Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

(Zuruf der Abg. Christa Vossschulte CDU)

Meine Damen und Herren, wenn Sie eine ordentliche Anhörung durchgeführt hätten, dann hätten Sie sehr schnell festgestellt, dass es gegen Ihren Gesetzentwurf ganz erhebliche Vorbehalte gibt. Ich will hier einmal die Direktorenvereinigung Südwürttemberg zitieren. Die sagen zwar, dass sie durchaus für eine Vereinfachung sind, sagen aber andererseits – ich zitiere –:

Auf dem Hintergrund der in Deutschland bestehenden Schulpflicht, der notfalls polizeilichen Erzwingung des Unterrichtsbesuchs, erscheint der (vereinfachte) Schulausschluss als Erziehungsmaßnahme sehr fragwürdig.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Vor allem sagen sie auch, und das ist ganz entscheidend:

Wir erwarten deshalb nicht nur ein Instrumentarium, das als Ultima Ratio eingesetzt werden kann, sondern auch eine personelle Ausstattung der Schulen, die es ihnen erlaubt, denjenigen Schülerinnen und Schülern kompetent zu helfen, die schwere Probleme haben. Dies sehen wir in diesem Zusammenhang als unsere erste Aufgabe an. Hier sind die Gymnasien in aller Regel schlecht ausgestattet.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Lesen Sie den nächs- ten Satz auch noch vor!)

Meine Damen und Herren, das ist nämlich genau der Punkt. Die Schulen, die Schulleiter in diesem Land verlangen in erster Linie Unterstützungssysteme – –

(Glocke der Präsidentin)

Frau Rastätter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Moment! Ich möchte meinen Satz bitte zu Ende führen. – Die Schulen, die Schulleiter und die Eltern verlangen in erster Linie von uns, von den politisch Verantwortlichen, Unterstützungssysteme, Hilfemöglichkeiten, Konzepte, die in Sachen Prävention wirksam werden, sodass so gut wie überhaupt nicht mehr zu solchen Ultima-Ratio-Methoden gegriffen werden muss. Das ist unsere ureigene Aufgabe.

(Beifall bei den Grünen)

Ich möchte das an einem Beispiel noch einmal klarstellen. Gerade gestern stand ein Bericht über eine Hauptschule in Oberderdingen in der Zeitung. Dort haben die Lehrerinnen und Lehrer gesagt: „Schulschwänzereien, nicht gemachte Hausaufgaben, brutale Prügeleien gehören zur Tagesordnung. Bei uns ist die Welt nicht mehr in Ordnung.“ Und was hat die Schule gemacht? Sie haben nicht nach einer Vereinfachung des § 90 des Schulgesetzes gerufen, sondern sie haben sich auf den Weg gemacht und haben erreicht, dass der Landkreis ihnen die Schulsozialarbeit finanziert.

Frau Rastätter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Kleinmann?

Im Anschluss an meine Rede gerne.

Das heißt für uns: Wir müssen in diesem Bereich mehr tun. Wenn Sie eine Anhörung durchgeführt hätten – das sage ich noch einmal –, dann hätten Sie sich mit diesen Dingen auseinander setzen müssen. Herr Kleinmann, ich gebe zu, Sie haben es in Ihrer Rede ansatzweise thematisiert.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Eben!)

Aber dann hätten Sie sich intensiver damit beschäftigen müssen. Denn, meine Damen und Herren, es ist einfach, das Schulgesetz im Landtag mit einer Mehrheit zu ändern, aber es ist schwierig und es gehört viel Kraft und Energie dazu, solche Hilfekonzepte zu entwickeln, die den schwierigen Problemlagen von Kindern gerecht werden.

Was ist für uns jetzt der wichtigste Punkt? Frau Vossschulte, Sie haben in der letzten Plenarsitzung gesagt, dass es sechs bis acht Wochen dauern kann, bis eine Strafe greift, wenn alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, und Sie haben auch noch Ferienabschnitte dazugerechnet. Das sind aber die extremsten Ausnahmefälle. Ich denke, es ist richtig, zu sagen, wir müssen auch in solchen Fällen zubilligen, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht, wenn es um schwerwiegende Entscheidungen für die persönliche, schulische und spätere berufliche Entwicklung von Kindern geht.

Entscheidend für unsere Ablehnung ist allerdings, dass wir nicht wollen, dass die Kompetenz zur Verhängung schwerer Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen vom Kollegium auf den Schulleiter übergeht. Die Lehrer sind zuständig für Bildungs- und Erziehungsaufgaben. Wenn sie für Erziehungsaufgaben zuständig sind, müssen sie auch die Verantwortung für die Ordnungsmaßnahmen tragen. Das ist ihre ureigene pädagogische Aufgabe. Deshalb werden wir diesem Schulgesetzentwurf nicht zustimmen.

(Beifall bei den Grünen)

Frau Rastätter, gestatten Sie nun die Zwischenfrage des Herrn Abg. Kleinmann?

(Abg. Alfred Haas CDU: Eine Nachfrage! Eine Nachfrage ist keine Zwischenfrage!)

Ich habe drei Nachfragen.

Die erste ist eine Bitte. Sie haben sehr schön aus dem Brief der Direktorenvereinigung zitiert. Genau dort, wo der entscheidende Satz kommt – ich habe das gleiche Schreiben ja auch bekommen –, dass die Direktorenvereinigung mit der Straffung des § 90 des Schulgesetzes einverstanden ist, haben Sie aufgehört zu zitieren. Ist dieser Satz in Ihrem Brief enthalten, oder steht er bei Ihnen nicht drin?

(Abg. Kiefl CDU: Sehr gute Frage! – Beifall des Abg. Kiefl CDU)

Die Antwort ist gegeben.

Renate Rastätter GRÜNE: Ich sage gleich etwas dazu.

Die zweite Frage – Sie haben es nur andeutungsweise dargelegt –:

(Zuruf von der SPD)

Ist Ihnen klar, dass die Schulsozialarbeit, die Sie eben erwähnt haben, durch unsere gemeinsame Arbeit in der Jugendenquetekommission verstärkt in das Blickfeld genommen worden ist und dass wir nicht nur im letzten, sondern auch in diesem Doppelhaushalt verstärkt für Schulsozialarbeit, und zwar brennpunktorientiert, Geld eingestellt haben?

(Abg. Zeller SPD: Sie reduzieren doch die Gelder für die Schulsozialarbeit!)

Und drittens: Ist Ihnen klar, dass wir also die Änderung des § 90 des Schulgesetzes nur unter Einbeziehung der Jugend

ämter machen wollen, um damit eine bestimmte Abfederung zu erreichen?

Ganz kurz zu Ihren drei Fragen: Der Satz steht in der Tat drin. Ich habe aber gesagt: Er wird relativiert durch die Aussage, dass eine Vereinfachung äußerst fragwürdig ist, weil sie mit der staatlichen Schulpflicht kollidiert.

Zur zweiten Frage bezüglich der Schulsozialarbeit: Selbstverständlich bin ich mir dessen bewusst, dass wir das gemeinsam gemacht haben. Durch die Enquete sind Sie überhaupt erst einmal so weit gekommen, der Schulsozialarbeit zuzustimmen. Wir Grünen haben die Schulsozialarbeit schon Jahre vorher in diesem Hause vergeblich eingefordert. Wir müssen aber sehen, dass über 250 Maßnahmen beantragt sind und sehr viel weniger von Ihnen genehmigt und finanziell unterstützt werden.

Zur dritten Frage: Der Einbeziehung der Jugendhilfe stimme ist selbstverständlich zu. Es gibt im Gesetzentwurf einige Teilaspekte, das sage ich hier auch noch einmal, die ich gut finde und denen wir auch zustimmen werden.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Vossschulte.

Liebe Frau Kollegin Rastätter, dieser Satz wird natürlich nicht durch die folgende Aussage relativiert, sondern die folgende Aussage ist etwas anderes. Das muss man schon auseinander halten. In der folgenden Aussage geht es darum, ob ein Schulausschluss an sich eine sinnvolle Maßnahme ist. Das ist eine ganz andere Frage. Zunächst ging es um die Straffung von Verfahrensweisen.

Nun kann man sich trefflich darüber streiten, ob der Schulausschluss eine sinnvolle Maßnahme ist. Aber wir haben im Gesetz stehen, dass die Jugendhilfe damit befasst wird. Also wird ja der Jugendliche nicht vor die Tür gesetzt und ihm wird nicht gesagt: „Jetzt sieh zu, was du machst“, sondern er bekommt jemanden an die Hand, mit dem die Schule abspricht, was zu tun ist. Es kann zum Beispiel bei einem Oberstufenschüler ganz sinnvoll sein, zu sagen: „Sie schließe ich jetzt einmal zwei Wochen aus. Sehen Sie zu, wie Sie an Ihren Unterrichtsstoff kommen“, damit er merkt, dass es auf Prüfungen zugeht. Hier muss man schon sehr stark differenzieren und darf nicht alles über den gleichen Kamm scheren.

Ich bitte Sie vor allen Dingen darum, die Aussagen in dem Schreiben der Direktorenvereinigung Südwürttemberg genau zu lesen. Dahinter steht nämlich volle Zustimmung.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Schavan.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die vorgeschlagene Novellierung des § 90 des Schulgesetzes hilft – das haben wir alle schon bei der ersten Lesung der Novellierung betont – in den ganz wenigen ausgesprochen

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

schwierigen Situationen des Schullebens, in denen alle vorher versuchten Wege der Konfliktlösung nicht gegriffen haben.

Zweitens: Die vorgeschlagene Novellierung trägt zur Vereinfachung, zur Beschleunigung und zur Klarheit bei.

Drittens: Sie stärkt die Schule vor Ort und im Kontext der Schule auch die Leiterinnen und Leiter unserer Schulen. Beides ist im Sinne der viel zitierten größeren Selbstständigkeit unserer Schulen. Deshalb rate ich uns auch sehr, jetzt nicht in einem nächsten Schritt zu überlegen, was alles von dem, was die Schule in diesem Zusammenhang tut, möglicherweise doch wieder an die Schulverwaltung gehen soll. Die Frage der Konfliktlösung in einem pädagogischen Kontext muss vor Ort geklärt werden