - kann kein Gesetz bieten. Dennoch schafft der vorliegende Entwurf eine geeignete und nach Abwägung aller Gesichtspunkte verhältnismäßige Grundlage, die Menschen künftig effektiver vor den gefährlichen Tieren und den von ihnen ausgehenden Gefahren zu schützen. Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen herzlichen Dank, Herr Innenminister Huber. Wünscht die Fraktion DIE LINKE jetzt das Wort zur Begründung ihres Antrags? Ja, Frau Berninger, dann haben Sie jetzt das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist Ausdruck einer nachvollziehbaren Einstellung, so viel wie möglich tun zu wollen, um Unfälle, insbesondere solche, bei denen Kinder verletzt werden oder zu Tode kommen, gänzlich ausschließen zu können. Aber es ist sicherlich auch Ausdruck dessen, dass man die eigene Handlungsunfähigkeit nicht akzeptieren will, wenn nach einem solch tragischen Unfall als Erstes der Ruf aus der Politik ertönt, bestehende Regelungen verschärfen zu müssen. Nur manchmal ist es aber eben der Sache nicht dienlich, wenn Politik nur um der Schlagzeile willen oder zur Bedienung einer angenommenen Meinung oder auch nur - allzu verständlich - zur Beruhigung des eigenen Gewissens reagiert, ohne sich die Zeit zu nehmen, einmal zu hinterfragen, ob die geforderten Regelungen auch tatsächlich sachgerecht und sinnvoll sind.
Als im Mai dieses Jahres in Oldisleben ein dreijähriges Mädchen durch eine Hundeattacke tragisch zu Tode kam, reagierten zunächst fast reflexartig die Innenpolitiker von SPD und CDU und forderten unisono eine Verschärfung der landesrechtlichen Regelungen zu gefährlichen Hunden. Insbesondere wurde die Einführung einer sogenannten Kampfhunde- oder Rasseliste gefordert und damit der Eindruck erweckt, als hätte mit einer auf diese Weise verschärften Regelung der tragische Todesfall des kleinen Mädchens ausgeschlossen werden können. Wohltuend in den ersten Reaktionen aus der Landespolitik war die Äußerung des Thüringer Innenministers unmittelbar nach dem Vorfall. Um Sachlichkeit und Vernunft bemüht äußerten Sie, Herr Prof. Dr. Huber, gegenüber dem MDR, dass die geltenden Regeln - und gemeint haben Sie da die Thüringer Gefahrhundeverordnung - so schlecht nicht seien. Keine Woche später, offenbar getrieben durch die Innenpolitiker der Koalition und die Berichterstattung in den Medien, vollführten Sie, Herr Minister Huber, nicht nur eine 180-Grad-Wendung, sondern Sie machten sich offenbar zum Ziel, die in der Bundesrepublik schärfsten Regelungen zum Schutz vor gefährlichen Tieren im Freistaat Thüringen einführen zu wollen. Keinen Monat nach dem Todesfall in Oldisleben stellt der Herr Innenminister Huber der Öffentlichkeit seinen Gesetzentwurf vor, der die eben von Ihnen ja schon beschriebenen Eckpunkte enthielt, u.a. die vier als sogenannte Kampfhunde bezeichneten Hunderassen. Der Innenminister demonstrierte damit Handlungsentschlossenheit und kündigte im Rahmen einer Landesmedienkonferenz an, unmittelbar nach der
Sommerpause den Gesetzentwurf der Landesregierung in den Landtag einbringen zu wollen. Aber seitdem dieser im Juni veröffentlichte Gesetzentwurf durch Tierärzte und Tierärztinnen, Tierschutzverbände, Hundeexperten förmlich in der Luft bzw. in den Stellungnahmen und im Internetblog des Thüringer Innenministeriums zerrissen worden war, war es lange Zeit still im Haus des Thüringer Innenministers.
Verbunden mit der Kritik in den Stellungnahmen zum Gesetzentwurf waren aber auch zahlreiche Vorschläge aus den Erfahrungen mit der Thüringer Gefahrhundeverordnung und natürlich auch aus Erkenntnissen solch tragischer Unglücksfälle, die sowohl die öffentliche Sicherheit in den Vorschlägen als auch Belange des Tierschutzes berücksichtigten. Diese Vorschläge hat meine Fraktion aufgegriffen und mit dem vorliegenden Antrag, der bereits in der vergangenen Sitzung des Landtags hätte beraten werden sollen, eigene Vorstellungen für künftig in Thüringen geltende Regelungen, insbesondere zum Schutz vor gefährlichen Tieren, in die parlamentarische Debatte eingebracht. Der Unterschied zu den Vorschlägen der Landesregierung besteht, bezogen auf die Frage des Schutzes der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden, darin, dass wir nicht gefühlsmäßig und unabhängig von wissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmte Hunderassen als gefährlich deklarieren, sondern zum Schutz der Bevölkerung auch auf die Verantwortung von Hundehaltern und Hundehalterinnen abzielen und bereits bevor ein Hund aufgrund seines Verhaltens durch die zuständigen Behörden als gefährlich definiert wird, bestimmte Regelungen für die Halter aller Hunde etablieren wollen.
Wir bitten Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sich nunmehr der breit und auch sehr emotional geführten Debatte anzunehmen und gemeinsam mit Fachverbänden und Sachverständigen in den Meinungsaustausch zu treten über tatsächlich wirksame, verhältnismäßige und sachgerechte Regelungsinhalte zum Schutz vor gefährlichen Tieren. Unsere Vorschläge, die meine Kollegin Martina Renner Ihnen noch im Einzelnen vorstellen und begründen wird, liegen ebenso auf dem Tisch wie die der Landesregierung. Ich hoffe, Sie ermöglichen eine sachliche und ergebnisoffene Parlamentsdebatte in den zuständigen Ausschüssen einschließlich der dafür notwendigen Anhörungen von Sachverständigen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen herzlichen Dank, Frau Berninger. Ich eröffne nunmehr die gemeinsame Aussprache zu den Tagesordnungspunkten 7 a und 7 b. Uns liegen Wortmeldungen aus allen Fraktionen vor. Das Wort hat
Danke, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt unternehmen wir heute den dritten Anlauf für ein solches Gesetz. Ich kann mich noch dunkel an eine fast schon legendäre Ausschussberatung Ende der 90er-Jahre erinnern, in der wir als Abgeordnete das erste Mal spürten, was es bedeutet, wenn Hundezüchter, die mit Herz und Seele an diese Problematik gingen, aber auf der anderen Seite zum Beispiel auch der Kinderschutzbund aufeinandertreffen. Anfang 2006 hatte dann die damalige Landesregierung im Kabinett den Innenminister schon einmal beauftragt, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Was danach geschehen ist, entzieht sich unserer Kenntnis und heute und jetzt, im Jahr 2010, schicken wir uns nun - ich sage bewusst „endlich“ - an, unsere Überlegungen zu einem konsequenten Ende zu führen.
Fast alle anderen Bundesländer haben dies in der Zwischenzeit getan. Sie sind den Weg von Verordnungen zum Gesetz gegangen, wobei die Gesetze dann teilweise recht unterschiedlich sind. Die Inkonsequenz der letzten Jahre bei der Handhabung dieses Gesetzes macht uns auch bei der Verabschiedung dieses Gesetzes Probleme, weil wir kaum über eine ausreichende Datenlage zu der Problematik hier in Thüringen verfügen. Es gibt lediglich eine Liste der Vorkommnisse mit Hunden in Thüringen, aber diese Liste ist kaum aussagekräftig. Was nützt mir die Anzahl von Bissen einer gewissen Hunderasse, wenn ich nichts über die Population z.B. in Thüringen weiß.
Aber, meine Damen und Herren, ein Fazit dieser Liste wird unumstritten sein: 418 Vorkommnisse im Jahr 2009, das ist zu viel, 185 leichtund 60 schwerverletzte Menschen, das ist zu viel. Zu verschweigen sind auch nicht die 160 verletzten und die 43 toten Tiere. Auch das ist eindeutig zu viel. Wir können die Statistik für das Jahr 2010 nicht kennen, aber eins ist jetzt schon traurige Gewissheit, mindestens zwei Menschen sind in diesem Jahr nach Hundeattacken ums Leben gekommen. Diese Vorkommnisse - das sage ich ausdrücklich und dazu stehe ich auch - sind Auslöser, aber bei Weitem nicht der einzige Grund für diese Gesetzesinitiative. Ich will auch ganz deutlich sagen, genauso wie der Innenminister das formuliert hat, wir können hier nach der Ansicht aller das beste Gesetz im Landtag verabschieden, wir können das meinetwegen auch einstimmig tun, aber wir allein können nicht verhindern, dass es wieder zu solchen traurigen und tragischen Vorkommnissen kommt. Was da - in Sachsenburg war das, glaube ich - passiert ist, das hat schon etwas damit zu tun, dass eine ganze Gemeinde Probleme ignoriert haben muss. Da nützt das beste Gesetz nichts, da nützt auch
das beste Ordnungsamt nichts, da sind uns hier die Hände gebunden. Ich widerspreche Ihnen ausdrücklich, Frau Berninger, wenn Sie behaupten, jemand aus unserer Fraktion hätte je behauptet, dass wir mit einem Gesetz dieses regeln können. Aber wir wollen ein Gesetz, das sage ich auch ausdrücklich.
Nun unternimmt, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung mit ihrem Gesetzentwurf endlich den Versuch, das Spannungsfeld zwischen dem Grundrecht der Person auf körperliche Unversehrtheit und dem Tierschutz auszufüllen. Nach unserer Auffassung ist das in dieser Gesetzesvorlage gelungen.
Ich wollte jetzt auf die einzelnen Schwerpunkte in diesem Gesetz hinweisen, wie Rasseliste, wie Eingriffsmöglichkeiten der kommunalen Ordnungsämter, die Frage gefährliche Hunde noch einmal besprechen, aber da ich fast wortgleich mit dem Innenminister vortragen würde, erspare ich mir dies an dieser Stelle und beziehe mich dort ausdrücklich auf seine Ausführungen.
Meine Damen und Herren, um diesen Gesetzentwurf zu beurteilen, haben wir uns in der Fraktion mit sehr viel Material beschäftigt, leider - ich habe das vorhin schon einmal gesagt und ich muss noch einmal darauf zurückkommen - meist Statistiken und Bewertungen aus anderen Bundesländern. Mir persönlich hat da besonders die entsprechende Beurteilung des Gesetzes aus NRW geholfen. Dort hat man fünf Jahre nach der Verabschiedung das Gesetz und die dazugehörige Verordnung evaluiert. Man hat das durchaus auch mit einem kritischen Blick auf das eigene Gesetz getan. Ich will vorschlagen, dass wir ein solches Vergehen mit dem Thüringer Gesetz auch im Innenausschuss zunächst besprechen und dann in dem Gesetz eine Evaluierung festschreiben sollten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier jeder in seinen Aussagen so hundertprozentig sicher ist. Ich gestehe es gern zu, ich bin es auch nicht. Eine Evaluierung erscheint mir schon festgeschrieben jetzt notwendig. Genauso müssen wir im Ausschuss Maßnahmen besprechen, die uns endlich dann auch aussagefähige Statistiken für den Freistaat Thüringen liefern, um wenigstens auf einer einigermaßen vernünftigen Grundlage dann eventuell andere oder neue Maßnahmen oder eben keine anderen zu beschließen.
Mit dem Gesetz - ich sage das ausdrücklich und das sage ich aus voller Überzeugung - haben wir bei Weitem nicht die schärfsten Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland. Schauen Sie sich allein die Rasseliste in Bayern und in Baden-Württemberg an, da sind es, glaube ich, 17 oder 19 Rassen in den einzelnen Bundesländern. Das hat schon eine ganz andere Qualität als das, was hier in Thüringen passiert. Nein, ich halte das für
ausgewogen. Ich freue mich im vollen Bewusstsein der Schwere auf eine Ausschussberatung. Danke schön.
Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Gentzel. Das Wort hat jetzt Abgeordnete Renner aus der Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, bei allen Diskussionen über mögliche Regelungen, die der Stärkung der individuellen und auch öffentlichen Sicherheit dienen sollen, muss eines immer wieder vorangestellt werden - ich danke Herrn Innenminister Prof. Huber für seine Worte -: „Absolute Sicherheit gibt es nicht.“ Durch gesetzliche Regelungen können weder Pflichtverletzungen handelnder Menschen ausgeschlossen werden, ebenso wenig fahrlässiges Fehlverhalten und erst recht nicht kann in einem Gesetz jeder nur erdenkliche Einzelfall menschlichen Handelns oder sogar wie in dem hier diskutierten Thema - des tierischen Verhaltens vorausgesehen und diesem mit einer präventiven Regelung begegnet werden. Der von der Landesregierung ins Spiel gebrachte und nunmehr im Gesetzentwurf vorliegende Vorschlag für eine sogenannte Rasseliste hört sich womöglich gut an. Diese Rasseliste ist aber weder gerechtfertigt noch wird von ihr tatsächlich ein Mehr an Sicherheit ausgehen. Das zeigen alle empirischen Belege aus den Bundesländern, die eine Rasseliste eingeführt haben. Die Beißvorfälle in ihrer Gesamtheit haben sich nicht verringert, ein Mehr an Sicherheit gibt es nicht. Die beiden von Ihnen erwähnten Beißattacken in Cottbus und Berlin haben sich in Bundesländern ereignet, die eine derartige Rasseliste haben. Eine solche Rasseliste, und das ist unser Hauptargument, ist vor allem nicht sachgerecht. Das können Sie den meisten Stellungnahmen entnehmen, die der Landesregierung, aber auch den Fraktionen zugesandt wurden. So führt beispielsweise der Landestierschutzverband NordrheinWestfalen aus, ich zitiere: „In der Veterinärwissenschaft ist es heute unbestritten, dass die Rasse eines Hundes grundsätzlich nichts über seine Aggressivität auszusagen vermag. Bestimmende Faktoren sind die Haltung und Erziehung eines Hundes.“ Die Landestierärztekammer Thüringen meint hierzu: „Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass bestimmte Hunderassen per se aggressiv seien.“ Frau Dr. Dorit Feddersen-Petersen von der Universität Kiel stellt fest: „Verhaltensbiologisch ist die gefährliche Rasse nicht zu benennen. Es ist naturwissenschaftlich so unsinnig wie unbewiesen, einer Hunderasse a priori eine gesteigerte Gefährlichkeit zuzuschreiben.“ Auf diese vehemente, fach
lich fundierte Kritik an der Rasseliste und auf die offensichtlich herangewachsene Einsicht, dass eine Rasseliste Gefahren nicht wirksam beseitigen kann - ich habe auf die tödlichen Bissattacken verwiesen -, einfach zu reagieren, indem noch zusätzliche Regelungen für große Hunde an die Seite gestellt werden, ist nicht die richtige Antwort - dazu später mehr. Keine Frage, dass wir in einem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tieren einen Interessenausgleich vornehmen müssen, ist klar - einen Ausgleich, der Belange der Gefahrenabwehr berücksichtigt, individuelle Rechte nicht mehr als notwendig beschneidet und auch Belange des Tierschutzes nicht unberücksichtigt lässt, obwohl uns im Land hierzu die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Natürlich darf sich ein Gesetzgeber nicht unbeeindruckt lassen von Meinungen, die eine subjektiv empfundene Angst zum Ausdruck bringen, aber ebenso wenig von Auffassungen, die sagen, der Hund als Haustier, als Wachhund, als Begleithund, aber auch als Bestandteil der Pflege und der medizinischen Genesung gehört zu unserer Kultur.
Die Ankündigung des Thüringer Innenministeriums im Mai 2010, wonach in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren die Anzahl der legal gehaltenen Kampfhunde in Thüringen gegen Null reduziert werden solle, ist in der Gesamtbetrachtung unverhältnismäßig und in Anbetracht der fachkundigen Äußerungen von Experten und Expertinnen auch nicht sachgerecht. Dieses Ziel ist vor allem unrealistisch. Selbst wenn es in Thüringen ein Zucht- und Handelsverbot für bestimmte Hunde gäbe, dann besorgen sich die Halter die Hunde in anderen Bundesländern oder in anderen Ländern. Diese illegalen Hunde - oder richtiger gesagt, diese illegalen Hundehalter - werden versuchen, sich jedweder Prävention und Kontrolle zu entziehen und dies wird schließlich die Gefahren erhöhen. Wenn wir als LINKE die Verantwortung bei den Hundehaltern sehen, dann ist es konsequent, dass wir mit unseren Vorschlägen Hundehalter in die Pflicht nehmen, wie sie eine hohe Verantwortung gegenüber dem Tier und gegenüber ihren Mitmenschen ausüben. Ich bin überzeugt, dass die übergroße Anzahl der Hundehalter in Thüringen sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst ist und die daraus erwachsenden Pflichten gerne aufnimmt.
Mit unserem Antrag haben wir Ihnen Eckpunkte für ein künftiges Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tieren vorgeschlagen, die wir natürlich auch in die Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung im Ausschuss einfließen lassen werden. Viele Punkte des Entwurfs der Landesregierung - das wurde bereits in der Begründung zu unserem Antrag durch meine Kollegin Sabine Berninger gesagt - werden durch meine Fraktion durchaus als sinnvoll erachtet. Es fehlen jedoch generell präventive Regelungen, wie wir sie in die De
batte einbringen. Zunächst erscheint es mir wichtig festzustellen, dass die Regelungen in der Gefahrhundeverordnung in Thüringen, die greifen, wenn ein Hund als gefährlich eingestuft wurde, auch in einem zukünftigen Gesetz Geltung haben sollten.
Sie haben sich bewährt. Dort findet sich beispielsweise die Erlaubnispflicht für das Halten gefährlicher Hunde ebenso wie besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Halters gefährlicher Hunde. Wir wollen aber mit unseren Vorschlägen einen Schritt weiter gehen. Da wäre zum Beispiel die von uns vorgeschlagene Regelung zur jährlichen Vorstellung des Hundes bei einem Tierarzt. Ein Besuch, den sowieso jeder verantwortliche Hundehalter und jede Hundehalterin im Kalender stehen haben sollte. Aber wir wollen auch die Tierärzte in die Pflicht nehmen, bei Verhaltensauffälligkeiten einen Wesenstest bei der zuständigen Behörde begründet anzuregen. Damit haben wir einen relativ einfachen Kontrollmechanismus geschaffen, der geeignet ist, das notwendige Verbot der Abrichtung von Hunden zu gefährlichen Tieren auch tatsächlich umzusetzen. Wir können uns vorstellen, dass der Besuch bei einem Tierarzt mit einem ermäßigten Hundesteuersatz honoriert wird oder anders herum gesprochen, wer dieser Verpflichtung nicht nachkommt, muss mit einem erhöhten Steuersatz rechnen. Die Möglichkeit, die Hundesteuer als tatsächliches Steuerungsinstrument mithilfe variabler Steuersätze in den Kommunen zu entwickeln, trägt einer wichtigen und auch berechtigen Fragestellung Rechnung: Wie werden die Regelungen, ganz gleich welche, durch die Ordnungsbehörden kontrolliert?
Weiterhin haben wir eine Reihe von Regelungen vorgeschlagen und bringen sie in die parlamentarische Diskussion ein, die an der bereits benannten Verantwortung des Hundehalters, also der Verantwortung am anderen Ende der Leine, für Hund und Mitmenschen ansetzt. Zuerst ist zu nennen die Einführung eines sogenannten Hundeführerscheins für Halter aller Hunde, der erworben wird mit der Ablegung eines Sachkundenachweises, der sowohl einen theoretischen wie praktischen Bestandteil enthält. Dann sind zu nennen die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung für alle Hunde sowie die Anmeldepflicht sowie Kennzeichnungspflicht mit einem behördlich auslesbaren Mikrochip für alle Hunde. Einerseits ist es begrüßenswert, Herr Innenminister Huber, wenn Sie diese Ihnen ja bereits bekannten Vorschläge der LINKEN in Ihren Gesetzentwurf nunmehr aufgenommen haben, nicht zu begrüßen ist allerdings die Beschränkung dieser Vorschriften auf Hunde, die eine größere Widerristhöhe als 40 cm haben oder mehr als 20 kg wiegen. Ebenso wie die Rasse ist aber auch die Höhe des Hundes oder auch das Gewicht nicht aussagekräf
tig darüber, wie aggressiv ein Hund ist, bzw. im Hinblick auf die Haftpflichtversicherung, welchen Schaden der Hund verursachen kann. Wir erinnern uns zuletzt an den Vorfall, wo ein Hund Kühe von einer Weide auf die Bahngleise getrieben hat.
Natürlich verursachen die vorgeschlagenen Regelungen, sowohl die der Landesregierung als auch die unserer Fraktion, Kosten, die dem Hundehalter auferlegt werden. Aber wir halten es für ein zu akzeptierendes Verhältnis, denn damit werden Ziele verfolgt, die Verpflichtungen auferlegen, ein Tier artgerecht zu halten und damit umzugehen. Wir halten es auch für verhältnismäßig, weil zum Beispiel eine Haftpflichtversicherung sicherstellt, dass eventuell durch einen Hund verursachte Schäden nicht zur Kostenbelastung des Geschädigten führen. Natürlich sind wir uns auch bewusst darüber, dass es für sogenannte Bestandshunde Übergangsregelungen geben muss. Wie genau die aussehen und ob es weitere Ausnahmen geben muss, müssen wir in den Ausschüssen sachgerecht diskutieren.
Nicht anschließen können wir uns der Forderung, die unter anderem auch vom Landestierschutzverband erhoben wurde, nachdem die Hundezucht ausschließlich auf sogenannte Züchter beschränkt werden sollte. Die privat organisierte Vermehrung von Hunden - und wer auf dem Land wohnt, weiß, wovon ich rede - soll weiterhin möglich sein, allerdings halten wir einen Vorschlag für diskussionswürdig, der sagt, die Vermehrung vorab einem Tierarzt zu melden und von diesem die Unbedenklichkeitsbestätigung einzuholen. Dies verhindert Missbrauch am Tier durch unsägliche Kreuzungsversuche und sichert auch ein Stück weit die Kontrolle einer artgerechten Haltung und Vermehrung. Ich will zumindest am Ende noch darauf eingehen, dass die Regelungen im Gesetzentwurf zum Schutz vor gefährlichen Tieren, die keine Hunde sind, ebenso wichtig sind. Sie werden von uns auch inhaltlich begrüßt, nur leider leiden sie daran, dass man über sie weniger emotionalisiert reden kann. Das macht sie aber nicht weniger bedeutsam.
Meine Damen und Herren, wenngleich sich unser Antrag mit der Einbringung des Gesetzentwurfs durch die Landesregierung formal zu erübrigen scheint, werden wir ihn dennoch nicht zurückziehen und beantragen gleichermaßen die Überweisung an den Innenausschuss, um ihn ebenso wie den Gesetzentwurf zur Grundlage einer mündlichen Anhörung zu machen. Wir wünschen uns eine versachlichte parlamentarische Debatte gemeinsam mit Experten und Expertinnen und Sachverständigen, die ein Ergebnis zeitigt, das tragische Vorfälle wie in Oldisleben oder Kindelbrück nicht gänzlich ausschließen kann, aber deren Eintrittswahrscheinlichkeit minimiert, dabei aber auf einfach klingende, aber nicht sachgerechte und nur vermeintliche Lösungen verzichtet. Danke.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beraten heute das Thüringer Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tieren. Es wurde heute mehrfach angesprochen, was der Auslöser war. Dieser tragische Unfall in Sachsenburg, wo ein kleines Kind auf schreckliche Weise zu Tode gekommen ist, hat diese Diskussion wieder neu auf die Tagesordnung gerufen und hat gezeigt, welcher dringende Handlungsbedarf hier gegeben ist. Der Innenminister hat im Mai angekündigt, hier umfassend zu reagieren, ein Gesetz auf den Weg zu bringen. Noch in diesem Jahr soll es nach Möglichkeit verabschiedet werden. Es wurde Wort gehalten und wir sind heute in der ersten Runde dieses zu diskutieren. Es kommt leider immer wieder zu Zwischenfällen mit gefährlichen Hunden, aber auch mit anderen Hunden, die nicht als gefährlich eingestuft sind. Hier zeigt die Statistik - Herr Gentzel hat es zitiert - mehrere hundert Vorfälle mit mehreren Toten. Das ist sehr viel, das ist auch nicht zu tolerieren, auch nicht hinzunehmen und deswegen ist hier Handlungsbedarf angesagt. Wichtig aus unserer Sicht ist aber, dass keine Rasseliste in dieses Gesetz aufgenommen wird, weil alle Untersuchungen zeigen, die Statistiken, aber auch die Stellungnahmen, dass nicht das Problem die Rasse ist, sondern die Haltung, die falsche Erziehung oder das gezielte Abrichten des Tieres, was ihren Genen zwar entspricht, aber dadurch die Gefahr verschärft. Vielmehr scheint Ursache für das Verhalten des Tieres die Erziehung und Ausbildung zu sein. Die Halter gefährlicher Tiere gehören in die Pflicht, das Gefahrenpotenzial, das von ihren Tieren ausgehen kann, auszuschließen. Mit dem Gesetzentwurf wird zwar in Bezug auf einige Arten ein Generalverdacht erstellt, aber dafür wird dem Halter die Möglichkeit gegeben, der zuständigen Behörde das Gegenteil zu beweisen. Ich denke, auch das ist im Gesetz ein guter Ansatz, um diesen Generalverdacht auf der einen Seite zwar auszusprechen, auf der anderen Seite aber dem Hundehalter die Möglichkeit zu geben, dies zu widerlegen. Kein Tier wird unwiderruflich ausgeschlossen. Ich finde dies einen guten Lösungsansatz, sowohl an den Halter als auch an das Tier werden Voraussetzungen geknüpft. Über die Vorschrift zur Haltung eines gefährlichen Tieres, wie Wesenstest, Chippflicht und Versicherungspflicht, können Gefahren deutlich minimiert und der Halter eines Tieres besser in die Verantwortung genommen werden. Die Regelungen dafür dürfen aber nicht zum Verwaltungsmonster werden und zulasten aller Tierhalter