Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Prophetisch!)

Wir hatten heute eine Sondersitzung der Innendeputation, in der unter anderem auch die Hausbesetzung am letzten Freitag Thema war, und da hat sich gezeigt, dass die, wie die Polizei einschätzt, linksautonome Szene doch mit großer Gewalt gegen eingesetzte Polizisten vorgegangen ist. So gesehen ist dieses Thema heute unter dieser bezeichneten Aktualität zu sehen.

Ich möchte aber zunächst auf einige Zahlen in der Antwort des Senats hinweisen. Der Senat hat deutlich gemacht, dass im Jahr 2011 bundesweit eine Steigerung von 11,2 Prozent politisch motivierter Straftaten auf insgesamt immerhin über 30 000 Straftaten gegenüber dem Jahr 2011 zu registrieren war. Dabei ist insbesondere die Zahl der politisch motivierten Gewaltstraftaten im selben Zeitraum sogar um fast 18 Prozent, nämlich auf über 3 100 Straftaten, gestiegen.

Nun schauen wir uns Bremen an. In Bremen hat sich die Zahl politisch motivierter Straftaten im Jahr 2011 im Vergleich zum Jahr 2010 sogar um über 80 Prozent erhöht, und zwar von 220 auf 399 Straftaten, nur damit man auch einmal die absoluten Zahlen gehört hat. Der Senat begründet diese Steigerung um 80 Prozent mit der Bürgerschaftswahl, die wir im Mai 2011 hatten. Ich finde, solch eine Begründung ist ausgesprochen schwach, denn die Bürgerschaftswahl darf nicht als Begründung dafür herhalten, wenn linksoder rechtsextremistische Straftaten zunehmen. Das, glaube ich, beruht auf Ursachen, die wir in unserer Gesellschaft haben.

Wer waren die Täter? Die Täter waren nach Aussage des Senats zu 60 Prozent im linksmotivierten Straftatenbereich angesiedelt. Dort gab es auch die höchste Steigerung, nämlich um 60 Prozent von 96 auf 241 Straftaten. Im rechtsmotivierten Straftatenbereich gab es eine Steigerung von 33 Prozent, von 113 auf 132 Straftaten, und auch der nicht zu unterschätzend Salafismus, also politisch motivierte Ausländerkriminalität, hatte einen Anteil von sieben Pro––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

zent in Bremen, das ist eine Steigerung von 11 auf 26 Straftaten.

Ich möchte zunächst einen Blick darauf werfen, welche Straftaten nach Angaben des Senats von welcher Gruppe am häufigsten begangen werden. Aus dem linksextremen Bereich sind insbesondere die Körperverletzungsdelikte – das hat sich, ich hatte es eingangs gesagt, auch am letzten Freitag so dargestellt – häufig gegen Polizeibeamte, der Landfriedensbruch und die Sachbeschädigung von großer Bedeutung. Auf der Seite der rechtsextremen Straftäter sind es die Propaganda- und Volksverhetzungsdelikte. Meine Damen und Herren, ich unterscheide hier jetzt zwar in meiner Rede zwischen Links- und Rechtsextremismus, ich betone aber ausdrücklich, für die CDU-Fraktion sind beide extremistischen Lager gleichermaßen zu verurteilen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir uns darauf konzentrieren, welche Folgen das Verhalten hatte, und zwar egal, ob es aus dem rechten oder linken Lager gekommen ist, dann müssen wir konstatieren, dass die 14 Verurteilungen, die wir immerhin bei einer Anzahl von über 399 Straftaten – ich hatte es gesagt – hatten, und darüber hinaus die 83 eingestellten Verfahren sind der Sache nicht unbedingt gerecht, wenn man das einmal unter dem Gesichtspunkt der Konsequenz, die ja aus einer Straftat und der gerichtlichen Beurteilung einer Straftat erwachsen sollte, betrachtet.

Wir haben uns alle hier und auch an anderer Stelle über die Straftat von Rechtsextremisten unterhalten – insbesondere Herr Dr. Güldner, der gerade nicht da ist, hat sich dazu auch öffentlich geäußert –, die im Weserstadion im Ostkurvensaal, zumindest nach dem Gerichtsurteil zu urteilen, massiv auf Fans von Werder Bremen eingeschlagen haben. Wenn man sich dann vor Augen führt, welcher Strafrahmen und welche Konsequenz daraus erwachsen sind, dann ist das, glaube ich, nicht unbedingt eine konsequente Anwendung des vorhandenen Rechts. Ich fordere überhaupt keine Änderung der Rechtsnormen, aber ich glaube schon, dass wir bei politisch motivierten Straftaten durchaus auch eine konsequentere Anwendung des Rechts erwarten sollten, um auch eine Abschreckung darin zu sehen.

Schauen wir uns an, welche Rolle die Ausländer, insbesondere die Salafisten, hier in Bremen gespielt haben.

(Abg. T u n c e l [DIE LINKE]: Es gibt auch deutsche Salafisten!)

Im Bund gibt es nach Angaben des Verfassungsschutzberichts insgesamt 3 800 Salafisten, Bremen hat nach Angaben des Senats circa 350 Salafisten. Ich finde, wir haben mit fast 10 Prozent einen sehr hohen Anteil, sodass auch aus dieser Sicht diese Gruppe vom

Senat mit einer entsprechenden Aufmerksamkeit beobachtet und betrachtet werden sollte.

Meine Damen und Herren, nach Ansicht der CDUFraktion ist abschließend aus der Antwort und den bekannten Aktivitäten feststellbar, dass die Gefahr der politischen rechtsextremen Straftäter sowie die der Salafisten in ausreichender Weise ernst genommen wird. Das, glaube ich, kann man konstatieren. Ob das Gleiche allerdings auch für linksmotivierte Straftaten gilt, ist aus meiner und auch aus Sicht der CDU-Fraktion durchaus fraglich. Da können wir wieder auf das Beispiel vom letzten Freitag, das ich eingangs erwähnt habe, zurückgreifen.

Die Polizei musste heute eingestehen, dass sie von den Vorfällen in keiner Weise vorher Kenntnis hatte, dass sie sozusagen komplett überrascht worden ist. Das bedeutet doch, meine Damen und Herren, dass weder das Landesamt für Verfassungsschutz noch der Staatsschutz der Polizei irgendwelche Erkenntnisse aus der linksautonomen Szene über das, was am letzten Freitag –

(Glocke)

ich bin sofort fertig, Herr Präsident! – passiert ist, hatte. Das, meine Herren, kann so nicht bleiben.

(Abg. Frau D r. S c h i e r e n b e c k [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Was ist mit den Damen?)

Der Senat muss auch diese Szene ausreichend im Auge behalten. Wir fordern deshalb eine gleiche Bekämpfung – und ich betone: eine gleiche Bekämpfung! – der politisch rechts und links sowie der religiös motivierten Kriminalität und eine konsequente Anwendung des vorhandenen Rechts. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Senkal.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU begründete die Aktualität ihrer Großen Anfrage zum Thema „Extremistische Straftaten im Land Bremen“ mit dem Angriff von Salafisten in Nordrhein-Westfalen gegen zwei Polizeibeamte. Traurige Aktualität bekommt die Große Anfrage aber durch die Angriffe linker Autonomer auf die Bremer Polizei am vergangenen Wochenende, Herr Hinners hat es auch schon erwähnt. Die SPDFraktion verurteilt diese Angriffe zutiefst, und wir sprechen hier der Bremer Polizei ausdrücklich unsere volle Solidarität aus.

(Beifall bei der SPD – Vizepräsidentin S c h ö n übernimmt den Vorsitz.) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Ansonsten zeigt die Antwort des Senats, dass die Fallzahlen im Bereich politisch motivierter Kriminalität im Jahr 2011 besonders hoch waren, was aber im Zusammenhang mit dem Aufmarsch der NPD vor der Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2011 zu sehen ist. Diese Zahlen sind daher nicht nur erschreckend, sondern erfreulich, finde ich, vor dem Hintergrund, dass es der NPD nicht gelungen ist, daraus Erfolge bei der Bürgerschaftswahl zu ziehen. (Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein großer Erfolg für unsere Demokratie in Bremen.

Zu dieser Zeit wurde ein großes Bündnis organisiert – es waren Autonome dabei, aber auch Gewerkschaften –, das gegen diesen Aufmarsch der Rechten und der NPD damals in Bremen demonstriert hat. Ich finde, das war ein Bündnis, das war ein Zeichen, das vorbildlich war, wie wir der NPD und den Rechten gezeigt haben, in Bremen ist kein Meter für die Rechten vorhanden, in Bremen ist kein Platz für sie.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Im Bereich rechtsextremistischer Kriminalität zeigt sich, dass wir in Bremen in den Jahren 2009 bis 2011 kaum Gewaltdelikte zu verzeichnen hatten, aber eine Vielzahl sogenannter Propagandadelikte und auch eine nicht unerhebliche Zahl von Volksverhetzungsdelikten, Herr Hinners hat dies auch ausgeführt. Dass rechtsextremistischen Straftaten eine besonders gefährliche Gesinnung zugrunde liegen, ist mir nicht erst nach den aufgedeckten Mordserien der NSU bewusst.

Der Kern rechtsextremistischer Ideologie ist die Missachtung der Menschenwürde als anders definiert. Menschen werden allein wegen ihrer Herkunft, Religion oder Lebensweise angegriffen. Rechtsextremistische Ideologie und Straftäter verletzen damit die zentralen Grundwerte unseres Miteinanders. Deshalb ist es von so besonderer Bedeutung, rechtsextremistische Straftaten als solche zu erkennen und sie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen und zu verurteilen.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Wenn uns die Mordserie der NSU eines gelehrt haben sollte, dann ist es dies. Deshalb ist auch ein Brandanschlag, wie er in diesem Sommer in Woltmershausen stattgefunden hat, in aller Deutlichkeit zu verurteilen, konsequent aufzuarbeiten und strafrechtlich zu verfolgen.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Abschließend möchte ich noch auf die Stoßrichtung der Großen Anfrage der CDU in Bezug auf salafistische Straftaten eingehen. Die Beantwortung der diesbezüglichen Frage durch den Senat zeigt, dass man sich in Bremen bei den zuständigen Stellen der Problematik durchaus bewusst ist, salafistisch orientierte Moscheen in Bremen werden beobachtet.

Die Antwort des Senats zeigt aber auch – das wussten wir natürlich auch schon vor der Anfrage der CDU –, dass wir bisher in Bremen keine Straftaten mit salafistischem Hintergrund zu verzeichnen haben. Ich betone das nur, weil an dieser Stelle ein äußerst sensibler Verfassungsbereich berührt wird, nämlich die grundsätzlich durch unsere Verfassung geschützte Religionsfreiheit, die es auch zu achten gilt, wenn wir es mit fundamentalistischen Strömungen zu tun haben, und vor allem auch die Sensibilität, die es braucht, fundamentalistische Tendenzen zu beobachten und ihnen bei Bedarf entschieden entgegenzutreten, dabei aber nicht gleichzeitig ganze Religionsgemeinschaften unter Generalverdacht zu stellen.

Wenn uns also die Fragen der CDU keinen neuen Erkenntnisgewinn gebracht haben, möchte ich doch die Große Anfrage dazu positiv nutzen, denen zu danken, die die schwierige Aufgabe für uns übernehmen, extremistische Organisationen zu beobachten und extremistische Straftaten angemessen und mit rechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen, denn hierfür braucht es nicht nur Zahlenmaterial und Statistiken, sondern genaues Hinschauen und ein grundlegend demokratisches Verständnis. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Da diese Debatten geradezu prädestiniert dafür sind, sich missverstehen zu wollen und mit gegenseitigen Vorwürfen der Blindheit auf einem Auge zu gedenken, möchte ich für die grüne Bürgerschaftsfraktion klarstellen, dass wir keine Form der Gewalt tolerieren und dass wir es als Aufgabe des Staates ansehen, die Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt zu schützen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Diese Grundbemerkung vorweg plädieren wir aber für eine sehr differenzierte Betrachtung der einzelnen und unterschiedlichen Extremismusbereiche.

Im Bereich der politisch links motivierten Kriminalität gab es im Jahr 2011 einen deutlichen Anstieg in Bremen zu verzeichnen. Der Senat begründet dies

mit der Bürgerschaftswahl und dem massiven Auftreten der NPD in Bremen, unter anderem einer Demonstration. Insbesondere den Bereich der Körperverletzungsdelikte kann man sicherlich in hohem Maß dieser Konfrontation zuschreiben.

Über die Verwendung des Begriffs Linksextremismus gibt es in der Wissenschaft sehr unterschiedliche Sichtweisen, zumindest darf man auch an dieser Stelle feststellen, dass er wesentlich heterogener ist, als es andere Bereiche sind. Auch die organisierte Zersplitterung dieser Gruppe macht es den Sicherheitsbehörden nicht immer leicht, Informationen aus dieser Szene zu erhalten. Die Frage wird nun – auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung am Freitag – sein, wie sich die politisch links motivierte Kriminalität in Bremen weiterentwickelt, ob es bei der Auseinandersetzung am Freitag bleibt oder ob wir in der Tat in diesem Bereich einen weiteren Anstieg zu verzeichnen haben.

Wir haben vorhin in der Innendeputation einen sehr klaren und, ich finde, auch einen sehr bewegenden Bericht erhalten über das, was am Freitag abgelaufen ist. Lassen Sie mich für die Bürgerschaftsfraktion der Grünen an dieser Stelle sehr deutlich klarstellen, das Werfen von Steinen ist aus unserer Sicht kein Mittel der politischen Auseinandersetzung.

(Beifall)

Die politisch rechts motivierte Kriminalität hat ebenfalls im Wahljahr 2011 einen Anstieg erlebt. Die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds haben gezeigt, dass viele in unserem Land der Auffassung waren, dass nach Lichtenhagen, nach Mölln und anderen offenen Übergriffen diese Szene kaum noch existiert. Die NSU und das gleichzeitige Versagen deutscher Sicherheitsbehörden haben jedoch deutlich gemacht, wie wichtig es ist, eben nicht nachzulassen, sondern sehr genau hinzusehen. Wir Grünen unterstützen da auch ausdrücklich das entschlossene Vorgehen des Innensenators gegen das Agieren und Handeln der NPD in Bremen. Wir wollen keine Schulhof-CDs, wir wollen keine rechten Rockkonzerte, und wenn es eine aussichtsreiche Möglichkeit gibt, die NPD zu verbieten, dann unterstützen wir dies ausdrücklich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Die CDU hat auch nach den Straftaten mit religiösem Hintergrund gefragt, und mir ist zuerst der bundeseinheitliche Begriff dazu aufgefallen: politisch motivierte Ausländerkriminalität. Selten habe ich einen so dummen Begriff gehört,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

denn er trifft ja überhaupt nicht mehr zu. Die Frage von religiösem Fanatismus ist überhaupt keine Frage von In- oder Ausländern. Sie ist die Frage des Missbrauchs einer Religion. Hier nutzen Menschen die Religion, um Straftaten zu begehen und das Rechtssystem zu umgehen. In der Tat sind auch da die bundesweiten Entwicklungen, die wir zu beobachten haben, besorgniserregend. Es ist auch richtig, auch weiterhin das Ganze in Bremen im Auge zu haben.

Herr Hinners, Sie haben jetzt in der politischen Auseinandersetzung angeführt, dass der Senator sich um den Rechtextremismus und um den Bereich religiöser Fanatismus kümmert, aber nicht um den Linksextremismus. Wenn Sie gerade in der Innendeputation aufmerksam zugehört haben, dann ist Ihnen aufgefallen, dass der Senator selbst in enger Abstimmung mit der Polizeiführung am Wochenende agiert hat. Ich glaube, er hat sehr deutlich gemacht, dass das Brechen von Gesetzen in dieser Stadt nicht toleriert wird, und zwar unabhängig von Personen. – Danke schön!