Protokoll der Sitzung vom 20.11.2009

Wenn Sie dann zur Rede kommen würden, Herr Abgeordneter.

Danke, Herr Präsident, es ist mir eine Freude.

Meine Damen und Herren, wir beschäftigen uns heute mit dem Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE, Abschaffung der Stichwahl - so herum muss ich es sagen -, Wiedereinführung des vorhergehenden Zustandes.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man könnte dazu riesenlange Ausführungen machen. Fakt ist nur eines, Herr Kuschel: So, wie Sie das aus Salzungen entsprechend vorgetragen haben, könnte man aus ganz anderen Kommunen das ganz anders vortragen, dass es gerade manchmal bei der Stichwahl nur um ganz geringfügige Zehntelprozente ging. Wenn es in die Stichwahl ging, kam ganz etwas anderes heraus, z.B. bleibe ich mal bei SPD und CDU gegeneinander. Da kam heraus, der eine hat 49 Prozent und der andere hat soundso viel, DIE LINKE hat soundso viel usw. Dann kam es zur Stichwahl und am Ende kam ein deutlich schlechteres Ergebnis heraus und es sind viel weniger Leute zur Wahl gegangen. Es geht mir jetzt nicht darum, ob die CDU gewonnen hat oder nicht, ich hätte auch ein anderes Beispiel nehmen können. Es gibt dort auch sehr, sehr viele Beispiele, wo das genau andersrum ist. Eines der Argumente war auch, dass wir gesagt haben - und Sie kennen das, ich erinnere mich ganz genau, wo es darum ging, die Landtagswahl und die Bundestagswahl zusammenzulegen. Ein Aufheulen, um Gottes willen, man kann doch nicht zwei Wahlen machen, das kostet zu viel Geld, das kann niemand bezahlen und das geht auf keinen Fall. Das ist hier aber nicht anders. Hören Sie mal die normalen Kommunalen vor Ort, die sagen Ihnen, wir sind froh, wenn die Leute einmal hingehen. Die wissen ja vorher, wer dort zur Wahl steht - so sollte es in der Regel jedenfalls sein. In der Kommune geht es noch ein bisschen anders zu, dort werden in der Regel Personen gewählt. Die wissen also genau, wer dort an

tritt und welche Partei oder Wählergruppe oder Einzelkandidaturen sich dahinter verbergen. Das muss man einfach auch mit sehen.

Man kann sich natürlich immer alles zurechtbiegen, wie es einem gerade passt, aber Fakt ist auch, dass wir damals gemeint haben, dass wir mit der Abschaffung durchaus auf dem richtigen Weg sind. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir natürlich den Gesetzentwurf, weil es nun mal in unserer Koalitionsvereinbarung steht, entsprechend gemeinsam betrachten und das natürlich auch selbstverständlich gemeinsam dann bearbeiten werden. Aber eines kann ich Ihnen gleich sagen, ich erinnere mich ganz genau, in vielen Ausschüssen, wenn es um andere Dinge ging, dass wir uns ja daran halten, dass die Fristen eingehalten werden und insbesondere bei den Spitzenverbänden. Ich kann Ihnen jetzt schon zusichern, wir werden die einschlägigen Fristen dort ganz genau einhalten. Natürlich müssen erstens die Spitzenverbände beteiligt werden, vielleicht auch andere, das muss man sehen, dass wir hier natürlich auch eine Anhörung dazu machen werden, damit wir wissen, was los ist. Also unter dem Motto, jetzt rein ins Parlament, schnell mal darüber geredet und raus aus dem Parlament, so einfach geht die Welt nicht. Wir werden uns an die Verfahrensweise halten, wohl wissend, dass wir natürlich unter einem gewissen Zeitlimit vielleicht stehen könnten. Aber auch das kann uns nicht dazu zwingen, dass wir parlamentarische Beratung nun jetzt holterdiepolter und so ganz schnell machen. Ich muss auch sagen, dass teilweise gesagt wird, dass sich das Ganze nicht bewährt hätte und das politische Angebot an die Wählerinnen und Wähler durch die derzeitige Rechtslage unzulässigerweise eingeschränkt wird. Ich muss sagen, ich kann das nicht erkennen, dass das so wäre. Aber man muss es einfach zur Kenntnis nehmen, dass es so gesagt wurde.

Ich will Sie noch einmal darauf verweisen, Herr Kuschel, wir hatten ja schon mal den Innenminister Gasser, der war ja auch Ihr besonderer Freund, meiner vielleicht auch, kann ja sein. Aber Sie haben damals schon einen Volljuristen, der auch seine Verdienste hatte, immer wieder versucht zu belehren. Ich kann Ihnen nur raten oder Sie bitten: Fangen Sie doch mit dem neuen Innenminister nicht gleich wieder so an. Eines kann ich Ihnen versichern, da beißen Sie auf Granit, denn der ist zehnmal besser auf den Rechtsgebieten bewandert als Sie. Ich würde es gar nicht erst probieren, dass Sie da mit ihm in die Streitebene wollen und ihm noch sagen, wie es zu gehen hat. Ich denke mal, er wird nicht umsonst viele Jahre studiert haben und er wird nicht umsonst als Rechtsprofessor die vielen Jahre andere Studenten ausgebildet haben.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Daran sollte man schon ein kleines bisschen auch denken. Das ändert ja nichts an anderen Dingen, die man dabei noch bedenken könnte. Ich denke, das sollte man auch heute hier noch mal mit gesagt haben.

Ich will Sie daran erinnern, dass bei vergleichbarer Rechtslage der Verfassungsgerichtshof von NRW keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschaffung der Stichwahl bekundet. Das ist das Verfassungsgerichtsurteil NRW 2/09, meine Damen und Herren. Ich bitte auch das zu bedenken, weil man immer so locker etwas dahinsagt, das wäre alles nicht rechtens und das würde alles nicht gehen und das können wir doch alles nicht machen. Es ist dort durch den Hof in 09, nicht etwa vor zehn Jahren oder so, also ein ganz neues Urteil, entsprechend gesagt worden. Ich denke auch, wir sollten durchaus dem Wähler vor Ort ein bisschen zutrauen, dass er sich seine Kandidaten genau anschaut.

Herr Abgeordneter Fiedler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuschel?

Herr Kuschel.

Danke, Herr Präsident. Herr Fiedler, ist Ihnen klar, dass es in Nordrhein-Westfalen einen wesentlichen Unterschied zur Rechtslage in Thüringen gibt? Dort gibt es zwar auch keine Stichwahl, aber dort ist ein Mindestzustimmungsquorum im ersten Wahlgang von 30 Prozent vorgeschrieben und damit können Sie dann das nicht vergleichen mit Thüringen. Wie bewerten Sie denn dann das Urteil? Ist tatsächlich das Urteil, was Sie jetzt zitiert haben, eins zu eins auf Thüringen übertragbar?

Herr Kollege Kuschel, das habe ich nicht gesagt, dass es eins zu eins übertragbar ist, sondern ich habe nur gesagt, dass in vergleichbarer Rechtslage - „vergleichbar“ -, Sie könnten jetzt auch das, wo Sie eine Anfrage gestellt haben zu Wasser und Abwasser Gotha, genauso sagen, die haben jetzt ein Urteil gefällt, das gilt für das ganze Land. Das ist nicht so. Genauso ist es hier, man muss natürlich die einzelnen Dinge mit anschauen. Man muss sie sich natürlich mit anschauen, das ist hier natürlich genauso. Das

ist mir wohl bewusst, aber ich wollte Ihnen nur deutlich machen, dass Sie auch da mal nachschauen. Sie haben schon nachgeschaut, das freut mich ja, also sind Sie ja gut in der Materie, dass wir dort das gemeinsam behandeln können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, wir sollten das an den Innenausschuss federführend überweisen und an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten begleitend, wobei ich eine der Präsidentinnen, die heute hier schon mal amtiert hat, dass es also nicht in der Geschäftsordnung festgeschrieben steht, wie fälschlicherweise behauptet, sondern es ist quasi ein Gewohnheitsrecht, dass, wenn es aus der Mitte des Hauses kommt, wir das machen. Es steht aber nirgends niedergeschrieben und da können auch mal Präsidenten nachlesen, dass das nicht vom Pult oben verkündet wird. Ich wollte nur keinen Zwischenruf machen, ich hatte heute schon einen in aller Frühe und da muss ich nicht jetzt gleich noch mal drankommen, aber das sollte man auch mal sich näher betrachten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen alle, um was es geht. Wir werden gemeinsam natürlich den Koalitionsvertrag umsetzen, werden aber trotzdem sachgerecht die Entsprechenden dazu anhören und dann entsprechend zu unseren Schlussfolgerungen kommen. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Danke, Herr Abgeordneter. Das Wort hat der Abgeordnete Adams von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle zunächst einmal fest, dass wir beinahe schon eine Handvoll Abgeordnete sind, die um den Titel der kürzesten Rede kämpfen. Vielleicht überzeugen wir Sie da auch noch und ziehen Sie mit in den sportlichen Wettbewerb.

Der Antrag der LINKEN ist wieder ein Hase-undIgel-Antrag, denn wir können ja im Koalitionsvertrag lesen, in dem außerordentlich kurz gehaltenen Abschnitt 18 „Kommunales“, dass die Abschaffung der Stichwahl auch von der Regierungskoalition beabsichtigt ist. Für mich stellt sich immer noch die Frage - und das hat mich auch nach der Rede von Kollegen Fiedler noch nicht losgelassen -, was die Motivation gewesen ist, ob es wirklich die Kommunalwahlen und die schlechten effektiven Ergebnisse der CDU waren. Ich weiß es nicht, ich habe nur

wahrgenommen, dass Herr Kollege Fiedler im Zusammenhang mit Wahlen über richtige Wege und schlechte Ergebnisse gesprochen hat. Ich glaube, demokratische Wahlen führen immer nur zu einem Ergebnis und das müssen wir dann alle akzeptieren und das ist nicht schlecht

(Beifall DIE LINKE)

oder gut, sondern das ist ein Ergebnis, ein demokratisches Ergebnis.

Wenn ich die Sache bisher richtig verstanden habe, dann bedeutet das Demokratieprinzip Legitimation, also das Fortführen von Legitimationsketten, die einmal aus einer Wahl dann entstanden sind. Herr Kuschel hat ein Rechenbeispiel gemacht. Ich kann gern auch noch ein Rechenbeispiel aus der Stadt Erfurt beibringen. Der von mir außerordentlich persönlich geschätzte Herr Hagemann hatte dort 31 Prozent im ersten Wahlgang bekommen. Damit hätte er die meisten Stimmen gehabt und wäre Oberbürgermeister geworden. Diese 31 Prozent bedeuten aber auch 69 Prozent, die jemand anderen gehabt haben wollten. Und, ich glaube - jetzt will ich noch gar nicht anfangen, die 37 Prozent Wahlbeteiligung überhaupt nur noch mit reinzunehmen, das lassen wir einfach mal weg -, da dünnen wir unser Demokratieprinzip ganz enorm aus,

(Unruhe CDU)

weil wir dann nämlich nicht mehr die Legitimation wirklich übertragen haben. Wir reden über eine Direktwahl, der Unterschied ist Ihnen nicht klar, deswegen sage ich ja, die Motivation der CDU-Alleinregierung, diese Stichwahl abzuschaffen, wird nicht deutlicher durch das, was Sie sagen, sondern Sie breiten eigentlich nur den Fächer der Konfusion aus, die bei Ihnen dort herrscht. Machen Sie doch einfach einen qualifizierten Zwischenruf, dann kann ich ganz gern auf Ihre Fragen oder Bemerkungen antworten.

(Beifall DIE LINKE)

Insofern bitte ich Sie doch einfach - wollen Sie ins Protokoll, dass Sie so viel dazwischenrufen?

(Unruhe CDU)

Melden Sie sich doch,

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU:... das war der Grund.)

dann haben Sie doch die Chance, hier noch zu reden. Oder gehen Sie ans Mikrophon, dann kann ich Sie besser verstehen, das ist ganz schwierig von hier aus.

(Unruhe CDU)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wir brauchen diese Stichwahlen, um am Ende der herausgehobenen Position der Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, Landrätinnen und Landräte und hier auch Gewicht zu verleihen. Ich gebe ganz ausnahmsweise Herrn Kuschel recht, dass wir in Eile sind. Wir sind in Eile, weil wir sehr bald diese Wahlen durchführen wollen und es sollte von vornherein klar sein, nach welchem Verfahren wir das machen.

Abschließend stelle ich ganz kurz fest: Die LINKE unterstützt die Regierungskoalition bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags und da sollten wir doch gar nicht so viel darüber streiten müssen. Voran - frisch ans Werk!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Abgeordneter Adams. Das Wort hat der Abgeordnete Hey von der Fraktion der SPD:

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Wahlen sind trotz der häufig beschriebenen Politikverdrossenheit immer noch die Form der Politikbeteiligung, die von vielen Bürgern regelmäßig praktiziert wird. Wahlen haben also eine wichtige Bedeutung für die Beschaffung von Legitimation und das Funktionieren von Demokratie. Und weil Wahlen so wichtig sind, muss mit Wahlrechtsfragen besonders sensibel umgegangen werden. Fraktionen oder Regierungen, die Änderungen des Wahlrechts betreiben, müssen ihr Vorhaben sorgfältig begründen. Für mich waren die bei der Abschaffung der Stichwahlen genannten Gründe wenig überzeugend.

(Beifall DIE LINKE)

Da wurde auf die schwindende Wahlbeteiligung beim zweiten Wahlgang verwiesen oder auf den Wunsch der Bürger, schon am Sonntag wissen zu wollen, wen sie gewählt haben. Aus meiner Sicht darf bezweifelt werden, ob der damals beschlossene Verzicht auf die Stichwahl der demokratischen Kultur in Thüringen wirklich gedient hat. Vor allem hat die damalige Diskussion in Bezug auf die mit der Stichwahl im Zusammenhang stehende Frage der demokratischen Legitimation ein Missverständnis sehr deutlich gemacht: Es ist nämlich argumentiert worden - das ist auch heute hier in diesem Hause schon wieder angeklungen -, die Wahlbeteiligung im zweiten

Wahlgang wäre dann niedriger. Da gebe ich Ihnen recht, das stimmt in vielen Fällen sicherlich auch. Aber dann schauen wir allein schon mal auf den ersten Wahlgang. Eben sind ja auch schon Ergebnisse kolportiert worden. Ich will Ihnen auch noch mal eine Zahl sagen. 42,3 Prozent, das ist nicht der Alkoholgehalt meines Lieblingsgetränks, das ist die Wahlbeteiligung in meiner Heimatstadt bei der Bürgermeisterwahl 2006. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - 42,3 Prozent bedeutet auch, nicht mal jeder Zweite hat das normale Grundrecht, für das wir hier alle auch auf die Straße gegangen sind und gekämpft haben, wahrgenommen, überhaupt zur Wahl zu gehen. Der Sinn einer Stichwahl, darüber kann man jetzt trefflich streiten, besteht aus meiner Erfahrung auch darin, die Legitimation dadurch zu vergrößern, dass kleinere Gruppierungen für die noch im Rennen befindlichen Kandidaten stimmen und stimmen können. Das ist nun mal so in einer Demokratie. Durch eine Stichwahl verbreitert man also die Legitimationsbasis und weitet sie auch auf andere politische Gruppen aus. Das ist gar nicht mal schlecht. Ein Bürgermeister kann nach einer Stichwahl sagen, hinter mir steht nicht nur die eigene Partei, sondern vielleicht auch eine weitere Gruppierung.

Rückblickend muss man jedenfalls feststellen, dass die Stärkung der Demokratie wohl nicht das zentrale Motiv der Gesetzesänderung damals gewesen ist. Nach meiner Auffassung war der Verzicht auf die Stichwahlen eher eine Belastung für unsere Demokratie.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ohne Stichwahlen müssen die Kandidatinnen und Kandidaten keine Mehrheit mehr gewinnen. Das haben wir ja nun schon anhand der Zahlenbeispiele, die hier vorgestellt und kolportiert worden sind, festgestellt. Eine relative Mehrheit, unter Umständen also weit unter 50 Prozent, reicht dann aus. Bürgermeister und Landräte können dementsprechend auch ins Amt kommen, wenn nur eine Minderheit der Wählerinnen und Wähler für sie gestimmt hat. Das schwächt doch aber den demokratischen Rückhalt der Gewählten. Ihre demokratische Legitimation wird nämlich dadurch geschmälert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die SPDFraktion hat in den Diskussionen der vergangenen Jahre immer deutlich gemacht, dass es gute Gründe für die Stichwahl gibt.

Herr Abgeordneter Hey, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grob?

Am Ende meiner Rede, wenn es gestattet ist.

Ja, danke.