Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Herr Hillenberg hat das hier eindrucksvoll personifiziert, indem er den Fall berichtet hat, dass er selbst Versprechungen im Wahlkampf gemacht habe, die dann zurücknehmen musste. Jetzt fühlt er sich durch ein Gerichtsurteil wieder bestätigt. Sie können schon daran erkennen, dass die Koalition hier in Schwierigkeiten ist. Es ist ein ziemlich großes Kuddelmuddel. – Da meldet sich ein Kollege, Frau Präsidentin! Wollen wir da irgendetwas machen?

[Heiterkeit und Beifall bei den Grünen]

Wir sind gerade dabei, Sie zu fragen, ob Sie es gestatten, dass Sie Herr Hillenberg mit einer Zwischenfrage stören darf.

[Zuruf von der CDU: Nicht schon wieder Hillenberg!]

Ja, natürlich.

Bitte sehr, Herr Hillenberg!

Herr Otto! Eine Frage, jetzt gebe ich Ihnen eine Steilvorlage: Warum macht Ihr Stadtrat Kirchner in Pankow eine hervorragende Arbeit, soweit ich weiß, die beste in Berlin,

[Beifall bei den Grünen]

und führt in hervorragender Art und Weise Bürgerversammlungen durch, spricht mit den Leuten, diskutiert mit seiner Verwaltung, warum nur er und nicht auch die vielen anderen Stadträte von der CDU? Vielleicht können Sie mir das beantworten.

Das machen nicht nur die von der CDU nicht, Herr Hillenberg, sondern leider auch die von der SPD nicht. Das macht ein bündnisgrüner Stadtrat, weil er seine Aufgabe sehr ernst nimmt und weil er von einer BVV und der Bevölkerung in seinem Bezirk dazu aufgefordert wird.

[Jutta Matuschek (Linksfraktion): Und der Politik!]

Da gibt es Leute, die sagen, bei uns in der Straße muss etwas passieren, wir wollen das. Dann geht er hin und macht eine Bürgerbeteiligung und diskutiert mit den Bürgern. Das ist etwas anders, als es Herr Stadtkewitz vorhin erklären wollte. Da wird diskutiert. Da werden Alternativen besprochen. Da wird auch das eine oder andere, das die Leute im Amt machen wollen, zurückgenommen. Da wird weniger gemacht, da wird sparsam gebaut. Das ist, glaube ich, eine gute Sache.

[Ralf Hillenberg (SPD): Aber man braucht keine Vorschrift!]

Wenn Herr Hillenberg das hier erwähnt, ist das ein Dokument dafür, dass er das selbst so erfahren hat.

[Beifall bei den Grünen]

Ich wollte aber auf die Schwierigkeiten zu sprechen kommen, Herr Hillenberg. Sie haben uns hier bei der letzten Debatte im Juli 2007 gesagt:

Ich gebe zu, dass ich eine Falschaussage gemacht habe. Dafür habe ich mich entschuldigt. Diejenigen, die maßgeblich an dem Gesetz mitgewirkt ha

ben, Herr Dr. Nelken, Herr Radebold und ich, wurden aber von der Verwaltung hinters Licht geführt.

Sie wurden hinters Licht geführt. Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie auch schon 1995 von Herrn Nagel übertölpelt fühlten. Da ist einiges passiert.

Jetzt schauen Sie sich die Schreiben an, die der Senat an die Bezirke schickt. Er bezieht sich in den Rundschreiben gerade auf das, was Herr Radebold hier im Plenum einmal gesagt hat. Der Senat ist also nach zwei Jahren immer noch nicht in der Lage, eigene Ausführungsvorschriften zu machen, den Bezirken ganz klar zu sagen, worum es geht. Er schickt Rundschreiben mit Zitaten einer Abgeordnetenhausdebatte. Ich muss sagen, da habe ich von der Verwaltung des Senats von Berlin mehr erwartet.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir sind sehr dafür, dass, wie im Antrag vorgeschlagen, ein Bericht gemacht wird. Wir sind auch sehr dafür, das im Ausschuss zu diskutieren. Unsere Fraktion wird eine Anhörung beantragen. Herr Hillenberg, ich habe das so verstanden, dass Sie auch Herrn Kirchner dort sehen wollten. Wir werden die Stadträte einladen, jene aus den Bezirken, in denen viel passiert, aber auch aus Bezirken, in denen bisher wenig oder gar nichts passiert. Dann werden wir uns das anhören und müssen als Parlament in die Debatte treten und dem Senat sagen, was zu ändern ist, was man besser machen kann. Darauf freue ich mich jetzt schon. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter! – Herr Hillenberg hat das Wort zu einer Kurzintervention!

Herr Otto, weil Sie mich persönlich angesprochen haben: Dass Nagel mich hinters Licht geführt habe, das ist völlig zutreffend, weil wir das Erschließungsrecht nicht einführen sollten, sondern ein Straßenausbaubeitragsgesetz hätten machen sollen. Hier habe ich voriges Jahr erklärt, dass ich eine Falschaussage gemacht habe, weil wir von der Verwaltung hinters Licht geführt wurden. Das war vom damaligen Zeitpunkt her auch okay. Es gab ein Urteil, dass Erschließungsbeiträge rechtens waren.

Heute gibt es zum Glück ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin, wo genau die Aussagen von Radebold und Hillenberg als das vom Gesetzgeber Gewollte zitiert werden. Wir wussten, dass Berlin mit dem Inkrafttreten des einen Gesetzes und dem Außerkrafttreten des anderen Gesetzes Einnahmeverluste haben wird. Das war gewollt. Das ist der entscheidende Punkt. Dennoch hat der Bezirk Pankow – im Übrigen ein CDU-Stadtrat – nichts Eiligeres zu tun gehabt, als schnell für die Streckfußstraße

Bescheide zu erlassen, die jetzt wieder zurückgezogen werden müssen, weil das Gericht – zum Glück gibt es hier Recht – den Willen des Gesetzgebers genau befolgt hat.

Noch eines zu Ihrer Seite: Sie waren es, die damals einen Änderungsantrag gestellt und gefordert haben, eine zweijährige Übergangsfrist zu schaffen, damit die Bezirke die Möglichkeit hätten, die Erschließungsbeiträge noch schön abzugrasen. Das genau haben wir nicht gemacht. Wir haben gesagt, es gibt keine Übergangsfrist. Das hat das Gericht akzeptiert, dass das der Wille des Gesetzgebers und des rot-roten Senats war. Dazu stehen wir auch. – Schönen Dank!

Vielen Dank, Herr Hillenberg! – Herr Otto möchte erwidern und hat dazu die Gelegenheit. – Bitte sehr!

Lieber Herr Hillenberg! Sicher ist es richtig, dass sich ein Gericht mit der Genese eines Gesetzes befasst. Das machen Gerichte, das ist deren Aufgabe. Aber Sie werden mir sicher zustimmen: Es ist eigentlich Aufgabe des Senats, dafür zu sorgen, dass Gesetze umgesetzt werden, dass in allen Bezirken gleiche Bedingungen sind, dass jeder weiß, woran er ist. Das ist Aufgabe des Senats. Das ist seit zwei Jahren nicht geschehen. Deshalb brauchen wir jetzt diesen Bericht und diese Anhörung, damit wir endlich etwas Licht in das Dunkel bringen. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Otto! – Jetzt hat für die Linksfraktion der Herr Abgeordnete Doering das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Hillenberg hat sich auch die Frage gestellt, warum heute dieser Antrag eingebracht wurde, warum heute diese Debatte geführt werden muss. Herr Stadtkewitz hat es zum Schluss seiner Rede gesagt. Mitte nächster Woche findet eine Veranstaltung des VDGN statt. Da muss man hier noch einen Antrag einbringen, damit man nachweist, dass die CDU in dieser Sache aktiv ist und man damit auf dieser Veranstaltung brillieren kann. Das ist legitim, sollte bloß einmal angesprochen werden und deutet auf eine nicht ganz effektive Lobbyarbeit hin.

Zweiter Punkt: Herr Stadtkewitz! Sie haben die Frage gestellt, in welchen Bezirke die Baustadträte auf die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner eingingen. Hier ist lang und breit über einen Bezirk geredet worden. Ich sage Ihnen, nach langen Debatten und Diskussionen, ich habe im Juli vergangenen Jahres hier ein Straßenbeispiel genannt, die Müngersdorfer Straße in Treptow, von dem ich

Ihnen nun mitteilen kann, dass auch da der Baustadtrat inzwischen mit den Anwohnern redet und versucht, auf deren Belange einzugehen. Das heißt noch nicht, dass das überall passiert. Aber Sie haben nach Beispielen gefragt.

Ich möchte wie meine Vorredner aber auch einräumen, dass das Anliegen des Antrags der CDU, das Straßenausbaubeitragsgesetz nach zwei Jahren einem Resümee zu unterziehen, auch von der Linksfraktion geteilt wird. Allerdings sprechen wir nicht wie im Antrag der CDU von „Abzocke“ und „Chaos“, auch wenn manchmal in einzelnen Fällen solch ein Eindruck entstehen könnte. Er kann unter anderem entstehen, wenn die im Straßenausbaubeitragsgesetz beabsichtigte Transparenz durch das Beteiligungsverfahren der Beitragspflichtigen und die Vorlagepflicht an die Bezirksverordnetenversammlung von den Bezirken nicht ernsthaft betrieben wird. Problematisch wird es, wenn den Beitragspflichtigen von den Ämtern das Gefühl vermittelt wird, dass es sich beim Beteiligungsverfahren um eine lästige Pflichtaufgabe handelt. Und der Eindruck entsteht auch dann, wenn in Bezirken ein unterschiedlicher Umgang mit den Gesetzen Praxis ist. Davon wurde schon berichtet. In diesen Fragen sind auch wir an einer Bestandsaufnahme interessiert.

Der Antrag der CDU suggeriert – jetzt hat Herr Stadtkewitz es wieder gemacht –, dass die zu erwartenden Beitragshöhen deutlich über den vom Senat vor Beschlussfassung des Gesetzes vorgelegten Rechenbeispielen liegen würden. Das kann ich aufgrund der mir bekannten Vorbescheide nicht bestätigen. Die Beispiele, die damals von Frau Junge-Reyer gebracht wurden, bezogen sich auf konkrete Quadratmeterzahlen, auf ganz konkrete Grundstücke mit Ein- und Zweifamilienhäusern. Wenn Sie sich diese Berechnungen ansehen und heute mit den Vorbescheiden vergleichen, werden Sie feststellen, dass sie fast identisch sind. Wenn Sie über 100 000 € und mehr reden, dann handelt es sich um größere, teilweise Gewerbeflächen. Das sollte man der Ehrlichkeit halber auch erklären.

[Ralf Hillenberg (SPD): Das machen sie nicht! Da sind sie nicht ehrlich!]

Die Linksfraktion beschäftigt vielmehr die Frage, warum es immer noch keine verbindlichen Ausführungsvorschriften der Senatsverwaltung gibt und stattdessen den Tiefbauämtern lediglich die Lektüre eines Buchs von Prof. Driehaus zum Straßenausbaubeitragsgesetz empfohlen wird, das dann von den Tiefbauämtern nach jeweiliger Situation, Auffassung und Sichtweise ausgelegt wird.

Bereits im Juli vergangenen Jahres haben wir im Plenum auf Antrag der CDU über das Straßenausbaubeitragsgesetz diskutiert. Ich verweise gern noch einmal auf das, was ich in dieser Debatte gesagt habe: Es muss in der Anwendung und Umsetzung des Gesetzes dringend Korrekturen geben. Was vor einem Jahr galt, gilt auch noch heute. In den Bezirken gibt es noch immer die unterschiedlichsten Auslegungen und Anwendungen des Gesetzes. Das wird manchmal in abenteuerlicher Weise verquickt mit den Auslegungen des Erschließungsbeitragsgesetzes. Viele Kleine Anfragen von Abgeordneten, aber

auch Gerichtsurteile wie das schon erwähnte zum Erschließungsrecht in Neukölln bzw. zu dessen Auslegung durch das Bezirksamt belegen diese Tatsachen. Trotz klarer Regelungen wollte der Bezirk Neukölln dennoch Erschließungsbeiträge bei den Anliegern einer Straße erheben; er bekam, weil sich Anrainer gerichtlich zur Wehr gesetzt hatten, dieses Urteil. Das Gericht hat unser Gesetz in der Auslegung bestätigt, genau so, wie wir es beabsichtigt hatten, wie es der Kollege Hillenberg dargelegt hat.

Ich möchte Ihnen aber noch ein anderes Beispiel geben. Die BVV Treptow-Köpenick beschließt am 24. April 2008 einstimmig einen Antrag, der das Bezirksamt im Umgang mit dem Straßenausbaubeitragsgesetz auffordert, eine Verfahrensweise anzuwenden, die den Regelungen dieses Gesetzes entspricht. – Da fragt man sich, warum solch ein Beschluss einer Bezirksverordnetenversammlung überhaupt notwendig ist. Die finanzielle Beteiligung von Anrainern beim Ausbau von Straßen ist ein schwieriges und sensibles Thema. 3 000, 4 000 € sind eine Menge Geld für manch einen. Gerade deshalb müssen im jeweiligen Verfahren Transparenz und Beteiligung im Vordergrund stehen. Sonst entsteht zu Recht das Gefühl von Abzocke und Willkür.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Dr. Martin Lindner (FDP): Da entsteht nicht nur der Eindruck!]

Vielen Dank, Herr Doering! – Für die FDP-Fraktion hat Herr von Lüdeke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Straßenausbaubeitragsgesetz hat der Senat nicht viel mehr erreicht als die totale Verunsicherung der Berliner Haus- und Grundstückseigentümer. Allein deshalb wird meine Fraktion den Antrag der CDU-Fraktion unterstützen.

[Beifall bei der FDP]

Wir erinnern uns: Das finanziell notleidende Berlin ist mit einem Instandhaltungsrückstau seines Straßennetzes belastet, der sich zu einem Volumen von mehreren Hundert Millionen € aufgetürmt hat. Die Folgen erleben wir tagtäglich als Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger. Angesichts dieser Situation setzte der rot-rote Senat ein Gesetz durch, das es ermöglicht, die Erneuerung der maroden und über Jahrzehnte vernachlässigten Infrastruktur anteilig auf Haus- und Grundstückseigentümer abzuwälzen.

Dieses Wunderwerk der Geldvermehrung zeigt Mängel. So ist es folgerichtig, wenn die CDU zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes einen Bericht einfordert, der Aufschluss darüber liefert, wie es sich in der Praxis bewährt hat. Wenigstens dazu sollte der Senat inzwischen in der Lage sein.

Seine Antworten auf Kleine Anfragen zum Straßenausbaubeitragsgesetz sind wenig aussagekräftig. Da fragt der Kollege Goiny von der CDU nach den Kosten für die Anlieger einer seit Beginn der 90er-Jahre in seinem Wahlkreis aufgeschobenen Straßenbaumaßnahme. Die Senatsbaudirektorin antwortet ihm:

Nach § 3 Absatz 3 Straßenausbaubeitragsgesetz informiert der Bezirk die beitragspflichtigen Anlieger über die Höhe der veranschlagten Ausbaukosten und die Höhe der voraussichtlich anfallenden Straßenausbaubeiträge.

Das ist eine eher ignorante Antwort angesichts der Tatsache, dass dieser Senat die Verantwortung für das Gesetz trägt, das seine erste Belastungsprobe schon nicht bestanden hat. Einige meiner Vorredner haben auf das Urteil des OVG hingewiesen, wo uns Herr Hillenberg weismachen will, dass diese Einnahmenausfälle, die das zur Folge hat, gewollt waren. Da möchten wir gern die Haushaltstitel sehen, wo diese Millionen Einnahmeausfälle berücksichtigt worden sind.