Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die Fraktion der CDU spricht Herr Abgeordneter Zeelen.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon in der ersten Rederunde vor einigen Monaten gesagt, dass ich das Ansinnen unterstütze, und natürlich, wenn man den Statistiken Glauben schenken mag, dann haben viele dieser Menschen traumatische Erfahrungen entweder in den Herkunftsländern oder auf der Flucht gemacht. 10 Prozent dieser Menschen haben schwere psychiatrische Störungen davongetragen. Deswegen ist es im Interesse aller Berlinerinnen und Berliner, dass diesen Menschen geholfen wird, bevor sie vielleicht im schlimmsten Fall für sich selbst oder auch für andere zur Gefahr werden. Insofern unterstütze ich im Grundsatz dieses Ansinnen.

Allerdings, und, Frau Schubert, das hängt dann doch schon zusammen: Was bringt die beste Übergangsstruktur, wenn die Kapazitäten in der Regelversorgung nicht reichen? – Das ist ein großes Problem in Berlin, und wir wissen durch Studien des Robert-Koch-Instituts bei

spielsweise, dass der Bedarf an psychosozialer Versorgung sich in den letzten Jahren in Berlin verdoppelt hat.

[Katina Schubert (LINKE): Deswegen haben wir es verstärkt!]

Wie ist die Realität? – Man wartet in Berlin bei der kassentherapeutischen Behandlung 13 Wochen bis zu einem Termin. Wozu führt das? – Es führt dazu, dass diejenigen, die es sich leisten können, zu Privattherapeuten gehen und dann nachträglich versuchen, bei den Krankenkassen sich das Geld zurückzuholen, was oftmals abgelehnt wird, und das ist zutiefst unsozial, was hier stattfindet.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Florian Kluckert (FDP)]

Deswegen sind wir der Auffassung als CDU-Fraktion, dass wir uns diesem Thema noch einmal im Fachausschuss in der Gesamtheit widmen müssen. Deswegen haben wir einen Besprechungspunkt angemeldet, um uns grundsätzlich mit der Versorgung aller Berlinerinnen und Berliner bei der psychosozialen Versorgung zu beschäftigen. Das ist die Debatte, die wir führen müssen, um allen Berlinerinnen und Berlinern gerecht zu werden. Insofern werden wir uns bei dem Antrag heute enthalten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Isenberg. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Zeelen! Es ist schade, dass Sie sich enthalten. Natürlich können wir uns über die anderen von Ihnen benannten Themen unterhalten und machen das auch, aber dass Sie sich hier enthalten, ist nicht nur schade, es ist eigentlich erbärmlich.

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Das sind aber harte Worte!]

Wir hatten 2015/2016 die Situation, dass wir 90 000 geflüchtete Menschen aufgenommen und Jahre danach versucht haben, eine große Bevölkerungszahl geflüchteter Menschen zu integrieren und sind inzwischen bei 6 000 bis 9 000 Menschen im Jahr angekommen. Von diesen 90 000 geflüchteten Menschen, die Berlin aufgenommen hat, was eine große Kraftanstrengung war und ist, auf die wir stolz sein können, gehört zur Realität, dass über 40 Prozent psychosoziale Probleme haben. Da reden wir nicht von dem Patienten, der schon Amok läuft oder traumatisiert ist in dem Sinne, dass er eingewiesen werden müsste.

Es geht darum, überhaupt zu identifizieren: Wie ist der subjektive Hilfebedarf in dem Moment, in dem der

(Katina Schubert)

Mensch hier ankommt? – Da haben wir es damals geschafft in dieser Zeit, wo sogar die CDU für das Thema leider wesentliche Verantwortung hatte, Zentren aufzubauen und auch die Clearingstelle, um diesen Erstversorgungsbedarf abzubilden. Nicht nur die Menschen, die ankommen, haben ein Problem, auch die, die angekommen sind und erst einmal in Übergangseinrichtungen wohnen mussten, in der Einsamkeit, in der Distanz zu ihren Familien. Das sind Situationen, die psychosozial schwierig sind und die darüber hinaus im Übrigen vom Versorgungsbedarf nicht abgebildet im Asylbewerberleistungsgesetz oder in anderen gesetzlichen Regelungen, sodass wir als Land subsidiär eine humane, notwendige Versorgung aufgebaut haben, der Sie sich, Herr Zeelen, nicht enthalten, sondern der Sie zustimmen sollten, weil es eigentlich ein Thema ist, das parteipolitisch gar nicht zu diskutieren ist, zumindest bei der großen Mehrheit dieses Hauses.

Wir haben diese Übergangsstrukturen jetzt überführt, ausgehend davon, dass wir nicht mehr 90 000 Menschen oder 70 000 Menschen haben, sondern ein Zehntel davon pro Jahr. Da sind die Sprachkompetenzen und die Sprachmittlerinnen und Sprachmittler ganz wichtig. Dazu gehört aber auch zu gucken, wie die Clearingstelle mit ihren besonderen singulären Kompetenzen in das bestehende Hilfesystem integriert werden kann, und diesen Weg haben wir auch mit den Haushaltsanmeldungen erfolgreich beschritten. Darüber hinaus haben wir über 2 Millionen Euro beispielsweise für die Fortentwicklung des Psychiatrie-Entwicklungsprogramms von allen Menschen in Berlin für diesen Zusatzbedarf, den wir haben, der jedem zuteilkommt, aber natürlich auch dieser Menschengruppe, die jetzt vor mehr als sechs Jahren in Berlin angekommen ist, ausgegeben.

Wir fördern Stellen wie TransVer und andere in diesem Haushalt, die diesen besonderen Versorgungsbedarf gut abbilden. Das heißt, es geht nicht, wie Sie sagen, um ein Entweder-oder. Wir stellen hiermit sicher, dass wir bedarfsorientiert das System ausbauen für jedermann und jedefrau in Berlin in einer besonderen Bedarfslage, in der diese Menschen exorbitant sind. Die anderen Themen der psychiatrischen Versorgung haben wir sowieso auf der Agenda. Auf diesen Dialog freue ich mich im Gesundheitsausschuss, und ich bin froh, dass die Senatsgesundheitsverwaltung diese Haushaltsanmeldung unterstützt hat und wir auch durch entsprechende Runden des Landespsychiatriebeauftragten in Abstimmung mit der Senatssozialverwaltung zu einem schlüssigen Konzept gekommen sind. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Für die AfD-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Mohr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegen Abgeordnete! Wir beraten heute zum zweiten Mal im Plenum einen typisch rot-rot-grünen Antrag. Der Antrag trägt den dramatisch klingenden Titel „Psychosoziale Versorgung Geflüchteter verbessern“. Typisch ist er deshalb, weil es sich zum gefühlt hundertsten Mal um einen durch und durch ideologischen Weltverbesserungsantrag aus dem Wolkenkuckucksheim handelt.

[Beifall bei der AfD]

Frei nach dem Motto: Was können wir Gutmenschen noch alles tun, bis auch die letzten bestehenden Versorgungsunterschiede im Gesundheitssystem zwischen der einheimischen schon länger hier lebenden Bevölkerung und den Millionen zu uns ins Land geströmten Neubürgern restlos beseitigt sind; also Menschen, die sich erstaunlicherweise oftmals über viele tausend Kilometer hinweg durch sichere Drittstaaten hindurch, über EUMitgliedsstaatsgrenzen hinweg bis nach Deutschland ins gelobte Land flüchten konnten?

[Beifall bei der AfD]

Geschätzte Kollegen der Koalitionsfraktionen! Ich weiß, dass, weil es nicht in Ihr Weltbild passt, Sie nicht in der Lage sind, auch nur ein einziges Mal über die Kosten, über die fatalen Auswirkungen Ihres politischen Handelns nachzudenken, z. B. über die inzwischen grundsätzlich angespannte finanzielle Lage unseres Sozialsystems oder über den bereits heute bestehenden gravierenden Mangel in der psychiatrischen Grundversorgung, von der Überforderung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Berlin, seinen gesetzlichen Aufträgen umfassend nachzukommen, ganz zu schweigen.

[Beifall bei der AfD]

Ihre im Antrag formulierten Forderungen wird es nicht umsonst geben. Sie werden Geld kosten, doch das interessiert Sie nicht. Sie wollen offensichtlich noch weitere Versorgungspöstchen für Ihre Klientel schaffen. Sie müssen die Rechnung ja auch nicht bezahlen. Die Rechnung soll einmal mehr der brave deutsche Steuer- und Beitragszahler begleichen.

[Beifall bei der AfD]

Hören Sie endlich damit auf, mit fremden Geldern so unverantwortlich umzugehen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zeelen?

Keine Zwischenfragen. – Ich habe bereits in meiner Rede im vergangenen Mai sehr deutlich gemacht, dass für uns die derzeitigen Versorgungsansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und den gesetzlichen Regelungen

(Thomas Isenberg)

für anerkannte Flüchtlinge völlig ausreichend sind. Ja, Deutschland ist ein sozialer Bundesstaat. So steht es im Grundgesetz. Das heißt für uns aber noch lange nicht, dass hier jeder, der es bis nach Deutschland geschafft hat, die gleichen Gesundheits- und Sozialleistungen beziehen kann wie der langjährige deutsche Steuer- und Beitragszahler.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Carsten Schatz (LINKE)]

Aber genau das scheint mir dem Inhalt dieses Antrags zufolge Ihr eigentliches Endziel zu sein. Wir hingegen finden diese Überlegung gerade aus Verantwortung denjenigen gegenüber, die diesen ganzen Laden hier finanzieren müssen – den Handwerkern, Krankenschwestern und Angestellten – schlicht und ergreifend frech und ungerecht. Der Antrag gehört abgelehnt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Jarasch das Wort.

Ja, Herr Mohr! Diese Neiddebatte, die Sie hier so mühsam anstrengen, läuft, fürchte ich, zu dieser vorgerückten Stunde tatsächlich ins Leere, außer es gibt doch noch die vielen Hunderttausend Zuschauer, die Herr Kluckert vorhin, um Viertel nach acht begrüßt hat. Aber ich bezweifle das. Es schadet der Welt nicht, wenn wir in dem Fall unter uns bleiben.

[Zuruf von Franz Kerker (AfD)]

Dieser Antrag muss deshalb nicht mehr so lange besprochen werden, weil es uns – Frau Schubert hat darauf hingewiesen – gelungen ist, sehr vieles davon inzwischen bereits in den Haushaltsberatungen umzusetzen.

Ich will deswegen nur eine Sache hier noch betonen. Es gibt ganz spezifische Probleme, die bei Geflüchteten auffallen, die aber auch sehr viele andere Menschen in dieser Stadt haben. Bei der psychosozialen Versorgung ist es einfach das Problem Sprache. Therapeutische Behandlung braucht eine gute Sprachmittlung, und die zahlt die Krankenkassen nicht, und zwar nicht nur nicht für Geflüchtete, sondern die zahlen die Krankenkassen grundsätzlich nicht. Deswegen freue ich mich sehr, dass wir jetzt Gelder eingestellt haben, die Innovationen für eine moderne Stadt wie Berlin insgesamt bringen, indem wir nämlich z. B. einen Sprachmittlungspool aufbauen werden, der dann allen Menschen in dieser Stadt, die das brauchen, zugutekommt. In diesem Sinne werden wir weiterarbeiten. Ich freue mich darauf. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –

Vereinzelter Beifall bei der SPD

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Kluckert das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde den Antrag schon ein starkes Stück. Meine Worte sind auch nicht so versöhnlich wie die des Kollegen von der CDU, muss ich sagen. Die FDP-Fraktion in diesem Haus kritisiert seit Jahren die schlechte Versorgung von psychisch und psychiatrisch erkrankten Menschen in dieser Stadt. Dass die Gesundheitsversorgung in diesem Fall ein großer Therapiefall ist, habe ich im Ausschuss schon mehrfach gesagt. Mich erreichen ständig Briefe dazu, wie schlecht die Menschen in dieser Stadt versorgt sind. Das geht los mit Menschen, die keine psychologische oder psychotherapeutische Hilfe erhalten, obwohl sie diese ganz, ganz dringend benötigten. Viele warten über Monate auf einen Therapieplatz. Das geht weiter mit Erkrankten, die in einer psychiatrischen Einrichtung fehlplatziert untergebracht sind, und endet mit den katastrophalen Zuständen in den psychiatrischen Stationen der Berliner Kliniken. Vierbettzimmer sind teilweise so überbelegt, dass Patientinnen und Patienten außerhalb des Zimmers auf Gängen übernachten müssen. Rückzugsorte in Form von Aufenthaltsräumen fehlen gänzlich.

Wie die Situation in den Kliniken aussieht, das können auch hier die Kollegen erahnen, wenn ich Ihnen aus einer Schriftlichen Anfrage zitiere, in der ich abgefragt habe, wie die durchschnittlichen Auslastungszahlen in einem Bereich sind, der besonders sensibel ist, nämlich in der geschlossenen Unterbringung: Vivantes Am Urban durchschnittliche Auslastung 100 Prozent, Evangelisches Krankenhaus Herzberge 101 Prozent, Vivantes Neukölln 102,6 Prozent, Helios 109,8 Prozent, DRK 112,9 Prozent.

Das sind Probleme, die von diesem Senat durch fehlende Krankenhausinvestitionen verursacht sind und von den Kliniken ausgebadet werden müssen, denn – das will ich ausdrücklich sagen – das Verschulden liegt nicht bei den Kliniken und schon gar nicht beim Personal. Dem Personal gilt mein allergrößter Dank, sie gehen tagtäglich über die Grenzen des Möglichen hinaus, sie werden um ihren Schlaf gebracht, während der Senat die Probleme ausschläft.

Ich hatte eingangs erwähnt, dass ich die schlechte Situation ständig kritisiere. Und was bekomme ich vom Senat gebetsmühlenartig als Antwort? – Es kommt immer: Warten Sie doch erst mal die Ergebnisse des Psychiatriebeirats ab, dann werden wir handeln. – Das kommt ständig, nur handeln Sie nicht. Sie sagen uns immer: Sie haben den Beirat ja auch mit eingesetzt, Sie haben ihn mitgewählt, jetzt warten Sie doch einfach mal ab! – Und wir warten ab und sitzen die Probleme aus.

(Herbert Mohr)

[Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]