Protokoll der Sitzung vom 08.03.2017

Man kann sicherlich über die eine oder andere Sanktion reden und die Frage stellen, welche Sanktion wirksam und welche weniger wirksam ist. Am Ende ist jedoch zu diskutieren, ob wir an ein System glauben, dass partnerschaftlich funktioniert. Oder ist allein das Auszahlen des Geldes schon ein System, das dazu führt, dass die eine Seite damit zu Recht Erwartungen verknüpft? Wir als Freie Demokraten erwarten, dass, wenn der Staat oder eine Agentur Geld auszahlt, ein entsprechendes Verhalten da ist.

(Beifall FDP)

Es ist ja keineswegs so, dass Sanktionen einfach so ausgesprochen werden. Dahinter steckt immer eine Geschichte. Es besteht die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs, und ich bin ganz bei meiner Vorrednerin, die ausgeführt hat, dass man Sanktionen besonnen, reflektiert und ohne Ansehen der Person aussprechen soll. Ja, das muss man. Sicherlich müssen auch Qualifizierungsangebote verbessert werden, auch da bin ich ganz bei Ihnen. Man muss aber auch ernst nehmen, wenn es heißt, fördern und fordern. Fordern heißt eben auch, dass man sich an Spielregeln hält, denn nur von demjenigen, der sich an diese Spielregeln hält, kann man später erwarten, dass er sich

an gewisse Regeln im Arbeitsleben hält. Das muss man eben auch sehen.

Am Ende – es ist schon auf die Studie hingewiesen worden – muss man doch anerkennen, dass manches funktioniert. Wenn Leistungskürzungen dazu führen, dass junge Hartz-IV-Bezieher schneller eine Arbeit aufnehmen, dann kann ich daran nichts Böses finden. Ich wünschte mir, dass es nicht notwendig wäre, Sanktionen auszusprechen. Bei einigen scheint es aber der einzige Weg zu sein, das deutlich zu machen. – Herzlichen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Leben mit Hartz IV ist ganz bestimmt kein Zuckerschlecken. Niemand von uns möchte das. Ich vermute, dass fast alle Menschen ein hohes Interesse daran haben, aus diesem Bezug herauszukommen und eine existenzsichernde Beschäftigung aufzunehmen. Davon können wir, glaube ich, ausgehen.

Wir wissen aber auch, dass es Menschen gibt, die sich durchaus andere Möglichkeiten aufgebaut haben, mit denen sie einerseits Leistungen empfangen und andererseits ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Es gibt Gesetze, und es gibt Regeln, die in bestimmten Fällen vorsehen, dass Sanktionen ausgesprochen werden. Wenn wir uns den Bundesvergleich anschauen, dann stellen wir fest, dass Bremen sehr wenig sanktioniert, und ich finde, das ist doch gut so.

In Bremen und Bremerhaven ist die Situation unterschiedlich. In Bremerhaven wird durchaus häufiger sanktioniert. Wenn wir uns den Bereich der unter 25-Jährigen anschauen, dann wird das besonders augenfällig. Zum Bereich der unter 25-Jährigen muss man deutlich sagen, dass schärfere Sanktionen ausgesprochen werden. Ich finde, man sollte noch einmal überlegen, ob das wirklich zu Recht erfolgt.

Ich selbst bin Lehrerin und kenne viele junge Menschen, die leider in ihrer Entwicklung noch nicht so fortgeschritten sind, als dass man davon ausgehen könnte, dass sie ihren Lebensunterhalt tatsächlich eigenständig regeln können. Ich weiß, wie viele junge Menschen es gibt, die leider, und zwar aus unterschiedlichen Gründen, den Tag lieber mit irgendwelchen Spielen oder mit Fernsehsendungen oder aus ihrer Sicht mit vielen anderen wunderbaren Beschäftigungen verbringen, aber nicht das tun, was eigentlich vernünftig wäre, sich zum Beispiel in eine Qualifizierung oder in andere Angebote in einer Form einzubringen, die dazu führt, dass sie irgendwann auf eigenen Füßen stehen können.

Die Studie ist angesprochen worden. Uns ist in der Studie sehr deutlich nachgewiesen worden, dass es

insbesondere für junge Menschen sehr erfolgreich ist, wenn sie – ich nenne es jetzt einmal so – einen Schuss vor den Bug bekommen und wenn reagiert wird. Selbstverständlich ist es gut, ich will gar nicht das eine gegen das andere stellen, dass man nicht ausschließlich auf Sanktionen setzt. Das ist doch selbstverständlich. Natürlich muss geschaut werden, welche andere Unterstützung der Mensch benötigt, damit sich das eingeschliffene Verhalten, das leider nicht dazu geführt hat, dass dieser junge Mensch auf einem vernünftigen Weg ist, ändert. Es zeigt sich aber eben auch, dass Sanktionen in diesem Bereich sehr erfolgreich sind.

Nun ist Sanktion nicht gleich Sanktion! Man muss sicherlich über die Höhe der Sanktionen reden. In der Studie wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die unterschiedliche Sanktionierung bei den unter 25-Jährigen und bei den über 25-Jährigen nicht zielführend ist. Ich finde, wir sind von daher gut beraten, wenn wir sagen, wir nehmen das in der Studie Nachgewiesene auf, wir schauen, dass wir den jungen Menschen tatsächlich einen Anstoß geben, wenn es denn nötig ist.

Der Anstoß sollte möglichst nicht dazu führen, dass negative Nebenwirkungen eintreten, von denen hier auch die Rede ist, dass die jungen Menschen nämlich so sanktioniert werden, dass sie nicht in die Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das bedeutet nämlich in der Konsequenz Wohnungslosigkeit, Verschuldung, eventuell Drogenkonsum und eventuell mangelhafte Ernährung. Alles das sind Konsequenzen, die damit einhergehen, wenn sehr hohe Sanktionen ausgesprochen werden. Das Ganze ist eine Gratwanderung. Man muss gar nicht darum herumreden. Ich glaube, wir alle würden gern auf Sanktionen verzichten.

Ich bin allerdings auch der Meinung, dass es insbesondere im Bereich der unter 25-Jährigen durchaus angezeigt ist, Sanktionen auszusprechen, sie zu begleiten, das Ganze aber auch so auszugestalten, dass hier andere Unterstützungsmechanismen greifen, sodass man nicht ausschließlich auf Sanktionen setzen muss. – Vielen Dank!

(Beifall SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Dogan, Sie haben eben sehr dramatisierend dargestellt, dass es keine passgenaue Unterstützung und nur Sanktionen gebe. Das war für mich die Konsequenz dessen, was Sie gesagt haben! Das finde ich gegenüber den Jobsendern sehr anmaßend und auch ungerecht, denn ich glaube, dass sich die Jobcenter wirklich sehr bemühen, den Menschen passgenaue Angebote zu machen.

(Beifall CDU)

Ich würde mich freuen, wenn Sie noch einmal das Wort ergreifen würden und beschreiben, was Sie sich unter passgenauen Angeboten vorstellen, die es nach Ihrer Vorstellung jetzt noch nicht gibt. Wenn Sie sie hier beschreiben und wenn wir den Eindruck haben können, dass das wirklich sehr gute Vorschläge sind, die dazu geeignet sind, Sanktionen abzulösen, dann wären wir die Letzten, die sagen würden, nein, das wollen wir nicht, wir bleiben lieber bei den Sanktionen.

Die Sanktionierung ist ja auch nicht unser Ziel. Es geht vielmehr schlichtweg um die Frage, wie ein Jobcenter reagieren kann, bei dem es Regeln und auch gesetzliche Vorgaben gibt, bei denen es auf die Mitarbeit ankommt und Menschen eine Leistung in Anspruch nehmen, die von der Solidargemeinschaft finanziert wird. Am Ende muss klar sein, dass sich diese Menschen bemühen und selbstständig mit der Unterstützung des Jobcenters versuchen, in Arbeit und in Lohn und Brot zu kommen.

Im Moment habe ich den Eindruck, dass eine passgenaue Unterstützung auch einmal eine Sanktion sein kann. Frau Böschen hat das eben den „Schuss vor den Bug“ genannt.

Noch eine letzte Anmerkung! Wenn gekürzt wird, dann entsteht sicherlich eine finanzielle Notlage, das steht außer Frage, aber nach meinem Kenntnisstand – das hat ja noch keiner gesagt, aber das ist mein Kenntnisstand – gibt es dann, wenn Finanzen gekürzt wird, Sachleistungsangebote, die jeder in Anspruch nehmen kann. Es muss niemand verhungern oder auf der Straße wohnen, sondern er kann dann Sachleistungen in Anspruch nehmen. Damit ist nach meiner Meinung gewährleistet, dass zu den Sanktionen ein Ausgleich geschaffen wird.

Ich kann nicht nachvollziehen, dass die Jobcenter so an den Pranger gestellt werden. Es mag schwarze Schafe unter den Mitarbeitern geben. Sie sind dann aber oft so genervt und fertig von dem, was Ihnen täglich in Ihrer Arbeit begegnet, dass man auch verstehen muss, dass dann beispielsweise aufgrund von Stress auch einmal Verhaltensweisen entstehen, die ich mir auch nicht wünsche.

Es sind dort sehr viele, die sich wirklich bemühen und einsetzen. Über die Jobcenter gibt es viele gute Angebote. Ich finde, das muss auch hier gesagt werden, und das darf nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden. – Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte noch auf ein paar Punkte eingehen.

Erstens: Frau Grönert, Sie haben mit der Feststellung zur IAB-Studie nicht recht, dass dort Sanktionen unterstützt oder in irgendeiner Weise gerechtfertigt würden. Der Bericht aus dem Mai 2016 spricht sich dafür aus, Sanktionen abzuschaffen. Das nur zu diesem Punkt!

(Abg. Frau Grönert [CDU]: Doch!)

Mir geht es letztlich darum zu sagen, dass wir uns einmal überlegen müssen, welche Wirkung das hat. Ich möchte kurz auf unsere Veranstaltung gestern Abend eingehen. Dort ist deutlich geworden, gerade weil die Möglichkeit besteht, die Kosten der Unterkunft zu kürzen – das passiert ja auch in der Realität –, dass die Wohnungslosigkeit zunimmt, weil die Mieten nicht mehr bezahlt werden können. Das heißt, es kommt zu viel größeren Problemen als die, die man ursprünglich lösen wollte. Ich halte das wirklich für ein Problem. Das trifft insbesondere junge Menschen, 18- bis 25-Jährige.

Es trifft auch verstärkt junge Frauen. Sie müssen zu Hause ausziehen, sie kriegen das nicht mehr geregelt, sie erhalten keine Unterstützung, und sie können keine Wohnung bezahlen beziehungsweise sie haben eine Wohnung, können aber die Miete nicht bezahlen. Auf die Kinder, die zu diesen jungen Frauen gehören, möchte ich gar nicht erst eingehen.

Die Sanktionsquote – das ist ja die Zahl, die im Grunde genommen nicht klar angibt, um was es genau geht, und die für Klarheit sorgt – bedeutet, dass ein Stichtag genommen wird, an dem mindestens eine Sanktion gegen den entsprechenden Hilfeleistungsbezieher vorliegt. Sie sagt nichts über die Zeitdauer der Sanktion aus, sie sagt auch nichts über die Höhe der gekürzten Hilfe aus.

Wir haben uns die Zahlen sehr genau angeschaut. Wir haben das auch gegengerechnet. Deswegen habe ich vorhin gesagt, das ist die Menge an Geld, und das ist bedingt durch die Zunahme an Leistungsempfängern. Es stimmt, dass die Zahl der Leistungsbezieher zugenommen hat, aber nicht in dem Maße – wenn man es umrechnet –, in dem verstärkt Mittel gekürzt worden sind. Man muss ich die Verhältnismäßigkeit anschauen.

Die Statistik der Bundesanstalt hat eine Aussage darüber getroffen, dass eine Steigerung auf circa 144,00 Euro stattgefunden hat. Das ist eine Zahl, die für Bremen relativ bedeutsam ist. Sie stellt auch einen Hintergrund in dem Sinne dar, dass den Menschen dieses Geld nicht zur Verfügung steht. Es steigt. Ich habe noch gar nicht über das Pro und Kontra der Sanktionen gesprochen. Ich empfinde die Entwicklung so bedenklich.

(Beifall DIE LINKE)

Dass wir diese Entwicklung gerade bei Jugendlichen haben, und zwar angesichts dessen, dass wir

Angebote für diese jungen Menschen brauchen, damit sie ein Stück weit herauskommen, finde ich, ist, ehrlich gesagt, eine Entwicklung, die wir nicht einfach schulterzuckend zur Kenntnis nehmen können. Man muss gegen diese Entwicklung arbeiten. Da gibt es überhaupt kein Vertun.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich sind wir dagegen, das ist der Punkt. Darum ging es mir in meinem ersten Debattenbeitrag in keiner Weise.

Von wegen passgenaue Angebote! Es findet auch eine Entwicklung statt, bei der man sagen muss, dass es ganz viele Menschen ohne Berufsabschluss gibt. In Bremen ist diese Zahl enorm hoch. Die Zahl der ungelernten Tätigkeiten befindet sich im Sinkflug. Das heißt, wir haben auf der einen Seite eine zunehmende Zahl und auf der anderen Seite eine sinkende Zahl, und das passt nicht zusammen. Das bedeutet, dass die Qualifikationsmaßnahmen in den Mittelpunkt gestellt werden müssen, und es müssen Angebote vorhanden sein.

In diesem Bereich stehen wir nicht so besonders gut da. Ich will Sie jetzt nicht mit den Arbeitsmarktinstrumenten langweilen, aber man muss sagen, in diesem Bereich müssen wir nachsteuern, und zwar ganz dringend. Wenn ich jemandem sage: „Es liegt zum dritten Mal ein Meldeversäumnis vor, und jetzt bekommst du deine Sanktion“, dann reicht das nicht aus.

Ich habe keine Aussage darüber getroffen, auf welche Weise die Mitarbeiter des Jobcenters ihre Aufgabe erledigen. Das ist nicht der Punkt. Um diesen Punkt ging es mir auch nicht. Wahrscheinlich ist das Jobcenter personell gnadenlos unterbesetzt. Es herrscht dort eine hohe Fluktuation. Auch darüber haben wir hier schon debattiert. Mir geht es zum einen darum, dass der rechtliche Rahmen vorhanden ist, und zum anderen um die Bedeutung für unsere Stadt und für unsere Jugendlichen. – Danke!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort Senator Günthner.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bremer Senat hat keinen Einfluss auf die Sanktionspraxis der Jobcenter. Die Sanktionen sind nach Bundesrecht geregelt. Die Agentur für Arbeit übt die Rechts- und Fachaufsicht aus.

Der Senat stellt fest, dass Bremen keine exponierten kritischen Werte bei den Sanktionen aufweist. Es ist auf die durchschnittliche Zahl hingewiesen worden. Wenn Sie sich die Sanktionsquote in Deutschland anschauen, dann stellen Sie Folgendes fest: im Jahr 2014 Bundesschnitt 3,2 Prozent, in Bremen 2,8 Prozent,

im Jahr 2015 Bundesschnitt 3,0 Prozent, in Bremen 2,5 Prozent, im Jahr 2016 Bundesschnitt 3,0 Prozent, in Bremen 2,8 Prozent. Das zeigt deutlich, dass wir bei der Quote deutlich unter der Bundesebene liegen.

Der Senat vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass Sanktionen möglichst vermieden werden sollten, sie aber im Rahmen der gesetzlichen Normen des SGB II aber nicht auszuschließen und gegebenenfalls, auch darauf ist in der Debatte eindrücklich hingewiesen worden, auch erforderlich sind. Zudem gehen wir davon aus, dass das Jobcenter das Recht korrekt anwendet und – das ist mir ganz besonders wichtig – Sanktionen nicht leichtfertig verhängt.

Wir gehen weiterhin davon aus, dass es keine internen Vorgaben gibt, welche Höhe die Sanktionsquote seitens einzelner Jobcenter oder bundesweit anzustreben ist. Wir sind übrigens der Auffassung, dass solche Vorgaben kontraproduktiv wären. Sanktionen stellen vor dem Hintergrund des auf die Kundinnen und Kunden bezogenen Ziels des SGB II, nämlich die Integration in Arbeit und Ablösung aus der Grundsicherung, eine Ultima Ratio des Handels dar. Es gilt, mit Leistungsberechtigten in einem konstruktiven und auf Vertrauen basierenden Prozess zu agieren. Nur dann, wenn sich Kundinnen und Kunden diesem Prozess wiederholt entziehen, wird von dem Sanktionsinstrument Gebrauch gemacht. Die Mehrzahl der Sanktionen geht auf Meldeversäumnisse zurück, das heißt, dass zu Terminen nicht erschienen wird. Man kann ja wohl erwarten, dass man dann, wenn man Leistungen bezieht, wenn man Hilfen angeboten bekommen möchte, die Termine wahrnimmt, zu denen man eingeladen wird.