Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

Dass sie damit zündelt, ist uns allen mehr als bewusst. Es ist gut, dass wir jetzt hier als demokratische Fraktionen zusammenstehen. Das war nämlich nicht immer so. Auch in der letzten Legislatur hat es immer wieder Übergriffe auf einzelne Abgeordnete, auf Wahlkreisbüros gegeben. Es ist gut, dass wir jetzt hier gemeinsam sagen: So kann das nicht sein! Ich will aber auch sagen, lieber Mike Mohring: Wer hier am Pult äußert, ich werde die Bande vor mir hertreiben, und damit die rot-rot-grüne Regierung meint, muss auch ein wenig darauf achten, was solche Worte auslösen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das habe ich von diesem Pult nicht gesagt!)

Gestatten Sie mir aber noch... Doch, das haben Sie gesagt, nicht heute, aber in einer anderen Debatte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte aber noch auf einen anderen Punkt eingehen. Es gab nämlich gestern eine Presseverlautbarung von unserem Landtagspräsidenten, Herrn Carius. In dieser Presseverlautbarung hat er – für meine Begriffe – reflexartig die Verschärfung des Strafrechts gefordert und die Ausweitung des Tatbestands „Tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte“ auf

den Schutz von Abgeordneten angemahnt. Ich sage ganz deutlich für unsere Fraktion: Derart aktionistische Vorschläge gehen in die Irre.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Handlungen, die sich nämlich gegen Vollstreckungsbeamtinnen und -beamte oder ihnen gleichgestellte Personen richten, verfolgen zugleich den Zweck, diese Personen zu einer Duldung oder zum Unterlassen zu nötigen. Das ist bei einem Angriff, auch bei einem tätlichen Angriff auf Abgeordnete in der Regel nicht so. Hier soll beleidigt werden, hier soll in die körperliche Unversehrtheit eingegriffen werden. Diese strafbaren Handlungen, das müssen Sie sich sagen lassen, werden im Strafgesetzbuch durch die Vorschriften zu Beleidigung und Körperverletzung bereits geahndet, sodass Angriffe gegen Abgeordnete wie gegen alle anderen Menschen auch bereits unter Strafe stehen. Deshalb ist der Ruf nach der Verschärfung von Strafgesetzen an der Stelle schlicht nicht hilfreich und geht an den Problemen vorbei. Ich glaube in der Tat, dass es darum gehen muss, fair miteinander umzugehen bei aller harten Diskussion in der Sache, die ich völlig richtig finde an der einen oder anderen Stelle.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber Übergriffe – und Übergriffe finden eben oft auch schon auf verbaler Ebene statt, Übergriffe, auch in Form von Mobbing, weil Menschen etwas denken, weil Menschen an etwas glauben, weil Menschen für etwas streiten, das ihnen wichtig ist – können und dürfen wir niemals tolerieren. Manchmal fängt das schon dann an, wenn Menschen sich einfach so kleiden, wie sie sich kleiden. Auch das halte ich für hochproblematisch. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Abgeordneter Gentele das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Damen und Herren Abgeordnete, werte Besucher, auch am Livestream, mich hat der Angriff auf einen Wahlkampfhelfer der CDU in Vacha etwas schockiert. Wie wir gestern den Medien entnehmen konnten, wurde auch unsere Vizepräsidentin, Frau Jung, in ihrem Büro angegriffen. Frau Jung, es geht Ihnen wieder gut und es muss so bleiben. Ich bin froh, dass der Täter schnell verhaftet wurde.

(Beifall DIE LINKE)

(Abg. Rothe-Beinlich)

Wie verroht ist eigentlich unsere Gesellschaft? Täglich lesen wir in Medien und in Zeitungen von politischem Vandalismus und Zerstörung von Wahlplakaten. Ich frage mich, ist das alles noch normal? Ich verurteile all diese Gewalttaten und jede Art von Vandalismus, weil es nicht die Sprache der Demokraten ist, sondern von Dummen oder Krawallmenschen, die bewusst Fake-Nachrichten oder Lügen über die Bundesregierung oder über unsere Landesregierung ins Netz stellen. Wie wir in Vacha sehen konnten, stellte sich eine kleine Gruppe vom rechten Rand hin und versuchte massiv, eine Veranstaltung einer Partei zu stören und verletzte dabei auch einen Mitarbeiter. Dies sind wohl jene, die vor 27 Jahren nicht ihre Meinung hätten kundtun können. Diese Menschen und andere beanspruchen heute für sich, für das Volk reden zu können. Aber diese Personen und die AfD können ganz beruhigt sein. Ihr seid nicht das Volk, sondern eine Minderheit im Volk.

(Beifall SPD)

Ich hoffe, dem CDU-Wahlhelfer geht es wieder gut und er lässt sich von diesem feigen Angriff nicht einschüchtern und bringt sich weiterhin in der Politik mit der CDU ein. Ich fordere härtere Strafen für diese Art der Gewalt und Zerstörungswut. Diesen Tätern muss das Handwerk gelegt werden. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen oder uns unsere Meinung verbiegen lassen. Ich wünsche uns allen einen friedlichen fairen Bundestagswahlkampf, der mit Anstand geführt wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus den Reihen der Abgeordneten liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Herr Minister Maier, Sie haben das Wort für die Landesregierung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich möchte gleich zu Beginn meiner Ausführungen – Wollen wir uns wieder konzentrieren?

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/DIE GRÜ- NEN)

Das ist ein ernstes Thema. – eines unmissverständlich deutlich machen: Solche Taten und Übergriffe wie die heute mehrfach schon erwähnten werden wir mit der ganzen Härte des Rechtsstaats verfolgen.

(Beifall im Hause)

Niemand soll auf den Gedanken kommen, dass wir solche Entwicklungen in irgendeiner Form akzeptie

ren. Wahlen stellen einen gesellschaftspolitischen Höhepunkt dar, deren ordnungsgemäßen Verlauf zur freien Meinungsbildung und uneingeschränkten Wahlausübung wir durch unsere Sicherheitsbehörden gewährleisten. Der Austausch auch gegensätzlicher politischer Meinungen ist dabei Bestandteil des Wahlkampfs in einer freiheitlichen Demokratie. Dies mag in der Sache zwar hart erfolgen, doch muss er stets friedlich bleiben.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, im Freistaat Thüringen sind die Wahlen zum 19. Deutschen Bundestag am 24. September 2017 von einer Vielzahl von Wahlkampfveranstaltungen und Plakatierungen durch alle 15 zugelassenen Parteien geprägt. Erkenntnisse aus vergangenen Wahlkämpfen, insbesondere zu Bundes- und Landtagswahlen, zeigen eine Verschärfung der Konflikte zwischen den unterschiedlichen politischen Spektren. Dies wurde insbesondere bei Angriffen auf Wahlkreisbüros, Sachbeschädigungen an Plakatierungen, aber auch vereinzelt bei Angriffen auf Versammlungsteilnehmer deutlich. Zur Sicherstellung des störungsfreien Verlaufs und zur Verhinderung von Straftaten aus Anlass der Bundestagswahl am 24. September werden Wahlkampfveranstaltungen auf Grundlage der vorliegenden Gefährdungserkenntnisse grundsätzlich polizeilich begleitet. Darüber hinaus werden verstärkt Objektschutzmaßnahmen an Wahlkreisbüros von im Thüringer Landtag vertretenen Parteien durchgeführt.

Gleichwohl ist in unserer freiheitlichen Gesellschaft ein allumfassender Schutz durch die Sicherheitsbehörden nicht zu realisieren. Auch wenn jede Straftat eine Straftat zu viel ist und nicht akzeptiert wird, möchte ich an dieser Stelle hervorheben, dass es bisher zu keinen größeren gewalttätigen Übergriffen gekommen ist. Das soll keine Relativierung dessen sein, was schon passiert ist. Dies ist nicht zuletzt auch auf das besonnene Handeln der eingesetzten Sicherheitskräfte zurückzuführen. Damit dies so bleibt, werden die Thüringer Sicherheitsbehörden auch weiterhin alle Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, welche den friedlichen Verlauf der Wahlveranstaltungen beeinträchtigen können, konsequent bereits im Ansatz verhindern bzw. durch zügiges professionelles Handeln nachhaltig unterbinden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im Hause)

Danke, Herr Minister. Ich kann das nur bestätigen, in meinem Fall war das sehr zügig und sehr professionell.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Gentele)

Ich schließe den vierten Teil der Aktuellen Stunde und rufe auf den fünften Teil

e) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Durch gezielte Wirtschaftsförderung gleichwertige Lebensverhältnisse auch in strukturschwachen Regionen schaffen – Neuausrichtung der europäischen und nationalen Förderung darf positive Entwicklung Thüringens nicht gefährden“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/4428

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Abgeordneter Helmerich, Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Zuschauer, Thüringen hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung verzeichnet.

(Beifall SPD)

Das Bruttoinlandsprodukt ist seit 1991 um 260 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosenquote ist auf 5,8 Prozent zurückgegangen und die Einkommen stiegen zuletzt in keinem anderen Bundesland so stark wie in unserem Freistaat. Die positiven Ergebnisse sind spürbare Auswirkungen der Neuausrichtung der bisherigen Förderpolitik durch sozialdemokratische Wirtschaftsminister und der Abkehr von der Niedriglohnpolitik ihrer CDU-Vorgänger.

(Beifall SPD)

Auf diese Erfolgsserie – was letzten Endes auch auf dem Einsatz zahlreicher Bundes- und EU-Fördermittel beruht, die, wie wir alle wissen, weniger anstatt mehr werden – hat Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee in der vergangenen Woche zurecht hingewiesen. Es ist richtig, den Finger in die Wunde zu legen, sich vor Augen zu führen, dass unser Erfolgsweg nur weitergeht, wenn wir uns offensiv Gedanken über die zukünftige Förderpolitik machen. Deshalb haben wir die Aktuelle Stunde beantragt.

Meine Damen und Herren, unser Wirtschaftsminister hat es auf den Punkt gebracht. Ab dem kommenden Jahr sinken die Höchstfördersätze in der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die sich GRW-Förderung nennt. 2019 läuft der Solidarpakt II aus und 2020 beginnt die Schuldenbremse zu greifen. Mit der neuen Förderperiode könnten für Thüringen zudem die EFRE-Mittel von aktuell 1,2 Milliarden Euro auf nur noch 400 Millionen Euro sinken. Bereits

2012 hat die Unternehmensberatung Roland Berger für die neuen Länder einen Investitionsbedarf bis 2030 von rund 1 Billion Euro errechnet, damit der Aufholprozess und die Angleichung der Lebensverhältnisse auch geschafft werden können. Denn bei all dem Licht gibt es auch Schatten. In Thüringen liegt der durchschnittliche Bruttostundenlohn noch immer mit 5,34 Euro unter dem deutschen Durchschnitt. Unser Bruttoinlandsprodukt liegt mit rund 26.500 Euro pro Einwohner deutlich unter dem westdeutschen Durchschnitt von 39.500 Euro. Was wir brauchen, ist eine Förderpolitik weg von rein arbeitsplatzschaffenden Maßnahmen hin zur Förderung in gute und vor allen Dingen höhere Löhne, Breitbandausbau, Infrastrukturen sowie in Forschung und Entwicklung, denn auch hier haben wir noch viel Arbeit vor uns. Im Jahr 2015 hat die Thüringer Wirtschaft Investitionen für Forschung und Entwicklung in Höhe von knapp 1 Prozent, das sind 585 Millionen Euro gemessen am Bruttoinlandsprodukt, getätigt. Zum Vergleich: In Sachsen waren es 1,2 Prozent, das sind 1,3 Milliarden Euro, in Berlin 1,5 Prozent, das sind 1,8 Millionen Euro. All das zeigt, wir haben viel zu tun und es zeigt, dass eine Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung unabdingbar ist für eine Fortsetzung des Thüringer Erfolgswegs. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion der CDU hat Abgeordneter Prof. Dr. Voigt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, schön dass es Ihnen gut geht. Sehr geehrte Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, zum Thema der Aktuellen Stunde der SPD-Fraktion: Herzlichen Dank, Herr Helmerich, für die Einführung. Ich will dem Wirtschaftsminister durchaus danken, dass er sich darüber Gedanken macht, wie es um die Wirtschaftsförderung steht und mit der Wirtschaftsförderung in Thüringen weitergeht. Ich könnte mir persönlich sogar vorstellen, dass das sogar sein Arbeitsauftrag ist. Also insofern finde ich das erst einmal sehr gut und ich will es vielleicht noch einmal rekapitulieren, Herr Helmerich. Seit 2009 gibt es einen SPD-Wirtschaftsminister. Wir leben maßgeblich in unseren Förderprogrammen von den Kohäsionsfonds. Da gibt es operative Programme. Diese operativen Programme, die bilden einen weiten Rahmen dessen, wie wir europäische Fördermittel einsetzen können. Diese operativen Programme werden alleinig in den Ländern geschrieben und dann bei der EU beantragt. Ich muss schon bei Ihrem Loblied auf sozialdemokratische Wirtschaftsminister sagen, dass ich von einem Wirtschaftsminister erwarte, dass er sich Gedanken darüber macht,

(Vizepräsidentin Jung)

was bessere Wirtschaftspolitik für Thüringen bedeuten kann und wie wir bessere Förderrahmenbedingungen erreichen. Das machen Sie seit 2009. Deswegen, bitte, vor der eigenen Haustür kehren und nicht so tun, also ob Sie seitdem nichts mit denen zu tun hatten.

(Beifall CDU)

Gute Wirtschaftsförderung ist meiner Meinung nach am besten durch gute Regierungsarbeit zu leisten.

Jetzt ist unglücklicherweise der Kollege Maier nicht da, der sich ja gerade vom Staatssekretär Wirtschaft zum Innenexperten katapultiert hat. Das ist ja eine beachtliche Kompetenzbreite, die Sie in Ihrer Partei aufweisen können.

(Unruhe SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, das nehme ich gerne an. Ich freue mich auch auf die Debatten über die Gebietsreform in den nächsten Wochen und da werden wir die Kompetenztiefe wieder erleben.