Nicht die Sedierung durch Medikamente ist hier gefragt, sondern patientengerecht ist auch hier, genauso wie bei nicht behinderten Patienten, eine gezielte, auf die Erkrankung abgestimmte Auswahl therapeutischer Maßnahmen. Dazu ist jedoch notwendig, dass die behandelnden Ärzte und Therapeuten imstande sind, die Unterschiede zwischen den Merkmalen der geistigen Behinderung einerseits und der seelischen Erkrankung andererseits erkennen zu können.
Nach meiner Erfahrung ist nicht Gleichgültigkeit, sondern fehlende Erfahrung und fehlendes Wissen im Umgang mit diesen beeinträchtigten Patienten Hintergrund für diese Mängel in der Behandlung. Daher unser Antrag, unsere Bitte um Berichte des Senats.
Erstens: Wir bitten darum, einen Bericht zur Situation von geistig behinderten Menschen mit psychischen Störungen im Land Bremen zu erstellen, aus dem auch hervorgehen sollte, wie groß der Personenkreis ist, der im derzeitigen System unterversorgt ist beziehungsweise, welche Art von Hilfe konkret benötigt wird.
Zweitens: In diesem Bericht sollten unter anderem Verbesserungsvorschläge für das Behandlungsangebot von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen und psychischen Störungen aufgenommen und Anforderungen an die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung und zusätzlichen psychischen Störungen beziehungsweise Verhaltensauffälligkeiten formuliert werden.
Drittens: Es ist unabdingbar, in Gespräche mit der Kassenärztlichen Vereinigung, der Ärztekammer und der Psychotherapeutenkammer einzutreten mit dem Ziel, auch das Behandlungsangebot für geistig Behinderte durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Psychologinnen und Psychologen zu verbessern.
Viertens: Bislang scheinen die Krankenkassen noch zurückhaltend, was konkrete Umsetzungsschritte betrifft. Ausnahmeregelungen für einzelne junge, geistig behinderte Erwachsene, damit sie weiterhin im sozialpädiatrischen Zentrum behandelt werden können, sind keine Lösung.
Fünftens: Um eine angemessene medizinische, psychiatrische und psychotherapeutische Betreuung von Erwachsenen mit geistigen und Mehrfachbehinderungen sicherzustellen, müssen in Bremen und bitte auch bundesweit medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderungen geschaffen werden. Hierfür ist eine entsprechende Ergänzung des Paragrafen 119 SGB V eine wichtige Grundlage.
Der SPD-Fraktion ist bekannt, dass sich auch unser Gesundheitssenator Herr Dr. Schulte-Sasse bereits auf Bundesebene für diese Thematik einsetzt, und begrüßt dieses Engagement sehr!
Wir wünschen Herrn Senator Dr. Schulte-Sasse und dem Senat viel Erfolg! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Kappert-Gonther, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Hilfe braucht, musst Hilfe bekommen, wer medizinische Hilfe braucht, muss die Behandlung bekommen, die er oder sie benötigt, und wer therapeutische Hilfe braucht, braucht zielgerichtete therapeutische Hilfe. Warum sage ich diese Selbstverständlichkeiten? Ich erwähne diese Grundlagen einer menschengerechten Gesellschaft, weil es Personengruppen gibt, für die diese Selbstverständlichkeiten eben keine Selbstverständlichkeit sind, und das darf so nicht bleiben!
In Deutschland leben zurzeit rund 500 000 Menschen, eine halbe Million, mit geistiger Behinderung. Nun wissen wir in der Medizin, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung überdurchschnittlich häufig chronische Erkrankungen und zusätzliche Behinderungen haben. Wir wissen auch, dass geistig Behinderte besonders häufig von psychischen Erkrankungen und Störungen betroffen sind. Das ist auch nicht weiter verwunderlich: Ist ein Leben ohne Behinderung bisweilen schon kompliziert genug, so ist es ein Leben mit Behinderung häufig erst recht, nicht immer, aber häufig. Dazu kommt – und das ist tragisch –, dass geistig behinderte Menschen besonders häufig Gewalt erleben müssen. Das kann, wie auch
bei Menschen ohne Behinderungen, zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen, und dann brauchen Menschen natürlich gezielte Hilfe.
Soweit besteht in der Fachöffentlichkeit inzwischen Einigkeit, nun kommt aber folgende Situation erschwerend hinzu: In der gesundheitspolitischen Diskussion kommt diese Bevölkerungsgruppe der geistig Behinderten immer noch viel zu selten vor, und auch in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgungsplanung – Frau Schmidtke hat darauf hingewiesen – werden Menschen mit geistiger Behinderung bisher nach wie vor viel zu wenig berücksichtigt, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir ändern!
Immer noch herrscht vielerorts das Vorurteil, geistig behinderte Menschen würden nicht von Psychotherapie profitieren, das sei irgendwie eine Behandlungsform, die einen besonderen IQ oder sonst etwas erfordern würde. Das ist schlicht und ergreifend falsch. Wir wissen inzwischen, dass diese Personengruppe der geistig Behinderten sogar sehr gut auf psychotherapeutische Behandlung anspricht, wenn die Behandlung eben den individuellen Besonderheiten angepasst wird, und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nun wieder keine besondere Forderung. Wir wollen doch alle, dass eine Behandlung genauso erfolgt, wie wir sie brauchen. Dieses Recht müssen alle Patientinnen und Patienten haben, ob mit oder ohne Behinderung.
Unser Antrag von SPD und Grünen fordert erstens – Frau Schmidtke hat es gesagt – einen Bericht zur Situation von geistig behinderten Menschen mit psychischen Störungen im Land Bremen, damit wir überhaupt einmal wissen, was der Fall ist. Ich aber vermute – und das wird schwierig sein, Herr Senator –, dass wir gar nicht besonders viele Daten haben werden. Warum denn? Weil es das Problem nicht gibt? Nein, weil diese Menschen häufig das psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungssystem gar nicht erst erreichen, und das muss sich eben ändern.
Zweitens fordern wir Verbesserungsvorschläge für ein spezifisches Versorgungsangebot. Dabei müssen wir unterscheiden: Das Betreuungsnetz bezüglich Wohnbetreuung, Alltagsbetreuung und Pflege ist in Bremen sogar eher besonders gut für Menschen mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung, aber das psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungs
Dabei ist mir ein abschließender Gedanke besonders wichtig: Geistig behinderte psychisch Kranke, genau wie körperlich behinderte psychisch Kranke, psychisch Kranke mit Migrationshintergrund oder psychisch Kranke mit irgendeiner anderen Besonderheit müssen innerhalb des ganz normalen Regelsystems gut und individuell behandelt werden. Das bedeutet, dass die ersten Ansprechpartner immer innerhalb der ganz normalen therapeutischen und medizinischen Landschaft gefunden werden müssen. Das bedeutet natürlich nicht, dass man nicht bei speziellen Problemlagen auch überregionale Zentren einrichten oder besondere Einrichtungen fördern kann, dann muss aber eine Verzahnung mit der Regelversorgung immer hergestellt und sichergestellt werden.
Warum ist mir nun dieser Aspekt so besonders wichtig? Man könnte ja sagen, das ist nun wirklich etwas ganz Spezielles, das muss man hier nicht extra debattieren. Es ist deshalb besonders wichtig, weil die Etablierung von Parallelsystemen immer den Menschen schadet, um die sich die Regelversorgung dann nämlich vermeintlich nicht mehr kümmern muss.
Wir wollen keine Zersplitterung der Regelversorgung. Wir wollen, dass sich das allgemeine Gesundheitssystem auf alle Bevölkerungsgruppen zielgerichtet einstellt, eben auch auf geistig Behinderte, damit jeder und jede die Behandlung bekommt, die er und sie brauchen.
Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu, damit Bremen sich auf den Weg macht, die Versorgungssituation für geistig behinderte Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verbessern! – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir über Menschen mit geistiger Behinderung sprechen, dann herrscht landauf, landab leider immer noch die Meinung, es handelt sich um eine Randgruppe der Bevölkerung. Wir als CDU sagen, diese Menschen gehören in die Mitte unserer Gesellschaft.
So freuen wir uns auch über den Duktus des Antrags, weil wir der Meinung sind, wir müssen einmal eine Lagefeststellung machen; denn einige wenige traurige Wahrheiten, die ich noch einmal ganz kurz erwähnen möchte, müssen schlichtweg abgestellt werden.
Traurige Wahrheit Nummer eins ist: Menschen mit geistiger Behinderung unterliegen einem sehr hohen Risiko, traumatisierende Ereignisse, etwa durch Gewalt, zu erfahren. Wenn sie darüber hinausgehen, was in diesem Antrag steht, und einmal eine Google-Suche vornehmen oder Fachliteratur lesen, dann lesen Sie, dass insbesondere die Gefahr von Polytraumatisierung sehr hoch ist, also nicht einmalige, sondern mehrfache Ereignisse. Wenn Sie bei Ihrem Studium feststellen, dass insbesondere die Prozentzahlen bei Misshandlungen von Menschen mit geistiger Behinderung außerordentlich hoch sind, dann wissen Sie, warum Frau Schmidtke am Anfang auch mit sehr bewegenden Worten gesagt hat, wir müssen uns hierum kümmern und für eine Verbesserung sorgen.
Insofern mache ich es kurz und knapp. Wir brauchen mehr Kümmerer für eine bessere Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung, und wir sind alle sehr gespannt, mit welchen Daten und welchem Faktenmaterial wir dann hier im Parlament weitermachen können. Wir wissen allerdings auch, dass wir in die Therapiefreiheit der Ärzte nicht steuernd eingreifen dürfen, das ist nun einmal so, dass wir hier eine Gewaltenteilung haben und die Ärzte auch weiterhin Therapiefreiheiten haben sollen. Eines ist aber mit dem heutigen Tag auf alle Fälle erreicht: Die Menschen mit geistiger Behinderung wissen, dass wir hier im Parlament mit einer breiten Mehrheit für ihre Belange eintreten. Wir als CDU stimmen Ihrem Antrag zu! – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, es ist ganz viel gesagt worden, und mit der anfänglichen Expertise von Frau Schmidtke im Rücken sollten wir auf jeden Fall sagen, es muss, wie hier auch vorgeschrieben wird, einen Bericht geben. Wir teilen die Skepsis der Grünen, wie die Qualität dieses Berichts sein wird, denn ich glaube auch, dass es nicht einfach sein wird, dabei tatsächlich valide Daten vorzufinden, aber schauen wir einmal – –. Der Senator wird vielleicht auch noch das eine oder andere Wort dazu sagen!
Klar ist für DIE LINKE auch, dass man, wenn man einen solchen Bericht erstellt, natürlich gleich nachsehen sollte, ob man vielleicht schon Verbesserungsvorschläge machen kann, und natürlich – es wurde jetzt mehrmals erwähnt – erst einmal ein Behandlungs
angebot erstellt werden muss. Das gibt es nicht, es gibt kein entsprechendes Profil dazu, und das ist sicherlich auch ein großer Nachteil in der ganzen Angelegenheit.
Dass wir sechs Monate nach Beschlussfassung einen Bericht erwarten, finden wir auch völlig in Ordnung, und daher hoffen auch wir als DIE LINKE – wir haben vorhin das schöne Bild gehabt, dass da einmal ein Stein ins Wasser geworfen worden ist –, dass sich damit irgendetwas für diese Personengruppe bewegt. – Danke!