Protokoll der Sitzung vom 01.10.2020

(Karsten Woldeit)

[Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Es ist so, dass politische Prozesse immer in der Bewegung sind, das ist immer dynamisch. So verändern sich dann auch Entscheidungsprozesse, und ich kann Ihnen heute sagen: Wir werden diesen Antrag nicht ablehnen, wie wir das in den Ausschüssen getan haben. Wir werden uns enthalten. Jetzt werden Sie sagen: Warum enthalten Sie sich denn?

[Dr. Michael Efler (LINKE): Sie können doch auch zustimmen! – Zuruf von Anne Helm (LINKE)]

Ich werde Ihnen gleich sagen, warum wir nicht zustimmen werden, Herr Dr. Efler: Denn es ist Stückwerk, was Sie hier vorlegen. – Herr Lux, den ich, glaube ich, das erste Mal in meinem Leben zitiere – ich hoffe, es kommt nicht so oft vor – war es, der sagte: Wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen. – Das haben Sie nicht getan. Wo ist denn der Antrag zum Wahlrecht ab 16?

[Katrin Seidel (LINKE): Schreiben Sie ihn doch!]

Das wäre konsequent, und das würde auch unsere Unterstützung finden. Ich denke, dieses Stückwerk sollten wir nicht tun, sondern sollten einen großen Wurf machen. Dann sollten wir darüber nachdenken, welche Rechte und Pflichten daraus erwachsen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Dr. Efler?

Ja, gern!

Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter!

Danke schön! – Herr Kollege Fresdorf! Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie als FDP-Fraktion eine Verfassungsänderung für die Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus unterstützen würden?

Herr Dr. Efler! Ich weiß, dass Sie in der Lage sind zu verstehen, was ich sage, auch inhaltlich. Ich habe Ihnen die Beschlusslage unserer Partei deutlich dargestellt. Wir haben eine klare Beschlusslage: Wahlalter 16 Jahre, dem sollte also nichts im Wege stehen.

Aber lassen Sie uns noch einmal kurz zu diesem Antrag und der Debatte darum kommen. Ich glaube, die Kollegen der AfD-Fraktion sitzen da einem riesigen Irrtum auf,

denn es heißt ja nicht, dass alle Bürgerdeputierten in Zukunft 16 Jahre alt sein müssen.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP und der SPD]

Man kann dann auch 16-Jährige zu Bürgerdeputierten machen. Das heißt, die Fraktionen werden sich ganz genau angucken: Wer passt wohin, in welchen Ausschuss? Welche Erfahrungen bringt er oder sie mit? – Dann wählt man die Personen aus und setzt sie als Bürgerdeputierte in den Ausschuss. Das ist ja bei den jetzigen Bürgerdeputierten nicht anders.

Natürlich gibt es Lebenserfahrungen, die 16-Jährige mit uns teilen können. Sie gehen in die Schule, und glauben Sie mir: Wenn Sie als 16-Jähriger in einer Berliner Schule waren, dann können Sie über Missstände im Bildungsbereich ordentlich berichten.

[Beifall bei der FDP]

Sie gehen in Sportvereine, sie bekommen mit, wie unsere Sportplätze verkommen, sie bekommen mit, wie wenig Wertschätzung es dem sportlichen Ehrenamt gegenüber gibt. Sie möchten auch darüber sprechen und berichten; warum nicht auch im Sportausschuss? – Es gibt verschiedene Einsatzmöglichkeiten für junge Menschen in der Politik. Lassen wir ihnen doch die Möglichkeit, mitzugestalten, aber dann bitte in einem großen Wurf und nicht in so einem Stückwerk wie hier heute vorgelegt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Anne Helm (LINKE): Es kann doch ein erster Schritt sein, Herr Fresdorf!]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt drei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! 16- und 17-Jährige haben oft Schwierigkeiten, ihr Zimmer aufzuräumen. Von John Jay, einem der Gründerväter der USA, ist die Aussage überliefert: Diejenigen, denen das Land gehört, sollen es regieren. – Wie steht es da um Berlin? – Die Stadt wird von denen regiert, die sie besitzen wollen, ohne etwas dafür zu leisten. Das beste Beispiel dafür ist die Rigaer Straße.

Wenn heute die Linken, Grünen und die SPD gemeinsam mit der CDU das Mindestalter von Bürgerdeputierten der BVVen auf 16 Jahre heruntersetzen wollen, dann gilt außerdem: Das Land soll auch von beschränkt Geschäftsfähigen regiert werden. Zwar bekommt man den Eindruck von beschränkter Geschäftsfähigkeit ohnehin bei R2G, aber hier kommt eine juristische Komponente dazu,

(Paul Fresdorf)

[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)]

denn laut Bürgerlichem Gesetzbuch haben Personen zwischen 7 und 18 Jahren nur eine eingeschränkte Geschäftsfähigkeit. Die Aufgaben in der BVV sind aber solche, die nur von geschäftsfähigen Bürgern erledigt werden können. Auf den Sitzungen werden Rechtsgeschäfte im Namen der ansässigen Bürger abgeschlossen.

[Sven Kohlmeier (SPD): Die sitzen in den Ausschüssen, nicht in den BVVen!]

Das beinhaltet auch Vorlagen, die von den BVVAusschüssen abgestimmt werden, und dort sollen in Zukunft auch minderjährige Bürgerdeputierte sitzen und abstimmen können. Wenn man der Meinung ist, dass das Alter für das passive Wahlrecht bei Bürgerdeputierten auf 16 Jahre abgesenkt werden soll, müsste man konsequenterweise auch das Alter für die volle Geschäftsfähigkeit auf 16 Jahre absenken, Führerschein, Mietvertrag, Strafmündigkeit – all das.

Die Ehefähigkeit ist auch ein Sonderfall der Geschäftsfähigkeit. Wie stehen Sie denn zu Eheschließungen von Minderjährigen? – Dass die Grünen diejenigen, die zu jung sind, in Erwachsenenangelegenheiten involvieren wollen, hat bei ihnen eine gewisse Tradition. Ihr Parteikollege Cohn-Bendit hat sich bereits dazu geäußert, wie er sich das vorstellt.

Aber wieso macht die CDU dabei mit, Jugendlichen Erwachsenenverantwortung aufzubürden? – Sie nimmt wohl die Aufgaben der Bürgerdeputierten oder die ganze Arbeit in den BVVen nicht so richtig ernst. Oder braucht man Versorgungsposten für Antifa-Kader? – Das würde ja einen gewissen Sinn ergeben. Minderjährige kann man schlecht in den unzähligen linksradikalen Projekten der Stadt anstellen. Die Bürgerdeputation Minderjähriger schließt möglicherweise eine Versorgungslücke für angehende Gewalttäter und Brandstifter.

Einige 16- bis 17-Jährige fühlen sich womöglich durch meine Rede angegriffen. Aber Altersbeschränkungen gehören zu den wichtigsten Mechanismen zum Schutz der Jugend. – Danke!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Antrag auf Drucksache 18/2677 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich – gegen die AfD-Fraktion und die Fraktion der FDP – die Annahme mit Änderungen. Wer den Gesetzesantrag auf Drucksache 18/2677 gemäß der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3019 mit Änderungen annehmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die CDU-Fraktion. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das ist die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Wild. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die FDPFraktion. Damit ist der Gesetzesantrag so angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.6:

Priorität der AfD-Fraktion

Tagesordnungspunkt 32

Eltern sind zur Sorge verpflichtet: Automatisches Sorgerecht für Mütter und Väter – Väter in die Pflicht nehmen und Mütter entlasten

Antrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/2992

In der Beratung beginnt die AfD-Fraktion. Es hat das Wort der Abgeordnete Herr Tabor.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Verehrte Berliner! Die Familienpartei AfD hat ein klares Familienideal: Mutter, Vater, Kinder.

[Beifall bei der AfD]

Selbstverständlich verschließen wir uns nicht den familiären Realitäten unserer Gesellschaft, denn fast ein Drittel aller Kinder, die in Deutschland geboren werden, werden unehelich geboren. Daher sollte das Familienrecht endlich an diese neue Realität angepasst werden. Die Bundesjustizministerin hatte dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt; im November 2019 stellte diese Arbeitsgruppe bereits ihre Ergebnisse vor und forderte unter anderem, dass unverheiratete Väter, deren Vaterschaft rechtlich anerkannt ist, mit Geburt des Kindes wie die Mutter automatisch sorgeberechtigt sein sollen. Im Thesenpapier der Arbeitsgruppe heißt es – ich zitiere:

Mit Etablierung der rechtlichen Elternschaft soll die elterliche Sorge den Eltern gemeinsam zustehen. Die Inhaberschaft der elterlichen Sorge als Teil der elterlichen Verantwortung nach Artikel 6 Absatz 2 GG soll nicht mehr davon abhängen, ob die Eltern bei Geburt des Kindes miteinander verheiratet sind oder nicht.

Zitat Ende. – Dieser Vorschlag wurde in der Arbeitsgruppe einstimmig und ohne Enthaltungen angenommen. Unter anderem wirbt auch der Interessensverband Unterhalt und Familienrecht für diese Forderung.

Die Bundesjustizministerin ist diesem wichtigen Vorschlag allerdings trotz Einstimmigkeit nicht gefolgt – trotz der Empfehlung der Arbeitsgruppe, trotz dessen, dass man ja eine Arbeitsgruppe einberufen hat. Diese Arbeitsgruppe sollte ja feststellen: Was sollte man denn im Familienrecht verändern? – Trotzdem folgt man dieser Arbeitsgruppe nicht; das ist schon bemerkenswert.

Welche Gegenargumente gibt es allerdings? – Frauenverbände warfen ein, ein automatisches Sorgerecht für Väter würde Frauen und Kinder einem großen Risiko aussetzen. Eine Mutter handelt nach guten Gründen, wenn sie den

(Andreas Wild)

Vater ausschließt. – Das ist ein diskriminierender Generalverdacht.

[Beifall bei der AfD]

Das ist Diskriminierung in Reinkultur. Natürlich gibt es Einzelfälle von Gewalt; darüber müssen wir, glaube ich, nicht diskutieren. Die Gesetzgebung aber muss sich am Regelfall orientieren. Ein Gesetz gilt für alle. Familienrechtliche Bestimmungen dürfen in ihrem Sinn und ihrer Logik nicht auf Ausnahmefällen aufgebaut sein. Dies ist nach aktueller Rechtslage jedoch der Fall. Die Ablehnung des automatischen Sorgerechts für Väter bedeutet eine Pauschalverurteilung, die auf einem negativen Männerbild beruht. Der normale Vater darf nicht für die Taten schlecht sozialisierter Väter zur Verantwortung gezogen werden.

[Beifall bei der AfD]