Protokoll der Sitzung vom 12.07.2012

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Wieso, hat der Bund zu viele Schul- den gemacht? Das verstehe ich jetzt nicht!)

Wenn man sagt, wir haben jetzt ein großes Problem mit diesen Schulden und müssen es lösen, dann sagt man, jetzt müssen wir noch mehr als vorher gegen Steuergeschenke auf Bundesebene ankürzen. Wir wissen alle, dass das nicht funktioniert. Wir spüren heute schon, dass selbst die Konsolidierungsvereinbarungen mit dem Bund, die wir oder die Sie eingegangen sind, Gefahr laufen zu scheitern.

Selbst wenn Sie auf dem Papier rechnerisch hinkommen, wissen Sie auch, dass Sie mit jedem Haushaltsjahr in irgendeiner Weise die Probleme in diesem Land verschärfen und nicht lösen. Deswegen ist überbordendes Schuldenmachen und nicht dafür zu sorgen, dass öffentliche Ausgaben durch Einnahmen gedeckt sind, ein riesiger politischer Fehler. Es ist genauso ein Fehler, jetzt so zu tun, als müsste man nur

beschließen, einfach keine Schulden mehr zu machen, und schon gibt es keine Probleme mehr. Die Schuldenbremse ist genauso falsch, wie Schulden zu machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen gibt es meines Erachtens und nach Auffassung meiner Fraktion überhaupt keine Not, irgendeine Form von Schuldenbremse in die Landesverfassung zu schreiben. Es gibt einen Konsolidierungspfad, wenn man diesen politischen Weg unbedingt gehen will.

Wir haben eine sehr umstrittene Entscheidung, die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufzunehmen. Wir wissen in diesem Haus alle, dass es auch interessante Debatten darüber gibt, inwieweit dieser Teil des Grundgesetzes anderen Teilen entgegensteht. Die Themen Haushaltsautonomie und Sozialstaatsgebot haben wir hier schon diskutiert!

Jetzt zu sagen, wir schreiben das eben auch in unsere Verfassung, ist vollständig unverständlich. Was für eine Form von Not gibt es, das zu tun? Es gibt Vereinbarungen, die wir haben, man kann dem Konsolidierungspfad folgen, wenn man ihn hervorragend findet, man kann sagen, wir haben die Schuldenbremse im Bund, das reicht. Jetzt etwas in die Landesverfassung aufzunehmen, das dies für künftige Generationen festschreibt, halte ich für einen Fehler.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das ist ja der Zweck daran! Genau das!)

Sie wollen die Neuverschuldung verbieten, weil das in der Vergangenheit Ihrer Meinung nach dazu geführt hat, dass es zu viele Schulden gibt. Sie wollen aber auch verbieten, dass dieses Land Investitionen tätigt, die in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass es nicht ganz so schlimm gekommen ist wie anderswo. Infrastrukturinvestitionen bis hin zum umstrittenen Space Park, wie sie in den letzen zwölf Jahren hier gemacht worden sind, sind dann nicht mehr möglich. Dann sagen Sie, in Ordnung, dann geht es eben nicht mehr.

Dann ist es aber auch nicht mehr möglich, in die Infrastruktur oder den ökologischen Umbau zu investieren, also Investitionen, bei denen völlig klar ist, dass sie auf lange Sicht eine gesellschaftliche Rendite bieten. So etwas zu verbieten, ist schlicht Unsinn und legt einem Fesseln an, weil man selbst nicht mehr den Mut hat, die eigenen politischen Entscheidungen anderswo zu verantworten. Deswegen finde ich diese Form von Schuldenbremse nicht richtig, und natürlich werden wir dem nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt Ausnahmetatbestände: außergewöhnliche Notsituationen, Naturkatastrophen und Ähnliches! Ich

habe einmal eine Frage: Was ist eigentlich mit den gewöhnlichen Notsituationen? Wir haben in Bremen eine ganze Menge gewöhnlicher Notsituationen, die wir unter Umständen an der einen oder anderen Stelle aus Notwehr, wegen mangelnder und zurückgehender Einnahmen auch durch Schulden lösen müssen. Dieser Frage entziehen Sie sich, weil Sie sagen, in Zukunft ist das verboten. Wir brauchen nicht mehr darüber nachzudenken, ob wir möglicherweise sinnvolle Investitionen in dieses Land auch mit Krediten finanzieren oder nicht, denn Sie wollen es schlicht verbieten. Es gibt keinen vernünftigen Grund, diese Schuldenbremse zu beschließen, und es gibt erst recht keinen vernünftigen Grund, sie überhaupt in die Verfassung aufzunehmen. Es ist mir völlig unverständlich, warum wir diese Debatte hier führen, und ich bin sehr dafür, dass wir es einfach sein lassen

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Ihre Rede bestärkt mich sehr darin!)

und diese Form der Schuldenbremse nicht in die Landesverfassung aufnehmen. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Liess.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Jetzt erst recht!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihr Beitrag, Herr Rupp, verleitet mich dazu, noch kurz etwas zu sagen. Ich finde es schon beeindruckend, dass Sie auf der einen Seite mit dem Urteil des Staatsgerichtshofs argumentieren, aber auf der anderen Seite das, was der Staatsgerichtshof gesagt hat, nicht zur Kenntnis nehmen. Der Staatsgerichtshof hat deutlich gesagt: Gerade weil die grundgesetzliche Schuldenbremse gilt und es die Vereinbarung mit dem Stabilitätsrat gibt, sollen hier bestimmte Wege begangen werden.

Daher, denke ich, führt auch in der rechtlichen Situation kein Weg daran vorbei, dass dieser Weg jetzt auch gegangen werden muss. Im Übrigen entspricht die Äußerung, die Sie getätigt haben, dem, was man an anderer Stelle in der Presse bei den Kritikern der Schuldenbremse hat lesen können, nämlich dass die Schuldenbremse eine Zukunftsbremse sei.

(Abg. R u p p [DIE LINKE]: Ja, natürlich!)

Genau, Sie bestätigen es jetzt auch noch einmal! Herr Rupp, dann sollten Sie sich aber bitte den Bremer Haushalt noch einmal anschauen und sich fragen, ob die Schuldenbremse wirklich eine Bremse ist, oder ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

ob nicht die hohen Zinslasten die Bremse sind, die die Handlungsfähigkeit des Staates einschränken,

(Beifall bei der SPD)

und dass jeder Weg, der dazu führen kann, die Zinsen zu senken und die Handlungsfähigkeit herzustellen, im Übrigen – da sind wir uns ja einig – mit Steuererhöhungen verbunden ist und dazu beiträgt, die Situation in Bremen zu stabilisieren.

In einem Punkt gebe ich Ihnen durchaus recht, denn die Schuldenbremse ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist auch für unser Bundesland Bremen die Altschuldenproblematik. Wenn wir im Jahr 2020 dazu kommen, keine Kredite, keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, werden wir noch immer das große Problem der Altschulden haben. Das ist die andere Seite der Medaille und die andere Baustelle, an der gearbeitet werden muss.

Dazu hat, wie ich finde, der Bürgermeister von Hamburg einen klugen Vorschlag unterbreitet, über den man zumindest einmal befinden sollte. Das ist der zweite Punkt, der geregelt werden muss, damit wir in Bremen insgesamt in eine gesicherte Zukunft gehen können. – Danke!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rupp.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Liess, selbstverständlich finde ich es nicht richtig, dass die öffentliche Hand Zinsen in der Höhe an Banken bezahlt. Ich finde es aber auch nicht richtig, und es wird künftigen Generationen auch nicht gerecht, wenn wir ihnen gesellschaftliche Verhältnisse aufbürden, die man mit Geld nicht mehr reparieren kann. Deswegen stelle ich diese Form von sozialen Schulden und Zinsen, die künftige Generationen zu bezahlen haben, über fiskalische Zinsen und Schulden, weil man diese in der Tat durch Einnahmeerhöhungen bezahlen kann. Aufgrund dessen finde ich es nicht richtig, dass man diese Sachen gegeneinanderstellt, denn natürlich bedeutet es ein Problem. Die Schuldenbremse löst dieses Problem auch noch nicht, das haben Sie gerade richtigerweise gesagt. Trotz Konsolidierungspfad und Neuverschuldungsverbot werden wir – bis irgendwann im Jahr 2050 oder 2060 diese Schulden abgetragen sind, wenn wir Glück haben – Zinsen bezahlen.

In der Tat, der einzige Weg, diese Zinsen nicht mehr zu bezahlen, ist, eine Altschuldenregelung zu finden und so etwas wie Eurobonds zu organisieren und die Möglichkeit zu schaffen umzuschulden und mögli––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

cherweise günstigere Zinsen zu erwirken. Das ist der vernünftige Weg, uns von diesem Problem zu befreien. Damit lösen wir noch nicht die andere Seite der Medaille, nämlich die Probleme, die wir bekommen, wenn wir eine Schuldenbremse praktizieren. – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident! Vielen Dank für die letzten Bemerkungen, Kollege Rupp, weil sie genau zeigen, was eigentlich das Wesen dieser Verschuldungspolitik ist, dass wir in den letzten zehn bis 20 Jahren und auch davor Schulden gemacht haben, dass aber Menschen, die im Jahr 2040 aufwachsen, leben, Verantwortung tragen, diese noch abtragen müssen. Genau das ist das Problem. Wenn wir Ihnen folgen würden, würden wir die Lasten ja immer noch erhöhen, das ist doch das Problem!

(Abg. R u p p [DIE LINKE]: Dann wären die Schulden bis 2030 bezahlt!)

Wir müssen doch irgendwann aus dieser Spirale herauskommen. Genau das ist das Problem, dass eine Generation Schulden aufnimmt, und die andere muss sie bezahlen. Dieses Problem haben wir jetzt schon, und das würden wir nach Ihrem Weg noch verstärken.

Eine Sache, die sicherlich in der Debatte und auch hier eine Rolle spielen wird, möchte ich noch gern erwähnen, nämlich den Zusammenhang der Schuldenbremse mit der Einnahmesicherung. Da sind wir uns ja weitgehend einig, auch, was die Steuerpolitik und die Zukunft angeht. Wir wollen einen neuen Artikel 131 c aufnehmen, damit wir sicher sein können, dass wenigstens von der Verfassungslage her zukünftige Regierungen, Parlamente daran gebunden sind, auch für die Einnahmesicherung zu sorgen. Er soll den Wortlaut haben: „Zur Erfüllung der Verpflichtung gemäß Artikel 131 a“, und so weiter, das ist diese neue Schuldenbremse, „wirken Bürgerschaft und Senat auf eine aufgabengerechte Finanzausstattung des Landes hin. Der Senat ist verpflichtet, bei seiner Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung und in Angelegenheiten der Europäischen Union sein Handeln am Ziel der Einnahmesicherung auszurichten.“

Das ist eine Selbstbindung. Auch dies ist eine Selbstbindung in die andere Richtung, dass wir uns in die Lage versetzen, je nachdem, was wir dazu beitragen können, Einnahmen so zu generieren, dass die Aufgaben des Staates wahrgenommen werden können. Das gehört beides zusammen. Dieser Teil ist sicherlich schwierig, aber, ich glaube, wenn ich es richtig beobachtet habe, hat die Diskussion um die Verschuldung und ihre Gefahren auch mit dazu beigetragen,

dass eine Partei wie die FDP, die allein das Thema hatte, Steuern zu senken, in der öffentlichen Meinung so isoliert worden ist, dass eigentlich niemand, glaube ich, zur nächsten Bundestagswahl ernsthaft mit dem Programm antreten wird, im großen Maßstab Steuern zu senken; im Gegenteil, große Parteien treten mit dem Versprechen an, wir werden Steuereinnahmen erhöhen, und dafür werden sie gewählt, weil die Bürger das inzwischen einsehen. Auch zwischen diesen Punkten gibt es einen inneren Zusammenhang. Deswegen wollen wir diesen neuen Artikel 131 c aufnehmen, damit wir auch selbst unsere Bindung an diese Politik deutlich machen. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Kuhn, ich halte Ihrer Fraktion zugute, dass sie nicht neun Milliarden Euro Sanierungsbeihilfe aus den Neunzigerjahren in sinnlose Projekte versenkt hat, das muss ich vorweg sagen. Was Sie aber hier jetzt für die zukünftigen Generationen entwickelt haben, ist ja faktisch schon längst vorhanden. Im Grunde hat ja – unabhängig von diesem Versenken von neun Milliarden Euro Sanierungsbeihilfe der Großen Koalition – auch die Große Koalition schon die Ausgaben für öffentliche Leistungen gesenkt. Die Neuverschuldung ist aber nicht gesunken, sie hat stetig zugenommen und nimmt auch jetzt noch zu. Wir haben kein Problem der nächsten Generation. Es waren gestern nicht 1 800 Leute auf dem Marktplatz, weil wir hier eine Situation haben, dass die öffentlichen Bereiche üppig ausgestattet wären, das sind sie nämlich nicht. Da muss man doch einmal schauen!

Wir haben im Moment keine steigenden Einnahmen. Wir wissen auch noch nicht, ob und zu welcher Zeit wir sie nach einem Regierungswechsel im Bund haben werden. Wir haben eventuell durch die europaweite Einführung der Schuldenbremse eine Lage, bei der deutsche und auch bremische große Arbeitgeber in eine Situation geraten können, wo sie einer Rezession gegenüberstehen, weil sie nämlich überwiegend in das europäische Ausland exportieren, wo dann aber vielleicht auch nicht mehr die Mittel zur Verfügung stehen, deutsche Waren zu importieren. Das heißt, wir haben vielleicht sogar real die Gefahr sinkender Einnahmen.

Sie haben das in Ihrer Schuldenbremse ja moderat mit hineingenommen, das ist ja auch der große Unterschied zu dem Vorschlag der CDU, das gestehe ich Ihnen auch zu, aber ich glaube, dass der Weg zu sagen, wir verweisen auf die zukünftigen Gene––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

rationen, jetzt akut ein paar Generationen – zumindest drei Generationen von Schülern und auch einige Generationen von Menschen, die von fehlender Ausstattung der Polizei und Feuerwehr betroffen sind – einfach auf der Strecke lässt. Das ist der Grund, weshalb wir sagen, das ist ein falscher Weg, und so funktioniert es nicht. – Danke schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Vogt, man kann ja über die Frage, wie man Einnahmen und Ausgaben in einem Gemeinwesen auf die gleiche Höhe bringt, unterschiedlicher Auffassung sein. Da leistet Ihre Partei auch immer viele Beispiele: Vermögenssteuer, Sonderabgabe hier und Sonderabgabe da! Dass Sie zumindest bei Teilen der Bevölkerung an der Einnahmenschraube kräftig nach oben drehen wollen, ist doch klar. Die Frage ist aber doch ehrlicherweise nicht, wie viele Einnahmen wir generieren können, um unsere Ausgaben in den Griff zu bekommen, sondern die Frage, über die wir heute diskutieren, ist, wollen wir es in Zukunft zulassen, dass wir laufende Ausgaben über Schulden finanzieren. Die SPD, die CDU und die Grünen sagen, wenn auch mit Nuancen, nein, wir wollen das in Zukunft nicht mehr, weil es uns in Deutschland, in Europa, auch in Bremen in ein Dilemma geführt hat, aus dem wir wahrscheinlich nur mit großer Anstrengung und in Bremen nicht einmal mehr aus eigener Kraft wieder herauskommen. Das ist ja die Wahrheit. Jetzt sagen Sie, Nein, ich will das nicht, aber Sie sagen überhaupt nicht, was Ihre Alternative ist.

(Zuruf des Abg. R u p p [DIE LINKE])