Protokoll der Sitzung vom 19.06.2014

Und selbstverständlich sind diese Verfahren vertraulich gewesen, selbstverständlich galten der Grundsatz der Öffentlichkeit der gerichtlichen Verhandlung, das Unmittelbarkeitsprinzip und das Mündlichkeitsprinzip in diesen Schiedsverfahren nicht. Und selbstverständlich waren die Schiedssprüche keinerlei weiterer Überprüfung durch ordentliche, verfassungsgemäß berufene, der Verfassung der Bundesrepublik und des Landes Berlin verpflichteten Gerichte unterworfen. Gibt es für diese Herausnahme des Rechtswegs aus dem demokratischen Verfahren irgendeine verfassungsrechtliche Rechtfertigung? – Nein, es gibt keine!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Es gibt letztlich nur einen Grund, warum in einem entwickelten Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland solche Schiedsverträge und Schiedsklauseln in Verträgen landen, und zwar Geschäftsinteressen und Renditeansprüche, die sich auf öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen beziehen, der demokratischen Kontrolle und den verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu entziehen. Fabio Reinhardt hat schon darauf hingewiesen, wo solche Klauseln mal erfunden worden sind: Bei den sogenannten Failed States. Da ging es um die Sicherung von Investitionsansprüchen dem Grunde nach. Also, ich investiere irgendwo, und es gibt keine funktionierende

(Nicole Ludwig)

Gerichtsbarkeit; oder es gibt keine funktionierenden Vollzugsinstitutionen. Da mag man ja irgendwie noch sagen: Okay, wenn da einer hinkommt und sagt, ich baue euch hier mal ein Haus, oder ich baue euch hier mal eine Fabrik, oder ich baue euch hier mal irgendeine Pipeline –, dass diese Investoren sich irgendwie absichern wollen, dass sie von dem Geld, das sie da investieren, noch irgendwas wiedersehen. Aber ist die Bundesrepublik Deutschland ein Failed State? Ist die Bundesrepublik Deutschland eine Bananenrepublik, wo man einen Vertrag schließen muss, in dem steht: Ordentliche Gerichte lassen wir außen vor, wir regeln das unter uns, wir machen das auf direktem Weg, und im Zweifelsfall noch vor internationalen Schiedsgerichtshöfen, wo man dann zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an allen verfassungsrechtlichen Grundsätzen vorbei zu Urteilen kommt? – Das ist schlicht daneben!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Aber, ist ja auch klar: Jetzt kommen ganz viele Investoren und sagen: Wir haben haufenweise Kohle, die wollen wir irgendwo anlegen. Wir wollen die irgendwie investieren, wir machen PPPs, also Public Private Partnerships, wir machen Investitionsvorhaben in der öffentlichen Infrastruktur. Die öffentlichen Kassen sind klamm, und obwohl der Bundesrechnungshof festgestellt hat, dass Public Private Partnerships regelmäßig um Längen teurer sind, zwischen 18 und 20 Prozent teurer als Eigenerbringung durch die öffentliche Hand, gehen viele Kommunen diesen Weg. Und da sagen sich Investoren natürlich: Voll genial; ich muss vor kein Zivilgericht mehr gehen. Ich habe auch keine Revisionsinstanzen mehr dabei. Zivilgerichte müssen die Verfassung berücksichtigen, das wissen wir. Wir basteln uns ein eigenes Gericht. Du schlägst einen vor, ich schlage einen vor, und dann holen wir noch irgendeinen Dritten, auf den einigen wir uns gemeinsam. Wir bezahlen die natürlich deutlich besser als Richterinnen und Richter nach der Richterbesoldungsverordnung. Die kriegen richtig fett Kohle. Und dann machen wir das unter uns aus, natürlich alles vertraulich. – Da haben Investoren gesagt: Das ist so eine geniale Idee, das machen wir jetzt überall. Wenn es ums Geschäftsinteresse geht, dann spielen Verfassung, Gesetze, ordentliche Gerichte einfach keine Rolle mehr.

Und deswegen ist der Ansatz dem Grunde nach richtig, der in dem Antrag der Piraten steht, und ich hätte mich gefreut, wenn SPD und CDU gesagt hätten – bei der CDU habe ich es übrigens durchgehört bei Frau Sei- beld –: Lasst uns mal darüber reden, ob wir den Antrag noch ein bisschen besser machen können. Bei der SPD war die Zurückhaltung größer. – Nein! Ich finde, wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass wir den qualifizieren. Es gibt in der Tat ein paar Unklarheiten daran. Ich würde tatsächlich auch weiter gehen und bestimmte Kooperationen mit Schiedsvereinbarungen nicht nur transparent machen, sondern grundsätzlich ausschließen. Aber die Nummer, die wir hier in Berlin hatten, wir haben es ja

erlebt – damit komme ich zum Schluss –, wo die Investoren dann sagen: Wisst ihr, ihr könnt alles machen mit den Wasserpreisen, ihr könnt alles regeln in Bezug auf die BWB, aber danach kommt unsere Gewinnausfallforderung –, wie RWE und Veolia es seinerzeit gemacht haben, so etwas muss der Vergangenheit angehören. So etwas darf es in Berlin nie wieder geben. Und wenn CDU und SPD irgendetwas aus dieser Teilprivatisierung gelernt haben sollten, dann, dass der Grundansatz dieses Antrags richtig ist und dass man an dem vernünftig weiterarbeiten muss. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung und mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Forschung und Technologie empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 15:

Adäquate Mindeststandards in allen Berliner Obdachlosenunterkünften gewährleisten!

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/1699

In der Beratung beginnt die Piratenfraktion. – Herr Kollege Spies, Sie haben das Wort – bitte schön!

Danke, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte zu dieser späten Stunde um die Aufmerksamkeit für ein Thema, das Menschen betrifft, die hier so gut wie keine Lobby haben. Sie können sich auch fragen, was das, was ich jetzt sagen werde, mit den vorangegangenen Tagesordnungspunkten zu tun hat.

Die Zahl der Wohnungslosen steigt gegenwärtig nach vielen Jahren des Rückgangs bundesweit an. Besonders betroffen sind Großstädte wie Berlin. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe prognostiziert bis 2016 eine Zunahme der Wohnungslosigkeit um 30 Prozent. Gründe sind der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Verarmung, Hartz-IV-Sanktionen, Mietschulden und Zwangsräumungen.

In Berlin sind die Bezirke nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz für die Unterbringung der Wohnungslosen zuständig. Es existiert ein mehrstufiges Hilfesystem. Wer auf der Straße landet, geht oft zuerst in eine Notunterkunft, dann in eine ASOG-Unterkunft und

(Dr. Klaus Lederer)

sollte von dort nach kurzer Zeit entweder in eine eigene Wohnung oder eine betreute Wohnform kommen. Für viele Wohnungslose werden die ASOG-Unterkünfte aber zur Sackgasse, weil dort qualifizierte Beratung und Unterstützung fehlt. Die überwiegend vertragsfreien ASOGUnterkünfte werden von gemeinnützigen Trägern – 25 Einrichtungen – oder privaten Firmen – 89 Einrichtungen – betrieben. Die Betreiber verpflichten sich, berlinweit gültige Standards einzuhalten, und erhalten dafür einen Tagessatz pro Person zwischen 20 und 30 Euro im Einzelzimmer oder 12 bis 15 Euro im Mehrbettzimmer.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe formulierte vor einem Jahr Mindeststandards für die ordnungsrechtliche Unterbringung. Hierzu zählen eine Mindestwohnfläche von 14 Quadratmetern pro Person, Gemeinschaftsräume, Kühlschränke, Kochgelegenheiten, abschließbare Schränke und sozialarbeiterische Beratung. Von diesen Standards sind die meisten ASOGUnterkünfte in Berlin weit entfernt. Vorgaben zum Personalschlüssel oder die Qualifikation des Personals gibt es nicht. Eine begleitende Unterstützung bei der Reintegration Wohnungsloser in normale Wohnungen fehlt fast immer. Dabei steht bereits in den Leitlinien der Wohnungslosenpolitik der Senatsverwaltung für Soziales von 1998, dass wohnungslose Menschen von den Bezirken nicht in kommunalen Obdachlosenheimen, Wohnheimen und Pensionen gewerblicher und freier Träger ohne qualifizierte Beratung untergebracht werden sollen.

Am 4. Juni berichtete das RBB-Magazin „Klartext“ über das Geschäft mit der Obdachlosigkeit. Eine Sozialarbeiterin erzählte von einer Kollegin, die vom Betreiber einer ASOG-Unterkunft des Hauses verwiesen wurde, weil sie dort Informationen über Beratungsangebote für Wohnungslose ausgelegt hat. Das ist die Realität in Berlin!

Nicht nur die Wohnungslosenhilfe warnt vor der Zunahme der Wohnungslosigkeit, auch der Senat geht davon aus, dass sich die Situation in den kommenden Jahren weiter verschärfen und die Verweildauer in den Einrichtungen immer länger wird. Nach Angaben der Wohnungslosenhilfe werden seit einiger Zeit wieder vermehrt wohnungslose Familien mit minderjährigen Kindern in Einrichtungen ohne sozialarbeiterische Unterstützung untergebracht. Ein aktueller Fall: Die landeseigene Wohnungsgesellschaft GEWOBAG kündigt Mohammed S. eine Wohnung, in der er seit 36 Jahren lebte, obwohl die Miete vom Jobcenter bezahlt wurde. Anfang Mai wurde er mit seiner Lebensgefährtin und der kleinen Tochter zwangsgeräumt und kam in die Unterkunft eines freien Trägers. Als er sich öffentlich über die dort festgestellten unhaltbaren Zustände beklagte, wurde er kurzerhand samt seiner Familie wieder auf die Straße gesetzt.

Die Bezirke sind mit der Kontrolle der minimalen Standards personell überfordert. Exemplarische Beispiele:

Marzahn-Hellersdorf führt keine regelmäßigen und systematischen Kontrollen durch. Im Januar 2014 wurde eine Einrichtung aufgrund von Beschwerden der Bewohner geprüft, und es wurden erhebliche Mängel festgestellt. Das Bezirksamt Spandau behauptet, dass die Einhaltung der Standards in den Unterkünften durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des LAGeSo geprüft werden, was LAGeSo-Präsident Allert in der Sitzung des Sozialausschusses am 10. März 2014 dementierte. Neukölln hat in den Jahren 2012 und 2013 fehlende oder mangelnde Ausstattung der Zimmer, mangelnde Instandhaltung der Räume, nicht ausreichende Erhaltungsreinigung, mangelnde Schädlingsbekämpfung sowie fehlende bzw. veraltete Flucht- und Rettungspläne bemängelt. Sanktionen wurden berlinweit 2012 und 2013 gegen keinen einzigen Bewerber verhängt.

Die jahrelange Unterbringung in Unterkünften zweifelhafter Qualität und ohne qualifizierte Beratungsangebote dient allein den Profiten der Betreiber auf Kosten der Wohnungslosen. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, muss der Senat endlich agieren, statt bloß zu reagieren.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Martin Beck (GRÜNE) und Elke Breitenbach (LINKE)]

Herr Kollege! Sie kommen bitte zum Ende!

Ja! – Wir wollen mit diesem Antrag erreichen, dass der Senat endlich seine gesamtstädtische Verantwortung wahrnimmt, denn die Bezirke werden mit der Situation alleine nicht mehr fertig. Ob die hier formulierten Ziele mit der Änderung des ASOG oder besser durch Vereinbarungen mit den Bezirken umgesetzt werden sollen, können wir im Ausschuss diskutieren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Martin Beck (GRÜNE), Elke Breitenbach (LINKE) und Steffen Zillich (LINKE)]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion jetzt Frau Kollegin Radziwill – bitte schön, Frau Kollegin!

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Herr Spies! Ja, es stimmt, die Zahl der Wohnungslosen steigt gegenwärtig bundesweit, auch in Berlin. Daher ist es wichtig, die Unterbringungsmöglichkeiten genau zu prüfen, zu erweitern und

(Alexander Spies)

auch einen guten Standard zu halten. Nur: Dafür brauchen wir, braucht dieser Senat definitiv nicht diesen Antrag.

Wir werden in der Ausschussberatung in der Tat die Kritikpunkte, die Sie hier vortragen, genauer prüfen: Sind sie berechtigt, oder was kann man noch verbessern? Erinnern möchte ich an dieser Stelle allerdings auch an unsere Beratung im Ausschuss über die Rahmenvereinbarung über Serviceleistungen der Berliner Unterbringungsleitstelle, der BUL. Sie haben auch in mehreren Kleinen Anfrage viele Detailfragen gestellt und umfangreiche Antworten bekommen. Sie wissen hoffentlich, dass für die Unterbringung, die Bedarfs- und Kapazitätsverhandlung von Plätzen sowie Mindeststandards in erster Linie die zwölf Bezirke zuständig sind.

Allgemein will ich anmerken, eine reine Unterbringung nach ASOG ohne weitere begleitende Unterstützung z. B. durch Sozialarbeiter oder Sozialarbeiterinnen ist nicht nachhaltig zielführend, wenn man den Anspruch hat, den Betroffenen eine Perspektive zu geben, aus der Wohnungslosigkeit herauszukommen. In Berlin allerdings – das wissen Sie hoffentlich auch, Herr Spies – haben wir ein sehr gutes, ein umfangreiches Hilfesystem für Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind.

Die steigende Beliebtheit Berlins und daraus folgend der steigende Zuzug macht es schwer, günstigen und passgerechten Wohnraum für die Betroffenen anzubieten. Viele Träger haben hier erhebliche Probleme, Trägerwohnungen zu finden. Die Bezirke haben auch Probleme, Unterbringungsplätze zu finden. Oft sind sie froh, eine Bleibe auch über Gutscheine für Hostels oder Pensionen kurzfristig zu regeln. Sehr hohe Standards, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern, würden aus meiner Sicht noch zusätzliche Hürden aufbauen, und wir müssen die Bezirke wieder in die Lage versetzen, zu agieren statt nur zu reagieren.

Ergänzend will ich auch den Aspekt vortragen, dass die Anzahl der wohnungslosen Frauen steigt, auch die versteckter Armut. Wir müssen unsere Angebote viel stärker auch auf den Bedarf dieser Zielgruppe ausrichten. Leider fehlt das in dem Antrag komplett – eine genderspezifische Ausrichtung ist wichtig, und den Blick darauf haben Sie hier leider nicht vorgetragen. Sie sehen, die Antragsberatung wird sicher noch spannend werden.

Ich möchte außerdem noch eine Sache vortragen: Wir sind eigentlich von dem Begriff Obdachlosigkeit weg. Die Berliner Sozialpolitik hat sich hier weiterentwickelt. Wir reden von Wohnungslosigkeit.

[Martin Delius (PIRATEN): Das ist aber ein wichtiger Hinweis!]

Ich denke, das ist wichtig, aber das können wir auch noch im Ausschuss im Detail klären. – Vorrang muss aber haben – da sind wir uns, glaube ich, alle einig –, dass

das Risiko von drohender Wohnungslosigkeit, von drohendem Wohnungsverlust bekämpft werden muss. Den vorhandenen Wohnraum zu erhalten und mit allen Mitteln zu sichern, ist wichtig, und das hat für mich Vorrang. Also werden wir die Ausschussberatung detailliert machen. – Ich freue mich darauf und danke für die Aufmerksamkeit!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für eine Zwischenbemerkung hat jetzt der Kollege Spies das Wort!

Frau Radziwill! Ich muss Ihnen da vehement widersprechen, und zwar vor allem, was die neue Rahmenvereinbarung zur Berliner Unterbringungsleitstelle betrifft, denn die bedeutet eine wesentliche Verschlechterung des Zustands, den wir vorher hatten. Galt in der alten Rahmenvereinbarung von 2005 noch das Ziel, dass die Versorgung der Hilfebedürftigen mit Wohnraum Vorrang gegenüber der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften hat, ist davon heute keine Rede mehr. Insofern haben sich Senat und Bezirke vollständig von jeglicher Qualitätsentwicklung und -prüfung verabschiedet. Es steht auch nicht mehr drin, dass eine Arbeitsgruppe jährlich Qualitätsberichte und Empfehlungen zur Qualitätsentwicklung geben soll. Insofern stecken Sie den Kopf in den Sand. Sie behaupten, das sei toll. Sie verschlechtern die schon schlechten Bedingungen weiter und setzen darauf, dass die Menschen in den Obdachlosenunterkünften verrecken.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Unruhe]

Möchten Sie replizieren? – Bitte!

Herr Spies! Ich bin wirklich fassungslos, diese Worte aus dem Munde eines Sozialpolitikers zu hören.

[Beifall bei der SPD und der CDU]