Protokoll der Sitzung vom 01.10.2020

Tja, Herr Ziller! Das entscheiden dann letztlich andere, also Sie zum Beispiel. Wenn Sie aber meine persönliche Position hören wollen: Ich finde, dass es jetzt ausgesprochen schwierig ist. Wenn wir sagen, wir möchten das zentral auf Landesebene steuern, wäre es tatsächlich einfacher, was die Plätze angeht, und möglicherweise auch einfacher, eine Lösung für die Finanzierung hinzubekommen. Das ist allerdings nichts, was man nebenbei macht. Wenn man das möchte, müssten die Bezirke das entsprechende Geld und auch das Personal abgeben.

Ich gebe aber eines zu bedenken, warum die Antwort nicht so einfach ist: All diese Fragen von zentralen Steuerungen werfen auch immer die Frage auf: Erreicht man damit letztlich das, was man eigentlich an Positivem für die Menschen erreichen will? Unsere Bezirke haben die Größe von anderen Großstädten. Jetzt zu sagen, von der Oranienstraße aus, beispielsweise, organisieren wir das jetzt alles in der ganzen Stadt – diese Frage muss man wirklich ernsthaft diskutieren. Da gibt es schon noch viele Probleme.

Dann kommen wir zur CDU-Fraktion. – Herr Dr. Juhnke, bitte schön!

Vielen Dank! – Ich frage den Senat nach seiner Haltung zu der aus der jüdischen Community – artikuliert in der „Jüdischen Rundschau“ – geäußerten Aufforderung, den U-Bahnhof Karl-Marx-Straße aufgrund rassistischer und antisemitischer Äußerungen des Namensgebers umzubenennen. Ich frage nicht nach der Zuständigkeit, diese liegt, wie ich weiß, bei der BVG, ich frage nach Ihrer Haltung.

Der Kultursenator Herr Dr. Lederer! – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Juhnke! Ich glaube, dass Karl Marx wie viele andere Personen der Zeitgeschichte durchaus ambivalent zu bewerten ist.

[Beifall von Martin Trefzer (AfD)]

In Bezug auf den Briefwechsel, der auch veröffentlicht worden ist, kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass er sich darin rassistischer Klischees bedient hat und

dass dort auch antisemitische Stereotypen reproduziert worden sind. Ob man das Werk Karl Marx‘ insgesamt darauf reduzieren kann und daraus jetzt eine Umbenennungsdebatte folgen muss,

[Dr. Hans-Joachim Berg (AfD): Hört, hört! Interessant!]

das, glaube ich, ist dem öffentlichen Diskurs vorbehalten.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Bei Martin Luther geht es!]

Darüber kann man ja ernsthaft diskutieren, wie viele andere Umbenennungsfragen auch diskutiert worden sind. Ich kann jetzt nicht für den Senat insgesamt sprechen, das sage ich explizit, denn wir haben es im Senat so noch nicht diskutiert. Ich bin der Ansicht, das betrifft neben Karl Marx auch andere Personen der Geschichte. Es gibt ja auch die Debatte um den großen Königsberger Philosophen, inwieweit Teile seines Werks rassistische oder kolonialistische Stereotypen reproduzieren. Es käme trotzdem von vornherein keiner auf die Idee, „Kant“ generell überall umzubenennen.

Zwischen dem Abbruch von Denkmalen von Kolonialverbrechern oder Nazis auf der einen Seite und dem Umgang mit Namen durchaus ambivalenter Persönlichkeiten der Zeitgeschichte andererseits besteht noch eine Differenz, und ich bin immer dafür, dass man öffentliche Diskussionen über diese Frage führt und gegebenenfalls auch Kontextualisierungen herstellt.– Ich sage auch ganz offen: Der Senat wird für alle Besorgnisse, Fragen und Bedenken aus der jüdischen Community immer ein offenes Ohr haben. Ich stehe auch für Gespräche zur Verfügung.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Also verstehe ich das richtig, dass Sie es durchaus bedenkenswert finden, auch eine Umbenennung ins Auge zu fassen angesichts solcher Äußerungen, die ja gefallen sind – wo Karl Marx immerhin den Gründer der SPD, Ferdinand Lassalle, als – ich zitiere – „jüdischen Nigger“ bezeichnet hat, wo er sich über andere Leute äußert, die angeblich eine „garstige jüdische Physiognomie“ hätten, und wo er sogar schreibt, dass die Judenemanzipation in ihrer jetzigen Bedeutung die Emanzipation der Menschheit vom Judentum bedeuten müsse, was ja bei einem bürgerlichen oder konservativen Zeitgenossen durchaus dazu geführt hätte, dass ihn spätere Historiker als Wegbereiter des Nationalsozialismus bezeichnet hätten. Ich mache mir das jetzt hier nicht unbedingt zu eigen, ich sage nur: Das ist die mögliche Debatte.

Also halten Sie es durchaus für denkbar, dass auch der Senat bzw. Sie in Ihrer Eigenschaft als Mitglied des Senats eine solche Umbenennungsdebatte befürworten oder durchaus anstrengen könnten?

Herr Dr. Lederer!

Ich habe meine persönliche Position dazu deutlich gemacht. Ich habe gesagt: Es gibt für mich Personen der Geschichte, die sind so eindeutig als Nazis oder als Kolonialverbrecher gewürdigt worden – wenn ich beispielsweise an Wissmann denke –, dass für mich zweifelsohne eine Umbenennung die einzige logische Konsequenz sein kann.

Ansonsten gibt es in der Zeitgeschichte, in der Neueren Geschichte viele Personen mit sehr ambivalenten Haltungen, was sich auch in dem Briefwechsel beispielsweise bei Karl Marx ausdrückt.

[Marc Vallendar (AfD): Er war ein antisemitischer Kommunist! Dann ist es ja in Ordnung!]

Sie sind, glaube ich, jetzt gerade nicht dran.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Und Karl Marx‘ Werk und Karl Marx‘ Persönlichkeit auf diese von Ihnen gerade vorgelesenen Zitate zu reduzieren, halte ich für etwas überzogen, und ich glaube auch, dass aus diesen Zitaten nicht unbedingt automatisch eine Umbenennungspflicht erfolgt. Kontextualisieren soll man das, man soll auch diese Perspektive marxschen Wirkens, finde ich, in einem öffentlichen Diskurs kenntlich machen und auch diskutieren, und man muss dazu auch eine klare Haltung haben, die habe ich auch, ich habe es ja gesagt.

Ob Karl Marx ein Antisemit ist, ja oder nein, darüber wird intensiv diskutiert. Es gab beispielsweise in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ eine Kontroverse, deren einer Vertreter Professor Micha Brumlik, deren anderer Vertreter Hauke Brunkhorst war, in der Micha Brumlik zu dem Ergebnis kommt, dass er aus den Texten tatsächlich ableitet, dass Karl Marx ein Antisemit gewesen sei; Hauke Brunkhorst kommt mit guten Argumenten zum entgegengesetzten Ergebnis.

Lange Rede, kurzer Sinn: Man wird über Personen der Geschichte immer auch streiten können, und man wird selten bei Menschen, die vor 100, 200 oder 300 Jahren gelebt haben, eine moderne, demokratische Haltung finden. Das liegt in der Natur der Sache, denn sie waren Genossen ihrer Zeit – Zeitgenossen ihrer Zeit. Vor diesem Hintergrund bin ich kein Freund von Bilderstürmerei, sondern sage da – –

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ja, alles klar! Bei denen auf einmal! Zurufe von Ronald Gläser und Marc Vallendar (AfD)]

Sie haben irgendwie ein Problem, oder?

(Bürgermeister Dr. Klaus Lederer)

[Stefanie Fuchs (LINKE): Da gibt’s bestimmt was von Ratiopharm! – Frank-Christian Hansel (AfD): Ja, mit Ihnen! Ist doch alles Kontext; was Sie da reden, ist doch dummes Zeug!]

Ohne Quatsch – Sie haben irgendein Problem, also ein Benehmensproblem.

Der Senator hat das Wort zur Beantwortung der Nachfrage.

Also: Da, wo eine Person explizit dafür gewürdigt worden ist, dass sie Haltungen vertreten hat, die mit unserem heutigen Denken in keiner Weise mehr konform sind – Nazis, Antisemiten, Kolonialverbrecher, auch Stalinisten –, finde ich, da kann man nicht nur darüber diskutieren, sondern da ist eine Umbenennung die logische Konsequenz.

Bei Persönlichkeiten, die durchaus ambivalenter einzuschätzen sind und die durchaus ein vielfältiges und auch ambivalentes Werk und eine ambivalente Haltung verkörpern, da, finde ich, ist eine Umbenennung keine Zwangsläufigkeit, und in dem konkreten Fall, glaube ich, wäre eine Umbenennung auch Geschichtstilgung, und man würde sich damit genau die Ambivalenzen auch im Stadtbild und in der öffentlichen Debatte versuchen vom Hals zu halten, und das, finde ich, ist eigentlich dem Umgang mit Geschichte, die ja immer widersprüchlich ist, nicht angemessen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN Frank-Christian Hansel (AfD): Dann ist die Martin-Luther-Debatte erledigt?]

Die zweite Nachfrage kommt jetzt von Herrn Abgeordnetem Gläser von der AfD-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Vielen Dank, Herr Senator! Kann ich Ihre Ausführungen zusammenfassen mit: Wenn wir es machen, ist es kein Antisemitismus?

[Anne Helm (LINKE): Oh Mann!]

Nein!

Damit ist auch die Nachfrage beantwortet.

Und wir kommen jetzt zur Fraktion Die Linke. Herr Schulze hat das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Wir hatten ja in den Fraktionen zum Teil Besuch von den Streikenden der Charité. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat, wie der Senat sichert, dass sich die Beschäftigten der Charité an den aktuellen Streiks um eine bessere Bezahlung beteiligen können und insbesondere eine Notdienstvereinbarung dort ermöglicht wird. – Danke schön!

Der Regierende Bürgermeister antwortet.

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Sie wissen, dass uns das in Senat und Parlament gemeinsam seit Langem beschäftigt, wie wir die Situation verbessern können, aber es gibt jetzt natürlich auch zwischen den Sozialpartnern nun eine Auseinandersetzung, die in Tariffragen ja auch üblich ist, und wo man dann sehen muss, wie die Einigung möglich sein wird. Wir haben eine moderierende Rolle in den ersten ein, zwei Verfahrensschritten übernommen. Staatssekretär Krach hat zwischen den Partnern moderiert und vermittelt. Wir werden sehen, wie die Gespräche jetzt weitergeführt werden, gegebenenfalls auch mit einem externen Schlichter.

Richtig ist, dass wir an unserem Ziel festhalten, die Einkommenssituation für die CFM-Beschäftigten deutlich zu verbessern. Wir sind auf dem Weg. Wir werden den Weg auch weiter gehen. Wir müssen sehen, wie wir das jetzt auch mit der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, die ja nun mal auch eine Rolle spielt, in Einklang bringen können.

Ich will an dieser Stelle hinzufügen, dass uns das im Aufsichtsrat letzte Woche schon auch beschäftigt hat, dass es hier eine Streikankündigung in Bezug auf Intensivstationen gegeben hat. Ich hoffe, dass das auch noch einmal selbstkritisch in den Verdi-Gremien diskutiert wird, weil ich denke, dass gerade in dieser Krisensituation, in der wir sind, wo so viele Menschen Vertrauen in die medizinische Leistungsfähigkeit unserer Institutionen haben müssen, ein solcher Streik an dieser Stelle doch sehr zweifelhaft ist. Eine Auseinandersetzung, natürlich entsprechende Maßnahmen der Gewerkschaften sind zu akzeptieren. Sie gehören zu einem Tarifkampf und zu einer Tarifauseinandersetzung mit dazu. Ich hoffe aber sehr, dass es mit Augenmaß umgesetzt wird.

(Bürgermeister Dr. Klaus Lederer)

Herr Schulze! Sie wollen bestimmt eine Nachfrage stellen. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Verdi hat ja angekündigt, verantwortungsvoll zu streiken. Würden Sie mir zustimmen, dass, wenn ein Streik wie jetzt zum TVÖD angekündigt ist und die Intensivstationen nicht bestreikt werden, dann die anderen Stationen die Möglichkeit haben müssen, zu streiken, und dies auch über eine Notdienstverordnung abgesichert werden sollte?

Herr Regierender Bürgermeister!

Ja, da stimme ich Ihnen zu.