Protokoll der Sitzung vom 20.11.2019

Sie wissen vielleicht, dass ArcelorMittal seine Stahlproduktion lieber heute als morgen auf grünen Wasserstoff umstellen würde, weil das Unternehmen damit konkurrenzfähiger sein würde. Gerade auf dem Weltmarkt ist Stahl ein Produkt, das sehr unter Konkurrenzdruck steht. Aber heute ist dieses Produktionsverfahren mit Erneuerbaren, das man im Prinzip schon einsetzen könnte und kann, zu teuer, und der Stahl würde dann nicht mehr absetzbar sein. Abhilfe kann da nur der Bund mit einem neuen Regularium für Erneuerbare Energien schaffen. Hierin scheinen wir uns einig zu sein. Jetzt sehe ich Herrn Kruse gerade nicht

(Michael Kruse FDP: Hier vorne!)

da ist er –, hier sollte dann aber auch die GroKo endlich einmal Druck auf den Bundeswirtschaftsminister machen, denn langsam ist es so, dass nicht nur die Ökos, die Umweltverbände darauf drängen, dass hier etwas passiert, sondern auch schon die deutsche Industrie. Von daher ist es höchste Zeit, dass sich das Bundeswirtschaftsministerium bewegt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Dirk Kienscherf SPD: Richtig!)

Herr Gamm hat noch einmal das Wort für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte doch noch ein paar Punkte kommentieren. Es wird jetzt ständig über den Begriff der Stra

(Senator Michael Westhagemann)

tegie gesprochen. Da muss ich aber einmal sehr klar sagen, dass diese 43 Seiten, die ich gelesen habe, nicht wirklich ein Strategiepapier sind,

(Dr. Monika Schaal SPD: Sie haben noch nicht eine vorgelegt!)

denn eine Strategie ist in der klassischen Definition die geistige Vorwegnahme zukünftigen Handelns zur Erreichung eines präzise beschriebenen und messbaren Ziels in der Zukunft. Ich habe mir die 15 Ziele sehr genau angeschaut, und wenn man diesen Maßstab anlegt, dann stellt man fest, dass gerade einmal eines von 15 Zielen genau dieser Definition entspricht. Das nur am Rande.

Was ich als sehr positiv von der Seite der GRÜNEN wahrgenommen habe, ist, dass es offenbar doch so etwas wie ein Bekenntnis zur Zukunft des Verbrennungsmotors gibt, denn das habe ich in der Debatte, die in den letzten Wochen geführt wurde, teilweise anders wahrgenommen. Das nehme ich sehr positiv zur Kenntnis.

Ebenso richtig ist das, was Senator Westhagemann gesagt hat, dass das Thema europäisch beziehungsweise sogar global gedacht werden muss, denn selbst wenn wir den Ausbau der Windenergie noch weiter dramatisch forcieren, wird es am Ende nicht reichen, um den Wasserstoffbedarf insgesamt zu decken. Ich glaube, ein großer Gedankenfehler der Energiewende ist, dass zu wenig europäisch und global gedacht wurde, sondern jeder so ein bisschen sein eigenes Süppchen gekocht hat mit dem Ergebnis, dass es dann die entsprechenden Engpässe bei den Nachbarn oder bei uns gab.

Dass wir nur CO2-freien Wasserstoff verwenden wollen, ist auch klar. Es gibt übrigens auch andere Beispiele. Sie müssen nur nach Australien schauen; dort verbrennt man Braunkohle, um Wasserstoff zu produzieren und diesen dann nach Japan zu verkaufen. Das ist sicherlich nichts, was wir uns wünschen wollen. Deshalb ist die zentrale Herausforderung – das habe ich schon öfter in den vergangenen Wochen angesprochen –, dass wir eine Lösung finden müssen für die Frage, wie wir regelbare Energieerzeugung durch nicht regelbare austauschen. Hier haben wir noch keine Lösung gefunden. Wir werden spätestens, wenn wir den Atomausstieg 2022 zu bewältigen haben, eine Lücke von 15 Prozentpunkten in der Energieversorgung regeln müssen; dazu kann Wasserstoff einen Anteil liefern. Aber eins ist auch klar: Bis zu dieser sehr überschaubaren Zeitspanne wird die zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichen, um eine belastbare Lösung zu finden. Deshalb sollten wir hier weiterhin gemeinsam Gas geben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Sparr bekommt das Wort für die GRÜNE Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich hatte neulich das Vergnügen, im Rahmen des Future Sustainability Congress, der maßgelblich auch von CDU-Mitgliedern organisiert wurde,

(Beifall bei Birgit Stöver CDU)

eine bemerkenswerte Rede unseres ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler zu hören. Er hat, anders als Herr Gamm, keine Bürgerschelte betrieben, sondern sehr deutlich gemacht, dass das Klimapaket der Bundesregierung nicht ausreichend ist, insbesondere was die Themen Windkraft und CO2 angeht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch vor diesem Hintergrund betrachte ich das Papier der norddeutschen Wasserstoffstrategie als einen mutigen Schritt, denn es ist ein Papier mit einer langen zeitlichen Perspektive.

Über die Vorteile von Wasserstoff ist hier schon alles gesagt worden. Hinzuzufügen wäre allenfalls noch, dass man natürlich auch gucken muss, dass man die Prozesswärme nutzt und sie in unser dann hoffentlich fertiggestelltes neues Fernwärmesystem einspeisen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wenn man das Papier der norddeutschen Länder genau liest, spürt man an der einen oder anderen Stelle durchaus auch leise Zweifel, und ich finde, völlig zu Recht. Denn für einen ökonomisch wie ökologisch sinnvollen Einsatz von Wasserstoff im industriellen Maßstab fehlen zwei wichtige Voraussetzungen: eine veränderte Regulatorik, die erneuerbaren Strom entlastet und fossilen Strom über einen wirksamen CO2-Preis belastet – darauf haben die Länder selbst in ihrem Papier hingewiesen –, vor allem aber auch ein massiver Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion.

Die Wasserstoffproduktion ist sehr energieintensiv. Um eine Tonne Wasserstoff herzustellen, brauchen Sie ungefähr 5,5 Megawattstunden Strom. Das ist ein Grund dafür, dass Antriebe für Brennstoffzellen um den Faktor 5 bis 6 mehr Strom als reine Elektroantriebe brauchen. Sie sehen daran, dass wir jede Kilowattstunde erneuerbaren Stroms brauchen. Um in eine Wasserstoffwirtschaft einsteigen zu können, reichen die jetzigen Erzeugungskapazitäten bei Weitem noch nicht aus. Wir brauchen endlich ein Ende der Fehlsteuerung aus Berlin.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Dirk Kien- scherf SPD)

Aus energiepolitischer Sicht ist es richtig, dass wir mit Wasserstoff ein hervorragendes Speichermedium haben. Auch wenn der Netzausbau eines Tages einmal abgeschlossen sein wird, werden wir

(Stephan Gamm)

immer wieder Situationen haben, in denen zum Beispiel mehr Windstrom produziert wird, als gerade gebraucht wird. Da macht dann Elektrolyse Sinn, besonders an der Küste.

Wenn wir dagegen tatsächlich einen großen Elektrolyseur im Hafen bauen, macht es eigentlich nur dann Sinn, wenn daneben ein Windrad steht, das am besten direkt mit der Anlage verbunden ist. Denn falls der bundesdeutsche Strommix da hineinfließt, haben wir kaum einen Klimaeffekt und höchstwahrscheinlich an dieser Stelle sogar den Kohlestrom aus Moorburg in der Leitung. Und was nützt uns grüner Wasserstoff, wenn der Rest der Welt dafür im fossilen Zeitalter verharren muss?

Die Wasserstoffstrategie ist à conto Zukunft, enthält vieles Richtige. Solange aber wesentliche Voraussetzungen fehlen, können wir doch nicht von Wasserstoff als einer klimafreundlichen Energieform sprechen. Ich freue mich dennoch über die Aufbruchstimmung. Das ist ein gutes Signal für die Weiterarbeit an diesem Thema, auch in der nächsten Legislatur.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Zu- rufe von der FDP – Zuruf: In der letzten, ha ha!)

Herr Jersch bekommt erneut das Wort für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Senator, ja, grüner Wasserstoff ist in der Tat CO2-neutral; insofern kann ich Ihnen da völlig zustimmen. Nichtsdestotrotz: Wenn ich Wasserstoff eintippe, dann wird die Autoergänzung nicht "grün" davor schreiben; von daher ist das keine Selbstverständlichkeit.

(Michael Kruse FDP: Die sagt ja nur, was danach kommt, nicht davor!)

Insofern ist das natürlich ein Commitment, das in der Tat wichtig ist. Aber nichtsdestotrotz haben wir nicht genug Erneuerbare Energien. Wenn Sie, Herr Senator, Europa dort noch mit einbeziehen – zu diesem Punkt komme ich später noch einmal –, dann ist das natürlich etwas, was man diskutieren kann und sollte. Aber was würden wir denn in Deutschland, in Norddeutschland machen, wenn tatsächlich irgendjemand in Berlin, irgendjemand in den süddeutschen Ländern dahin kommt, dass dieser erneuerbare Strom aus dem Norden tatsächlich abfließen kann? Der fehlt in der Produktionskette in dieser Strategie, die eigentlich keine richtige ist.

Nichts gegen die Forschung für Wasserstoff; das ist okay und ein wichtiger Baustein für die Energiewende. Soweit ist das, glaube ich, allgemein anerkannt. Aber ich mache mir natürlich Gedanken über das Logistische. Ich mache mir Gedanken darüber, dass zu einem Fundament der Grundstein

gehört. Nur, wenn das Fundament anfängt zu bröseln, eventuell weil der Strom wie gewünscht abfließt, dann muss man natürlich gucken, was man macht. Und das vermisse ich. Einfach loszurennen reicht in dieser Strategie nicht; da erwarte ich mehr Nachhaltigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles in allem habe ich das Gefühl, dass an dieser Stelle das Fell des Bären aufgeteilt wird, bevor er erlegt worden ist, und am Schluss niemandem mehr warm von diesem Fell wird, sondern letztendlich nur noch kleine Fellstückchen verteilt werden können, weil einfach nicht genug da ist vom erlegten Bären. Und zu den ständigen Verweisen auf Berlin: Es mag sein, dass Berlin da schlechte Politik macht, das ist richtig, aber lassen Sie uns nichtsdestotrotz gucken, was wir hier in diesem Land machen können. Deswegen die Forschung hier aufzubauen ist völlig in Ordnung, Herr Senator, völlig in Ordnung, aber ich denke, wir brauchen mehr Strategie und mehr Stringenz, bevor die Privatwirtschaft uns da wieder die Steuerung aus der Hand nimmt. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann bekommt Frau Oelschläger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Selbstverständlich ist es so, dass aus unserem Nachbarland Schleswig-Holstein fast 50 Prozent des erneuerbaren Stroms, der abgeriegelt wird, herkommt. Und selbstverständlich ist das vollkommen sinnlos, und selbstverständlich müssen wir zusehen, dass wir irgendwo einen Zwischenspeicher haben können. Und dafür ist Wasserstoff durchaus sehr geeignet, das hatte der Herr Senator auch gesagt. Es ist sinnvoll, sich mit Wasserstofftechnologie zu beschäftigen und entsprechend auszubauen. Aber dennoch müssen wir wirklich überlegen, wo kommt der Strom dafür her, das hatte Herr Jersch ebenfalls noch einmal betont. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Erster Vizepräsident Dietrich Wersich übernimmt den Vorsitz.)

Das war jetzt zügig. Also, vielen Dank, Frau Oelschläger. – Als Nächster hat sich gemeldet Herr Kruse für die FDP-Fraktion.

Ich kann es auch kurz machen. Lieber Herr Senator Westhagemann, das waren viele kluge Worte, ich hoffe, Sie haben all die Punkte von uns mitgenommen, die jetzt nach vorn raus noch nicht alle geklärt sind, sondern ich hatte doch darauf hingewiesen, Strategie – schöne

(Ulrike Sparr)

Grundlage, aber wir müssen das Ganze eben mit Leben füllen.

Ich finde, was an Ihren Worten und an der öffentlichen Diskussion der letzten Monate in diesem Bereich sehr deutlich geworden ist, ist der Umstand, dass die zentralen energiepolitischen Fragen in dieser Stadt mittlerweile in erheblichem Maße mit wirtschaftspolitischen Fragen verknüpft sind. Auch die Tatsache, dass der Umweltsenator hier offensichtlich, obwohl er eben auch noch Energiesenator ist, dazu gar nichts zu sagen hat, macht für mich und für uns deutlich, wir sollten uns alle gemeinsam Gedanken darüber machen, ob wir die Zuständigkeit für die Fragestellungen der Energiepolitik, die eben die Schlüsselfragen auch der Industriepolitik des 21. Jahrhunderts sind, nicht ebenfalls dem Bereich Wirtschaft zuordnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt hat sich, wenn ich das richtig verstanden habe, Herr Westhagemann für den Senat noch einmal zu Wort gemeldet.

Ja, Herr Kruse, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie den Hinweis noch einmal gegeben haben, ob ich denn auch etwas mitnehme aus der Diskussion. Dazu kann ich schon einmal sagen, selbstverständlich. Und ich möchte Herrn Jersch noch einmal den Hinweis geben, es ist völlig richtig, wenn Sie heute sagen, dass die Herstellung im Bereich der Elektrolyse und des zu gewinnenden Wasserstoffs sehr energieintensiv ist. Ich hoffe, Sie wissen aber auch, wie energieintensiv es ist, eine Batterie herzustellen. Sie ist nämlich um ein Vielfaches intensiver, und dann haben Sie noch nicht die Frage beantwortet, wie wir die künftig entsorgen können, denn wir werden auch da eine Ökobilanz drüberlegen, und dann sind wir bei dem Wasserstoff sehr weit vorn.