Damit hat Präsident Erdoğan den Mythos kräftig beschädigt, wonach die türkische Minderheit zum einen in Deutschland integriert sei und zum anderen eine Brücke zur liberalen Demokratie darstelle. Das Gegenteil ist für viele hiesige Türken leider der Fall. Viele – keinesfalls alle – fühlen sich nach wie vor als Türken, sehen Deutschland nur als Gastland, solange es wirtschaftlich etwas bringt, und liegen auch voll auf Erdoğan-Kurs, wenn es um die Errichtung der Diktatur in ihrer Heimat geht. Er hat die türkische Minderheit in Deutschland gespalten, und so werden zahlreiche Proteste und Demos während des Staatsbesuchs erwartet.
Die Berliner Polizei stößt an ihre Grenzen. Die oberste Personalvertretung hat den Innensenator – Sie, Herr Geisel – aufgefordert, die Ausrufung eines polizeilichen Notstands in Berlin zu prüfen. Selbst das Bundesligaspiel von Hertha BSC und Bayern München soll möglicherweise verschoben werden.
Ich meine, auch mit Blick auf unsere Polizei sollten importierte Konflikte nicht auf Berliner Boden ausgetragen oder befeuert werden.
Insofern geht schon heute von hier ein Gruß an die Polizisten, die dafür leider wieder ihren Rücken hinhalten müssen. Hohes Haus! Zeigen Sie Selbstachtung, stehen Sie ein für unsere Werte von Rechtstaatlichkeit und Grundrechten! Wir haben darüber heute Morgen gesprochen, und jetzt kann man es zeigen. Lassen Sie uns als Berliner Volksvertreter gemeinsam diesem türkischen Präsidenten die kalte Schulter zeigen! Herr Regierender Bürgermeister! Lassen Sie uns gemeinsam die formale Mindestetikette wahren – selbstverständlich – und mit Unterstützung dieses Antrags deutlich machen: Mr. President! You are not welcome in Berlin! Sie sind kein Berliner!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner hat vorhin mit einem Satz sehr deutlich gemacht,
was das eigentliche Motiv des Antrags der AfD-Fraktion ist. Er hat nämlich wörtlich gesagt: Islam und Demokratie sind unvereinbar. Herr Kollege! Einen größeren Bärendienst können Sie der Demokratiebewegung in der Türkei gar nicht erweisen, als so einen Satz auszusprechen.
Einen größeren Bärendienst können Sie auch dem Zusammenleben der verschiedenen Gruppen in Berlin nicht erweisen, indem Sie eine solche apodiktische Formulierung verwenden, was ausgeschlossen sei. Das führt überhaupt nicht weiter.
Ihr Antrag und Ihre Begründung dazu zeigen vor allem eins: Wer so wenig Verständnis für auswärtige Politik und Diplomatie aufbringt wie Sie, sollte sich doch eher zurückhalten, wenigstens ab jetzt, Herr Kollege, sonst richten Sie nur noch mehr Schaden an!
Im Bund wird es einen professionell organisierten Ablauf des Staatsbesuchs geben, zu dem Sie hier gar nichts beitragen können. Der türkische Präsident hat, Stand heute, nur auf Bundesebene Gesprächsbedarf angemeldet; ein offizieller Termin beim Land Berlin ist bisher nicht vorgesehen,
sodass es überhaupt keinen Anlass für Ihre komischen Bemerkungen gibt. In Berlin habe ich bisher auch nicht gehört, dass irgendjemand den Präsidenten durch eine besondere Ehrung oder Huldigung würdigen will. Das ist überhaupt nicht wahrzunehmen. Auch irgendeine problematische Veranstaltung ist nicht bekannt.
Andererseits besteht auch kein Grund, hier etwa den polizeilichen Notstand für das Wochenende auszurufen, an dem er da ist, wie gestern ohne jede Tatsachengrundlage behauptet wurde, was von Ihnen offenbar einfach übernommen wurde. Es gibt Herausforderungen und Großereignisse, ja. Aber solche gezielten Strategien der Verunsicherung sind von uns entschieden zurückzuweisen, damit nicht zusätzliche Verunsicherung entsteht.
Vielmehr müssen wir der Polizei unsere Hochachtung entgegenbringen, dass an dem Wochenende die Demos abgehalten und gemanagt werden können und zugleich das Spiel Hertha gegen Bayern stattfinden kann. Das wird eine Aufgabe sein, aber die Berliner Polizei wird diese Aufgabe bewältigen. Überhaupt würde es der Bundeshauptstadt etwas besser anstehen, etwas weniger hysterisch mit Staatsbesuchen umzugehen, als Sie das hier nahelegen.
Wir brauchen auch keine Belehrungen von Ihnen über den richtigen Umgang mit dem türkischen Präsidenten.
Erdoğan ist der Staatspräsident eines bedeutenden Bündnispartners, eines assoziierten Nachbarn der EU, des Herkunftslandes von Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Deutschland und ein wichtiger Vertragspartner in aktuellen Konfliktsituationen. Gute Beziehungen zur Türkei liegen im deutschen Interesse. Gleichzeitig werden diese Beziehungen aber immer schwieriger. Die Türkei unter Erdoğan wird immer mehr zu einem autoritären undemokratischen Staat, der elementare Grundrechte wie etwa die Meinungs- und Pressefreiheit missachtet.
150 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis, staatliche Strafmaßnahmen gegen Presseorgane, die Schläge gegen die unabhängige Justiz, der Umbau des Staatsapparats, die systematische Einschüchterung der Opposition – all dies sind schlimme Entwicklungen, die uns mit großer Sorge erfüllen. Und deshalb ist dieser Staatsbesuch durchaus ein schwieriger, der aber durch Ihre Begleitmusik sicherlich nicht einfacher wird. Es ist eine äußerst delikate diplomatische Aufgabe, der Bedeutung der Türkei und der notwendigen Kritik an ihrem autokratischen Präsidenten gleichermaßen gerecht zu werden. Ihr Antrag ist dazu nicht brauchbar. Es wird der Bund in geeigneter Weise damit umgehen. Da gehört das Thema auch hin. – Herzlichen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich meinem Vorredner insoweit zustimmen, als nach meinen Informationen jedenfalls Ehrungen offizieller Art im öffentlichen Raum für Herrn Erdoğan gar nicht beabsichtigt sind, sodass ich mich frage, was dieser Antrag soll. Mit einem entsprechenden Begriff würde ich sagen: Schaufensterantrag!
Aber ich möchte Ihnen von der AfD als Antragsteller auch einige sachliche Argumente entgegenhalten, und da beginne ich dort, wo Kollege Zimmermann geendet hat, nämlich bei der Frage, welche Probleme im internationalen Bereich – man kann auch sagen, im europäischen Bereich, aber auch im internationalen Bereich – mit der Türkei bestehen: Demokratieentwicklung, die Defizite, die dort in den letzten Jahren entstanden sind – neben bestimmten positiven Ergebnissen, die in den Zwischen
berichten der Europäischen Union auch festgestellt worden sind –, die Verfolgung von Gülen-Anhängern, die Flüchtlingssituation – wir wissen, wir haben ein Abkommen mit der Türkei. Das Problem Idlib ist hier gar nicht angesprochen worden; es könnte sich daraus noch ein größerer internationaler Konflikt ergeben. Dann unsere Situation, herrührend aus der Gastarbeitersituation, die wir hatten. Viele türkische Mitbürger sind hiergeblieben, einige haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Frage, wie der türkische Staat, repräsentiert durch seinen Staatspräsidenten, auf diese einwirkt, ist meiner Meinung nach notwendig mit der Staatsspitze der Türkei zu besprechen. Letztlich auch das Kurdenproblem, das sich über die Grenze der Türkei hinweg erstreckt, aber halt auch innerhalb der Türkei mit Verfolgungen, die wir ablehnen, verbunden ist. Da stellt sich der Begriff eines möglichen Föderalismus.
Das sind alles Probleme, die wir eigentlich so nicht stehenlassen können, und da besteht die Notwendigkeit unserer Bundesregierung, einzuwirken und ihre Position deutlich zu machen, die getragen wird von einer Mehrheit im Deutschen Bundestag.
Dann möchte ich etwas Formales anmerken, warum Ihr Antrag auch insoweit neben der Sache ist. Öffentliche Auftritte von Erdoğan wollen Sie verhindern. Was ist denn mit der Presse? Wenn die Verhandlungen zwischen Erdoğan und entsprechenden Leuten von uns – Merkel und Co. – stattgefunden haben, wird es Pressekonferenzen geben. Soll der da nicht auf Fragen der Presse antworten? – Insofern finde ich Ihren Antrag auch einfach schlecht formuliert, muss ich sagen – zu pauschal.
Dann komme ich – drittens – darauf zurück, dass unsere Fraktion schon unter Tagesordnungspunkt 1 – Aktuelle Stunde – darauf hingewiesen hat, ich glaube, es war Herr Dregger oder einer der anderen Redner, dass es schlecht ist, politische Argumente immer in Kästen zu werfen, in Kästen von schwarz und weiß. Das sollte eigentlich unterlassen werden. Das will ich auch gleich noch mal sachlich begründen. Wie Sie wissen, laufen bis auf den heutigen Tag formell Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei. Die sind nie aufgehoben worden. Es gibt natürlich Streit darüber, das ist mir auch klar, doch auch in diesem Sinne ist es notwendig, miteinander in Kontakt zu bleiben. Sie wissen, dass die Bundeskanzlerin von einer privilegierten Partnerschaft seit einigen Jahren ausgegangen ist und dies auch vorgeschlagen hat. Auch das muss unterfüttert werden. Auch insofern können wir jedenfalls Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Ein vierter Punkt ist: Kollege Dregger hat darauf hingewiesen, dass es ganz gut ist, wenn man sich in der politischen Auseinandersetzung für Mäßigung ausspricht. Ihren Antrag kann ich, nachdem ich einzelne Argumente vorgetragen habe, nun nur so bewerten, dass das so eine Art Aufputschmittel ist, welches in die Öffentlichkeit, in
die Bevölkerung getragen wird, um damit für sich Reklame zu machen, denn sachlich ist der Antrag abzulehnen. Ich sage es ganz deutlich, und wir werden es auch tun.
Kommunikation – fünftens – ist natürlich ein Mittel, das die Politik braucht, und das tut man normalerweise nicht durch Gewaltauseinandersetzungen, sondern durch miteinander reden, durch Dialog.
[Frank-Christian Hansel (AfD): Das tun wir heute hier im Parlament, sonst wäre es auch nicht debattiert worden!]
Die Türkeiprobleme, lassen Sie mich das abschließend sagen, bedürfen einer nüchternen, sachlichen und rationalen Bearbeitung und eines Dialoges. Man sollte auch einen anlässlich dessen stattfindenden Staatsbesuch, der Ende September passiert, nicht mit Störfeuer begleiten. Es wird, um Meinungen aus der Zivilgesellschaft zu verdeutlichen, Demonstrationen geben, was ich richtig finde. Das rechtfertigt aber nicht, einen solchen Antrag zu stellen, wie Sie es gemacht haben. – Danke sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem Kommunikationsseminar habe ich mal gelernt, man soll eine Rede positiv beginnen. Ich will also versuchen, etwas Positives an Ihrem Antrag zu finden. Es ist mir auch gelungen im Übrigen, denn Ihr Antrag klärt über Ihre Art und Weise, Politik zu machen, auf, auch ohne ihn zu beschließen. Was ist Ihre Art? – Der Kollege Jupe hat schon darauf hingewiesen: Sie greifen sich irgendein Thema, nehmen sich Ihr kleines Surfbrettchen, schwingen sich auf diese Welle und versuchen, Aufmerksamkeit zu generieren. Hauptsache Aufmerksamkeit, koste es, was es wolle.
In dem Zusammenhang will ich an den Antrag für die Ehrenbürgerschaft für Gail Halvorsen erinnern, wo Sie im Verlaufe der Beratung den verdienten Luftbrückepiloten für tot erklärt haben. Eine Entschuldigung gab es dafür immer noch nicht. Aber so gehen Sie vor, auch an dieser Stelle. Hier wird zwar niemand für tot erklärt, aber immerhin: Plötzlich wird aus einer rechtsextremen Formation, deren Anhang „Lügenpresse“ schreit und Journalistinnen und Journalisten auf offener Straße angreift,
Sie verlassen sich auf unser kurzes Gedächtnis, deshalb will ich Sie und uns einmal erinnern: Es war die rechtsextreme Fraktion im Bundestag, die meinte, den unter Terrorverdacht in der Türkei eingesperrten Deniz Yücel zu missbilligen. Was für ein Theater! Ein Journalist soll vom Parlament missbilligt werden. Wo leben Sie denn? Und jetzt wollen Sie unter Verweis auf die Pressefreiheit hier Noten verteilen Der Berliner, die Berlinerin würde dazu sagen: Ick globe, mein Schwein pfeift.
Nein! – Jetzt plötzlich müssen Sie mal wieder auf Türken- bzw. Islamfeindlichkeit machen, obwohl Ihnen Erdoğan ideologisch näher ist als allen anderen hier im Haus. Sie und Erdoğan verfolgen die freie Presse. Zweitens: Sie und Erdoğan sehen häufig dunkle Mächte am Werk. Drittens: Sie und Erdoğan grenzen sich nicht offen ins neonazistische Milieu ab. Chemnitz war dafür ein Beleg. Insofern, sich jetzt hier hinzustellen und „Haltet den Dieb!“ zu rufen, ist ziemlich absurd. Wir werden diesen Antrag ablehnen.