Protokoll der Sitzung vom 24.08.2016

Ich komme nun zur Ziffer 6.

Wer der Ziffer 6 des Antrags der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 19/679 seine Zustim mung geben möchte, den bitte ich ebenfalls um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, ALFA, Abg. Timke [BIW])

Stimmenthaltungen?

(FDP, Abg. Tassis [AfD])

Damit ist die Ziffer 6 des Antrags der Fraktion DIE LINKE abgelehnt.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ob der Erdoğan das alles versteht?)

Das ist ziemlich einfach, Herr Kollege Röwekamp! Sie haben uns hier schon mit Komplizierterem betraut.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Wer ist jetzt „Sie“?)

Sie!

Entwicklungsmöglichkeiten in der Arbeit mit de linquenten Jugendlichen Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 8. März 2016 (Drucksache 19/328) Dazu Mitteilung des Senats vom 10. Mai 2016 (Drucksache 19/425)

Dazu als Vertreterin des Senats Herr Staatsrat Fries.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, dass darauf verzichtet wird.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir diskutieren unsere Grüne Anfrage und die Ant wort zu dem Thema Entwicklungsmöglichkeiten in der Arbeit mit delinquenten Jugendlichen. Seit Anfang 2015 beschäftigt uns dieses Thema. Damals hatten wir es mit einem enorm hohen Zuzug an unbegleiteten minderjährigen Ausländern zu tun. Allein im ersten Halbjahr 2015 waren es 700. Eine kleine Gruppe davon stellte die Bremer Polizei, die Justiz und die Jugendhilfe auf den Kopf. Inzwischen ist das Gesetz geändert. In 2016 leben gerade einmal 24 unbegleitete Minderjährige in Bremen.

(Vizepräsident Imhoff übernimmt den Vorsitz.)

Es ist uns gelungen, ein großes, vielfältiges Maßnah menpaket zu implementieren, das mit passgenauen Angeboten auf die verschiedensten Belange der Jugendlichen reagieren kann. Das ist das Ergebnis der Großen Anfrage. Ich meine, das ist ein Grund zum Aufatmen, meine Damen und Herren.

Im Februar dieses Jahres haben wir als Koalition einen Antrag in der Bürgerschaft beschlossen, der nunmehr seine Wirkung zeigt. Wir forderten in unserem Antrag zusätzliche intensivpädagogische Betreuungsangebote für Minderjährige mit komplexen Hilfebedarfen, den Ausbau von intensivpädagogischen Angeboten in am bulanter Form, die konzeptionelle Weiterentwicklung der mobilen Betreuung sowie den Ausbau und die konzeptionelle Weiterentwicklung der aufsuchenden Straßensozialarbeit für diese Zielgruppe.

So kann nämlich die individuelle Entwicklung der jungen Menschen, aufbauend auf deren bisherigen Sozialisation und Lebensgeschichte, gefördert und individuelle Hilfen können geboten werden. Die Antwort des Senats zeigt auf, dass dieser Antrag um gesetzt wurde. Inzwischen werden unterschiedliche stationäre Einrichtungen und Angebote vorgehalten, die auf die spezifischen Bedarfe der Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie ausgerichtet sind.

Für Jugendliche mit einem pädagogisch-therapeuti schen Bedarf bestehen sechs Wohngruppen, in denen mindestens eine Psychotherapeutin oder ein Psycho therapeut beziehungsweise eine Psychologin oder ein Psychologe mit den jungen Menschen arbeitet. Hierbei handelt es sich um zwei Einrichtungen der Hans-Wendt-Stiftung mit sieben bis acht Plätzen, je einer Einrichtung der SOS Kinder- und Jugendhilfe Bremen mit elf Plätzen, der Synthese Kinder- und Jugendwohnen GmbH mit acht Plätzen, eine Ein

richtung des Trägers Alten Eichen in Kooperation mit dem Stephanistift mit acht Plätzen sowie um eine Wohngruppe des Trägers Kriz e. V. mit sieben Plätzen. Für traumatisierte Jugendliche hält der Träger Alten Eichen ein stationäres traumapädagogisches Ange bot vor, das den Kindern und Jugendlichen einen sicheren Lebensort bietet. Ein weiteres stationäres Jugendhilfeangebot ist die Mobile Betreuung. In diesem Betreuungssetting werden gegenwärtig 85 Plätze bedarfsgerecht vorgehalten. Angesprochen werden junge Menschen ab 16 Jahren, die aufgrund stark norm- und regelverletzenden Ver haltens und/oder strafrechtlicher Verfolgung intensive Unterstützung zur Umorientierung brauchen. Betreut werden auch Jugendliche, die aufgrund sonstiger biografischer Problemlagen und ‑verläufe – ohne strafrechtlich dabei auffällig geworden zu sein – in tensive Unterstützung benötigen. Neben diesen bei Vorliegen der Voraussetzungen auch für die unbegleiteten minderjährigen Ausländer zu nutzenden Angeboten und Einrichtungen gibt es mit der Wohngruppe Rekumer Straße eine weitere stationäre Einrichtung, die sich spezifisch an delin quente unbegleitete minderjährige Ausländer richtet. Das bremische Angebotsspektrum wurde durch diese zielgruppenspezifische Einrichtung mit weiteren acht Plätzen gezielt erweitert. Der weitere Ausbau von stationären Kleinsteinrichtungen ist nach der Antwort auf unsere Große Anfrage die Einrichtung für Systemsprenger Anfang September dieses Jahres und „Sattelhof“ im Februar 2017. Eine Haftvermei dungseinrichtung ist auch geplant. Zudem nimmt in Kürze der Kooperationspool seine Arbeit für diejenigen auf, die aufgrund ihrer multiplen Problemlagen mit den bestehenden Jugendhilfe angeboten noch nicht hinreichend erreicht werden konnten. Das ist in Anlehnung an die guten Erfolge in der Freien und Hansestadt Hamburg ein zusätzliches besonderes Verfahren, welches dort entwickelt worden ist. Für diese jungen Menschen wird zukünftig ein flexibles und passgenaues Hilfesetting gestaltet. Für die Planung und Umsetzung solcher Settings wird derzeit im Beratungsdienst Fremdplatzierung in enger Zusammenarbeit mit der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege ein Kooperationspool geschaffen. Dieser hat das Ziel, im Wege einer inter disziplinären Beratung und Begleitung den Rahmen für ein individuelles Hilfesetting zu erarbeiten und hierzu trägerübergreifend verbindliche Kooperatio nen zu entwickeln.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Neben dieser Vielzahl an flexiblen und passgenauen Hilfesettings, die inzwischen entwickelt wurden, wie ich eben dargelegt habe, ist es überaus erfreulich, dass die Zahl der Straftatverdachte durch priorisierte unbegleitete minderjährige Ausländer deutlich rück läufig ist, wie aus der Antwort des Senats hervorgeht.

Mein Fazit, meine Damen und Herren: Die Anstren gungen, die Bremen und die Träger mit hohem Einsatz unternommen haben, zeigen jetzt ihre Wirkung.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Das ist für uns alle gut, aber vor allem für die Ju gendlichen ist das sehr gut. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben es im Rahmen dieser Anfrage mit den Entwicklungsmöglichkeiten problembehafte ter Jugendlicher, mit straffällig gewordenen Jugendli chen, mit Fragen der Pädagogik, der therapeutischen Behandlung, der heilpädagogischen Behandlung und der strafrechtlichen Ahndung in Verbindung mit Jugendhilfemaßnahmen zu tun.

Ich denke, wir alle sind uns darüber einig: Je früher wir als Gesellschaft an die Jugendlichen herankommen und Vertrauen und Bindung schaffen, umso eher sind eine soziale Integration und eine eigene Lebensge staltung für die Jugendlichen möglich. Diese Freiheit dem Einzelnen solidarisch durch die Gesellschaft zu ermöglichen, entspricht dem Menschenbild der FDP.

(Beifall FDP)

Aus der Antwort wird auch deutlich, dass wir es nicht mit einer staatlichen Erziehungsanstalt zu tun haben. Wir haben in unserer Gesellschaft schon vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten durch bürgerschaft liches Engagement gewachsene Einrichtungen, die mit hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräften und mit Sponsoren im Hintergrund diese Entwicklung in einer freien Gesellschaft möglich machen. Deswegen bedanke ich mit an dieser Stelle noch einmal bei den Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Unterstützern zum Beispiel von Alten Eichen, der Hans-Wendt-Stiftung, JUS-gGmbH, Effect gGmbH, BRIGG gGmbH und so weiter. Ohne diese freien Träger wäre diese gesell schaftlich notwendige Arbeit überhaupt nicht möglich.

(Beifall FDP)

Jetzt zu den Antworten im Einzelnen! Fünf priorisierte Jugendliche und 35 Jugendliche aus dem Bereich der minderjährigen Ausländer hatten Sie aufgeführt. Mich würde im Rahmen der Beantwortung interessieren, ob diese Gruppe zum 30. Juni stabil geblieben ist – Ihre Antwort ist auf den 31. März projiziert – und wie die Entwicklung für die weiteren Monate und Jahre aussieht.

Erfreulich ist, dass Bremen im Durchschnitt mehr als auf Bundesebene mit verschiedenen Diversionsmaß nahmen erfolgreich gewesen ist. Über 700 Personen waren dort in entsprechenden Maßnahmen, darunter auch unbegleitete minderjährige Ausländer.

Aus allen Beiträgen ergibt sich, dass Erfolg immer dann besonders wahrscheinlich ist, wenn man die Sacharbeit persönlich-orientiert vornimmt, wenn man dem Jugendlichen Ansprechpartner bietet, wenn man ihm Bindungsmöglichkeiten bietet, wenn Ge fährderansprachen stattfinden und wenn es vor allem auch nachhaltige Fallbesprechungen gibt, die sich persönlich auf den Jugendlichen beziehen.

Ansonsten enthält die Beantwortung eine Vielzahl von Vorhaben, die auf den Weg gebracht werden sollen. Stationäre Kleinsteinrichtungen finden un sere volle Unterstützung, weil dadurch am besten dem Einzelnen Rechnung getragen werden kann. Zurzeit haben Sie acht Plätze neu geschaffen. Mich interessiert, wie es mit den angekündigten zwei wei teren Gruppen mit vier Plätzen ist, die zum Ende des zweiten Quartals 2016 fertig sein sollten. Weiterhin ist von Interesse, wie es beim „Sattelhof“ weitergeht. Das soll im dritten Quartal abgeschlossen werden. Wir befinden uns bereits im dritten Quartal. Auch hierzu würde mich interessieren, wie dort die weitere Bearbeitung aussieht. Schließlich interessiert mich die stationäre Haftvermeidungseinrichtung, die mit acht Plätzen in Planung ist.

Zur Beantwortung gehört auch die Frage, ob das alles reicht und ob wir damit hinkommen. Das kommt in der Antwort des Senats nicht zum Ausdruck. Benö tigen wir im Hinblick auf die Anzahl der betroffenen Personen noch mehr? Sind die Bedarfe höher? Wie ist das finanziell zu wuppen?

Sie sind noch einmal nach Hamburg ausgewichen und haben gesagt: Wir benötigen einen Kooperationspool, der im Sommer dieses Jahres auf den Weg gebracht werden soll. Wir möchten interdisziplinäre Beratung und Begleitung, ein individuelles Hilfesetting. Alles gut, alles zu unterstützen! Fragen: Ist das schon in Arbeit? Wie viele Personen sind daran beteiligt? Wie sieht der finanzielle Hintergrund aus? Steht das auf soliden Beinen?

Weiter sprechen Sie an, eine aufsuchende nied rigschwellige Jugendhilfe durch ein mobiles Team anbieten zu wollen.

(Glocke)

Auch dies ist ein richtiger Weg, um Lebensbewälti gungsstrategien, demokratisches Verhalten und Kon fliktlösungen einzuüben. Auch hier sind Nachfragen erforderlich: Wie ist der Stand der Dinge? Wie viel Personal wird eingesetzt? Wie viel finanzieller Bedarf ist gegebenenfalls noch abzudecken? – Den Rest ma che ich in den nächsten fünf Minuten! – Danke schön!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu nächst meinen Dank an den Senat für diese Antwort aussprechen. Immerhin ist auf fünf eng beschriebenen Seiten genau das beschrieben worden, was in der letzten Zeit teilweise neu und teilweise schon länger gemacht worden ist. Wenn man das so geballt liest, stellt man fest, dass das Maßnahmenspektrum immens ist. Die Anstrengungen, um mit diesen Problemen fertig zu werden, sind auch immens.

Eines der größten Probleme ist, dass man von „den“ Jugendlichen oder „den delinquenten“ Jugendlichen spricht. Diese gibt es so gar nicht. Sie sind sehr unter schiedlich. Sehr unterschiedliche Hilfebedarfe sind genauestens zu erkennen. Manchmal ist ein einfaches Gespräch hilfreich, aber eben nicht immer. Wir müssen uns über die Staffelung dessen unterhalten, was wir pädagogisch benötigen. Welche Maßnahmen sind die richtigen? Ich bin fest davon überzeugt, dass vieles in dem hier beschriebenen intensivpädagogischen Bereich richtig, gut und notwendig ist. Das hat meine vollste Unterstützung.

Gleichwohl haben wir immer gesagt, in diesem Maß nahmenkasten fehlt eine Einrichtung, die im Grunde genommen vor dem Jugendgefängnis steht und fa kultativ geschlossen ist. Das heißt im Übrigen nicht, dass wir die sozialen, psychologischen und intensiv pädagogischen Maßnahmen nicht richtig gefunden hätten. Das ist häufig in der öffentlichen Diskussion so herübergekommen. Darüber war ich im Übrigen immer enttäuscht, weil es ein einziger Baustein in dem Spektrum ist, was hier gerade sehr ausführlich dargestellt worden ist.

Wir haben übrigens in der letzten Deputationssit zung für Soziales, Jugend und Integration für VAJA als Streetworker mehr Geld beschlossen. Natürlich ist es richtig, auch den Ansatz zu wählen. Wenn die Geschäftsführung der Akademie Kannenberg in der Sozialdeputation aber erzählt, „es kann schon einmal passieren, dass ein Jugendlicher mit der Rasierklinge durch die Einrichtung rennt und es ausgesprochen schwierig ist, ihn einzufangen, zu beruhigen und zu behandeln“, dann ahnt man, welche Klientel es teilweise auch gibt. Ich sage ganz bewusst „auch“, weil immer wieder so getan wird, als ob ich oder als ob wir von der SPD meinten, „die“ seien so. Nein, nicht „die“. Es gibt aber extrem Aggressive, die in der Mischung aus schmerzmildernden, schmerzabtöten den Tabletten und einer unglaublichen Aggressivität Beamte angehen. Dann kann sich schon einmal ein Hund im Arm festgebissen haben, und das stört sie nicht. Das lässt sie nicht innehalten, weil sie keine Schmerzen spüren und die Aggression eher noch stärker wird.