Protokoll der Sitzung vom 31.01.2018

Es gibt keinen Anlass für eine gesetzliche Änderung des Paragrafen 42f SGB und es gibt einen grundlegenden Irrtum bei der AfD. Im Einklang mit EU-Richtlinien und der UN-Kinderrechtskonvention geht es um den Schutz von Kindern und Jugendli

chen und darum, deren Minderjährigkeit festzustellen, und nicht um die Abwehr von Gefahren.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN)

In 2017 haben gerade einmal 8 Prozent der in Obhut genommenen Jugendlichen fragwürdige Altersangaben gemacht, in Hamburg genau 51 Personen und nicht die von der AfD behauptete Zahl von 50.

(Zuruf von Dirk Nockemann AfD)

Das Verfahren mit den verschiedenen vorgesehenen Bausteinen aus Papieren, Befragungen, Inaugenscheinnahme und nur im Zweifel der medizinischen anlassbezogenen Untersuchung ist unter Abwägung der Rechtsgüter, und zwar von Schutz und Wahrung körperlicher Unversehrtheit, Rücksichtnahme auf altersbedingte, aber auch kulturelle Schamgrenzen, also einer menschenwürdigen Behandlung,

(Zuruf von Dirk Nockemann AfD)

zur von Ihnen geforderten Gefahrenabwehr der einzig verhältnismäßige Weg. Die Unterstellung, man könne allein mit einer medizinischen Untersuchung objektiv feststellen, ob der Mensch volljährig ist oder nicht, trifft gar nicht zu. Die Ethikkommission der Bundesärztekammer kommt zu dem Ergebnis, dass ein adultes, reifes Handskelett bereits im Alter von 15 Jahren und relevante Altersmerkmale im Zahnskelett ab einem Alter von 16 Jahren vorliegen können, sich unter Berücksichtigung einer doppelten Standardabweichung also eine

(Glocke)

mögliche Abweichung

(Dirk Nockemann AfD: Aber Hamburg macht es doch!)

von mehr als zwei Jahren ergeben kann. Von objektiv feststellbar

(Glocke)

kann keine Rede sein. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt erhält das Wort Frau Franziska Grunwaldt für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Positiv ist zu dem Antrag anzumerken, dass er weitaus gemäßigter ist als das, was Ihre Kolleginnen und Kollegen von der AfD im Bundestag eingebracht haben. Das war es dann aber schon. Denn ganz ehrlich, es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass sich CDU, CSU und SPD im Rahmen der Sondie

rungsgespräche in diesem Punkt bereits auf einen Lösungsweg geeinigt haben. Noch bevor sich die AfD bei ihrer ständigen Jagd nach dem vermeintlich populistischen Thema auf das Thema stürzte, war es nämlich die CDU, die vorgeschlagen hat, bundeseinheitliche Standards bei der Altersfeststellung von Minderjährigen zu schaffen. Denn wer sich fälschlicherweise als Minderjähriger ausgibt, bindet bei seiner Betreuung personelle Kapazitäten, die an anderer Stelle für die wirklich schutzbedürftigen Kinder und Jugendlichen so dringend gebraucht werden. Aber diese tatsächlich Schutzbedürftigen erwähnen Sie leider in Ihrem Antrag mit keinem Wort.

Nur noch einmal zu dem Lösungsweg, auf den sich CDU, CSU und SPD verständigt haben: Der sieht sogenannte zentrale Ankerzentren vor, in denen die Flüchtlinge für die Dauer der Antragsprüfung untergebracht werden. AnkER steht für Ankunft, Entscheidung und Rückführung. Hier sollen auch die Alterstests durchgeführt werden. Damit werden die Kommunen deutlich entlastet und die rechtlichen Möglichkeiten stärker als bisher ausgeschöpft. Sie sehen, der Antrag ist eigentlich hinfällig, das Thema ist abgeräumt. Aber wir können uns gern dazu noch einmal in den Fachausschüssen unterhalten. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste erhält das Wort Antje Möller für die GRÜNE Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Grunwaldt, da kann ich nur hoffen, dass diese fatale Entscheidung, sollte sie wirklich auf Bundesebene so umgesetzt werden, Hamburg nicht erreicht.

(André Trepoll CDU: Wir müssen uns schon bundestreu verhalten!)

Denn das Hamburgische Modell ist nach vielen Jahren politischer Diskussion schon seit Ende der Neunzigerjahre ein ausgereiftes Modell. Zur Frage der Feststellung der Minderjährigkeit von eingereisten Jugendlichen haben die Behörden einen Weg gefunden, der gut ist, der hilfreich ist, der auch hilfreich ist, weil die Jugendlichen, die Betroffenen, um es einmal neutral zu sagen, die Möglichkeit haben, sich dagegen zur Wehr zu setzen, wenn sie durch die sogenannte Inaugenscheinnahme und die damit verbundene Altersfiktivsetzung älter geschätzt werden, als sie tatsächlich sind. Auch in diesem Fall greift nämlich die Möglichkeit der medizinischen Altersfeststellung. Und das geht bei der Hälfte der Fälle, Herr Nockemann hat es nur weggelassen, dann eben zugunsten der betroffenen Personen aus.

(Zuruf von Dirk Nockemann AfD)

(Hendrikje Blandow-Schlegel)

Und das finde ich richtig. Ihre Unterstellung ist schlicht und einfach falsch. Aber Sie sollten sich einmal mit dem in Hamburg angewendeten System etwas im Detail beschäftigen, dann wird es Ihnen vielleicht klarer.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Blandow-Schlegel hat alles zu diesem Generalverdacht gesagt; darauf gehe ich jetzt nicht mehr ein.

Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es aus meiner Sicht sehr viel sinnvoller ist, endlich dazu zu kommen, den hier eingereisten minderjährigen Unbegleiteten sehr schnell einen Vormund zur Seite zu stellen. Dann lösen sich nämlich viele andere Fragen. Und eine gute und in verschiedenen Schritten ineinandergreifende Betreuung verhindert auch das Abgleiten auf Abwege, möglicherweise Straffälligkeit, und schafft Bildungschancen. Das scheint mir das wichtigere Thema zu sein beim Umgang mit minderjährigen Unbegleiteten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Und jetzt Mehmet Yildiz für die Links-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die Kollegen von der SPD und den GRÜNEN haben die zentralen Aussagen getan und die teile ich. Ich finde, man sollte dieses Thema nicht zum Ängsteschüren

(Dirk Nockemann AfD: Fakten!)

nutzen, sondern sachlich damit umgehen. Ob ein Jugendlicher 16, 17 oder 18 Jahre alt ist, ist in erster Linie nicht ausschlaggebend, sondern Menschen kommen mit einem Trauma, mit einer Kriegserfahrung, Fluchterfahrung. Die zentrale Frage ist: Was tun wir dafür, dass diese Kinder und Jugendlichen hier schneller ankommen, unterstützt und in den gesellschaftlichen Alltag integriert werden?

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Ich bin vielleicht hier in der Bürgerschaft einer der Einzigen, der als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland kam. Mit 12 Jahren war ich im Heim, mit 14 Jahren stand ich vorm Gericht und sollte mein Asylverfahren begründen. Die Richterin diskutierte eineinhalb Stunden lang mit mir, dass ich nicht 14,5 Jahre oder 15 Jahre alt bin, sondern dass ich über 18 bin, weil ich eine politisch geprägte Kenntnis hatte.

(Dirk Nockemann AfD: Kann man das auch röntgen?)

Und dann habe ich der Richterin nach eineinhalb Stunden gesagt: Rufen Sie einmal meine Mutter

an, sie kann Ihnen konkret sagen … Das sollte zum Anlass genommen werden, wo ich noch fast 15 war, dass mein Antrag abgelehnt wird, weil ich den politischen Hintergrund hatte. Ich weiß nicht, ob Wolfgang Rose sich daran erinnern kann. Wir saßen zusammen fast zehn Jahre lang im DGBVorstand. Ich saß dort für die DGB-Jugend; mit 15 Jahren war ich als Vertreter der DGB im DGB-Vorstand. Und die Richterin wollte meinen Antrag ablehnen. Das ist absurd, finde ich.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Carola Timm GRÜNE)

Außerdem wird auch diese Altersfeststellung vonseiten der Fachverbände, auch der Ärztekammer, kritisiert, und ich finde, das sollte nicht mit diesem Antrag unterstützt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt erhält das Wort Frau Nicolaysen für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben ein berechtigtes Interesse daran, das Alter von vermeintlichen minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen einzuschätzen, und da ist es egal, wo wir uns befinden, in Deutschland, Schweden, Frankreich oder woanders. An der Volljährigkeit hängen Fragestellungen des Aufenthaltsrechts, aber auch die Anspruchsberechtigung auf staatliche Leistungen, die sonst nur Minderjährigen vorbehalten sind, zum Beispiel die kostenintensive kieferorthopädische Behandlung bei Fehlstellungen der Zähne oder die Schulpflicht. Des Weiteren kostet die Inobhutnahme eines allein reisenden minderjährigen Asylbewerbers ein Vielfaches gegenüber der Versorgung eines Erwachsenen. Der Staat sollte also ein Eigeninteresse daran haben, die Minderjährigkeit von Flüchtlingen solide festzustellen. Als FDPFraktion fordern wir, dass von den medizinischen Möglichkeiten zur Altersfeststellung häufiger Gebrauch gemacht wird.

(Kazim Abaci SPD: Warum?)

Denn das Gesetz lässt schon jetzt eine solide Schätzung auf Minder- beziehungsweise Volljährigkeit zu. Es ist richtig, dass die Verbrechen in Verbindung mit dem Behördenversagen bei der Altersfeststellung das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger erschüttert haben. Doch mit einem unausgegorenen Gesetzentwurf

(Dirk Nockemann AfD: Wir haben doch kei- nen Gesetzentwurf vorgelegt!)

wie diesem Wasser auf die Mühlen zu gießen ist nicht der richtige Weg. Wir haben hier kein Regelungs-, sondern ein Vollzugsdefizit.

(Beifall bei der FDP)

(Antje Möller)