Protokoll der Sitzung vom 13.09.2018

Nein! – Jetzt plötzlich müssen Sie mal wieder auf Türken- bzw. Islamfeindlichkeit machen, obwohl Ihnen Erdoğan ideologisch näher ist als allen anderen hier im Haus. Sie und Erdoğan verfolgen die freie Presse. Zweitens: Sie und Erdoğan sehen häufig dunkle Mächte am Werk. Drittens: Sie und Erdoğan grenzen sich nicht offen ins neonazistische Milieu ab. Chemnitz war dafür ein Beleg. Insofern, sich jetzt hier hinzustellen und „Haltet den Dieb!“ zu rufen, ist ziemlich absurd. Wir werden diesen Antrag ablehnen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der FDP spricht jetzt der Abgeordnete Herr Luthe. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schatz! Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie bisher am deutlichsten einige der in der Tat problematischen Aspekte der aktuellen Situation in der Türkei angesprochen haben. Ich hätte mir dies allerdings im Übrigen auch von anderer Stelle gewünscht und hatte dazu den Senat gefragt, ob er das denn vorhat oder bisher getan hat, dass auch der Senat dieses Thema anlässlich des Staatsbesuchs in irgendeiner Weise angeht. Das ist leider bisher nicht der Fall und war nicht geplant.

Zum Antrag selbst müssen wir zunächst feststellen, dass Sie dort etwas Rechtswidriges fordern, lieber Herr Kollege. Wenn Sie sagen: keine Ehrungen für Herrn Erdoğan, ist das völlig richtig. Ich denke, das teilen auch sehr viele hier im Haus. Wenn Sie aber gleichzeitig auch fordern, er dürfe nicht öffentlich auftreten, dann verkennen Sie, dass

(Claudio Jupe)

unser Versammlungsgesetz in dieser Frage eindeutig ist. Es ist ein Jedermannrecht, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen und dort auch aufzutreten. Das können Sie nicht einfach streichen. Auch das gehört zur Rechtsstaatlichkeit, auch wenn uns derjenige, der spricht, nicht immer recht sein mag.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Was die Situation in der Türkei angeht, gerade auch die Lage von homo- und transsexuellen Menschen in der Türkei, was den Umgang mit Straftätern aus der Türkei angeht, die aus der Türkei heraus agieren, um in Deutschland Straftaten zu begehen, was die Lage der Armenier und den Völkermord an den Armeniern angeht, sind das alles wichtige Aspekte im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Türkei, aber auch des Landes Berlin zur Türkei, gerade auch wegen des großen Teils türkischstämmiger Bevölkerung, den wir hier haben. Ich hätte mir genau deshalb gewünscht, dass die vorhin auch schon zitierte Staatssekretärin für Internationales, Frau Chebli, die, wie der Regierende Bürgermeister sagt, eine hervorragende Arbeit leistet, zumindest eine Initiative unternommen hätte, um entsprechend mit der türkischen Delegation zusammenzutreffen und die auch von Ihnen geteilten wichtigen Punkte in dieser Situation in der Türkei alle einmal anzusprechen. Das ist nach jetzigem Stand nicht geplant. Ich würde mir von diesem Senat erwarten, dass er die Gelegenheit nutzt, um das, was zu Recht als Missachtung der Menschenrechte geahndet wird, auch entsprechend deutlich anzusprechen. Nur zu sagen, es sei jetzt falsch, dass dieser Antrag so formuliert wurde, ist uns verkürzt. Wir teilen diesen Antrag aus rechtlichen Gründen allein nicht, gleichzeitig muss aber die Situation in der Türkei deutlich angesprochen werden, und das erwarte ich auch von diesem Senat. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Abgeordnete Frau Jarasch. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der 16. Februar 2018 war für viele Menschen in Deutschland ein Tag der Freude. Deniz Yücel wurde nach über einem Jahr aus türkischer Haft entlassen und durfte nach Deutschland zurückkehren. Die absurden Vorwürfe das AKP-Regimes gegen den deutschen Journalisten blieben bestehen. Knapp eine Woche später brachte die AfDFraktion im Bundestag Deniz Yücel auf die Tagesordnung – nicht etwa, um seine Freilassung zu feiern oder um die berechtigte Frage zu stellen, was die Regierung für die Freilassung all der anderen inhaftierten Journalistinnen und Journalisten und Regimekritikerinnen und Regimekritiker tun könne. Nein, die AfD-Fraktion ver

langte eine Missbilligung – Carsten Schatz hat es schon erwähnt –, und zwar wegen eines satirischen Artikels, den er als Reaktion auf Sarrazins islamfeindliches Buch „Deutschland schafft sich ab“ vor sieben Jahren veröffentlicht hatte. AfD-Fraktionschefin Weidel wollte ihm sogar die Staatsbürgerschaft aberkennen und sprach ihm ab, Journalist zu sein, genau wie es die AKP-Schergen getan hatten, die ihn in der Türkei verhaften ließen. Wenn die Berliner AfD-Fraktion angesichts dieser Vorgeschichte glaubt, sie könnte sich jetzt mit ihrem Antrag als die Verteidigerin der Presse- und Meinungsfreiheit und Menschenrechte in der Türkei aufspielen, ist das lächerlich.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN– Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Hansel! Sie zitieren in dem Antrag Belege von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, Reporter ohne Grenzen, also von Organisationen, die Sie normalerweise als Erfüllungsgehilfen für Gutmenschenpolitik verachten. Wen wollen Sie damit täuschen? Oder aber Sie beweisen uns, dass Sie es damit ernst meinen, dann ziehen Sie Ihren Antrag zurück, den wir heute noch diskutieren werden und der die Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgiens als sichere Herkunftsstaaten fordert, denn genau dieselben Menschenrechtsorganisationen, die Sie in Ihrem ErdoğanAntrag zitieren, belegen, dass diese Staaten eben keine sicheren Herkunftsstaaten sind.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Keine Sorge: Ich habe nicht erwartet, dass Sie das tun werden. Im Ernst: Als ob die Presse- und Meinungsfreiheit nicht das Erste wäre, was abgeschafft würde, wenn es nach der AfD ginge. Sie hassen doch die von Ihnen so genannte „Lügenpresse“, und Sie unterwandern gezielt das Grundprinzip eines liberalen Rechtsstaats, das besagt: Es haben auch diejenigen Rechte, die anderer Meinung sind.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ach, dummes Zeug!]

Es ist nichts Neues, dass sich autoritäre, illiberale Parteien mit Satire und Pressefreiheit schwertun. Pikant an der Sache ist allerdings, dass sich die AfD mit Pressefreiheit und Satire genauso schwertut wie der von ihr hier heftig attackierte autoritäre türkische Staatschef Erdoğan, und das ist nicht die einzige Nähe zwischen AfD und AKPRegierung. Die AKP spaltet das Land und hetzt die Menschen in der Türkei gegeneinander auf. Die Feindbilder sind sogenannte Gülenisten, die Linken, die Kurden, und sie bringt ihre Anhänger dazu zu glauben, die Türkei sei das Opfer dieser Anderen und müsse sich wehren, egal mit welchen Mitteln. Diese Methoden wendet auch die AfD systematisch an und geht dabei immer offener rassistisch vor. Die vulgären Ausfälle eines André Poggenburg will ich nicht zitieren, aber es ist genauso Rassismus pur, wenn Gauland sagt: Die Türken gehören nicht zu uns. – Die Türken, um deren Menschenrechte in der Türkei sich der vorliegende Antrag so heuchlerisch sorgt.

(Marcel Luthe)

Das sind also die Anderen, die ausgegrenzt werden. Das Ziel solcher Attacken ist die Spaltung zwischen der türkischstämmigen Community und anderen Deutschen und auch die Spaltung innerhalb der türkischstämmigen Community.

Auch in der unsäglichen Debatte um Özil und die Nationalmannschaft war die AfD an vorderster Front. „Müssen Türken in der Nationalmannschaft sein“, fragte der Neuhofer AfD-Abgeordnete Homann, und Weidel bezeichnete Özil als beispielhaft für eine scheiternde Integration.

[Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Stefan Franz Kerker (AfD): Ist ja auch richtig! Er hat sich doch selber desintegriert!]

Bei so vielen antitürkischen Ressentiments wollen Sie uns weismachen, mit dem Antrag wollten Sie ein Zeichen setzen für die inhaftierten und bedrohten Türkinnen und Türken? – Nein, dieser Antrag lohnt tatsächlich keine weitere Debatte in den Ausschüssen. Ich bin froh, dass Sie ihn direkt abstimmen lassen wollen, und wir werden ihn ablehnen.

Von der Bundesregierung und allen anderen Politikerinnen und Politikern, die mit Erdoğan bei seinem Staatsbesuch sprechen werden, erwarten wir, dass sie diesen Staatsbesuch nutzen, um Tacheles in Sachen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu reden. Erdoğan kommt in der Hoffnung auf Investitionen für die kriselnde türkische Wirtschaft und auf Sicherheiten für diese Investitionen. Deutschland darf solche Investitionen nur absichern, wenn die türkischen Gefängnisse sich vorher leeren. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Die Fraktion der AfD hat eine Kurzintervention angemeldet. – Herr Hansel, Sie haben das Wort!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, allein die Debatte ist er wert, dieser Antrag. Wenn ich mal 20 Jahre zurückschaue, wäre das ein Antrag gewesen, den die Grünen vielleicht damals eingebracht hätten, gegen solche autoritären Regime wie das von Erdoğan. Dass wir heute eine verkehrte Welt haben, dass wir heute das machen müssen, was Sie eigentlich hätten machen müssen und vor 20 Jahren gemacht hätten, das ist eigentlich das Interessante an dem heutigen Tag. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD – Anja Kofbinger (GRÜNE): Völliger Quatsch!]

Frau Jarasch! Möchten Sie erwidern?

[Bettina Jarasch (GRÜNE): Diese Debatte lohnt keine weitere Rede!]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Herr Wild gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter! Sie haben das Wort.

[Hakan Taş (LINKE): Es wird ja immer schlimmer! – Frank-Christian Hansel (AfD): Es ist ja gut, dass Sie nicht eingegriffen haben!]

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn der amerikanische Präsident sich mit Kim Jong-un trifft, können wir davon ausgehen, dass es erhebliche Unterschiede in den Weltanschauungen der beiden Präsidenten gibt. Trotzdem hat das Treffen offensichtlich zur Entspannung auf der koreanischen Halbinsel beigetragen und einen Gefahrenherd etwas weniger gefährlich gemacht. Präsident Erdoğan ist das Staatsoberhaupt unseres NatoPartners Türkei. Er kommt als Staatsgast auf Einladung unseres Bundespräsidenten. Ich bin der Meinung, dass ausländische Politiker in Deutschland keinen Wahlkampf machen sollten. Es liegt an uns, ihnen das zu untersagen. Ich bin auch der Meinung, dass jeder nur in einem Land wählen können sollte, entweder in Deutschland oder der Türkei. Wenn wir auf der Bundesebene die Doppelstaatsbürgerschaft wieder abgeschafft haben, wird diese undemokratische Blüte der Multikultiideologie verblühen.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Wer ist „wir“? – Zuruf von Hakan Taş (LINKE)]

Die Finanzierung von Moscheen und Imamen durch die DITIB, also durch den türkischen Staat, ist eine unlautere Einflussnahme auf den deutschen Staat. Diese Einflussnahme können wir uns verbitten.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Wer ist bei Ihnen „wir“?]

In Bezug auf die Türkei müssen wir Deutschen selbstbewusst unsere Interessen vertreten. Dazu gehört, die Interessen der Deutschen im Herzen zu tragen. Wir sollten, wenn sich die Gelegenheit bietet, die Menschenrechtssituation in der Türkei ansprechen, den Umgang mit der Opposition, den Umgang mit dem wachsenden kurdischen Bevölkerungsanteil oder der völkerrechtswidrigen Intervention in Syrien. Dazu gehört aber auch, die Türkei als ebenbürtigen souveränen Partner anzuerkennen, auch wenn wir die Wahlergebnisse der Parlamentswahlen oder des Referendums nicht glücklich finden. Die Türken wählen ihre Vertreter selbst, das geht uns nichts an.

Als ich im letzten Sommer in Ankara mit türkischen Politikern sprach, fand ich stolze, selbstbewusste

(Bettina Jarasch)

Gesprächspartner, die sich in Bezug auf den Missbrauch unseres Sozialsystems durch ihre türkischen Landsleute beschämt zeigten. Aber von mehreren Seiten wurde mir mit auf den Weg gegeben: Die Regeln in eurem Land ändern, das müsst ihr! Ich finde, dass es uns Berlinern bei allen Unterschieden in den Interessen und Unterschieden in den Gestalten der Demokratie, wenn man das in der Türkei so nennen möchte, gut anstünde, Staatsgäste nach diplomatischem Brauch zu empfangen. – Ich danke Ihnen!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wurde die sofortige Abstimmung vereinbart. Wer dem Antrag auf Drucksache 18/1264 zustimmen möchte, den bitte ich nun um das Handzeichen. – Das ist die AfD-Fraktion und der eine fraktionslose Abgeordnete. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und CDU. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die FDP.

[Torsten Schneider (SPD): Genscher ist lange her!]

Damit ist der Antrag deutlich abgelehnt.

Ich komme nun zu

lfd. Nr. 5.4:

Priorität der Fraktion der FDP

Tagesordnungspunkt 25

Hertzallee-Nord zu einem nachhaltig lebendigen Gebiet entwickeln!

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/1064

In der Beratung beginnt die Fraktion der FDP. – Herr Abgeordneter Schmidt! Sie haben das Wort, bitte!