Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die Verfassungsänderung nicht nötig gewesen wäre. Nichtsdestotrotz wurde dieser Antrag in diesem Haus so gesehen, dass es quasi Conditio sine qua non wäre, um wirksame Kinderrechte zu schaffen. Und da wir das Ziel des Antrags durchaus teilen, werden wir dem nicht weiter entgegenstehen, obwohl wir die Systematik durch die Verfassungsänderung nach wie vor für unzutreffend halten. Nichtsdestotrotz ist es ein Thema, das möglichst fraktionsübergreifend behandelt werden sollte. Insofern werden wir der Verfassungsänderung an dieser Stelle heute zustimmen.

[Beifall bei der CDU]

Die Lobeshymnen, die es nun aus den entsprechenden Verbänden zu dieser Verfassungsänderung geben wird, sind nur Vorschusslorbeeren. Lassen Sie es dabei nicht bewenden, sondern widmen Sie sich tatsächlich dem aktiven Kinderschutz in unserer Stadt!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Seibeld! – Für die Linksfraktion hat Frau Abgeordnete Barth das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute liegen uns zwei Beschlussempfehlungen zur Abstimmung vor. Ich will das noch mal wiederholen: Einmal ist es das Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin, eingebracht von vier Parteien; das will ich nicht noch mal extra

Sandra Scheeres

aufzählen. Zweitens liegt uns ein Antrag der FDPFraktion vor: Kommission zur Wahrnehmung der Belange von Kindern – Berliner Kinderkommission einsetzen.

Liebe Kollegin Seibeld! Eine Gesetzesänderung muss auch zweimal gelesen werden. Offensichtlich sind Ihnen die parlamentarischen Abläufe nicht so richtig bekannt.

[Andreas Gram (CDU): Aber nicht zweimal besprochen werden!]

Da wir im zuständigen Ausschuss zu beiden Vorgängen eine ausführliche Debatte geführt haben, will ich mich jetzt auf wenige Aspekte konzentrieren. Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung,

[Beifall bei der Linksfraktion]

und sie begrüßt damit das Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin. Unser langjähriges Bemühen war immer auf ein solches Ergebnis gerichtet. Nach wie vor können wir feststellen, dass Kinder als eigenständige Persönlichkeiten in der gesellschaftlichen Wertschätzung keine ausreichende Anerkennung finden. Jetzt haben wir die Chance, in der Verfassung von Berlin die Rechte des Kindes besser zur Geltung zu bringen – endlich. Die Änderung im Antrag zielt darauf ab, das Recht jedes Kindes auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und besonderen Schutz der Gemeinschaft vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung ausdrücklich zu verankern. Das Grundgesetz und die Verfassung von Berlin schützen die Kinder bereits, das ist wohl wahr. Aber es ist nach unserer Auffassung sinnvoll, die Rechte der Kinder deutlicher zum Ausdruck zu bringen, und das in unserer Verfassung.

Immer wieder wird die Frage gestellt: Welche praktische Bedeutung hat es, wenn Kinderrechte Verfassungsrang haben? – Sehen wir uns doch mal die aktuelle Debatte zum Thema Hartz IV an. Hier wird es sehr konkret und damit nachvollziehbar, dass ein verändertes Bild vom Kind und seiner Rechtsstellung, die Anerkennung der Kinderrechte noch nicht überall Grundlage des Handelns politisch Verantwortlicher ist. Bisher sind Kinder Regelungsgegenstand und Objekte, die zu erziehen und für die zu sorgen Elternrecht und Elternpflicht ist, über deren Einhaltung die Gesellschaft zu wachen hat. Das wird unter anderem deutlich z. B. bei der Festlegung des Regelsatzes für Sozialleistungen. Der Kinderregelsatz wird pauschal aus dem Regelsatz eines alleinstehenden Erwachsenen abgeleitet. Dieser beruht wiederum auf dem Verbraucherverhalten eines Erwachsenen. Entwicklungsspezifische Bedarfe wurden bis jetzt nicht berücksichtigt.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwischenzeitlich durch mehrere Entscheidungen den Rechtsstatus von Kindern sichtbar gestärkt. Einige Bundesländer haben daraus Schlussfolgerungen gezogen und ihre Länderverfassung mit der Aufnahme von Kinderrechten aktualisiert. Berlin reiht sich hier ein. Darüber sind wir sehr froh. Es gibt noch viele weitere Gründe für die verfassungsmäßige Absicherung von Kinderrechten. In den Diskussionen

wurden viele benannt und vertieft, sodass ich heute in der II. Lesung der Gesetzesänderung nicht mehr darauf eingehen muss.

In Berlin haben sich Linke, SPD, Grüne und CDU für die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung ausgesprochen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Dafür möchte ich mich bei allen bedanken.

Die FDP allerdings steht abseits. Stattdessen kommen Sie nun mit Ihrem Antrag über das Einsetzen einer Kinderkommission.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Aber Sie wissen doch ganz genau, dass Ihr Vorschlag ein zahnloser Tiger ist. Wir wollen mehr Kinder- und Jugendfreundlichkeit in Berlin und mehr Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche, damit sie sich einmischen können, mitwirken oder sich beteiligen können, und zwar in allen sie betreffenden Fragen.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Kinderinteressen nehmen wir politisch sehr ernst. In Berlin gibt es vielfältige Wege, Formen und Gremien, sodass man diese Gremien weiter unterstützen und verbessern kann. Dazu bedarf es keiner zusätzlichen Kinderkommission. Das sei zum wiederholten Mal deutlich gesagt. Und schon gar nicht nach dem Vorbild des Deutschen Bundestages. Diesen Antrag werden wir nicht unterstützen, meine Damen und Herren von der FDP!

Bis heute haben Sie nicht klarmachen können, womit Sie Ihre Einschätzung über die Qualität der Arbeit der Kinderkommission im Bundestag belegen. Ich will Sie noch einmal daran erinnern, dass die Kinderkommission im Deutschen Bundestag kein eigenes Antragsrecht, keine Kompetenzen hat und damit wenig hilfreich ist und wenig zur Anerkennung und Umsetzung von Kinderrechten beiträgt.

Frau Barth! Ihre Redezeit ist beendet!

Aber vielleicht können Sie ja im Deutschen Bundestag anregen, dass es genau auf diesem Gebiet in der Zukunft Veränderungen gibt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Barth! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Jantzen das Wort. – Bitte!

Dr. Margrit Barth

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kinder haben Rechte, daran zweifelt heute offensichtlich niemand mehr. Aber bei Entscheidungen in der Politik, der Verwaltung und bei der Rechtssprechung wird das Kindeswohl bis heute trotzdem nicht immer ausreichend berücksichtigt. Die Interessen der Kinder und Jugendlichen spielen noch immer eine Nebenrolle, von ihrer aktiven Beteiligung an den politischen Prozessen und Verwaltungsentscheidungen ganz zu schweigen. Ich finde es trotzdem gut, dass die CDU – wenn auch eher formal – das Ziel unterstützt, sich dazu bereit erklärt, heute der Verfassungsänderung die notwendige Zweidrittelmehrheit zu verschaffen. Ohne Sie hätten wir es nicht gemacht! Deshalb bedanke ich mich jetzt auch bei Ihnen!

Ich freue mich, dass wir heute, fast 15 Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, die Aufnahme von Kinderrechten in die Berliner Landesverfassung beschließen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir stellen damit klar, dass Kinder neben Erwachsenen gleichberechtigte Subjekte mit eigenständigen Rechten und Bedürfnissen sind. Das ist in der Tat ein deutliches Signal für eine kinderfreundlichere Gesellschaft. Es ist ein guter Tag für die Kinder und Jugendlichen in Berlin, und es zeigt auch, dass sich langer Atem bei politischen Initiativen lohnt. Sie wissen, dass wir unseren 2007 eingebrachten Antrag zur Änderung der Verfassung, Aufnahme von Kinderrechten, zurückgezogen haben, auch wenn wir nicht ganz zufrieden sind mit dem gemeinsamen Antrag, den wir heute beschließen werden. Uns geht der Kompromiss nicht weit genug. Da sind wir uns einig mit Thomas Krüger, dem Präsidenten des Deutschen Kinderhilfswerks. Wir meinen – wie er auch –, dass das Recht auf Beteiligung und die Vorrangstellung des Kindeswohls ebenso als subjektive Rechte der Kinder in die Verfassung gehören.

Wir beschließen heute, dass Kinderrechte in die Verfassung kommen. Es ist auch bei den anderen Rednern und Rednerinnen bereits deutlich geworden, dass das allein nicht ausreicht. Solange in Berlin jedes vierte Kind in Armut lebt, mehr als 10 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlassen, also nicht ausreichend in ihren Möglichkeiten gefördert wurden, solange Kinder vernachlässigt und misshandelt werden, so lange können wir uns mit der Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung nicht zufriedengeben. Wenn jetzt Hausbesitzer in ihrer Verbandsschrift gegen die Änderungen des Immissionsschutzgesetzes zur Tolerierung des Kinderlärms wettern, dann können wir uns vorstellen, dass da noch viel Gegenwind kommt, wenn wir tatsächlich eine kinder- und familienfreundliche Stadt Berlin bauen wollen.

Wir dürfen deshalb bei der Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung nicht stehenbleiben. Die Umsetzung der Kinderrechte ist eine Querschnittsaufgabe, da müssen alle Senatsverwaltungen mitmachen – auch wenn sie im Au

genblick nicht alle hier vertreten sind. Diese Aufgabe muss höchste Priorität haben. Kinderrechte müssen beim Städtebau, der Bau- und Verkehrsplanung eine viel größere Rolle spielen als bisher. Wir müssen vor allem auch dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche ihre Rechte kennen und sie im Alltag, in ihrer Familie, der Kita und der Schule erfahren.

Den Antrag der FDP, eine Kinderkommission einzurichten, halten wir nicht für das geeignete Mittel, die Rechte der Kinder verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken oder sie umzusetzen. Es nutzt nichts, wenn man sich in einer Kommission einig ist, dann aber bestimmte Dinge nicht umgesetzt werden. Das beste Beispiel dafür ist der einstimmige Beschluss der Kinderkommission, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden sollen. Da haben auch die Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, die im Deutschen Bundestag in der Kommission sitzen, zugestimmt. Die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz steht nicht in der Koalitionsvereinbarung im Bund und wird deshalb auch so schnell nicht kommen, obwohl wir sehr hoffen, dass unsere heutige Beschlussfassung eine Signalwirkung in den Bund hinein haben wird und CDU und FDP ihre Blockadehaltung dort noch aufgeben.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich hoffe vor allen Dingen, dass es für unsere Anträge, das Wahlalter auf Landesebene auf 16 Jahre abzusenken, noch in dieser Legislaturperiode eine Mehrheit geben wird. Ich habe im Haus großes Wohlwollen für mehr Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei den anderen Fraktionen gehört.

[Beifall bei den Grünen]

Das wäre ein weiterer guter Schritt in Richtung auf mehr Rechte für Kinder und Jugendliche und in Richtung auf eine kinder- und jugendfreundlichere Gesellschaft. Das haben wir bitter notwendig, wenn wir uns ansehen, dass wir im demografischen Wandel immer älter werden und die Jugendlichen sozusagen – –

Frau Jantzen! Ihre Redezeit ist beendet!

Ja, ich bin beim letzten Satz! – Angesichts des demografischen Wandels wäre es ein gutes Zeichen an die Jugendlichen in der Stadt, dass wir sie ernst nehmen und wirklich beteiligen wollen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Jantzen! – Für die Fraktion der FDP hat jetzt Herr Abgeordneter Czaja das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und Herren! Bei all den Reden, die hier bisher zum Besten gegeben worden sind, ist eines deutlich geworden: Sie alle haben die fünf Minuten, die Ihnen als Redezeit zur Verfügung standen, im Wesentlichen dafür genutzt, zu sagen, dass diese Entscheidung, die Sie heute damit treffen, Kinderrechte in der Verfassung zu verankern, dass diese Entscheidung keinerlei Auswirkungen haben wird und wir weit, weitaus mehr machen müssen. Darum geht es uns auch.

[Zuruf von Renate Harant (SPD)]

Wir als FDP-Fraktion wollen keine Symbolpolitik unterstützen, sondern wir wollen tatsächlich die Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt in den Mittelpunkt rücken. Deshalb haben wir Ihnen heute einen entsprechenden Antrag vorgelegt.

[Beifall bei der FDP]

Schade dabei ist, dass die CDU und die Grünen bei der Placebopolitik mitmachen und aus Sorge um ihre Außendarstellung einer entsprechenden Regelung zustimmen